BGE 113 II 246 - Skipiste I | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
45. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. April 1987 i.S. X. gegen Luftseilbahn Zermatt-Schwarzsee-Klein Matterhorn AG (Berufung) | |
Regeste |
Haftung der Bergbahnen bei Skiunfällen (Art. 41, Art. 97 OR). | |
Sachverhalt | |
A.- Am 18. Mai 1977 verunfallte der deutsche Skitourist X. schwer, indem er bei einem Ausweichmanöver über eine Schneewächte gegen einen Anbau der Talstation der Luftseilbahn Furgg-Trockener Steg stürzte. Er zog sich schwere Schädelverletzungen zu, musste sein Medizinstudium aufgeben und einen medizinischen Hilfsberuf erlernen. Ein Strafverfahren gegen Unbekannt wurde am 31. Dezember 1979 mangels Nachweises einer strafbaren Handlung eingestellt.
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B.- Am 25. April 1984 klagte X. gegen die Luftseilbahn Zermatt-Schwarzsee-Klein Matterhorn AG auf Bezahlung von Fr. 123'041.30 Schadenersatz nebst Zins sowie Fr. 50'000.-- bis Fr. 60'000.-- Genugtuung. Auf Antrag beider Parteien beschränkte das Kantonsgericht Wallis das Verfahren auf die Frage der Verjährung. In einem sogenannten Teilurteil vom 11. April 1986 stellte es fest, dass die Beklagte für den Unfall des Klägers ausservertraglich hafte; sodann schützte es die Verjährungseinrede und wies die Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen des Klägers ab.
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C.- Der Kläger hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts Berufung erhoben mit dem Antrag, es aufzuheben, die Einrede der Verjährung zu verwerfen und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beklagte ersucht, die Berufung abzuweisen.
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Aus den Erwägungen: | |
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Es folgt aus Treu und Glauben, dass der Schuldner alles tun muss, um die richtige Erfüllung der Hauptleistung und die Verwirklichung des Leistungserfolgs zu sichern (GUHL/MERZ/KUMMER, OR, 7. Aufl., S. 13; MERZ N. 260 zu Art. 2 ZGB). Im Vordergrund stehen dabei die nicht auf den Hauptleistungsinhalt bezogenen Schutzpflichten, die namentlich Leben und Gesundheit des Partners zu wahren bestimmt sind; die allgemeine Schutzpflicht dessen, der einen Gefahrenzustand schafft, wird zur vertraglichen Nebenpflicht, wenn die Gefährdung mit der Abwicklung des Vertrages im Zusammenhang steht (MERZ, a.a.O. N. 269). In diesem Sinn wurde etwa eine vertragliche Haftung des Veranstalters bei Verletzung eines Zuschauers bejaht, soweit ein Eintrittsgeld zu bezahlen war (BGE 70 II 216 E. 2 u. 3, vgl. BGE 79 II 69 E. 1; entsprechend für Hospitalisierungsvertrag BGE 92 II 19, für Gastaufnahmevertrag BGE 71 II 114 E. 4).
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Auf dieser Grundlage ist zu untersuchen, ob die Pistensicherung als vertragliche Nebenpflicht des mit einer Bergbahn abgeschlossenen Transportvertrags zu betrachten ist.
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Aus der Rechtsprechung kantonaler Gerichte sind insbesondere die ablehnenden Entscheide des Walliser Kantonsgerichts bekannt (Urteil vom 30. Januar 1975, ZWR 1975, S. 260 ff.; Urteil vom 28. März 1979, ZWR 1979, S. 314 ff.; Urteil vom 9. Februar 1983, ZWR 1983, S. 113 ff.), welche das Kantonsgericht im angefochtenen Urteil bestätigt und präzisiert, sowie ein Urteil des Kantonsgerichts Graubünden vom 11. August 1967, in welchem eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für einen Pistenunfall unter anderem mit einer Pistensicherungspflicht als vertragliche Nebenwirkung des Transportvertrags begründet wurde (SJZ 64/1968, S. 118 ff.; vgl. auch Urteil vom 5. März 1985, PKG 1985, Nr. 7, in welchem das Kantonsgericht offen lassen konnte, ob Art. 41 oder 97 OR anwendbar war).
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Eine Arbeitsgruppe des Schweizerischen Verbandes der Seilbahnunternehmungen bejahte 1976 ebenfalls eine vertragliche Nebenpflicht, wobei zwischen den Parteien streitig ist, wieweit diese Ansicht heute noch Geltung hat.
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a) In solchen Skigebieten besteht offensichtlich ein enger Zusammenhang zwischen dem Bergtransport mit der Bahn und der Abfahrt auf Skiern. Selbst wenn eine Bahn auch im Sommer eine gute Frequenz aufweist, liegt das Hauptgewicht auf dem Winterbetrieb. Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass neue Konzessionen nur nach Prüfung des Skiabfahrtenprogramms erteilt werden (Art. 8, Art. 10 Abs. 2 lit. d der Luftseilbahnkonzessionsverordnung; SR 743.11). Die Bedeutung der Skipisten für den wirtschaftlichen Erfolg der Bahn ergibt sich aus dem Umstand, dass der Skifahrer die Bahn gewöhnlich mehrmals täglich benützt. Die Tages- und Wochenkarten bekommen denn auch nur in Verbindung mit Pisten ihren Sinn.
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b) Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass in der Regel die Bahnunternehmung auch den Pistenunterhalt und Rettungsdienst besorgt. Das Kantonsgericht erklärt dies ausdrücklich mit der Absicht, möglichst viele Skifahrer zum Abschluss von Transportverträgen zu veranlassen; besser kann der innere Zusammenhang zwischen Bergfahrt und Piste kaum umschrieben werden. Es ist auch unbestritten, dass die Bahnunternehmungen insgesamt einen erheblichen Teil ihrer Wintereinnahmen für den Pistenbetrieb aufwenden; damit sind aber auch diese Kosten im Preis der Fahrausweise eingerechnet. Wie es sich verhält, wenn ausnahmsweise andere Organisationen für den Pistendienst verantwortlich sind, braucht nicht geprüft zu werden. Jedenfalls besteht kein Grund, entsprechend einzelnen Autoren die Haftung danach zu differenzieren, ob die Bahnunternehmung selbst mit dem Hinweis auf gute Skipisten wirbt. Das dürfte zwar heute die allgemeine Regel sein, namentlich in Form von Prospekten, Hinweistafeln und dergleichen; am Eindruck für die Bahnbenützer ändert sich indes nichts, wenn dieses Werbematerial von einem örtlichen Verkehrsverein herausgegeben wird, der damit für die Bahnen wirbt.
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c) Nach dem Vertrauensgrundsatz darf der Benützer einer derartigen Luftseilbahn sich darauf verlassen, dass diese nicht nur die Hauptleistung des Transportes erfüllt, sondern auch als Nebenleistung für Pistensicherheit und Rettungsdienst sorgt. Es verhält sich damit nicht anders als mit der Informations- und Warnungspflicht (Pistenzustand, Lawinengefahr etc.), in der auch Autoren eine vertragliche Nebenpflicht sehen, die dies für die Pistensicherung ablehnen (WELSER, a.a.O. S. 408).
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Ergibt sich nach Treu und Glauben eine vertragliche Pistensicherungspflicht, so kommt nichts darauf an, ob dies einer Übung entspricht und namentlich von den Seilbahnunternehmungen so verstanden wird. Wenn bisher derartige Unfälle ausschliesslich nach Art. 41 OR beurteilt worden sind, wie die Beklagte annimmt, so erklärt sich das unschwer daraus, dass gewöhnlich diese Bestimmung eine ausreichende Haftungsgrundlage abgibt.
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Da die Vertragshaftung nicht zu höheren Anforderungen an die Pistensicherung führt als die ausservertragliche Haftung, könnte auch eine Wegbedingung der vertraglichen Haftung, soweit eine solche bei einer konzessionierten Luftseilbahn überhaupt möglich ist (Art. 100 Abs. 2, Art. 101 Abs. 3 OR), der Bahnunternehmung keinen Vorteil bringen. Umgekehrt behauptet die Beklagte zu Unrecht, Art. 97 OR führe praktisch zu ihrer Haftung für alle Pistenunfälle, weil sie ein Selbstverschulden des Verunfallten nur sehr schwer oder gar nie nachweisen könnte, wie sie auch nach Tagen oder gar nach zehn Jahren nicht mehr beweisen könnte, dass die Piste am Unfallort im Umfallzeitpunkt in einwandfreiem Zustand gewesen sei. Nach der genannten Bestimmung hat stets der Geschädigte die Vertragsverletzung (die ungenügende Pistensicherung) und den Kausalzusammenhang mit dem Schaden zu beweisen; erspart bleibt ihm lediglich der Nachweis eines Verschuldens, wie ihn Art. 41 OR erfordert, weil ein solches vorbehältlich Exkulpationsbeweis vermutet wird. Diese Ordnung ist einer Bahnunternehmung umso sehr zuzumuten, als sie in der Regel auch den Rettungsdienst leitet und daher am ehesten beweissichernde Massnahmen treffen kann.
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Zwar sind die eidgenössisch konzessionierten Luftseilbahnen dem EHG unterstellt (Art. 3 Abs. 2 PVG; SR 783.0). Dieses erfasst jedoch nur die Haftung für Unfälle beim Bau oder Betrieb der Bahn (Art. 1 EHG), wobei die Konzession eine weitergehende Haftung begründen kann (Art. 21 EHG). Es regelt nur die Haftung für den Betrieb im technischen Sinn und schliesst eine solche für den gewerblichen Betrieb nicht aus. Andere vertragliche oder ausservertragliche Haftungsgründe entfallen nur soweit, als das EHG wirklich anwendbar ist (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. II/1 S. 305 und 325; BGE 84 II 207; als Beispiel derartiger vertraglicher und ausservertraglicher Haftung der SBB wegen Nichtanwendung des EHG vgl. BGE 91 I 234 E. IV/2 und 239 E. VI/2). Schliesslich schreibt die Luftseilbahnkonzessionsverordnung eine Haftpflichtversicherung vor (Art. 21), die nach der Praxis auch die Pistenhaftpflicht umfasst, wie das für die kantonal konzessionierten Skilifte ausdrücklich festgelegt ist (Skiliftverordnung Art. 11 Abs. 2 lit. b; SR 743.21). Das bestätigt eindeutig, dass das EHG einer derartigen Haftungsausdehnung nicht im Wege steht.
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9. Nach Auffassung der Beklagten steht der Annahme einer vertraglichen Haftung das seit 1. Januar 1987 geltende Transportgesetz vom 4. Oktober 1985 (SR 742.40) entgegen. Sie widerspricht der an einer Konferenz geäusserten Auffassung eines Vertreters des Bundesamtes für Verkehr, wonach mit der Streichung der Beförderungspflicht im neuen Gesetz die Möglichkeit, die Haftung der Luftseilbahnunternehmen aus Transportvertrag zu begründen, verbessert worden sei. Auf diese Äusserung, die das Dargelegte höchstens bestätigen könnte, braucht nicht weiter eingegangen zu werden. Dass sodann Art. 15 des Gesetzes als Inhalt des Personentransportvertrags nur die Hauptleistung des Transportes festhält, besagt nichts gegen eine besondere Nebenpflicht. Erfolglos beruft sich die Beklagte schliesslich darauf, dass Art. 17 nur eine Haftung für Verspätungsschaden begründe und dass niemand bei der Gesetzesberatung den Einbezug der Skipistenhaftung postuliert habe, weshalb nunmehr nicht durch Interpretation eine Ausdehnung der Haftung herbeigeführt werden dürfe, die der Gesetzgeber nicht gewollt habe. Dieses Argument scheitert schon daran, dass das Transportgesetz bewusst auf eine eigene Regelung der Haftung für Personenschäden verzichtet hat (Botschaft BBl 1983 II S. 186).
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