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49. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Mai 1998 i.S. W. und Mitbeteiligte gegen Regierung sowie Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 11 Abs. 2 USG, Lärmschutz; Vorsorgliche Emissionsbegrenzungen bei einer Umfahrungsstrasse. |
Der Verzicht auf die Prüfung der Frage, ob eine Strassenbrücke zwecks vorsorglicher Lärmbegrenzung zu überdecken sei, ist unter den konkreten Umständen nicht zu beanstanden (E. 5c u. 5d). | |
Sachverhalt | |
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Im Jahre 1994 wurde das Hauptstrassenprojekt "Umfahrung Flims" öffentlich aufgelegt. Danach soll Flims-Dorf ab den Vallorca-Kurven (im Bereich Flims-Ost) mit dem 2922 m langen Flimserstein-Tunnel nördlich umfahren werden. Daran soll die Überquerung des Stennatobel mittels einer 69 m langen Brücke über die Flem anschliessen und hierauf die Strasse zur Umfahrung von Flims-Waldhaus durch den 479 m langen Prau Pultè-Tunnel bis ins Gebiet Staderas (Flims-West) führen.
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Im April 1996 genehmigte die Regierung des Kantons Graubünden das Projekt der Umfahrung Flims und wies sämtliche 39 Einsprachen ab. Sie ordnete in Ergänzung des aufgelegten Projekts an, bei den Tunnelportalen müssten schallabsorbierende Elemente angebracht werden und die Brückenbrüstungen seien mit lärmschluckenden Materialien einzukleiden. Verschiedene Eigentümer von Häusern, die zur Gebäudegruppe im Gebiet Prausura/Gutveina gehören, rekurrierten gegen die Projektgenehmigung beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, welches das Rechtsmittel am 18. April 1997 abwies.
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W. und sechs Mitbeteiligte führen gemeinsam Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18. April 1997. Sie beantragen, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Regierung des Kantons Graubünden anzuweisen, die Projektvarianten "offene Konstruktion Flembrücke" (genehmigtes Projekt) und "überdachte Konstruktion Flembrücke" (von den Beschwerdeführern befürwortete Lösung) weiterzuverfolgen, bis ein verbindlicher Planungs- und Baukostenvergleich möglich sei. Weiter stellen sie Antrag auf Feststellung der wirtschaftlichen Tragbarkeit der Variante "überdachte Konstruktion Flembrücke" im Sinne von Art. 11 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (USG, SR 814.01), weshalb die Regierung anzuweisen sei, die Sache neu zu beurteilen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
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aus folgenden Erwägungen: | |
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Vor diesem Hintergrund lehnte das Verwaltungsgericht das Begehren der Beschwerdeführer ab, die Flembrücke im Sinne einer weiteren emissionsbegrenzenden Massnahme überdecken und damit einen durchgehenden Tunnel von fast 3,5 km Länge entstehen zu lassen. Die Vorinstanz begründete dies einerseits damit, dass eine solche Überdeckung nach einer überzeugenden Kostenanalyse des kantonalen Tiefbauamts bedeutende Mehrkosten in der Höhe von etwa 3,5 Mio. Franken verursache. Die durch ein Privatgutachten der Beschwerdeführer gestützte Annahme von Minderaufwendungen im Umfang von ca. Fr. 16'000.-- hielt das Verwaltungsgericht für unrealistisch, da sie auf unvollständigen Angaben beruhe. Andrerseits lehnte das Verwaltungsgericht die verlangte Projektänderung auch deshalb ab, weil die Überdeckung der Flembrücke eine massgebliche Änderung im Lüftungssystem des beträchtlich verlängerten Tunnels zur Folge habe und sich die Konzentration der Schadstoffe im Bereich der Tunnelportale Vallorca (Flims-Ost) und Staderas (Flims-West) zulasten Dritter erhöhe.
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Dem Vorsorgeprinzip liegt der Gedanke der Prävention zugrunde. Es bezweckt unter anderem, unüberschaubare Risiken mit nachteiligen Folgen für die Umwelt zu vermeiden (vgl. HERIBERT RAUSCH, Kommentar USG, N. 18 zu Art. 1). Aus dem Vorsorgeprinzip lässt sich jedoch nicht ableiten, von einer Anlage Betroffene hätten überhaupt keine Belastungen hinzunehmen. Zwar zielt Art. 11 Abs. 1 USG, nach welchem Einwirkungen durch Massnahmen bei der ![]() | 12 |
b) Im vorliegenden Fall geht es in erster Linie um den Lärmschutz. Mit der Lärmschutz-Verordnung soll die Bevölkerung vor schädlichem und lästigem Lärm geschützt werden (Art. 1 Abs. 1 LSV; BGE 123 II 325 E. 4 S. 327). Gemäss Art. 7 Abs. 1 LSV sind die Lärmemissionen einer neuen ortsfesten Anlage nach den Anordnungen der Vollzugsbehörde so weit zu begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich sowie wirtschaftlich tragbar ist (lit. a) und dass die von der Anlage allein erzeugten Lärmimmissionen die Planungswerte nicht überschreiten (lit. b). Anders als im Bereich der Luftreinhaltung, wo der Bundesrat durch den Erlass von Emissionsgrenzwerten auf dem Verordnungsweg das Mass der vorsorglichen Emissionsbegrenzungen für zahlreiche Schadstoffe und Anlagetypen festgeschrieben hat (Art. 3 und 4 LRV [SR 814.318.142.1] sowie deren Anhänge 1-4; vgl. URP 1994 S. 177), gelten im Bereich des Lärmschutzes nach dem klaren Wortlaut von Art. 7 LSV und in Übereinstimmung mit den Anforderungen von Art. 11 Abs. 2 und Art. 23 USG die Voraussetzungen der Einhaltung der Planungswerte und der vorsorglichen Emissionsbegrenzung kumulativ (SCHRADE/LORETAN, a.a.O. N. 34b und 47 zu Art. 11). Die unter den Immissionsgrenzwerten liegenden Planungswerte stellen keine Emissionsbegrenzungen im Sinne von Art. 12 USG dar und legen daher nicht das Mass der vorsorglichen Emissionsbegrenzung gemäss Art. 11 Abs. 2 USG fest, sondern konkretisieren als zusätzliche Belastungsgrenzwerte, d.h. Begrenzung der Immissionen, den vorsorglichen und vorbeugenden Immissionsschutz im Sinne des Planungsgrundsatzes gemäss Art. 3 Abs. 3 lit. b des Bundesgesetzes ![]() | 13 |
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a) Es ist zutreffend, dass nach Art. 11 Abs. 2 USG bzw. Art. 7 Abs. 1 LSV bei einer neuen Anlage unabhängig von der bestehenden Umweltbelastung grundsätzlich so lange Handlungsbedarf für emissionsbegrenzende Massnahmen besteht, als solche technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar sind (s. vorne E. 4; vgl. BGE 115 Ib 456 E. 5a S. 465).
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Im vorliegenden Fall ist nicht umstritten, dass es technisch und betrieblich möglich wäre, die Umfahrungsstrasse im Bereich des vorgesehenen Flemübergangs zu überdecken und damit einen weiteren Beitrag zur Lärmverminderung zu leisten. Es steht einzig zur Diskussion, ob eine entsprechende Änderung des Projekts wirtschaftlich tragbar wäre. Bei öffentlichen Anlagen, die wie hier nicht nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrieben werden können, ist die Frage der wirtschaftlichen Tragbarkeit nach den Kriterien des Verhältnismässigkeitsprinzips zu beantworten ![]() | 16 |
b) Die Beschwerdeführer beanstanden, das Auflageprojekt lasse neuere Erkenntnisse im Bereich der Tunnellüftung, welche Änderungen der Lüftungsanlage und auch des Sicherheitskonzepts erforderten, ausser Acht. Die Kosten der offenen Variante seien somit nicht genau bekannt. Weiter behaupten die Beschwerdeführer, Preisvergleiche zwischen dem Auflageprojekt und der von ihnen bevorzugten Variante (durchgehende Tunnellösung) liessen letztere (mutmasslich) als insgesamt preisgünstiger und daher für die Bauherrschaft als wirtschaftlich zumutbar erscheinen.
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c) Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid mit eingehender und mittels Gutachten belegter Begründung ausgeführt, dass eine geschlossene Brückenkonstruktion zahlreiche Projektänderungen mit Mehrkosten von rund 3.5 Mio. Franken zur Folge hätte. Es könne somit nicht mehr von einem relativ geringen Aufwand für die zusätzliche Lärmreduktion, die mit der Überdeckung der Flembrücke erreicht werden könnte, gesprochen werden. Die Beschwerdeführer haben im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wie auch vor Bundesgericht bestritten, dass erheblicher Mehraufwand betrieben werden müsste, und berufen sich auf ein Gutachten der Ingenieur-Unternehmung AG Bern (IUB), nach welchem bei überdeckter Brücke mit Minderaufwendungen im Umfang von ca. Fr. 16'000.-- gerechnet werden könne. Nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts soll dieses Gutachten jedoch ausser Acht gelassen haben, dass zusätzlich erforderliche Fluchtwege und ein neues Lüftungskonzept erheblichen Mehraufwand und auch Mehrkosten in Millionenhöhe verursachen würden.
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Bei dieser Sachlage ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht in antizipierter Beweiswürdigung auf die nachvollziehbaren Berechnungen des Ingenieurbüros Amberg abstellte und eine Weiterverfolgung der Überdeckung der Flembrücke gemäss der von den Beschwerdeführern vorgeschlagenen Variante als unverhältnismässig ablehnte. Der entsprechende zusätzliche Aufwand wäre nur zu rechtfertigen gewesen, wenn zu erwarten gewesen wäre, dass er in einem vernünftigen Verhältnis zum umweltrechtlichen Nutzen stünde, welcher mit einer Realisierung des Alternativprojekts erreicht werden könnte. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass bereits das umstrittene Projekt die Planungswerte der Empfindlichkeitsstufe III unterschreitet, durfte das Verwaltungsgericht indessen die wirtschaftliche Tragbarkeit von derart weitreichenden Projektänderungen verneinen. Im Übrigen hat die Vorinstanz auch beachtet, dass mit der weitgehend unterirdischen Linienführung sowie mit der Anordnung, die Tunnelportale seien zusätzlich mit schallabsorbierenden Elementen auszukleiden und die Brückenbrüstungen mit lärmschluckenden Materialien zu verstärken, bereits gewichtige vorsorgliche Massnahmen zur Lärmverminderung ergriffen wurden, welche dem Vorsorgeprinzip gemäss Art. 1 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 2 USG entsprechen. Angesichts dieser Umstände ist nicht zu beanstanden, dass es das Verwaltungsgericht unter Beachtung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes ablehnte, ein Alternativprojekt mit überdeckter Flembrücke ausarbeiten zu lassen.
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d) Die Überdeckung der Flembrücke kann aus einem weiteren Grund nicht als umweltrechtlich erforderliche Massnahme zur Emissionsbegrenzung bezeichnet werden, welche im Rahmen der ![]() | 21 |
Es ist somit davon auszugehen, dass durch die von den Beschwerdeführern verlangte Überdeckung der Flembrücke zwar die Lärmbelastung ihrer Grundstücke noch gesenkt werden könnte, gleichzeitig hingegen die Schadstoffkonzentration an den verbleibenden Tunnelportalen zu Lasten Dritter erhöht würde. Einwirkungen sind nach Art. 8 USG sowohl einzeln als auch gesamthaft und nach ihrem Zusammenwirken zu beurteilen (vgl. BGE 118 Ib 76 E. 2b). Freilich kann nicht gesagt werden, vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 11 Abs. 2 USG seien immer dann unzulässig, wenn sie sich für Dritte nachteilig auswirken würden. Grundsätzlich entspricht ein Projekt dem Vorsorgegrundsatz dann am besten, wenn es insgesamt zu einer möglichst geringen Umweltbelastung führt, wobei das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten ist. Im Bau- oder Plangenehmigungsverfahren können Opponenten einer Anlage gestützt auf Art. 11 Abs. 2 USG und das Verhältnismässigkeitsprinzip zwecks vorsorgeweiser Emissionsbegrenzung denn auch unter Umständen projektbezogene Verbesserungen, in der Regel aber nicht eigentliche Projektvarianten durchsetzen, jedenfalls nicht solche, die mit erheblichen neuen Auswirkungen für Dritte verbunden sind. Bei der Vorsorge im Rahmen von Art. 11 Abs. 2 USG dürfte sich mit anderen Worten grundsätzlich lediglich eine umweltrechtliche Optimierung des aufgelegten Projekts, nicht aber eine alternative Neuplanung mit neuen Auswirkungen für Dritte als verhältnismässig erweisen. Es würde Sinn und Zweck von Art. 11 Abs. 2 USG widersprechen, wenn die vorsorglichen Massnahmen zu einer unerwünschten Verfahrensausuferung in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht führten. Eine solche könnte entstehen, wenn den jeweils Neubetroffenen in den neu eröffneten Verfahren allenfalls gleiche ![]() | 22 |
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