BGE 115 II 484 - Zürcher Altstadt Mietfall | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher | |||
86. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. November 1989 i.S. T. gegen Ehepaar H. (Berufung) | |
Regeste |
Mietvertrag; Gültigkeit der Kündigung gemäss BMM, Ergänzung der lückenhaften Kündigungsregelung (Art. 18 Abs. 3, 28 Abs. 3 und 31 Ziff. 1 Abs. 2 BMM; Art. 63 Abs. 2 OG; Art. 8 ZGB). |
2. Lückenhaftigkeit des Mietvertrages, dessen Kündigung gemäss vereinbarter Regelung durch die Sperrfrist von Art. 28 Abs. 3 BMM verunmöglicht wird. Ergänzung des Vertrages nach dem hypothetischen Parteiwillen (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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"Die Vertragsdauer wurde für beide Parteien um weitere 10 Jahre verlängert und ist bis zum 31. März 1987 unkündbar. Wird der Vertrag weder von der einen noch der anderen Partei wenigstens 1 Jahr vor Ablauf der Mietzeit durch eingeschriebenen Brief gekündigt, so gilt er jeweils auf 5 weitere Jahre verlängert, wieder mit jährlicher Kündigungsfrist."
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Am 24. September 1985 erkannte das Bundesgericht im Verfahren nach Art. 28 Abs. 2 BMM letztinstanzlich auf Unzulässigkeit einer von den Vermietern anbegehrten Mietzinserhöhung.
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Am 25. September 1987 kündigten die Vermieter den Vertrag auf den 30. September 1988, eventuell auf zwei spätere Termine.
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B.- Der Mieter klagte am 26. Oktober 1987 auf Feststellung der Nichtigkeit oder Ungültigkeit der Kündigung, eventuell soweit sie auf einen vor dem 31. März 1992 liegenden Zeitpunkt ausgesprochen worden war; subeventuell verlangte er die längstmögliche Erstreckung des Mietverhältnisses.
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Das Mietgericht des Bezirks Zürich wies die Klage mit Urteil vom 18. August 1988 ab und stellte in Gutheissung einer Widerklage der Vermieter fest, dass die Kündigung auf den 30. September 1988 gültig sei. In Abweisung eines Rekurses des Klägers bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich am 10. Januar 1989 dieses Urteil.
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C.- Der Kläger hat gegen den Beschluss des Obergerichts Berufung eingelegt, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.
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Aus den Erwägungen: | |
2. a) Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die tatsächlichen Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden, wenn sie nicht offensichtlich auf Versehen beruhen, unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen (Art. 63 Abs. 2 OG) oder zu ergängen sind (Art. 64 OG). Liegen solche Ausnahmen vor, so hat die Partei, die den Sachverhalt berichtigt oder ergänzt wissen will, darüber genaue Angaben mit Aktenhinweisen zu machen (BGE 110 II 497 E. 4). Eine Ergänzung setzt zudem voraus, dass entsprechende Sachbehauptungen bereits im kantonalen Verfahren prozesskonform aufgestellt, von der Vorinstanz aber zu Unrecht für unerheblich gehalten oder übersehen worden sind, was wiederum näher anzugeben ist; andernfalls gelten die Vorbringen als neu und damit als unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; BGE 111 II 473 E. 1c mit Hinweisen). Für eine blosse Kritik an der Beweiswürdigung des Sachrichters sodann ist, soweit nicht Vorschriften des Bundesrechts in Frage stehen (dazu KUMMER, N. 68 ff. zu Art. 8 ZGB), die Berufung nicht gegeben.
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b) Der Kläger hält die Kündigung des Mietvertrages gemäss Art. 31 Ziff. 1 Abs. 2 BMM für nichtig, weil sie als Repressalie gegen die Wahrnehmung seiner Rechte aus der Missbrauchsgesetzgebung erklärt worden sei.
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In Einklang mit der jüngsten bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 114 II 81, 113 II 461 E. 3) ist das Obergericht von der Auffassung ausgegangen, eine "Rachekündigung" im Sinne von Art. 31 Ziff. 1 Abs. 2 BMM sei auch nach Ablauf der Sperrfrist von Art. 28 Abs. 3 BMM nichtig. Die Beweislast für ein entsprechendes Kündigungsmotiv hat es dem Kläger auferlegt und hinsichtlich der Beweisanforderungen eine grosse Wahrscheinlichkeit genügen lassen, diese jedoch nicht als erstellt erachtet. Der Kläger beanstandet weder die Beweislastverteilung noch die gesetzten Beweisanforderungen, erblickt aber in der Annahme der Beweislosigkeit eine Verletzung von Art. 8 ZGB. Er bringt zudem vor, es bestehe eine natürliche Vermutung dafür, dass die Beklagten gekündigt hätten, weil er die ihm gemäss dem Bundesbeschluss zustehenden Rechte wahrgenommen habe.
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Das Motiv einer Kündigung ist Tatfrage (BGE 113 II 462 E. 3b). Lässt sie der Sachrichter zufolge Beweislosigkeit offen, verletzt er Art. 8 ZGB einzig dann, wenn er taugliche und formgültig beantragte Beweise dazu nicht abgenommen hat. Dagegen schreibt ihm diese Bestimmung nicht vor, wie er das Ergebnis der Beweiserhebungen zu würdigen hat (BGE 114 II 291). Der Kläger macht nicht geltend, sein bundesrechtlicher Beweisführungsanspruch sei verletzt worden; er will bloss die erhobenen Beweise abweichend von den Feststellungen des Obergerichts gewichtet wissen. Für eine solche Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung aber steht die Berufung nicht zur Verfügung, so dass insoweit darauf nicht einzutreten ist. Daran ändert die Behauptung des Klägers nichts, es müsse auf eine natürliche Vermutung abgestellt werden, die zu seinen Gunsten spreche. Ob im konkreten Fall eine tatsächliche oder natürliche Vermutung besteht, ist ebenfalls eine Frage der Beweiswürdigung (BGE 110 II 4). Eine solche Vermutung führt im übrigen auch nicht zur Umkehr der Beweislast (KUMMER, N. 364 ff. zu Art. 8 ZGB; GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 326).
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c) Der Kläger betrachtet die Kündigung zudem gemäss Art. 18 Abs. 3 BMM als nichtig, da sie im Zusammenhang mit einer nachfolgenden Mietzinserhöhung ausgesprochen worden sei.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Kündigung auch dann nichtig, wenn sie im Hinblick auf eine spätere Mietzinserhöhung ausgesprochen wird und den Mieter vor die Wahl stellen soll, entweder die Mieträume zu verlassen oder den höheren Mietzins zu bezahlen. Dabei ist wiederum Tatfrage, ob der Vermieter in solcher Absicht gehandelt hat (BGE 115 II 84 ff. E. 3 und 4). Entgegen der Feststellung im angefochtenen Urteil hält der Kläger diese Absicht für indizienmässig nachgewiesen. Auch damit übt er aber unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanz, auf welche nicht einzutreten ist. Die behauptete Nichtigkeit der Kündigung scheitert somit bereits an der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz.
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a) Eine Vertragslücke liegt vor, wenn die Parteien eine Rechtsfrage, die den Vertragsinhalt betrifft, nicht oder nicht vollständig geregelt haben (JÄGGI/GAUCH, N. 486 zu Art. 18 OR; KRAMER, N. 213 zu Art. 18 OR; BGE 107 II 149). Ob der Vertrag in diesem Sinne einer Ergänzung bedarf, ist vorerst durch empirische, bei deren Ergebnislosigkeit durch normative Auslegung zu ermitteln (KRAMER, N. 213 und 224 ff. zu Art. 18 OR).
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Soweit das Obergericht festgestellt hat, die Parteien hätten die Frage einer gesetzlichen Einschränkung der vereinbarten Kündigungsmodalitäten nicht bedacht und deshalb nicht geregelt, hat es eine Tatfrage verbindlich beantwortet. Auf die dagegen gerichteten Einwände des Klägers ist daher nicht einzutreten. Soweit das Obergericht sodann auch aufgrund einer normativen Auslegung zum Ergebnis gelangt ist, eine vertragliche Regelung fehle, ist sein Entscheid bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Die Vertragsergänzung vom 15. Mai 1976 musste nach dem Vertrauensprinzip so verstanden werden, dass die Mietdauer sich bloss dann um fünf Jahre erstrecken sollte, wenn die Vertragsparteien eine Kündigung des Vertrages auf den 31. März 1987 freiwillig unterliessen, nicht aber auch dann, wenn die Auflösung auf diesen Zeitpunkt aus zwingenden gesetzlichen Gründen ausgeschlossen war. Das Vertrauensprinzip gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Parteien diesen Fall bedacht und geregelt hätten. Die Vorinstanz hat somit zu Recht eine Vertragslücke angenommen.
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b) Ist ein lückenhafter Vertrag zu ergänzen, so hat der Richter - falls dispositive Gesetzesbestimmungen fehlen - zu ermitteln, was die Parteien nach dem Grundsatz von Treu und Glauben vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Punkt in Betracht gezogen hätten. Bei der Feststellung dieses hypothetischen Parteiwillens hat er sich am Denken und Handeln vernünftiger und redlicher Vertragspartner sowie an Wesen und Zweck des Vertrages zu orientieren (BGE 111 II 262, BGE 108 II 114, BGE 107 II 149; JÄGGI/GAUCH, N. 498 ff. zu Art. 18 OR; KRAMER, N. 238 ff. zu Art. 18 OR; MERZ, Vertrag und Vertragsschluss, S. 102 ff., Rz. 184 ff.). Das Ergebnis dieser normativen Tätigkeit überprüft das Bundesgericht zwar frei (BGE 108 II 114), aber mit einer gewissen Zurückhaltung, da die Vertragsergänzung regelmässig mit richterlichem Ermessen verbunden ist (vgl. BGE 48 II 258 f.). Verbindlich sind dagegen Feststellungen der Vorinstanz über Tatsachen, die bei der Ermittlung des hypothetischen Willens in Betracht kommen (BGE 107 II 149 und 424 mit Hinweisen).
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Im Lichte der erwähnten Kriterien ist die vom Obergericht vorgenommene Vertragsergänzung nicht zu beanstanden. Auszugehen ist davon, dass die Parteien im Jahre 1976 eine Vertragsdauer von vorerst zehn Jahren vereinbarten, welche sich um weitere fünf Jahre verlängern sollte, sofern keine der Parteien die Kündigung aussprach. Da gesetzliche Kündigungsbeschränkungen nicht bedacht wurden, drängt sich aus dem Vertrauensprinzip der Schluss geradezu auf, beim Eintritt einer Sperrfrist werde die vereinbarte Vertragsdauer nur um diese verlängert und der Kündigungstermin entsprechend hinausgeschoben, ohne dass die neue fünfjährige Vertragsdauer beginne, welche die Parteien in die eigene Gestaltungsfreiheit gestellt hatten. Vom massgebenden objektiven Gesichtspunkt aus beurteilt darf die willentlich unterlassene Kündigung nicht der gesetzlich untersagten gleichgestellt werden; die Folgen jener richten sich nach den Vereinbarungen der Parteien, diejenigen dieser nach den gesetzlichen Schutzbestimmungen. Der angefochtene Entscheid erweist sich auch insoweit als bundesrechtskonform, was zur Abweisung der Berufung führt, soweit darauf einzutreten ist.
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