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58. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. November 1980 i.S. B. gegen Vormundschaftsbehörde Feuerthalen (Berufung) | |
Regeste |
Entmündigung auf eigenes Begehren (Art. 372 ZGB). |
2. Auch die Trunksucht kann ein Gebrechen im Sinne von Art. 372 ZGB darstellen (E. 3). |
3. Kann der Schutzbedürftige trotz seiner Trunksucht seine Angelegenheiten gehörig besorgen, so darf er nicht gestützt auf Art. 372 ZGB entmündigt werden (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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B. musste in der Folge aber erneut vom Alkoholfürsorger betreut werden, der ihn von Zeit zu Zeit zu mehr oder weniger regelmässigen Einnahmen von Antabustabletten veranlassen konnte. Zwischen 1963 und 1977 befand sich B. verschiedentlich in der Psychiatrischen Klinik Breitenau in Schaffhausen, wo er in erster Linie wegen seines Alkoholmissbrauchs behandelt werden musste. Er wurde immer wieder rückfällig und verlor gelegentlich auch seine Arbeit, teils wegen alkoholbedingter Absenzen, teils aber auch wegen der Rezession. Ende Juli 1979 trat er, da er gerade arbeitslos war, in die Heilstätte für Alkoholkranke in Ellikon an der Thur ein, um sich einer Entziehungskur zu unterziehen. Bereits am 14. August 1979 brach er indessen die Kur ab, kehrte in sein Elternhaus zurück und verfiel erneut dem Alkoholabusus.
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B.- Am 10. Oktober 1979 teilte der Vormundschaftsreferent der Gemeinde Feuerthalen B. anlässlich einer Besprechung mit, dass ein Entmündigungsverfahren eingeleitet werden müsse, nachdem er die ihm 1970 gewährte Chance, seine Lebensweise zu ändern und dem Alkohol zu entsagen, nicht genutzt habe; es gehe jetzt nur noch darum, ob er gemäss Art. 372 ZGB selbst eine Entmündigung beantragen wolle, was für ihn von Vorteil sei. B. erbat sich Bedenkzeit und ersuchte den Vormundschaftsreferenten, mit seinen Eltern Kontakt aufzunehmen. Noch am gleichen Tag sprach der Vormundschaftsreferent im Elternhaus vor, wobei B. ein Begehren um Entmündigung gemäss Art. 372 ZGB unterschrieb und den Namen eines ihm genehmen Vormundes vorschlug. Am 8. Dezember 1979 widerrief er telefonisch das Begehren. Inzwischen hatte die Vormundschaftsbehörde Feuerthalen beim Bezirksrat Andelfingen einen Antrag auf Entmündigung auf eigenes Begehren gestellt, dem der Bezirksrat am 27. November 1979 entsprochen hatte.
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Mit Verfügung vom 3. April 1980 wies die Direktion der Justiz des Kantons Zürich eine Beschwerde gegen den Entmündigungsbeschluss ab.
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C.- Gegen diese Verfügung hat B. beim Bundesgericht Berufung eingereicht, mit der er beantragt, er sei nicht zu entmündigen.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und weist die Sache zur Vervollständigung des Tatbestandes und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen: | |
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Der Widerruf des Entmündigungsbegehrens ist indessen unbeachtlich, da die Entmündigung bereits vorher, nämlich am 27. November 1979, ausgesprochen worden war (BGE 102 II 190 ff., BGE 99 II 15 ff.). Dass der Entmündigungsbeschluss dem Berufungskläger im Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht zugegangen war, ändert daran nichts. Von einem Willensmangel im eigentlichen Sinne kann sodann zweifellos nicht gesprochen werden. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat die Vormundschaftsbehörde die Frage der Vormundschaft mit dem Berufungskläger eingehend erörtert. Dass sie dabei darauf hinwies, eine auf eigenes Begehren angeordnete Vormundschaft könne leichter wieder aufgehoben werden als eine Zwangsvormundschaft, ist nicht zu beanstanden. Wie ein Vergleich zwischen Art. 437 und 438 ZGB zeigt, ist dies tatsächlich der Fall, wenngleich der Unterschied bei einem Trunksüchtigen im Ergebnis nicht allzu gross sein dürfte (vgl. BGE 78 II 10, BGE 38 II 432).
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Dagegen befand sich der Berufungskläger insofern in einer Zwangslage, als er von der Vormundschaftsbehörde vor die Alternative gestellt wurde, entweder zwangsweise nach Art. 369/370 oder auf eigenes Begehren nach Art. 372 ZGB entmündigt zu werden, ihm also effektiv nur die Form des Eingriffs offengelassen wurde. Es stellt sich daher die Frage, ob ein Entmündigungsbegehren unter solchen Umständen noch als auf freiem Willensentschluss beruhend angesehen werden kann. Das Bundesgericht hat diese Frage in BGE 78 II 9 bejaht. Es hielt dabei fest, der Umstand, dass der Schutzbedürftige nicht von sich aus, sondern auf Vorschlag der Behörde um seine Bevormundung nachsuche, mache sein Begehren nicht ungültig; die Drohung, ihn im Falle der Weigerung zu versorgen, wäre höchstens dann ein unzulässiger, die Gültigkeit der Erklärung in Frage stellender Zwang, wenn objektiv jeder Grund gefehlt hätte, ihn zu entmündigen oder andere Massnahmen gegen ihn zu ergreifen. Daran ist - wenn auch mit gewissen Einschränkungen - festzuhalten. Würde man anders entscheiden, wäre in vielen Fällen eine Entmündigung auf eigenes Begehren ausgeschlossen, wenn zugleich auch die Voraussetzungen für eine Entmündigung nach Art. 369 oder 370 ZGB erfüllt sind. Das läge nicht im Interesse des zu Bevormundenden. Einmal ist, wie das Bundesgericht in BGE 54 II 241 ausgeführt hat, das Verfahren bei der Entmündigung auf eigenes Begehren wesentlich einfacher und für den Schutzbedürftigen weniger belastend. Zum andern kommt diesem Entmündigungsgrund eine besondere fürsorgerische Bedeutung zu, da die Einsicht in die Notwendigkeit einer vormundschaftlichen Massnahme zu einer positiven Einstellung gegenüber dem Vormund führt und damit günstige Voraussetzungen für eine Heilung bzw. Besserung schafft. Schliesslich wird der Schutzbedürftige bei der Entmündigung auf eigenes Begehren nicht zum vornherein als geisteskrank, trunksüchtig, verschwenderisch usw. abgestempelt; seine Persönlichkeitssphäre wird dadurch ![]() | 11 |
Diese positive Wirkung der Entmündigung auf eigenes Begehren entfällt allerdings, wenn das Entmündigungsbegehren nicht auf der Einsicht des Schutzbedürftigen beruht, dass er seine Angelegenheiten nur mit der Hilfe eines Vormundes zu besorgen vermag, sondern auf das Drängen der Vormundschaftsbehörde zurückzuführen ist, die das kostspielige und zeitaufwendige Verfahren der Zwangsentmündigung vermeiden möchte, oder wenn es nur deswegen gestellt wurde, weil der Schutzbedürftige eingesehen hat, dass ein Widerstand gegen die Zwangsentmündigung ohnehin zwecklos ist, insbesondere wenn dies kurz vor dem Abschluss eines bereits eingeleiteten Entmündigungsverfahrens geschieht (ISENSCHMID, a.a.O. S. 59 ff., 64/65). Wo die Grenze zwischen einem unzulässigen Beeinflussungsversuch seitens der Vormundschaftsbehörde und einem grundsätzlich im Interesse des Schutzbedürftigen liegenden Appell an dessen Einsicht in die Notwendigkeit vormundschaftlicher Massnahmen verläuft, ist freilich nicht leicht zu sagen. Im vorliegenden Fall bestehen indessen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vormundschaftsbehörde nicht im Interesse des Berufungsklägers gehandelt habe, sondern sich die Arbeit habe leicht machen wollen, als sie ihn auf die Möglichkeit aufmerksam machte, einem in Aussicht stehenden Zwangsentmündigungsverfahren durch ein eigenes Entmündigungsbegehren zuvorzukommen, oder dass das Entmündigungsbegehren trotz der Zwangslage, in der sich der Berufungskläger befand, nicht auf echter Einsicht beruht habe. Dass die Vormundschaftsbehörde den Berufungskläger vorlud, um mit ihm die Frage der Anordnung vormundschaftlicher Massnahmen zu erörtern, war angesichts der andauernden Trunksucht und deren Auswirkungen sicher gerechtfertigt. Das Entmündigungsbegehren ist daher als gültig zu betrachten.
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3. In objektiver Hinsicht verlangt Art. 372 ZGB für eine ![]() | 13 |
In diesem Alkoholmissbrauch kann ohne Verletzung von Bundesrecht ein "anderes Gebrechen" im Sinne von Art 372 ZGB erblickt werden (BGE 54 II 240 /241; vgl. auch BGE 78 II 8; EGGER, N. 10 zu Art. 372 ZGB; ISENSCHMID, a.a.O. S. 50). Ob daneben auch eine Tablettenabhängigkeit bestehe und ob sich die Persönlichkeit des Berufungsklägers infolge seiner Lebensweise sukzessive abbaue, kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben.
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4. Endlich darf eine Entmündigung auf eigenes Begehren nur ausgesprochen werden, wenn der zu Entmündigende seine Angelegenheiten nicht gehörig zu besorgen vermag. Wie bei der zwangsweisen Entmündigung nach Art. 370 ZGB genügt auch bei der Entmündigung auf eigenes Begehren die Trunksucht für sich allein nicht, wenn sie nicht ein soziales Versagen des Schutzbedürftigen zur Folge hat. Über diese zusätzliche Voraussetzung der Entmündigung lässt sich dem angefochtenen Entscheid nichts entnehmen. Der Berufungskläger hat jedoch schon im kantonalen Verfahren behauptet, er habe seine Verpflichtungen stets erfüllt, sei nie betrieben worden und habe nie Fürsorgeleistungen bezogen; seine Stellen habe er stets selbst gesucht und gefunden; in die Heilstätte für Alkoholkranke in Ellikon sei er aus eigenem Antrieb eingetreten; den Aufenthalt in dieser Anstalt habe er aus eigenen Ersparnissen bezahlt; er sei daher sehr wohl in der Lage, seine Angelegenheiten selber zu besorgen. Wie es sich damit verhält, hat die Vorinstanz nicht abgeklärt. Die Sache ist daher zur Prüfung dieser Frage an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sollten sich die Behauptungen des Berufungsklägers als richtig erweisen, so darf dieser nicht entmündigt werden. Ein anderer Entscheid liesse sich höchstens dann in Erwägung ziehen, wenn es zuträfe, dass der Berufungskläger nur deswegen nicht in Schulden geraten ist, weil er als ![]() | 15 |
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