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19. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Ab- teilung i.S. X. gegen Bundesamt für Justiz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
1A.4/2005 / 1A.288/2004 vom 28. Februar 2005 | |
Regeste |
Art. 2 Ziff. 1, Art. 3 Ziff. 1, Art. 12 Ziff. 2 lit. b und Art. 14 Ziff. 1 EAUe; Art. 1 und 2 EÜBT; Art. 3 Abs. 1 IRSG; Art. 260ter Ziff. 1 StGB. Auslieferungsersuchen von Serbien-Montenegro gegen einen Verfolgten, dem vorgeworfen wird, er habe Nachfolgeorganisationen der kosovo-albanischen Organisation UCK unterstützt, die terroristische Anschläge verübt hätten (s. auch BGE 130 II 337 ff.). | |
Sachverhalt | |
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Am 13./14. August sowie am 17. September 2004 reichte die Botschaft von Serbien und Montenegro weitere Ergänzungen des Auslieferungsersuchens ein. Am 13. August und 9. September 2004 übermittelten der Dienst für Analyse und Prävention des Bundesamtes für Polizei sowie das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten dem BJ Zusatzberichte. Mit Entscheid vom 3. Dezember 2004 bewilligte das BJ erneut die Auslieferung des Verfolgten an Serbien und Montenegro. Der Auslieferungsentscheid erfolgte "unter dem Vorbehalt des bundesgerichtlichen Entscheids über die Einsprache des politischen Delikts". Mit separater Eingabe vom 3. Dezember 2004 stellte das BJ beim Bundesgericht den Antrag, die Einrede des Verfolgten, wonach er politisch verfolgt werde, sei abzulehnen (Verfahren 1A.288/2004). Der Verfolgte hält mit Stellungnahme vom 22. Dezember 2004 an der Einrede des politischen Deliktes fest.
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Gegen den Auslieferungsentscheid des BJ vom 3. Dezember 2004 gelangte X. mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 4. Januar 2005 an das Bundesgericht (Verfahren 1A.4/2005). Er beantragt im Hauptstandpunkt die Abweisung des Auslieferungsersuchens. Das Bundesgericht weist die Beschwerde und die Einrede des politischen Deliktes ab.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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2.10.1 Der Verfolgte habe in den Jahren 1999 und 2000 der OVPMB ("Befreiungsarmee für Presevo, Medvedja und Bujanovac") sowie ab 2002 der ANA ("Albanian National Army"/"Armée nationale Albanaise") angehört. In diesem Zusammenhang habe er "gegenüber den anderen Mitgliedern - mit denen er einen ständigen Telefonkontakt aufrechterhalten" habe - "vor allem eine beratende Rolle gespielt und deren Handlungen beeinflusst". Dabei habe der Verfolgte "seine Gesprächspartner zur Ausführung konkreter terroristischer Aktionen gegen Angehörige des ![]() | 5 |
2.10.2 Gemäss Angaben der ersuchenden Behörde seien "Struktur und Aufbau" der OVPMB und der ANA "veränderlich" und "von der Anzahl der Mitglieder sowie von der politischen bzw. wirtschaftlichen Situation im betroffenen Gebiet" abhängig. In diesem Zusammenhang sei auch "die Sicherheitslage von Bedeutung". Es habe sich "gezeigt, dass sich die Struktur dieser Organisationen oft", manchmal sogar innert Wochenfrist, verändert habe. Der Verfolgte habe eine "Sondergruppe" der ANA gegründet, "welche mit der Planung und der unmittelbaren Ausführung von terroristischen Aktionen und Gewaltakten zur Beunruhigung der Einwohner beauftragt gewesen" sei. "Als eines der aktivsten Mitglieder dieser Organisation sowie als Koordinator" habe er "durch kontinuierliche und ordentliche Kontakte mit anderen Mitgliedern und durch konkrete Anweisungen deren Aktionen geleitet, Finanzhilfe aus dem Ausland, namentlich aus der Schweiz, besorgt und die Ausrüstung der Gruppe sichergestellt". In der Schweiz habe der Verfolgte "für die Organisation Geld eingezogen und dieses über eine andere Person in den Kosovo weitergeleitet". Er sei "über die Vorbereitung und Ausführung der Tötung" des serbischen Sicherheitsbeamten "informiert" gewesen. Zudem kenne er die Täter persönlich und habe mit ihnen "vor und nach der Aktion telefonisch und per SMS-Mitteilungen kommuniziert". Ausserdem hätten sich die Täter nach dem Tötungsdelikt "im Haus des Verfolgten" in Bujanovac versteckt. Eine "physische Teilnahme an der Tatausführung vor Ort" werde ihm hingegen "nicht vorgeworfen". Zudem habe der Verfolgte "die Aufstellung der Sprengladung auf einer Landstrasse im Gebiet des Dorfs Turija, welche von Angehörigen der Einheiten des serbischen Innenministeriums, der Gendarmerie und der Polizei benutzt" worden sei, "koordiniert". Er sei diesbezüglich "ausführlich durch einen Mittäter orientiert worden, ohne dabei physisch an der Tatausführung beteiligt gewesen zu ![]() | 6 |
2.10.3 Zwar erscheint die Sachverhaltsdarstellung des Ersuchens und seiner Ergänzungen nicht in allen Punkten konsistent. Sie entspricht jedoch insgesamt den formellen Voraussetzungen von Art. 12 Ziff. 2 lit. b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1).
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2.11.1 Gemäss den Berichten des Dienstes für Analyse und Prävention des Bundesamtes für Polizei (DAP) vom 22. März und 13. August 2004 seien die OVPMB und die ANA "Nachfolgeorganisationen der UCK" (Ushtria Clirimtare e Kosovës/"Kosovo Liberation Army") und "eng miteinander verbunden". Nach Auflösung der OVPMB im Mai 2001 seien die meisten ihrer Mitglieder der ANA beigetreten. Diese sei für "Untergrundaktionen" und "Anschläge" verantwortlich, "namentlich gegen serbische Sicherheitskräfte in Südserbien". "Mit ihren gezielten Kampfhandlungen" versuche sie, "die Krisenregion zu destabilisieren und damit die internationalen Friedensbemühungen zu behindern". Die ANA habe sich "zu mehreren Anschlägen bekannt, bei denen seit 2001 ca. 25 Angehörige der Sicherheitskräfte aus Mazedonien und Serbien getötet worden" seien. Die ANA-Zellen seien "vielfach mit den lokalen kriminellen Gebietschefs verbunden". "Die Kämpfer dieser Zellen" seien "als feste Bestandteile der kriminellen Clanstrukturen in Schutzgelderpressungen, Schmuggel, Waffen-, Drogen- und Menschenhandel involviert".
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2.11.2 Laut DAP hätten die US-Regierung sowie der ehemalige Chef der UNO-Verwaltung im Kosovo (UNMIK) die ANA als terroristische Organisation bezeichnet. Zwar habe die internationale Staatengemeinschaft "aufgrund von politischen Überlegungen und verschiedener Abkommen" die UCK und ihre Nachfolgeorganisationen "anfänglich grundsätzlich nicht auf Terrorlisten gesetzt". Ab Mitte 2001 sei jedoch erkannt worden, dass in den Kampfhandlungen von selbst ernannten Befreiungsbewegungen eine Gefährdung des Friedens und der Sicherheit in der ![]() | 10 |
2.11.3 Gemäss dem Zusatzbericht des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) vom 13. August 2004 könne momentan "von einer organisierten Kraft unter dem Namen ANA" nicht mehr gesprochen werden. Im Jahre 2003 "sei das Problem jedoch noch aktuell gewesen". Vertreter der UCK hätten ausgesagt, dass die ANA "bereits vor dieser existiert habe". Die ANA habe "politische, militärische, finanzielle und eventuell auch logistische Strukturen". Selbst für die ehemaligen Vertreter der UCK sei es "nicht immer leicht", die Verästelungen innerhalb der ANA zu überblicken. "Seit dem Jahre 2004" gleiche die ANA "eher einer Gruppe von Kriminellen, als einer Organisation mit disziplinierten Kämpfern", die politische Ziele verfolgt. Ab 2004 hätten die Aktionen, die der ANA zuzurechnen sind, "mehrheitlich Erpressungen und Einschüchterungen der Bevölkerung" betroffen. Die Organisation verfüge heute über nicht mehr als 200 Mitglieder. Nur wenige davon befänden sich im Kosovo, die Mehrheit halte sich in Belgien, der Schweiz und eventuell in Italien auf. Seit dem erwähnten Attentat vom 12. April 2003 auf eine Eisenbahnbrücke in Zvecan habe sich die ANA "zu keinen weiteren Anschlägen mehr bekannt". Da die ANA die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien mit gewalttätigen Mitteln angestrebt habe, sei sie Mitte April 2003, nach dem Attentat von Zvecan, von der UNMIK "als terroristische Organisation eingestuft worden". Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass seither "verschiedene Gruppierungen unter dem Deckmantel der 'ANA' gemeinrechtliche Straftaten begehen würden, ohne jeglichen politischen Hintergrund".
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2.12.1 Als Beteiligte im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB sind alle Personen anzusehen, welche funktionell in die kriminelle Organisation eingegliedert sind und im Hinblick auf deren verbrecherische Zweckverfolgung Aktivitäten entfalten. Diese Aktivitäten brauchen (für sich allein) nicht notwendigerweise illegal bzw. konkrete Straftaten zu sein. Es genügen namentlich auch logistische Vorkehren, die dem Organisationszweck unmittelbar dienen (wie z.B. Auskundschaften, Planen oder Bereitstellen der operativen Mittel, insbesondere Beschaffen von Fahrzeugen, Kommunikationsmitteln oder Finanzdienstleistungen usw.). Die Beteiligung setzt auch keine massgebliche Funktion innerhalb der Organisation voraus. Sie kann informeller Natur sein oder auch geheimgehalten werden (BGE 128 II 355 E. 2.3 S. 361 mit Hinweisen).
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2.12.2 Bei Personen, die nicht in die Organisationsstruktur integriert sind, kommt die Tatvariante der Unterstützung in Frage. ![]() | 14 |
2.13 Gestützt auf die Zusatzberichte des DAP und des EDA muss die ANA aufgrund ihrer Struktur und ihrer verbrecherischen Aktivitäten im fraglichen Zeitraum (Frühjahr 2003) als terroristische Organisation im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 StGB bezeichnet werden. Bei der ANA handelte sich nach den vorliegenden Erkenntnissen um eine relativ straff geführte und paramilitärisch organisierte extremistische Untergrundorganisation mit einigen hundert aktiven Mitgliedern, die ihren Aufbau und ihre personelle Zusammensetzung geheim hielt. Ihr Ziel bestand darin, die ehemalige Bürgerkriegsregion Kosovo-Südserbien mit dem Einsatz von Gewalt politisch zu destabilisieren, um die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien zu erzwingen. Zu diesem Zweck verübte die ANA im Februar und März 2003 Attentate mit Schusswaffen und Sprengstoff auf serbische Sicherheitskräfte. Ab Mitte April 2003 beanspruchte sie aber auch die Urheberschaft eines Bombenanschlages gegen zivile Einrichtungen (Eisenbahnbrücke in Zvecan). Wie sich aus den Rechtshilfeakten ergibt, wurde die ANA deshalb vom zuständigen Sonderbevollmächtigten des UNO-Generalsekretärs am 17. April 2003 auf die Liste der als terroristisch ![]() | 15 |
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Es kann offen bleiben, ob die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Tatbeiträge ausreichend konkret wären, um ihm darüber hinaus eine direkte strafbare Beteiligung an dem fraglichen Tötungsdelikt und an den versuchten Sprengstoffdelikten anzulasten. Welche Straftatbestände im Falle einer Anklageerhebung nach ausländischem Recht in Frage kämen, ist nicht vom schweizerischen Rechtshilferichter zu prüfen. Dass im Dispositiv des angefochtenen Entscheides der Sachverhalt, für den die Auslieferung bewilligt werden soll, im Sinne der obigen Erwägungen eingegrenzt wird, hält vor dem Bundesrecht stand. Die Begrenzung ![]() | 17 |
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Serbien und Montenegro sowie die Schweiz haben das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977 ratifiziert (EÜBT; SR 0.353.3). Das EÜBT ist für Serbien und Montenegro seit dem 16. August 2003 in Kraft. Gemäss Art. 2 Ziff. 1 EÜBT kann der ersuchte Staat im Falle von Auslieferungsgesuchen entscheiden, dass eine schwere Gewalttat gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit einer Person nicht als politische oder mit einer solchen zusammenhängende Straftat angesehen wird (sofern die Tat nicht ohnehin unter Art. 1 EÜBT fällt). Analoges gilt für den Versuch, eine solche schwere Gewalttat zu begehen oder für die Beteiligung daran als Mittäter oder Gehilfe (Art. 2 Ziff. 3 EÜBT). Keine politische Straftat im Sinne des EÜBT liegt namentlich bei schweren Straftaten vor, die in einem Angriff auf das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit völkerrechtlich geschützter Personen einschliesslich Diplomaten bestehen (Art. 1 lit. c EÜBT). Das gleiche gilt für Entführungen, Geiselnahmen, schwere widerrechtliche Freiheitsentziehungen oder für Straftaten, bei deren Begehung eine Bombe, eine Handgranate, eine Rakete, eine automatische Schusswaffe oder ein Sprengstoffbrief oder -paket verwendet wird, wenn dadurch Personen gefährdet werden (Art. 1 lit. d und e EÜBT). Keine politische Straftat stellt schliesslich der Versuch dar, eine der genannten Straftaten zu begehen, oder die Beteiligung daran als Mittäter oder Gehilfe (Art. 1 lit. f EÜBT).
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3.2 In der Praxis des Bundesgerichtes wird zwischen so genannt "absolut" politischen und "relativ" politischen Delikten ![]() | 21 |
3.3 Zu denken ist hier insbesondere an den Einsatz von illegalen Mitteln gegen diktatorische oder systematisch die Menschenrechte verletzende Regimes. Bei schweren Gewaltverbrechen, namentlich Tötungsdelikten, wird der politische Charakter in der Regel verneint. Ausnahmen könnten allenfalls bei eigentlichen offenen Bürgerkriegsverhältnissen gegeben sein, oder wenn das betreffende Delikt (etwa im Falle eines "Tyrannenmordes") das einzige praktikable Mittel zur Erreichung wichtiger humanitärer Ziele darstellen würde (BGE 130 II 337 E. 3.3 S. 343; BGE 128 II 355 E. 4.2 S. 365; BGE 109 Ib 64 E. 6a S. 71 f., je mit Hinweisen). Diese Praxis des Bundesgerichtes gilt auch bei der Prüfung der Frage, ob es sich beim Verfolgten um einen mutmasslichen Terroristen oder einen bewaffneten politischen Widerstandskämpfer handelt (BGE 130 II 337 E. 3.3 S. 343; BGE 128 II 355 E. 4 S. 363 f., je mit Hinweisen).
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Der heiklen Unterscheidung zwischen "legitimen" Widerstandskämpfern oder Bürgerkriegsparteien einerseits und Terroristen andererseits hat der eidgenössische Gesetzgeber auch beim Erlass des neuen Art. 260quinquies StGB (Terrorismusfinanzierung, in Kraft seit 1. Oktober 2003) Rechnung getragen. So sehen die Absätze 3 und 4 dieser Bestimmung Strafbarkeitsausschlüsse vor bei ![]() | 23 |
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3.5 Wie bereits dargelegt, wird dem Beschwerdeführer die Unterstützung und Beteiligung an einer terroristischen Organisation im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 StGB vorgeworfen, welche namentlich für ein Tötungsdelikt und für versuchte Sprengstoffanschläge im Frühjahr 2003 verantwortlich sei (vgl. oben, E. 2.12-2.13). Bei schweren Gewaltverbrechen, namentlich Tötungsdelikten, wird der politische Charakter der verfolgten Straftaten in der Regel ![]() | 25 |
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