BGE 130 III 585 | |||
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76. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. gegen Y. (Berufung) |
5C.123/2004 vom 15. Juli 2004 | |
Regeste |
Umfang des persönlichen Verkehrs (Art. 273 Abs. 1 ZGB). | |
Sachverhalt | |
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B. Mit Urteil vom 15. Juli 2003 schied das Amtsgericht B. die Ehe. Dabei stellte es die Kinder unter die elterliche Sorge der Mutter und gewährte dem Vater an jedem ersten und dritten Wochenende eines Monats ein Besuchsrecht von Samstag, 08.00 Uhr, bis Sonntag, 18.00 Uhr, sowie ein Ferienrecht von zwei Wochen pro Jahr. Sodann hob es die Beistandschaft auf und regelte die weiteren Nebenfolgen der Scheidung.
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Mit Bezug auf das Besuchs- und Ferienrecht und die Aufhebung der Beistandschaft erhob die Mutter Appellation. Mit Urteil vom 30. März 2004 erlaubte das Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, dem Vater, die Kinder bis Ende Juli 2005 an jedem zweiten und vierten Sonntag des Monats von 13.30 bis 18.00 Uhr im Rahmen eines begleiteten Besuchsrechts der Pro Juventute in C. zu besuchen; ab August 2005 gewährte es ihm ein unbegleitetes Besuchsrecht an jedem zweiten und vierten Sonntag des Monates von 09.00 bis 18.00 Uhr, für die ersten drei Besuche unter Aufsicht der Beiständin. Sodann ordnete es an, dass die bestehende Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB aufrecht erhalten bleibe.
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C. Gegen dieses Urteil hat der Vater am 19. Mai 2004 Berufung eingereicht mit dem Begehren um Aufhebung der entsprechenden Anordnungen und Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheids. Eventualiter verlangt er bis Ende Juli 2005 ein unbeaufsichtigtes Besuchsrecht am ersten Wochenende eines jeden Monats von Samstag, 08.00 Uhr, bis Sonntag, 18.00 Uhr, sowie am 26. Dezember und Ostermontag von 10.00 bis 18.00 Uhr und ein Ferienrecht von zwei Wochen sowie eine dem erstinstanzlichen Urteil entsprechende Regelung für die Zeit ab August 2005. Die Mutter schliesst in ihrer Berufungsantwort vom 16. Juli 2004 auf Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zur neuen Regelung des Besuchs- und Ferienrechtes an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen: | |
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Wie das Amtsgericht geht auch das Obergericht in seinen für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen davon aus, dass die Beziehung zwischen dem Vater und den Kindern gut ist. Er habe den Kontakt zu den Kindern trotz der ihm auferlegten Einschränkungen nun während rund zwei Jahren aufrecht erhalten. Dass D. psychisch auffällig oder verhaltensgestört wäre, sei weder durch die Parteien selbst noch durch die Psychotherapeutin G. bestätigt worden.
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In rechtlicher Hinsicht tritt das Obergericht für eine Beschränkung des Besuchsrechts ein. Zum einen verweist es auf die luzernische Praxis, wonach das Besuchsrecht bei zerstrittenen Eltern auch dann einschränkend festzusetzen sei, wenn das Verhältnis zwischen dem Kind und dem Besuchsberechtigten gut ist. Zum anderen gibt es zu bedenken, dass der persönliche Verkehr zwischen dem Vater und den Kindern bislang bloss in Form zweistündiger begleiteter Besuche in C. stattgefunden habe und D. während nunmehr drei Jahren unter der Hypothese therapiert worden sei, dass ein Missbrauch stattgefunden habe. Sodann verweist es auf die Meinung der Psychotherapeutin G., wonach D. im Moment mit einem unbegleiteten Besuchsrecht noch überfordert wäre. Abschliessend hält es fest, dass das Verhältnis zwischen E. und D. eng und das Besuchsrecht bisher immer gemeinsam ausgeübt worden sei, weshalb es sich nicht vermeiden lasse, dass auch E. von den Einschränkungen betroffen sei.
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Die Vorstellungen darüber, was in durchschnittlichen Verhältnissen als angemessenes Besuchsrecht zu gelten habe, gehen in Lehre und Praxis auseinander, wobei regionale Unterschiede festzustellen sind und eine Tendenz zur Ausdehnung des Besuchsrechts besteht (vgl. statt vieler: SCHWENZER, Basler Kommentar, N. 15 zu Art. 273 ZGB). Auch wenn solchen Übungen bei der Bemessung des Besuchsrechts eine gewisse Bedeutung zukommt, kann im Einzelfall nicht allein darauf abgestellt werden (BGE 123 III 445 E. 3a S. 451). Vielmehr gilt als oberste Richtschnur für die Ausgestaltung des Besuchsrechts immer das Kindeswohl, das anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen ist; allfällige Interessen der Eltern haben zurückzustehen (BGE 127 III 295 E. 4a S. 298; BGE 123 III 445 E. 3b S. 451).
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Diese Praxis mag auf den ersten Blick als wenig sachgerecht erscheinen, soweit das Einvernehmen zwischen dem besuchsberechtigten Elternteil und dem Kind gut ist. Es entspricht jedoch der allgemeinen Erfahrung, dass für ein Kind durch individuelles Fehlverhalten eines oder beider Eltern, meist aber viel deutlicher durch das Spannungsfeld, das die Eltern gemeinsam erzeugen, Belastungen entstehen (FELDER, Kinder und ihre Familien in schwierigen psychosozialen Verhältnissen, in: Die Rechte des Kindes/Das UNO-Übereinkommen und seine Auswirkungen auf die Schweiz, Basel 2001, S. 210). Zudem können beim Kind durch ein häufiges Hin und Her zwischen den Elternteilen Loyalitätskonflikte hervorgerufen werden (BGE 123 III 445 E. 3b S. 451). Insofern erfolgt die Einschränkung des persönlichen Verkehrs im Kindeswohl, das für die Bemessung des Besuchsrechts in erster Linie ausschlaggebend ist und hinter das - beidseitig - die Interessen der Eltern zurückzustehen haben (BGE 127 III 295 E. 4a S. 298; BGE 123 III 445 E. 3b S. 451).
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Ist das Verhältnis zwischen dem besuchsberechtigten Elternteil und dem Kind gut, dürfen jedoch Konfliktsituationen, wie sie in jeder Scheidung auftreten können, nicht zu einer einschneidenden Beschränkung des Besuchsrechts auf unbestimmte Zeit führen: Es wäre unhaltbar, wenn der obhutsberechtigte Elternteil es in der Hand hätte, gewissermassen durch Zwistigkeiten mit dem anderen Teil den Umfang des Besuchsrechts zu steuern. In diesem Sinn ist auch zu bedenken, dass für einen allfälligen Loyalitätskonflikt des Kindes in erster Linie die Eltern verantwortlich sind, was ihnen allerdings oftmals nicht bewusst ist (BRÄM, Das Besuchsrecht geschiedener Eltern, in: AJP 1994 S. 902). Den obhutsberechtigten Elternteil trifft die Pflicht, die Beziehung zwischen dem Kind und dem anderen Teil zu fördern und das Kind für die Kontaktpflege positiv vorzubereiten. Schliesslich darf nicht übersehen werden, dass ein allfälliger Loyalitätskonflikt nicht nur bei Wochenendbesuchen oder anlässlich der Ausübung des Ferienrechts, sondern ebenso gut bei tägigen oder gar halbtägigen Besuchen auftreten kann. Desgleichen lässt sich auch das mit der Ausübung des Besuchsrechts zwangsläufig verbundene Hin und Her bzw. der damit notwendig einhergehende Wechsel in der betreuenden Person nicht vermeiden. In der einschlägigen Literatur wird denn auch die blockweise Ausübung des Besuchsrechts empfohlen, damit anfängliche Beunruhigungen wieder abklingen können (vgl. ARNTZEN, Elterliche Sorge und Umgang mit Kindern, 2. Aufl., München 1994, S. 49).
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Im vorliegenden Fall hat das Obergericht die massive Einschränkung des Besuchsrechts massgeblich mit den unvereinbaren Positionen zwischen den Eltern begründet. Indes lassen sich dem angefochtenen Urteil keine Feststellungen dahingehend entnehmen, dass das Wohl der beiden Kinder wegen der Spannungen zwischen den Eltern unmittelbar gefährdet wäre. Das Amtsgericht, auf dessen Erwägungen das Obergericht verweist, hat denn auch festgestellt, dass sich die Kinder jeweils auf die Besuche freuten und gerne nach C. gingen; sie würden sich dort beim Vater wohl fühlen, und dieser pflege mit ihnen auch einen guten und angemessenen Umgang.
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2.2.2 Dies allein bedeutet jedoch nicht, dass die vorinstanzliche Regelung von vornherein bundesrechtswidrig wäre. Das Obergericht hat nämlich weiter darauf hingewiesen, dass D. noch alle zwei Wochen zu Frau G. in die Therapie gehe, deren Zweck es sei, dem Knaben ein positives Vaterbild und ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln, aber auch seine Männlichkeit zu entwickeln, was durch die Mutter nicht gefördert werde. Nach den Aussagen von Frau G. sei der Zustand von D. gut und er zeige auch eine altersgemässe Entwicklung. Im Anschluss daran hat das Obergericht befunden, die Kinder müssten ihrem Vater real begegnen können, aber D. wäre gemäss den Aussagen von Frau G. im Moment mit einem unbegleiteten Besuchsrecht noch überfordert. Es bedürfe deshalb eines behutsamen Übergangs bzw. einer abgestuften Regelung.
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Der Kernerwägung des behutsamen Übergangs ist beizupflichten, und es hält deshalb im konkreten Fall auch vor Bundesrecht stand, dass das Besuchsrecht anfänglich für eine gewisse Zeit in begleiteter und erst nach einer bestimmten Gewöhnungsphase in unbegleiteter Form gewährt wird. Indes ist im Rahmen der Scheidung grundsätzlich eine auf Dauer angelegte Regelung zu treffen (BGE 123 III 445 E. 3b S. 452; BGE 120 II 229 E. 3b/bb S. 234), auch wenn diese im Bedarfsfall nachträglich abgeändert werden kann (Art. 134 ZGB). Sollen die beiden Kinder ihren Vater dereinst wirklich in einem realen Umfeld erleben können, ist die Gewährung eines Besuchsrechts, das über eine Maximaldauer von neun Stunden hinausgeht, unumgänglich. Es ist allgemein anerkannt, dass aufgrund des schicksalhaften Eltern-Kind-Verhältnisses die Beziehung des Kindes zu beiden Elternteilen sehr wichtig ist und bei dessen Identitätsfindung eine entscheidende Rolle spielen kann (BGE 127 III 295 E. 4a S. 298; BGE 123 III 445 E. 3c S. 452; BGE 122 III 404 E. 3a S. 407 m.w.H.). Gerade für die Entwicklung von D.s Männlichkeit ist die Orientierungsmöglichkeit an einer väterlichen Identifikationsfigur von grosser Bedeutung. Sodann darf, ausgehend von den kantonalen Sachverhaltsfeststellungen, dass keine Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch von D. bestehen und das Verhältnis zwischen Vater und Sohn gut ist, keine Regelung getroffen werden, die den Vater im Ergebnis doch dauerhaft stigmatisiert. Es muss verhindert werden, dass sich bei D. in dieser Weise das Gefühl verfestigt, es sei etwas vorgefallen. Schliesslich darf auch nicht einfach ausgeblendet werden, dass sich das Besuchsrecht vorliegend auf zwei Kinder bezieht und im Fall von E. nicht nur zwischen Vater und Tochter, sondern anerkanntermassen auch im Verhältnis zur Mutter keine Probleme bestehen. Vor dem Hintergrund dieser (zum Teil wechsel- und auch gegenseitigen) Bedürfnisse müssen die Kinder in absehbarer Zeit ein oder mehrere ganze Wochenenden pro Monat und überdies einen Teil der Ferien bei ihrem Vater verbringen können, wobei der Übergang hierzu in gestaffelten, beispielsweise halbjährlichen Etappen zu erfolgen hat.
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Diese Lösung sollte den Bedürfnissen von D. gerecht werden, ist er doch nach den vorinstanzlich zitierten Aussagen von Frau G. psychisch stabil und altersgemäss entwickelt. Sodann ist zu hoffen, dass die Mutter bei einer schrittweisen Ausdehnung einen Weg findet, ihren inneren Widerstand gegen das Besuchsrecht zu überwinden, und dass sie schliesslich nicht nur längere Besuche der beiden Kinder akzeptieren, sondern diese auch positiv auf den persönlichen Verkehr mit ihrem Vater vorbereiten kann.
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2.3 Insgesamt ergibt sich, dass im vorliegenden Fall die Beschränkung des Besuchsrechts auf zwei begleitete Halbtage pro Monat bis Juni 2005 und auf zwei Einzeltage für die gesamte weitere Zeit vor Bundesrecht nicht standhält. Es ist dem Bundesgericht jedoch verwehrt, im vorliegenden Fall selbst eine abschliessende Regelung zu treffen: Zum einen wird im angefochtenen Entscheid keine eigentliche Prognose für die Entwicklung der Kinder bzw. von D. gestellt; insofern mangelt es an entscheidrelevanten Sachverhaltselementen. Zum anderen lässt sich dem angefochtenen Entscheid nur sinngemäss entnehmen, von welchen kantonalen Richtwerten für normale Verhältnisse das Obergericht ausgeht. Die Sache ist deshalb im Sinn der Erwägungen zur neuen Regelung des Besuchs- und Ferienrechtes an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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