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32. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen Stiftung X.-Pensionskasse und Y. AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_153/2013 vom 16. August 2013 | |
Regeste |
Art. 164 Abs. 2 und Art. 182 BV; Art. 13 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1 lit. c und Art. 107 Abs. 3 MWSTG 2009; Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009; Art. 11 Abs. 1 BVG; konkrete Normenkontrolle; Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips dadurch, dass die Mehrwertsteuerverordnung die Teilhabe von Einrichtungen der beruflichen Vorsorge an einer Mehrwertsteuergruppe in jedem Fall ausschliesst. | |
Sachverhalt | |
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C. Die ESTV erhebt mit Eingabe vom 8. Februar 2013 beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, es seien der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Januar 2013 aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 25. Mai 2012 zu bestätigen. (...)
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 Ist der Bundesrat unmittelbar durch eine Delegationsnorm im Gesetz (Art. 164 Abs. 2 BV) dazu ermächtigt, erlässt er rechtsetzende Bestimmungen in der Form der Rechtsverordnung (Art. 182 Abs. 1 BV; sog. unselbständige Rechtsverordnungen). Auch wenn der Gesetzgeber davon abgesehen hat, der Exekutive derartige (beschränkte) Legislativfunktionen zu übertragen, obliegt es dem Bundesrat, die Gesetzgebung zu vollziehen (Art. 182 Abs. 2 BV). Zu diesem Zweck kann er verfassungsunmittelbar die erforderlichen rechtsvollziehenden Rechtsverordnungen erlassen. Der Anwendungsbereich von Ausführungs- und Vollziehungsverordnungen ist indes darauf beschränkt, die Bestimmungen des betreffenden Bundesgesetzes durch Detailvorschriften näher auszuführen und mithin zur ![]() | 6 |
2.2 Bestimmungen, welche die auszuführende Gesetzesbestimmung abändern oder aufheben, sind nicht vollziehender Natur und fallen aus dem geschilderten Kompetenzrahmen. Die Vollziehungsverordnung darf insbesondere weder die Rechte der Bürgerinnen und Bürger (zusätzlich) beschränken noch ihnen (weitere) Pflichten auferlegen, und zwar selbst dann nicht, wenn dies durch den Gesetzeszweck gedeckt wäre (BGE 136 I 29 E. 3.3 S. 33; BGE 130 I 140 E. 5.1 S. 149 mit Hinweisen). Ebenso wenig kann eine gesetzgeberisch gewollte Unbestimmtheit des Gesetzes mittels einer Vollziehungsverordnung bereinigt werden. Demgegenüber dürfen praxisgemäss (untergeordnete) Gesetzeslücken im Rahmen der gesetzlichen Zielsetzung geschlossen werden (BGE 124 I 127 E. 3c S. 133; BGE 112 Ia 107 E. 3c/ee S. 116).
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2.3 Vor dem Hintergrund dieser Kompetenzausscheidung kann das Bundesgericht Rechtsverordnungen des Bundesrates vorfrageweise (inzident, im Einzelfall), aber inhaltlich eingeschränkt auf ihre Rechtmässigkeit prüfen. Während bei selbständigen (rechtsetzenden verfassungsunmittelbaren) Rechtsverordnungen nur eine Überprüfung der Verfassungsmässigkeit in Betracht fällt, sind unselbständige Rechtsverordnungen und Vollziehungsverordnungen zunächst auf ihre Gesetzmässigkeit (BGE 137 III 217 E. 2.3 S. 220 f.; BGE 137 V 321 E. 3.3.2 S. 331; BGE 136 II 337 E. 5.1 S. 348 f.) und hernach, soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermächtigt, von der Bundesverfassung abzuweichen, auf ihre Verfassungsmässigkeit (BGE 137 V 321 E. 3.3.2 S. 331; BGE 131 II 271 E. 4 S. 276; BGE 128 II 247 E. 3.3 S. 252; BGE 126 II 283 E. 3b S. 290) zu prüfen (so schon BGE 100 Ib 318 E. 3 S. 319 f.; BGE 99 Ib 165 E. 1a S. 165). Die Zweckmässigkeit der getroffenen Anordnung entzieht sich der gerichtlichen Kontrolle ![]() | 8 |
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Nach der bundesrätlichen Botschaft vom 25. Juni 2008 zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer (BBl 2008 6885, insb. 6953 f. zu Art. 13) ist zwar bei natürlichen Personen fraglich, ob sie im Einzelfall durch einen Beherrschungsvertrag als unter einheitlicher Leitung stehend betrachtet werden können. Als "vorstellbar" bezeichnet der Bundesrat hingegen den Einbezug zum Beispiel eines für eine Versicherung tätigen Generalagenten oder einer Pensionskasse in die Gruppe.
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Aufgrund von Art. 15 Abs. 1 lit. c MWSTG 2009 haftet auch neurechtlich mit der steuerpflichtigen Person solidarisch jede zu einer Mehrwertsteuergruppe (Art. 13) gehörende Person oder Personengesellschaft für sämtliche von der Gruppe geschuldeten Steuern; tritt eine Person oder Personengesellschaft aus der Gruppe aus, so haftet sie nur noch für die Steuerforderungen, die sich aus ihren eigenen unternehmerischen Tätigkeiten ergeben haben. Im Anschluss daran bestimmt Art. 16 der Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009 (MWSTV 2009; SR 641.201):
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1 Nicht rechtsfähige Personengesellschaften sind Rechtsträgern im Sinn von Art. 13 MWSTG gleichgestellt.
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2 Versicherungsvertreter und Versicherungsvertreterinnen können Mitglieder einer Gruppe sein.
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3 Einrichtungen der beruflichen Vorsorge können nicht Mitglied einer Gruppe sein.
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In den Erläuterungen vom 27. November 2009 zur Mehrwertsteuerverordnung (nur online einsehbar) kommentiert der Bundesrat Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 zwar dahingehend, dass botschaftsgemäss der Einbezug einer Pensionskasse in eine Gruppe vorstellbar sei. Da die Mitglieder einer Gruppe jedoch nach Art. 15 Abs. 1 lit. c MWSTG für sämtliche Mehrwertsteuerschulden der anderen Gruppenmitglieder solidarisch hafteten, würde die Aufnahme von Vorsorgeeinrichtungen in eine Gruppe einen Verstoss gegen die sozialversicherungsrechtliche Verselbstständigungspflicht darstellen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen habe sich entschieden gegen die Möglichkeit einer Aufnahme von Vorsorgeeinrichtungen in Mehrwertsteuergruppen ausgesprochen, was nun in Absatz 3 ausdrücklich festgehalten werde.
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Erwägung 3 | |
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3.2 Während die Botschaft vom 25. Juni 2008 zum Gesetzesentwurf noch davon spricht, der Einbezug von Pensionskassen in die ![]() | 20 |
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3.4 Einrichtungen der beruflichen Vorsorge verfügen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben über einen Selbständigkeitsbereich. In diesem Umfang kommt ihnen die Organisationshoheit zu (Art. 49 Abs. 1 BVG bzw. Art. 80 i.V.m. Art. 89a Abs. 1 ZGB). Die Ausgliederung von Aufgaben der Personalvorsorgeeinrichtung auf eine hundertprozentige oder qualifiziert mehrheitlich gehaltene ![]() | 22 |
3.5 Das Mehrwertsteuerrecht schafft bei Gruppenangehörigkeit eine solidarische Haftung, wo zivil- und vorsorgerechtlich von Gesetzes wegen keine solche besteht. Bei einer hundertprozentigen oder qualifiziert mehrheitlich gehaltenen Tochtergesellschaft, soweit vorsorgerechtlich überhaupt zulässig, vermag die mehrwertsteuerliche Solidarhaftung im Regelfall freilich kein zusätzliches ökonomisches Risiko der Personalvorsorgeeinrichtung (Aktionärin) zu begründen. Die Aktionärin könnte als solidarisch Haftende lediglich dann belangt werden, wenn die Tochtergesellschaft Aussenumsätze erbringt, ohne über diese mehrwertsteuerlich abzurechnen. Wie gezeigt, verfügt die Vorsorgeeinrichtung in Fällen qualifizierter Beteiligungen jedoch über alle gesellschaftsrechtlich erforderlichen Steuerungs- und Kontrollmittel, um einer solchen Gefahr rechtzeitig zu begegnen. In ihrer Eigenschaft als Gruppenvertretung (Art. 18 Abs. 3 MWSTV 2009) hat sie überdies die interne Mehrwertsteuerabrechnung der Tochtergesellschaft zu konsolidieren (Art. 21 Abs. 2 MWSTV 2009), was ihr jederzeit den Überblick über die ![]() | 23 |
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Erwägung 4 | |
4.1 Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 wird damit einer Konstellation wie der vorliegenden nicht gerecht. Der Norm fehlt für den Fall, dass die ![]() | 25 |
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