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78. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Mai 2000 i.S. D.B. gegen R.U. (Berufung) | |
Regeste |
Art. 679/684 und Art. 688 ZGB; Verhältnis des bundesrechtlichen Immissionsschutzes zum kantonalen Pflanzenrecht. |
Die Rechtssetzungskompetenz, die den Kantonen gemäss Art. 688 ZGB im Bereich des Pflanzenrechtes zusteht, schliesst die Anwendung der Art. 684/679 ZGB nicht grundsätzlich aus. Vielmehr garantieren diese Bestimmungen einen bundesrechtlichen Minimalschutz gegen Immissionen (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 8. August 1996 erhob R.U. beim Bezirksgericht Affoltern gegen D.B. Klage auf Beseitigung sämtlicher, nordöstlich von dessen Haus stehender Bäume, evtl. auf Reduktion von deren Höhe. Mit Urteil vom 19. Dezember 1996 wies das Bezirksgericht Affoltern die Klage ab. Zur Begründung führte das Bezirksgericht im Wesentlichen aus, dass der Beseitigungsanspruch nach dem massgebenden kantonalen Pflanzenrecht (§§ 169 ff. EGZGB) binnen 5 Jahren seit der Pflanzung der Bäume verjähre (§ 173 EGZGB) und diese Frist längst abgelaufen sei. Eine von R.U. gegen dieses Urteil erhobene Berufung hiess das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 18. April 1997 gut und wies die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und zur Neuentscheidung ans Bezirksgericht zurück. Im Wesentlichen führte das Obergericht aus, dass der Beseitigungsanspruch nach kantonalem Recht zwar verjährt sei, dass aber zu prüfen sei, ob der Schattenwurf und Lichtentzug durch die Bäume eine übermässige Einwirkung im Sinn von Art. 684 ZGB darstelle und insoweit ein bundesrechtlicher Beseitigungsanspruch bestehe (publ. in ZR 97 [1998], S. 65 ff.). Nach Durchführung eines aufwendigen Beweisverfahrens, in welchem insbesondere ein Gutachten über den Schattenwurf der Bäume auf das Grundstück des Klägers erstattet wurde, erwog das Bezirksgericht, dass die von den umstrittenen Bäumen ausgehenden Einwirkungen nicht übermässig im Sinn von Art. 684 ZGB seien und wies die Klage mit Urteil vom 8. April 1999 erneut ab. Das Obergericht gelangte in seinem Urteil vom 26. November 1999 demgegenüber zum Schluss, dass sich der Schattenwurf seitens der Bäume des Beklagten als lästig erweise und die Lebensqualität auf dem Wohngrundstück des Klägers erheblich herabsetze. Es ordnete deshalb die Beseitigung von fünf Bäumen an (Ziff. 1); ferner wurden die Gerichtsgebühren den Parteien je zur Hälfte auferlegt (Ziff. 4) und die Prozessentschädigungen wettgeschlagen (Ziff. 5).
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C.- Mit Berufung vom 17. Januar 2000 beantragt D.B. dem Bundesgericht, Ziff. 1, 4 und 5 des Urteils des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 26. November 1999 aufzuheben und die Klage ![]() | 3 |
Aus den Erwägungen: | |
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a) Ein Teil der Literatur vertritt die Auffassung, dass von einer Einwirkung im Sinn von Art. 684 Abs. 1 ZGB nicht gesprochen werden könne, soweit Licht, Luft oder Aussicht durch Bauten oder Pflanzen entzogen würden, weil es sich bei den verbotenen Immissionen nur um Einwirkungen handeln könne, die sich aus der Art und Weise der Benutzung des Ausgangsgrundstückes ergebe (HAAB/SIMONIUS/SCHERRER/ZOBL, Zürcher Kommentar, N. 12 zu Art. 684 ZGB; PETER LIVER, Schweizerisches Privatrecht, Band V, Das Grundeigentum, S. 227 f.). Andere Autoren halten das Argument nicht für überzeugend, dass eine "Entziehung" keine "Einwirkung" im Sinn des Gesetzestextes sein könne, und vertreten die Auffassung, dass auch negative Immissionen in den Anwendungsbereich ![]() | 6 |
b) Das Bundesgericht hatte sich bislang noch nie dazu zu äussern, ob negative Immissionen, die von Pflanzungen ausgehen, auch von Art. 684 ZGB erfasst werden. In Bezug auf die vergleichbare Situation von Immissionen, die von Bauten ausgehen, hat das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung festgehalten, dass das blosse Vorhandensein einer Baute oder baulichen Anlage keine Einwirkungen im Sinn des Art. 684 ZGB verursache, wie sie nur infolge der Art der Bewirtschaftung oder Benutzung des Grundstückes entstehen könne (BGE 88 II 252 E. 3 S. 264; BGE 91 II 339 E. 3 S. 341 je mit Hinweisen). In einem späteren Entscheid hat das Bundesgericht diese Begründung bestätigt und weiter ausgeführt, dass sich der Betroffene gegen negative Immissionen - Beeinträchtigung der Aussicht, Entzug von Licht und Sonnenschein - nicht auf Art. 684 ZGB, sondern nur auf Abwehrrechte berufen könne, die sich aus den gestützt auf Art. 686 erlassenen kantonalen privatrechtlichen Bauvorschriften bzw. dem öffentlichen Baurecht der Kantone ergäben (BGE 106 Ib 381 E. 2a S. 383 mit weiteren Hinweisen; in BGE 106 Ib 231 E. 3b/aa S. 236 f. mit weiteren Hinweisen wurde die Frage letztlich offengelassen).
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c) Die von einem Teil der Lehre und der bisherigen Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass ein Entzug von Licht und Sonnenschein bzw. eine Beeinträchtigung der Aussicht keine "Einwirkung" im Sinn von Art. 684 ZGB sein könne, hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Aufgrund des Wortlautes von Art. 684 ZGB lässt sich nicht begründen, den Anwendungsbereich dieser Bestimmung auf positive Immissionen zu beschränken. Nur der ![]() ![]() | 8 |
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a) Gemäss Art. 688 ZGB sind die Kantone befugt, für Anpflanzungen je nach der Art des Grundstückes und der Pflanzen bestimmte Abstände vom nachbarlichen Grundstück vorzuschreiben. Nach Rechtsprechung und Lehre stellt Art. 688 einen echten zuteilenden Vorbehalt zu Gunsten der Kantone auf. Gestützt darauf sind diese ermächtigt, die Abstände festzulegen, welche die Eigentümer für Anpflanzungen einhalten müssen, und Sanktionen für die Verletzung entsprechender Bestimmungen vorzusehen (BGE 122 I 81 E. 2a S. 84 mit weiteren Hinweisen). Von diesem Vorbehalt hat der Kanton Zürich in den §§ 169 ff. EGZGB Gebrauch gemacht. Im vorliegenden Fall scheitert die Beseitigung der umstrittenen Bäume allerdings wie erwähnt daran, dass der Anspruch des Klägers nach kantonalem Recht verjährt ist und die entsprechende Verjährungseinrede im kantonalen Verfahren erhoben wurde.
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b) In der Literatur sind die Meinungen geteilt, ob ein Beseitigungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des bundesrechtlichen Immissionsschutzes geprüft werden kann, wenn ein Kanton von der Gesetzgebungskompetenz gemäss Art. 688 ZGB Gebrauch gemacht hat. Ein Teil der Lehre bejaht die exklusive Rechtssetzungskompetenz der Kantone, weil es sich bei den Abstandsvorschriften um besondere nachbarrechtliche Tatbestände handle, die für Bauten in Art. 686 ZGB und für Pflanzungen in Art. 688 ZGB der Gesetzgebung der Kantone vorbehalten seien (PIOTET, a.a.O., N. 56 ff. [für Bauten] und N. 61 ff. [für Pflanzungen]; LIVER, a.a.O., S. 226, insbes. S. 228; ders., Berner Kommentar, N. 23 f. und 30 ff. zu Art. 5 ![]() | 11 |
c) Das Bundesrecht sieht für die von Pflanzungen einzuhaltenden Abstände keine Regelung vor, sondern hat diese Befugnis in Art. 688 ZGB den Kantonen übertragen. Demnach ist es ausschliesslich Sache der Kantone, Abstandsvorschriften für Pflanzen festzulegen. Diese Regelung findet ihre Berechtigung darin, dass das Mass an Einschränkung in diesem Bereich in hohem Grade von der Kultur des Bodens und den überlieferten Gewohnheiten abhängig ist, so dass sich eine Rechtsvereinheitlichung im Sinn einheitlicher eidgenössischer Abstandsvorschriften nicht rechtfertigt würde (Eugen Huber, Erläuterungen zum Vorentwurf, a.a.O., S. 98 f.). Der Umstand, dass der Vorbehalt zugunsten des kantonalen Rechtes bundesrechtliche Abstandsvorschriften ausschliesst, bedeutet freilich nicht, dass im Zusammenhang mit Pflanzungen das bundesrechtliche Nachbarrecht generell ausgeschlossen ist.
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aa) Den Materialien können verschiedene Hinweise dafür entnommen werden, dass den Art. 679/684 ZGB auch im Bereich des den Kantonen vorbehaltenen Pflanzenrechtes eine eigenständige Bedeutung verbleibt. So wird in der Botschaft festgehalten, dass das Bundesrecht "das Nachbarrecht in den Grundzügen (ordne), ohne dass hierin der lokalen Übung und dem überlieferten kantonalen Recht, wie namentlich in bezug auf die Abstände, die bei Pflanzungen und Bauten zu beobachten sind, ... alle weitere Geltung entzogen werden (dürfe)" (BBl 1904 IV, S. 67). Ähnlich wird in den Erläuterungen zum Vorentwurf festgehalten, dass hinsichtlich Graben, Bauten und Pflanzen das Bundesrecht nur den Grundsatz festzulegen ![]() | 13 |
bb) Abgesehen von den Gesetzesmaterialien sprechen aber auch praktische Gründe dafür, dass bei negativen Immissionen, die von Pflanzen ausgehen, die Anwendbarkeit der Art. 679/684 ZGB nicht generell ausgeschlossen ist. So wird in der Literatur zu Recht darauf hingewiesen, dass durch das Wachstum von Pflanzen die von ihnen ausgehenden Einwirkungen von Jahr zu Jahr zunehmen und kantonale Abstandsvorschriften unter Umständen keinen genügenden Schutz der Nachbarn gewährleisten könnten (LINDENMANN, a.a.O., S. 30 f.; SCHMID-TSCHIRREN, a.a.O., S. 197 f.). Diese Problematik ![]() | 14 |
cc) Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass diese Erwägungen, die sich auf das Verhältnis zwischen dem kantonalen Pflanzenrecht und dem bundesrechtlichen Immissionsschutz beziehen, nicht ohne Weiteres auf negative Immissionen übertragen werden können, die von Bauten verursacht werden. Im Unterschied zum kantonalen Pflanzenrecht stellt heute das kantonale Baurecht in der Regel ein umfassendes Regelwerk dar, so dass für die Anwendung der Art. 679/684 ZGB kaum mehr Raum bestehen dürfte. Dem berechtigten Immissionsschutz der Nachbarn wird im Baubewilligungsverfahren Rechnung getragen. Ohnehin wäre kaum denkbar, dass bei einer rechtmässig erstellten Baute Immissionen, die durch deren blosses Vorhandensein verursacht werden, derart schwer wiegen, dass sich ein bundesrechtlicher Beseitigungsanspruch rechtfertigen würde.
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d) Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass das nachbarliche Pflanzenrecht grundsätzlich vom kantonalen ![]() | 16 |
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a) Das Obergericht begründet die Beseitigung der beiden Lärchen damit, dass es sich um 26,3 bzw. 24,4 m hohe Bäume mit Stammdurchmessern von 46 bzw. 32 cm und Kronen von 6 bzw. 5 m Durchmessern handle. Die eine Lärche werfe viel, die andere einen mittleren Schatten. Zwar sei der Schatten wegen des im späten Herbst einsetzenden Nadelverlusts im Winter fast vernachlässigbar. Doch gehe von den Bäumen im Frühjahr und Herbst ein "ganz massgeblicher" Schattenwurf auf die klägerische Liegenschaft aus; sie seien daher in entscheidendem Masse für den störenden Schattenwurf verantwortlich.
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b) Der beklagtische Einwand, dass die Bäume in den Sommermonaten grundsätzlich keine nennswerten Immissionen verursachten und dass auch im Winter von den beiden Lärchen wegen des Nadelverlusts keine wesentlichen Beeinträchtigungen ausgingen, geht insoweit an der Sache vorbei, als für das Obergericht die Situation im Frühjahr und Herbst entscheidend war. Unbehelflich ist auch der Hinweis des Beklagten, dass das Obergericht die Feststellung des Gutachters als nachvollziehbar bezeichnet habe, für die Monate März und September sei (bloss) von einer mittleren Beeinträchtigung auszugehen. An anderer Stelle hat die Vorinstanz nämlich festgehalten, in den Frühjahrs- und Herbstmonaten werde ab dem frühen Nachmittag die Lebensqualität durch den Schattenwurf ganz wesentlich beeinträchtigt, und es sprach mit Bezug auf die beiden Lärchen von einem im Frühjahr und Herbst "ganz massgebenden Schattenwurf". Wenn das Obergericht bei dieser Sachlage verlangte, vom gesamten Baumbestand nicht nur drei Fichten, sondern auch die beiden Lärchen zu fällen, so hat es Art. 684 ZGB und namentlich das solchen Entscheidungen innewohnende Ermessen im Sinn einer Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen der Parteien nicht verletzt. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Verfügung, die fünf Bäume zu fällen, Ergebnis einer differenzierten Würdigung der gesamten Situation ist. Selbst wenn man hinsichtlich der ![]() | 19 |
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