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33. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen X. AG in Liquidation (gelöscht) und Mitb. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_963/2014 vom 24. September 2015 | |
Regeste |
Art. 4 Abs. 1 und 3, Art. 8 Abs. 2, Art. 9 Abs. 3 StAhiG, Art. 26 Abs. 1, 3 und 5 DBA-NL; internationale Amtshilfe in Steuerangelegenheiten. |
Der Begriff "betroffene Person" im materiellen Sinn ergibt sich aus dem Sinn der Wendung "Personen, die nicht vom Ersuchen betroffen sind" nach Art. 4 Abs. 3 StAhiG. Die Auslegung dieser Norm richtet sich - dem Zweck des anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommens entsprechend - nach dem Kriterium der voraussichtlichen Erheblichkeit (E. 4.1-4.5). Ist eine steuerpflichtige Person an einer juristischen Person bzw. Gesellschaft wirtschaftlich berechtigt, erscheint ein Zusammenhang mit der in Frage stehenden Steuerangelegenheit als zumindest wahrscheinlich, so dass die Informationen betreffend die wirtschaftlich beherrschte juristische Person bzw. Gesellschaft als voraussichtlich erheblich im Sinn von Art. 26 Abs. 1 DBA-NL zu qualifizieren sind (E. 4.6). | |
Sachverhalt | |
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Zwecks korrekter Erhebung der niederländischen Einkommens- und Körperschaftssteuer ersuchte der BD die ESTV um Information, wer die Aktionäre der X. AG bzw. der Y. AG seien, ob A.A. oder die Z. BV mittelbar oder unmittelbar Eigentümer(in) der X. AG bzw. der Y. AG seien oder gewesen seien und ob sie in irgendeiner Weise in Beziehung zu einer dieser beiden Aktiengesellschaften stünden oder gestanden hätten und ob in der Buchführung der Y. AG "Barbezahlungen" durch A.A. und/oder die Z. BV "verantwortet" worden seien und welche Leistungen die Y. AG hierfür erbracht habe; in diesem Zusammenhang wurden auch eine Übersicht der EUR 1'000.- übersteigenden Bareinnahmen und die zugehörigen Unterlagen verlangt. Zudem ersuchte der BD um Information, ob im Zeitraum vom 1. März 2010 bis zur Einreichung des Amtshilfegesuchs am 13. Juni 2013 die vier vom Amtshilfegesuch betroffenen Personen je einzeln als Kontoinhaber(in), Berechtigte(r) oder Bevollmächtigte(r) über Bankkonten, Accounts, Anlagekonten etc. bei der D. Bank in T. (Schweiz) und/oder der (von der D. Bank in T. übernommenen) C. Bank (nachfolgend: C. Bank) verfügt hätten. Hinsichtlich dieser (allfälligen) Bankbeziehungen stellte der BD Fragen zu den jeweiligen Guthaben am 1. März 2010, 1. Januar 2011, 1. Januar 2012 und 31. Dezember 2012, zu den jeweiligen Kontobewegungen vom 1. März 2010 bis 31. Dezember 2012, zur Identität, zur Adresse und zum Wohnort allfälliger Berechtigter und Bevollmächtigter dieser Konten sowie zum Datum von deren Eröffnung und allfälligen Auflösung.
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B. (...) Mit Schlussverfügung vom 21. Februar 2014 ordnete die ESTV an, dass dem BD betreffend die X. AG (Ziff. 1 des Dispositivs), die Y. AG (Ziff. 2 des Dispositivs), A.A. (Ziff. 3 des Dispositivs) und die Z. BV (Ziff. 4 des Dispositivs) Amtshilfe zu leisten sei. In Ziff. 5 des Dispositivs listete die ESTV die dem BD zu übermittelnden Informationen und Unterlagen auf. Danach war dem BD unter anderem mitzuteilen, dass die X. AG am 7. Juli 2008, also vor der angefragten Zeitperiode, aufgelöst worden sei und deshalb zum Kreis der Aktionäre dieser Gesellschaft keine Angaben gemacht werden könnten. Ferner war nach Ziff. 5 des Dispositivs dem BD insbesondere mitzuteilen, dass bei zwei der auf A.A. lautenden Konten bei der D. Bank in T. und bei der C. Bank im angefragten Zeitraum die Ehefrau des Kontoinhabers, B.A. (geb. 1946), und seine beiden Töchter C.A. und D.A. (beide geb. 1987) bevollmächtigt ![]() | 3 |
Gegen die Schlussverfügung vom 21. Februar 2014 erhoben die X. AG (Beschwerdegegnerin 1), die Y. AG (Beschwerdegegnerin 2), A.A. (Beschwerdegegner 3) und die Z. BV (Beschwerdegegnerin 4) am 26. März 2014 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Dieses hiess mit Urteil vom 7. Oktober 2014 die Beschwerde im Sinn der Erwägungen teilweise gut, soweit es darauf eintrat. Ziff. 1 und 2 des Dispositivs der Schlussverfügung vom 21. Februar 2014 wurden aufgehoben und dementsprechend wurde angeordnet, es sei keine Amtshilfe betreffend die X. AG in Liquidation und die Y. AG zu leisten. (...) Die ESTV wurde (...) angewiesen, im Sinn der Erwägungen die edierten Unterlagen teilweise nicht an den BD zu übermitteln und die zu übermittelnden Unterlagen teilweise zu schwärzen. Im Übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten wurde.
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C. Die ESTV erhebt am 20. Oktober 2014 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht mit den Anträgen, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit die Schlussverfügung vom 21. Februar 2014 nicht bestätigt worden sei, und die Sache zum materiellen Entscheid an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuweisen.
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(...) Die X. AG, die Y. AG, A.A. und die Z. BV beantragen, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. (...)
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 3 | |
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- die Amtshilfe auf Ersuchen, wobei zwischen Ersuchen im Einzelfall und Gruppenersuchen zu unterscheiden ist;
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- die spontane Amtshilfe (Übermittlung von Informationen ohne entsprechendes Ersuchen);
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- automatischer Informationsaustausch.
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Gemäss Art. 4 Abs. 1 StAhiG wird die Amtshilfe ausschliesslich auf Ersuchen geleistet. Art. 4 Abs. 3 StAhiG präzisiert, dass die Übermittlung von Informationen zu Personen, die nicht vom Ersuchen betroffen sind, unzulässig ist.
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Art. 4 Abs. 1 und 3 StAhiG normieren somit die Unzulässigkeit der spontanen Amtshilfe (vgl. auch Botschaft vom 6. Juli 2011 zum Erlass eines Steueramtshilfegesetzes, BBl 2011 6193, hier 6204 zu Art. 4 Abs. 1).
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Das Merkmal "betroffen" im Sinn von Art. 3 lit. a StAhiG erscheint vorab als bloss formeller Art: Die Begriffsbestimmung knüpft vom Wortlaut her einzig an der Erwähnung im Amtshilfeersuchen an. Die Personen, über die im Ersuchen Informationen verlangt werden, sind insofern vom Verfahren im ersuchten Staat betroffen, als dessen Steuerbehörde zu prüfen hat, ob entsprechende (sie betreffende) Informationen übermittelt werden sollen. Sie sind, weil der ausländische Staat Informationen über sie verlangt, Gesuchsgegner. Als solche geniessen sie alle Verfahrensrechte, welche in einem Verwaltungsverfahren - unabhängig von dessen Ausgang - gewährt werden müssen. Wird die Zulässigkeit der Übermittlung verneint, sind diese Personen zwar vom Entscheid betroffen, aber nicht beschwert.
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Erwägung 4 | |
4.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut. Vom klaren, eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, so etwa dann, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Norm wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben. Ist der Text nicht klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Dabei ist namentlich auf die Entstehungsgeschichte, auf den Zweck der Norm, die ihr zugrunde liegenden Wertungen und ihre Bedeutung im Kontext mit anderen Bestimmungen abzustellen (BGE 139 II 404 E. 4.2 S. 416). Bleiben bei nicht klarem Wortlaut letztlich mehrere Auslegungen möglich, ist jene zu wählen, die der Verfassung am besten entspricht (BGE 140 II 495 E. 2.3.3 S. 500). Das Gleiche gilt, wenn - wie hier - die auszulegende Norm im Kontext eines Staatsvertrags erlassen wurde: Besteht ein echter Normkonflikt zwischen Bundesrecht und Völkerrecht, geht grundsätzlich die völkerrechtliche Verpflichtung der Schweiz vor; dies gilt selbst in Bezug auf Abkommen, welche nicht Menschenrechte zum Gegenstand haben. Der Vorrang besteht auch gegenüber späteren, d.h. nach der völkerrechtlichen Norm in Kraft getretenen Bundesgesetzen: Gemäss Art. 27 des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (VRK; SR 0.111) kann sich die Schweiz nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen (vgl. zum Ganzen BGE 139 I 16 E. 5.1 S. 28; BGE 138 II 524 E. 5.1 S. 532). Eine später erlassene Norm des Bundesrechts ist daher - vorbehältlich der sogenannten Schubert-Praxis (vgl. BGE 136 III 168 E. 3.3.4 S. 172) - in grösstmöglicher Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Zielen des einschlägigen Abkommens auszulegen.
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Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 3 StAhiG enthält gegenüber jenem von Art. 4 Abs. 3 E-StAhiG zwei Änderungen. Erstens verbindet er die "betroffene Person" nicht mehr mit der zu untersuchenden Angelegenheit, sondern mit dem Amtshilfeersuchen. Zweitens ist die Unzulässigkeit der Informationsübermittlung nicht mehr auf Personen beschränkt, die offensichtlich nicht von der zu untersuchenden Angelegenheit (Entwurf) bzw. vom Ersuchen (Gesetzestext) betroffen sind. Die inhaltliche Tragweite der ersten Änderung erscheint beschränkt. In der Nationalratsdebatte wurde dazu lediglich gesagt, die bundesrätliche Formulierung sei unpräzis; nicht das Umfeld der zu untersuchenden Angelegenheit müsse geschützt werden, sondern Personen, die im Umfeld des konkreten Ersuchens stünden (AB 2012 N S. 94, Votum Müller). Mit der zweiten Änderung, also der Streichung des Wortes "offensichtlich", sollte hingegen explizit der Kreis jener Personen, über die Informationen übermittelt werden dürfen, im Vergleich zum Entwurf eingeschränkt werden (AB 2012 N 94, Votum de Buman; vgl. auch CHARLOTTE SCHODER, Praxiskommentar zum Bundesgesetz über die internationale Amtshilfe in Steuersachen[Steueramtshilfegesetz, StAhiG], 2014, N. 47 zu Art. 4 StAhiG; DINA BETI, La nouvelle loi sur l'assistance administrative internationale en matière fiscale - une vue d'ensemble, ASA 81 2012/2013 S. 181 ff., hier S. 190).
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Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 3 StAhiG wird in der Lehre als Abkehr vom bisherigen Verständnis der nicht beteiligten Drittperson gewertet (vgl. SCHODER, a.a.O., N. 48 zu Art. 4 StAhiG). Die in Art. 4 Abs. 3 E-StAhiG verwendete, vom Parlament schliesslich verworfene Formulierung entsprach derjenigen von Art. 38 Abs. 4 dritter Satz des Bundesgesetzes vom 24. März 1995 über die Börsen und den Effektenhandel (Börsengesetz, BEHG; SR 954.1), welcher von "Informationen über Personen, die offensichtlich nicht in die zu untersuchende Angelegenheit verwickelt sind", spricht. Im börsenrechtlichen Zusammenhang hat das Bundesgericht festgehalten, dass eine Person, über deren Bankkonto - auch ohne ihr Wissen - ein verdächtiger Kauf abgewickelt worden ist, nicht als offensichtlich unbeteiligte Drittperson gelten kann (vgl. BGE 139 II 451 E. 2.3.2 S. 457 mit Verweis auf BGE 126 II 126 E. 6a/bb S. 137).
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4.3 Das Element "offensichtlich" wurde indessen gerade mit dem Ziel fallen gelassen, den Schutz von Art. 4 Abs. 3 StAhiG auf solche ![]() | 23 |
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4.4.2 Art. 26 DBA-NL regelt den Informationsaustausch nach dem Vorbild von Art. 26 OECD-MA. Gemäss Art. 26 Abs. 1 erster Satz ![]() | 26 |
4.4.3 Im Zentrum steht der Begriff "voraussichtlich erhebliche Informationen" in Art. 26 Abs. 1 DBA-NL. Die Bestimmung ist Art. 26 Abs. 1 OECD-MA nachgebildet, dessen erster Satz die Hauptregel betreffend den Informationsaustausch enthält (Modèle de convention ![]() ![]() | 27 |
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4.6 Mit Blick auf die eingangs gestellte Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung ist zu beachten, dass die konkreten Verhältnisse einer juristischen Person bzw. Gesellschaft, an welcher ein Steuerpflichtiger wirtschaftlich berechtigt ist, für dessen Besteuerung durchaus relevant sein können, weshalb ein Zusammenhang mit der in Frage stehenden Steuerangelegenheit als zumindest wahrscheinlich erscheint. In einer solchen Konstellation sind die Informationen betreffend die wirtschaftlich beherrschte juristische Person bzw. Gesellschaft daher voraussichtlich erheblich im Sinn von Art. 26 Abs. 1 DBA-NL. Diese ist damit vom Ersuchen betroffen, und die Übermittlung der sie betreffenden Angaben ist zulässig (Art. 4 Abs. 3 StAhiG e contrario).
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