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33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Bundesamt für Justiz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
1A.80/2004 / 1A.116/2004 vom 8. Juli 2004 | |
Regeste |
Art. 2 Ziff. 1, Art. 3 Ziff. 1 und Art. 12 Ziff. 2 lit. b EAUe, Art. 1 und 2 EÜBT, Art. 3 Abs. 1 und Art. 55 Abs. 2 IRSG; Auslieferungsersuchen von Serbien-Montenegro gegen eine Person, die Organisationen unterstützt haben soll, denen terroristische Anschläge vorgeworfen werden; Einrede des politischen Delikts. | |
Sachverhalt | |
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Mit Entscheid vom 7. April 2004 bewilligte das BJ die Auslieferung des Verfolgten an Serbien und Montenegro. Der Auslieferungsentscheid erging "unter dem Vorbehalt eines allfälligen bundesgerichtlichen Entscheids über die Einsprache des politischen Delikts". ![]() | 2 |
Mit separater Eingabe vom 7. April 2004 stellte das BJ beim Bundesgericht den Antrag, die Einrede des Verfolgten, wonach er politisch verfolgt werde, sei abzulehnen (Verfahren 1A.80/2004).
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, tritt auf den Antrag, es sei die Einrede des politischen Deliktes abzuweisen, nicht ein und weist die Streitsache zur Neubeurteilung bzw. neuen Antragstellung zurück an das BJ.
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Aus den Erwägungen: | |
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1.1.1 Über ausländische Auslieferungsersuchen entscheidet das BJ (Art. 55 Abs. 1 IRSG). Macht der Verfolgte geltend, er werde eines politischen Deliktes bezichtigt, oder ergeben sich bei der Instruktion ernsthafte Gründe für den politischen Charakter der Tat, so entscheidet das Bundesgericht darüber auf Antrag des Bundesamtes und nach Einholung einer Stellungnahme des Verfolgten (Art. 55 Abs. 2 IRSG; vgl. BGE 128 II 355 E. 1.1.1 S. 357 f.). Das Verfahren ![]() | 7 |
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1.3 Zulässige Beschwerdegründe sind sowohl die Verletzung von Bundesrecht, inklusive Staatsvertragsrecht (einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens), als auch die Rüge der ![]() | 12 |
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3. Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn die strafbare Handlung, derentwegen sie begehrt wird, vom ersuchten Staat als eine ![]() | 15 |
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3.2 In der Praxis des Bundesgerichtes wird zwischen so genannt "absolut" politischen und "relativ" politischen Delikten unterschieden. "Absolut" politische Delikte stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit politischen Vorgängen. Darunter fallen namentlich Straftaten, welche sich ausschliesslich gegen die soziale und politische Staatsorganisation richten, wie etwa Angriffe gegen die verfassungsmässige Ordnung, Landes- oder Hochverrat (BGE 128 II 355 E. 4.2 S. 364; BGE 125 II 569 E. 9b S. 578; BGE 115 Ib 68 E. 5a S. 85, je mit Hinweisen). Ein "relativ" politisches Delikt liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn einer gemeinrechtlichen Straftat im konkreten Fall ein vorwiegend politischer Charakter zukommt. Der vorwiegend politische Charakter ergibt sich aus der politischen Natur der Umstände, Beweggründe und Ziele, die den Täter zum Handeln bestimmt haben und die in den Augen des Rechtshilferichters vorherrschend erscheinen. Das Delikt muss stets im Rahmen eines Kampfes um die Macht im Staat begangen worden sein und in einem engen Zusammenhang mit dem Gegenstand dieses Kampfes stehen ![]() | 17 |
3.3 Zu denken ist hier insbesondere an den Einsatz von illegalen Mitteln gegen diktatorische oder systematisch die Menschenrechte verletzende Regimes. Bei schweren Gewaltverbrechen, namentlich Tötungsdelikten, wird der politische Charakter in der Regel verneint. Ausnahmen könnten allenfalls bei eigentlichen offenen Bürgerkriegsverhältnissen gegeben sein, oder wenn das betreffende Delikt (etwa im Falle eines "Tyrannenmordes") das einzige praktikable Mittel zur Erreichung wichtiger humanitärer Ziele darstellen würde (BGE 128 II 355 E. 4.2 S. 365; BGE 109 Ib 64 E. 6a S. 71 f.; vgl. ROUILLER, a.a.O., S. 31; ZIMMERMANN, a.a.O., Rz. 385 S. 431). Diese Praxis des Bundesgerichtes gilt auch bei der Prüfung der Frage, ob es sich beim Verfolgten um einen mutmasslichen Terroristen oder einen bewaffneten politischen Widerstandskämpfer handelt (vgl. BGE 128 II 355 E. 4 S. 363 f., E. 4.2 S. 365 mit Hinweisen; MARC Forster, Die Strafbarkeit der Unterstützung [insbesondere Finanzierung] des Terrorismus, ZStrR 121/2003 S. 423 ff., 430 f., 438 f.).
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Der heiklen Unterscheidung zwischen "legitimen" Widerstandskämpfern bzw. Bürgerkriegsparteien und Terroristen hat der Eidgenössische Gesetzgeber auch beim Erlass des neuen Art. 260quinquies StGB (Terrorismusfinanzierung, in Kraft seit 1. Oktober 2003) Rechnung getragen. So sehen die Absätze 3 und 4 dieser Bestimmung Strafbarkeitsausschlüsse vor bei Personen, welche namentlich (das humanitäre Kriegsvölkerrecht respektierende) Bürgerkriegsparteien finanziell unterstützen oder auch Freiheitskämpfer gegen Unterdrückung und Besatzung bzw. politische Aktivisten, die zur Durchsetzung ihrer ideellen und politischen Anliegen angemessene Mittel des gewalttätigen Widerstands einsetzen (vgl. Botschaft des Bundesrates, BBl 2002 S. 5439; Kommissionspräsident ![]() | 19 |
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6. Im vorliegenden Fall stellt sich zunächst die Frage, inwieweit die Sachdarstellung des Ersuchens und die eher knappen Sachabklärungen des BJ es dem Bundesgericht ermöglichen, die Einrede des politischen Deliktes und die übrigen (beschwerdeweise erhobenen) Auslieferungshindernisse ausreichend zu prüfen. Die Abgrenzung zwischen "legitimen" Freiheitskämpfern bzw. Bürgerkriegsparteien und mutmasslichen Terroristen gehört zu den schwierigsten Fragen des internationalen Strafrechts ("one man's terrorist is ![]() | 21 |
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6.2 Im angefochtenen Entscheid wird die Sachverhaltsdarstellung des Ersuchens wie folgt zusammengefasst: In den Jahren 1999-2000 bzw. ab 2002 habe der Verfolgte den "terroristischen ![]() | 23 |
(...)
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Aber auch bei der Prüfung der beidseitigen Strafbarkeit bleiben wesentliche Fragen offen. So ist nicht ausreichend abgeklärt, ob die ![]() | 27 |
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Die im Ersuchen dargelegten Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den fraglichen albanischen Gruppierungen um terroristische Organisationen im Sinne des schweizerischen und internationalen Strafrechts handelt, müssen als vage bezeichnet werden. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei den Hauptbetroffenen der als "terroristisch" eingestuften Untergrundaktionen und Anschläge der ANA nach Darstellung des Ersuchens um serbische Sicherheitskräfte. Angeschuldigt werden von serbischer Seite vorwiegend ![]() | 29 |
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7.4 Art. 12 Ziff. 2 lit. b EAUe bestimmt, dass Zeit, Ort und Umstände der Begehung der fraglichen Delikte "so genau wie möglich" anzugeben seien. Im vorliegenden Fall weisen die dem Verfolgten vorgeworfenen Delikte zweifelsohne einen politischen Konnex auf. Es sind daher erhöhte Anforderungen an die Ausführlichkeit, Widerspruchsfreiheit und Verlässlichkeit des Ersuchens ![]() | 31 |
Das vorliegende Ersuchen und seine (sich teilweise widersprechenden) Ergänzungen genügen diesen Anforderungen nicht. Dieser Mangel kann nicht dadurch wettgemacht werden, dass die Auslieferung mit dem Hinweis versehen wird, die serbischen Behörden dürften den Verfolgten wegen allfälliger politischer Hintergründe nicht verfolgen oder bestrafen. Ohne ausreichende Abklärungen zum Sachverhalt ist es im vorliegenden kontroversen Fall nicht möglich, die Einrede des politischen Deliktes zu beurteilen (vgl. BGE 128 II 355 E. 4.2 S. 365, E. 4.3 S. 365 f.). Ebenso wenig kann geprüft werden, inwieweit hier das Rechtshilfeerfordernis der beidseitigen Strafbarkeit erfüllt ist. Dies gilt namentlich für die Tatbestandsmerkmale von Art. 260ter Ziff. 1 StGB (vgl. BGE 128 II 355 E. 2.2-2.6 S. 360-363) oder Art. 260quinquies StGB (vgl. dazu FORSTER, a.a.O., S. 443 ff.).
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Diese Argumentation greift zu kurz. Alibis für die Tatvorwürfe im Jahre 2003 könnten zumindest zu einer Begrenzung der Rechtshilfe (auf die allfälligen verbleibenden Anklagepunkte) führen. Im Übrigen ist aufgrund der vorliegenden Akten darauf hinzuweisen, dass ![]() | 34 |
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Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Auf den Antrag des BJ, es sei die Einrede des ![]() | 37 |
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