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1. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Dezember 1997 i.S. B. gegen Fremdenpolizei des Kantons Bern und Haftgericht III Bern-Mittelland (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 5 Ziff. 4 EMRK; Art. 13b Abs. 2 ANAG und Art. 13c Abs. 4 ANAG; Entlassungsgesuch eines Ausschaffungshäftlings im Hungerstreik. |
Sperrfrist für ein Haftentlassungsgesuch im Anschluss an die richterliche Bewilligung der Haftverlängerung (E. 2b); Vereinbarkeit mit Art. 5 Ziff. 4 EMRK (E. 2c). |
Voraussetzungen, unter denen die Sperrfrist von Art. 13c Abs. 4 letzter Satz ANAG nicht gilt (E. 3a). |
Ausnahmesituation verneint in einem Fall, in dem sich der Betroffene seit der letzten Haftgenehmigung im Hungerstreik befindet (E. 3b). | |
Sachverhalt | |
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Am 7. August 1997 wurde B. in Genf angehalten und noch gleichentags von der Fremdenpolizei des Kantons Bern in Ausschaffungshaft genommen. Das Haftgericht III Bern-Mittelland prüfte und bestätigte diese am 8. August 1997. Am 30. Oktober 1997 beantragte B. über seinen Rechtsvertreter, aus der Haft entlassen zu werden; am 28. Oktober 1997 hatte die Fremdenpolizei ihrerseits um eine "Verlängerung der Ausschaffungshaft bis zu einem durch das Gericht zu bestimmenden Zeitpunkt" ersucht. Am 6. November 1997 verlängerte der Haftrichter die Ausschaffungshaft um drei Monate. Gleichzeitig wies er das Haftentlassungsgesuch ab. B. trat hierauf in den Hungerstreik, was seinen Rechtsvertreter veranlasste, am 26. November 1997 an die Fremdenpolizei und den Haftrichter zu gelangen. Am 2. Dezember 1997 teilte ihm die Fremdenpolizei mit, dass sie sich durch einen Hungerstreik nicht "erpressen" lasse. B. werde intensiv ärztlich betreut; es bestehe keine akute Lebensgefahr.
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B. hat hiergegen am 10. Dezember 1997 Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Er beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Fremdenpolizei des Kantons Bern anzuweisen, ihn umgehend aus der Haft zu entlassen. Eventuell sei die Vorinstanz zu verpflichten, auf das Gesuch einzutreten. Das Bundesgericht weist die Beschwerde insofern ab
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aus folgenden Erwägungen: | |
1. Die zuständige Behörde kann einen Ausländer in Ausschaffungshaft nehmen bzw. in dieser belassen, wenn die Voraussetzungen von Art. 13b des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG, SR 142.20; in der Fassung des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht [AS 1995 146 ff.]) erfüllt sind. Danach ist erforderlich, dass ein erstinstanzlicher, nicht notwendigerweise auch rechtskräftiger, Weg- oder Ausweisungsentscheid (vgl. BGE 121 II 59 E. 2a S. 61) vorliegt, dessen Vollzug (z.B. wegen fehlender Reisepapiere) noch nicht möglich ist. Zudem muss einer der in Art. 13b Abs. 1 ANAG genannten Haftgründe bestehen. Die Haft dauert grundsätzlich maximal drei Monate. Mit Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde kann sie gestützt auf eine mündliche Verhandlung (vgl. BGE 121 II 110 ff.) um höchstens sechs Monate verlängert werden, falls dem Vollzug der Weg- oder Ausweisung besondere Hindernisse entgegenstehen (vgl. Art. 13b Abs. 2 ANAG). Die Rechtmässigkeit und die Angemessenheit der Haft sind spätestens nach 96 Stunden gestützt auf eine mündliche Verhandlung durch eine richterliche Instanz zu prüfen (Art. 13c Abs. 2 ANAG). Frühstens einen Monat nach der Haftprüfung kann ein Haftentlassungsgesuch gestellt werden, worüber die richterliche Behörde - wiederum aufgrund einer mündlichen Verhandlung - innert acht Arbeitstagen zu entscheiden hat (BGE 121 II 110 E. 1c S. 112); ein weiteres Gesuch um Haftentlassung ist bei der Ausschaffungshaft erst nach zwei Monaten möglich (Art. 13c Abs. 4 ANAG).
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2. a) Der Haftrichter hat vorliegend am 6. November 1997 der Haftverlängerung um drei Monate zugestimmt, das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers vom 30. Oktober 1997 abgewiesen und ausdrücklich festgestellt, dass ein neues Entlassungsgesuch ![]() | 6 |
b) Der Beschwerdeführer hat am 30. Oktober 1997 ein Haftentlassungsgesuch gestellt. Das entsprechende Verfahren fiel zeitlich mit der Verhandlung über die Haftverlängerung zusammen. Obwohl von Anfang an anwaltlich vertreten, zog er sein Entlassungsgesuch nicht zurück. Der Haftrichter musste deshalb sowohl über den Verlängerungsantrag der Fremdenpolizei als auch über das formelle Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers befinden. Dieses kann nicht nachträglich, wie der Beschwerdeführer dies tut, in eine Stellungnahme zum Verlängerungsantrag umgedeutet werden. Bei Einreichung des Gesuchs hatte der Beschwerdeführer von der beabsichtigten Haftverlängerung noch gar keine Kenntnis; seine Eingabe bezweckte unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 13c Abs. 4 ANAG die Einleitung eines eigenständigen richterlichen Haftprüfungsverfahrens. Über den Sinn dieses Vorgehens hatte der Haftrichter nicht zu befinden, nachdem der Beschwerdeführer durch einen in Haftsachen erfahrenen Anwalt vertreten war, der die Verfahrensabläufe kannte. Der Haftrichter durfte deshalb bereits aus diesem Grund davon ausgehen, das zweite Haftentlassungsgesuch sei gemäss Art. 13c Abs. 4 (letzter Satz) ANAG verfrüht. Es braucht unter diesen Umständen nicht weiter geklärt zu werden, ob ein Entlassungsgesuch nach der obligatorischen Verhandlung über die Haftverlängerung (Art. 13b Abs. 2 ANAG) nicht generell immer erst nach einer Sperrfrist von zwei Monaten möglich ist, da der Betroffene bereits bei dieser Gelegenheit - zumindest sinngemäss - seinerseits um eine Haftentlassung nachsucht.
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c) Nichts anderes ergibt sich aus Art. 5 Ziff. 4 EMRK (so auch NICOLAS WISARD, Les renvois et leur exécution en droit des étrangers et en droit d'asile, Basel u. Frankfurt 1997, S. 326): Danach besteht ein Anspruch auf Überprüfung der Rechtmässigkeit der Haft lediglich "in angemessenen Abständen", soweit das innerstaatliche Recht nicht - wie hier - selber ein regelmässiges, periodisches Haftprüfungsverfahren vorsieht (vgl. MARK E. VILLIGER, Handbuch ![]() | 8 |
3. a) Das Bundesgericht hat nun in gewissen Fällen aber Ausnahmen von den in Art. 13c Abs. 4 ANAG vorgesehenen Sperrfristen anerkannt. Insbesondere hat es festgestellt, dass dem kantonalen Haftrichter "kaum" verwehrt sein dürfte, ein Haftentlassungsgesuch an die Hand zu nehmen, wenn ein offensichtlicher Haftbeendigungsgrund eingetreten und die Fremdenpolizei dennoch untätig ![]() | 9 |
b) Im vorliegenden Fall bestanden keine besonderen Umstände, welche die Vorinstanz in Abweichung von Art. 13c Abs. 4 ANAG hätten veranlassen müssen, auf das Haftentlassungsgesuch einzutreten: Der Haftrichter hat die Ausschaffungshaft am 6. November 1997 umfassend geprüft und um drei Monate verlängert. Der Beschwerdeführer hat diesen Entscheid nicht angefochten. Seine Hinweise im vorliegenden Verfahren, es habe gar nie ein Haftgrund bestanden und die Haftbedingungen entsprächen nicht den gesetzlichen Bestimmungen, gehen somit an der Sache vorbei. Der Beschwerdeführer hätte die entsprechenden Einwände bereits im Rechtsmittel- bzw. im Haftverlängerungsverfahren vorbringen können und müssen.
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Die Tatsache, dass inzwischen verschiedene Personen bestätigt haben sollen, der Beschwerdeführer stamme entgegen der Vermutung des Bundesamts für Flüchtlinge nicht aus Ägypten, sondern tatsächlich aus dem Sudan, lässt die Haft ebenfalls nicht nachträglich als offensichtlich rechtswidrig erscheinen. Die entsprechenden Abklärungen der kantonalen Behörden und des Bundesamts für Flüchtlinge laufen zurzeit noch. Die vom Beschwerdeführer beigebrachten ![]() | 11 |
Einzig wirklich neuer Aspekt ist somit der vom Beschwerdeführer seit der letzten richterlichen Haftgenehmigung verfolgte Hungerstreik. Auch dieser liess seine Haftbelassung mit Blick auf Art. 13c Abs. 5 ANAG jedoch nicht als zum vornherein derart rechtswidrig erscheinen, dass der Haftrichter in Abweichung von den üblichen Regeln, auf das Haftentlassungsgesuch hätte eintreten müssen: Der Beschwerdeführer hat den entsprechenden neuen Umstand, der den Zweck der Ausschaffungshaft nicht - wie etwa die freiwillige Beibringung der nötigen Reisepapiere - als solchen entfallen lässt, selber zu verantworten. Seine medizinische Versorgung ist unbestrittenermassen sichergestellt. Dass er sich durch den Hungerstreik allenfalls körperlich schädigt, lässt die Haftbelassung - soweit in deren Rahmen alle gebotenen und erforderlichen medizinischen Vorkehrungen getroffen wurden - nicht zum vornherein als rechtswidrig erscheinen. Ein Hungerstreik bildet grundsätzlich keinen Grund, die Ausschaffungshaft zu beenden. Die Fremdenpolizei bzw. der Haftrichter haben sich lediglich im Rahmen der ordentlichen Haftprüfungen zu vergewissern, ob und wieweit aufgrund allfällig eingetretener körperlicher Beeinträchtigungen des Betroffenen eine Ausschaffung (auch bei Vorliegen allfälliger Reisepapiere) mittel- und längerfristig aus gesundheitlichen - d.h. tatsächlichen Gründen im Sinne von Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG - nicht möglich sein könnte (vgl. BGE 122 II 148 E. 3; ALAIN WURZBURGER, La jurisprudence récente du Tribunal fédéral en matière de police des étrangers, in RDAF 53/1997 I S. 269 ff. insbesondere S. 330 f.).
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