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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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93. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. November 1984 i.S. Fürsorgestiftung für das Personal des Schweizerischen Serum- und Impfinstituts gegen Aral (Schweiz) AG (Berufung) | |
Regeste |
Erhöhung indexierter Mietzinse: Formularzwang, Rückwirkung, widersprüchliches Verhalten. |
Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens schliesst nicht aus, dass der Mieter sich nach der Zahlung des erhöhten Mietzinses auf die Nichtigkeit der Erhöhung berufen kann (Art. 2 ZGB); Begründungspflichten des Berufungsklägers im Zusammenhang mit Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 Abs. 1 OG (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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Die Fürsorgestiftung forderte ab 1979 gestützt auf die Indexklausel erhöhte Mietzinse; die Aral AG bezahlte sie bis und mit 1981. Am 13. Dezember 1982 teilte die Vermieterin die Mietzinserhöhungen erstmals auf amtlichem Formular mit, und zwar für die Jahre 1981, 1982 und 1983.
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Vor der Schlichtungsstelle focht die Mieterin die Erhöhungen an, ohne dass indes eine Einigung zustande gekommen wäre.
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B.- Daraufhin klagte die Fürsorgestiftung auf Feststellung, dass die Mietzinse von Fr. 35'280.-- für das Jahr 1981, von Fr. 37'600.-- für das Jahr 1982 und von Fr. 39'660.-- für das Jahr 1983 nicht missbräuchlich seien. Die Aral AG verlangte widerklageweise Feststellung, dass die Mietzinserhöhungen für die Jahre 1979 bis 1982 nichtig und ausserdem gleich wie die Erhöhung für 1983 missbräuchlich seien.
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Der Gerichtspräsident von Aarberg wies die Klage ab und stellte in Gutheissung der Widerklage die Nichtigkeit der Mietzinserhöhungen für die Jahre 1979 bis 1983 fest.
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Auf Appellation der Klägerin hin wies der Appellationshof des Kantons Bern am 27. Februar 1984 die Widerklage zurück. Die Mietzinserhöhung für das Jahr 1983 erkannte er als nicht missbräuchlich, wobei er sich am 14. März 1984 dahin berichtigte, dass die Klage "soweit weitergehend" abgewiesen werde.
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C.- Die Klägerin hat Berufung eingelegt mit dem Antrag festzustellen, dass die Mietzinserhöhungen für 1981 und 1982 nicht missbräuchlich seien.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit es auf sie eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Der Gerichtspräsident, dessen Erwägungen der Appellationshof übernahm, fand, dass die am 13. Dezember 1982 mit amtlichem Formular mitgeteilte Mietzinserhöhung nicht auf die ![]() | 9 |
a) Die Frage, ob die Erhöhung indexierter Mietzinse auf amtlichem Formular anzuzeigen ist, wurde in BGE 103 II 270 E. 2 gestreift, jedoch nicht eindeutig beantwortet. Einerseits erwähnte das Bundesgericht den Grundsatz, dass gemäss Art. 18 Abs. 2 BMM der Vermieter Zinserhöhungen mittels amtlichen Formulars geltend zu machen habe (E. 2), anderseits warf es die Frage auf, ob die Mietzinserhöhung ohne besondere Ankündigung eintrete (E. 4). Der Formularzwang ergibt sich indes aus Art. 18 Abs. 2 BMM in Verbindung mit Art. 13 Abs. 2 VMM. In BGE 108 II 323 wurde das erstmals klar festgehalten, und auch die Lehre bejaht ihn (RENÉ MÜLLER, Der Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom 30. Juni 1972, Diss. Zürich 1976, S. 112 f., 126 und 134; RAISSIG/SCHWANDER, Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen, 4. Aufl., S. 94; BASTIAN, Pratique récente en matière d'AMLS, in 3e séminaire sur le bail à loyer, Université de Neuchâtel, 1984, S. 2). Die Klägerin hätte daher entgegen ihrer Behauptung durchaus erkennen können, dass auch für sie Formularzwang galt.
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b) Ganz offengelassen wurde in BGE 103 II 273 E. 4 die hier umstrittene, weitere Frage, ob die Erhöhungen rückwirkend erfolgen können. Die vorstehend genannten Autoren verneinen das mehrheitlich und sinngemäss, indem sie bloss erwägen, ob die 10tägige Frist von Art. 18 Abs. 1 BMM einzuhalten sei und ob die Erhöhung vor Ablauf der 30tägigen Anfechtungsfrist nicht in Kraft treten könne. Mit ZR 1977 Nr. 51 nehmen GMÜR/CAVIEZEL (Mietrecht-Mieterschutz, 2. Aufl., S. 93/94) eine unzulässige Rückwirkung dann an, wenn der Vermieter mit der Mitteilung über die Erhöhung ungewöhnlich lange zuwartet. Andeutungsweise sprach sich auch die nationalrätliche Kommission in diesem Sinne aus (Prot. Komm. NR vom 29./30. Mai 1972). Eine vorbehaltlose Rückwirkung scheinen lediglich RAISSIG/SCHWANDER (S. 94) für zulässig zu halten. Sie begründen ihre Ansicht indes nicht und lassen vor allem die entscheidenden Gesichtspunkte unberücksichtigt.
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Die Anzeige der Klägerin vom 13. Dezember 1982, mit der sie nachträglich die Mietzinse für die Jahre 1981 und 1982 erhöhen wollte, ist daher wirkungslos, womit das angefochtene Urteil insofern im Ergebnis zu bestätigen ist.
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4. Die Zahlung der erhöhten Mietzinse bis und mit 1981 schloss es nach Ansicht der Vorinstanz nicht aus, dass die Beklagte sich nachträglich auf die Nichtigkeit der Erhöhungen für die Jahre 1981 und 1982 berief. Die Begründung im angefochtenen Urteil, ein widersprüchliches Verhalten sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht, hält die Klägerin freilich für aktenwidrig. Sie übersieht dabei aber, dass das Berufungsverfahren die Rüge der Aktenwidrigkeit nicht kennt. Zulässig wäre allenfalls die Geltendmachung eines offensichtlichen Versehens (Art. 55 Abs. 1 lit. d, 63 Abs. 2 OG; BGE 104 II 74 E. b, 113 E. a). Die Klägerin nennt aber keine Aktenstelle, die übersehen oder unrichtig wahrgenommen worden sein soll. Sollte sie der Auffassung sein, der Tatbestand sei unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens zu ergänzen ![]() | 14 |
Widersprüchliches Verhalten liegt dann vor, wenn durch das frühere Verhalten bei einem Partner schutzwürdiges Vertrauen begründet worden ist, das diesen zu Handlungen veranlasst hat, die ihm angesichts der neuen Situation nunmehr zum Schaden gereichen (BGE 106 II 323 E. 3a mit Hinweisen). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Offen bleibt namentlich, ob die Beklagte im Wissen um die Ungültigkeit der Zinserhöhung geleistet hat (dazu BGE 104 II 103 E. b und c; MERZ, N. 475 zu Art. 2 ZGB; KNOEPFLER, Problèmes posés par les loyers payés à tort, in 2e séminaire sur le bail à loyer, Université de Neuchâtel, 1982, S. 8 f.). Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem in Nr. 11 der Mitteilungen des Bundesamtes für Wohnungswesen zum Mietrecht veröffentlichten Entscheid Nr. 9, wo der Mieter in Kenntnis der Formschrift von Art. 18 BMM ausdrücklich auf deren Innehaltung verzichtet und die getroffene Vereinbarung freiwillig erfüllt hat.
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