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74. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. British Broadcasting Corporation (BBC) und Swissperform gegen GGA-Maur (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_78/2007 vom 9. Juli 2007 | |
Regeste |
Urheberrecht; Weitersenderecht der Sendeunternehmen (Art. 37 lit. a URG); Wahrnehmung des Verbotsrechts durch die Verwertungsgesellschaft (Art. 22 Abs. 1 URG); Gebot der Verwertung nach festen Regeln (Art. 45 Abs. 2 URG). | |
Sachverhalt | |
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Die Genossenschaft GGA-Maur (Beschwerdegegnerin) betreibt eine Gemeinschaftsantennenanlage. Gemäss Handelsregisterauszug vom 16. Juni 2004 erstellt und betreibt sie auf gemeinnütziger Basis ein Kabelnetz (Antennenkabelnetz) mit eigener Kopfstation für das Gebiet der Gemeinde Maur und weiterer Gemeinden in der Region Greifensee - Pfannenstiel. Die Anlage dient dem Zweck, die angeschlossenen Haushaltungen mit Fernseh- und Radioprogrammen zu versorgen. Die Beschwerdegegnerin bietet ihren Abonnenten neben anderen Programmen auf einer digitalen Plattform auch die englischsprachigen Fernsehprogramme BBC 1, BBC 4 und BBC CBeebis an.
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A.a Die Beschwerdeführerin 2 und die vier anderen konzessionierten Verwertungsgesellschaften haben einen gemeinsamen Tarif (im Folgenden: GT) 1 über die Entschädigung für die Verbreitung geschützter Werke und Leistungen in Kabelnetzen erlassen.
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Nach Ziffer 2.1 des GT 1 in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung bezieht sich der Tarif
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"auf die Weitersendung von Werken und Leistungen in Kabelnetzen, soweit diese in Radio- und Fernsehprogrammen enthalten sind,
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- die für die Allgemeinheit in der Schweiz bzw. im Fürstentum Liechtenstein bestimmt sind und
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- die in der Schweiz bzw. im Fürstentum Liechtenstein mit marktüblichen Geräten individuell empfangbar sind und
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- die zeitgleich und unverändert weiterverbreitet werden (Art. 10 Abs. 2 lit. e i.V.m. Art. 22 Abs. 2 CH-URG [...])".
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2.1 Definition der im Tarif geregelten Weitersendung
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1 Dieser Tarif bezieht sich auf die Weitersendung von Werken und Leistungen in Kabelnetzen in der Schweiz und/oder im Fürstentum Liechtenstein, unabhängig von der angewendeten Übertragungstechnologie, soweit diese Werke und Leistungen in Radio- und Fernsehprogrammen enthalten sind:
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- die für die Allgemeinheit in der Schweiz bzw. im Fürstentum Liechtenstein bestimmt sind und
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- deren terrestrisch oder über Satellit verbreitetes Signal in der Schweiz bzw. im Fürstentum Liechtenstein mit marktüblichen Geräten (z.B. Satellitenschüssel von max. 1 m Durchmesser, Decoder in der Schweiz für Private legal erwerbbar) individuell empfangbar sind und
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- die zeitgleich und unverändert weiterverbreitet werden
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(im Sinne von Art. 10 Abs. 2 lit. e, Art. 33 Abs. 2 lit. b, Art. 35, Art. 37 lit. a und Art. 38 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 CH-URG [...]).
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2 Verschlüsselte Programme fallen unter diesen Tarif, wenn der freie Empfang durch Privathaushalte in der Schweiz und/oder im Fürstentum Liechtenstein vom Programmveranstalter trotz Verschlüsselung gewährleistet wird.
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3 Der Grundsatz der unveränderten Weiterverbreitung bedeutet, dass das Programm nicht verändert werden darf. Dieser Grundsatz bezieht sich auch auf die im Programm enthaltene Werbung.
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4 Zeitgleich bedeutet, dass sich allfällige Zeitverschiebungen auf das von der verwendeten Übertragungstechnologie bedingte Mass beschränken.
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Die Entschädigungen für die Verbreitung der Werke und Leistungen in den Kabelnetzen werden von der Suissimage eingezogen.
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A.b Mit E-Mail vom 30. Januar 2004 ersuchte die Swisscable Verband für Kommunikationsnetze (im Folgenden: Swisscable) die Suissimage um eine Bestätigung der Freistellung gemäss Ziffer 2.2 der damals gültigen Fassung des GT 1 mit der Begründung, BBC 1 und BBC 4 seien in der Schweiz frei empfangbar und die Voraussetzungen für die Abgeltung gemäss GT 1 daher gegeben. Mit E-Mail vom 4. Februar 2004 stellte sich die Suissimage auf den Standpunkt, das Einspeisen von BBC 1 und BBC 4 in Schweizer Kabelnetze stelle eine Erstverbreitung dar, da die Programme nicht für den Kontinent bestimmt seien. Hinsichtlich einer derartigen Erstverbreitung seien die Musikrechte über den GT 1 abgegolten, nicht aber die Rechte am Bildteil, die von Kabelbetreibern bei den einzelnen Rechteinhabern zu erwerben seien. Mit E-Mail vom 9. Februar 2004 ![]() | 20 |
B. Mit Klageschrift vom 18. Juni 2004 beantragten die Beschwerdeführerinnen dem Obergericht des Kantons Zürich, es sei der Beschwerdegegnerin unter Strafandrohung zu verbieten, die Fernsehprogramme BBC 1, BBC 4 und BBC CBeebis ohne Zustimmung einer der Beschwerdeführerinnen in ihrem Kabelnetz weiterzuverbreiten.
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Das Obergericht wies die Klagen mit Urteil vom 23. Februar 2007 ab. Es kam zum Schluss, die Beschwerdeführerin 1 könne ein ihr allfällig zustehendes Verbotsrecht nicht selbst, sondern nur über eine Verwertungsgesellschaft ausüben, weshalb ihre Klage abzuweisen sei. Die Verwertungsgesellschaft ihrerseits müsse die Verwertung gemäss Art. 45 Abs. 2 URG nach festen Regeln vornehmen. Verbote müssten deshalb sachlich gerechtfertigt sein und nach festen Regeln voraussehbar ausgesprochen werden. Dies werde missachtet, wenn sich die Verwertungsgesellschaft in einem konkreten Einzelfall auf den Willen und die individuelle Interessenlage eines einzelnen Sendeunternehmens berufe. Es lägen keine schützenswerten Gründe vor, welche die Verweigerung der Nutzungserlaubnis rechtfertigen würden. Darüber hinaus widersetze sich die Beschwerdeführerin 1 der Verbreitung ihrer Programme in der Schweiz durch Direktempfang nicht, obwohl sie dies mittels technischer Massnahmen mit zumutbarem Aufwand verhindern könnte. Die Anwendbarkeit des GT 1 setze nicht voraus, dass die Programme zur Kabelweiterverbreitung in der Schweiz bestimmt sein müssten. Die Programme ständen also mit dem stillschweigenden Einverständnis der Beschwerdeführerin 1 jedem Privaten in der Schweiz zur ![]() | 22 |
C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 30. März 2007 beantragen die Beschwerdeführerinnen dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 23. Februar 2007 sei aufzuheben und es sei der Beschwerdegegnerin unter Strafandrohung zu verbieten, die Fernsehprogramme BBC 1 und 4 sowie CBeebis ohne Zustimmung einer der Beschwerdeführerinnen in ihrem Kabelnetz weiterzuverbreiten. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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4.2 Art. 22 Abs. 1 URG bestimmt, dass die Rechte, gesendete Werke zeitgleich und unverändert wahrnehmbar zu machen oder im Rahmen der Weiterleitung eines Sendeprogramms weiterzusenden, nur über zugelassene Verwertungsgesellschaften geltend gemacht ![]() | 26 |
4.3 Nach dem Gesagten ersetzt Art. 22 Abs. 1 URG die individuelle Ausübung der urheberrechtlichen Verbotsansprüche durch deren ![]() | 27 |
4.4 Auf Grund der Verweisung in Art. 38 URG auf Art. 22 URG gilt auch für die verwandten Schutzrechte, dass das Verbotsrecht nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden kann. Eine Ausnahme für Sendeunternehmen sieht das Gesetz nach seinem Wortlaut nicht vor. Auch der Zweck der Norm, das Funktionieren des Kabelfernsehens sicherzustellen, erfordert es nicht, die Sendeunternehmen anders zu behandeln als die Urheber und die ausübenden Künstler. Ebenso wenig ergeben sich aus den Materialien Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber eine solche Ausnahme einführen wollte. Ob diese Regelung einen unverhältnismässigen Eingriff in die Eigentumsgarantie darstellt, weil es - wie die Beschwerdeführerinnen geltend machen - bei den Sendeunternehmen, anders als bei den Inhabern von Splitterrechten, auf Grund der geringen Anzahl dieser Unternehmen nicht erforderlich sei, das Verbotsrecht ![]() | 28 |
4.5 Der Verzicht auf eine Ausnahme für Sendeunternehmen steht nicht im Widerspruch zu den für die Schweiz verbindlichen Vorgaben des internationalen Rechts. Nach Art. 11bis Abs. 1 Ziff. 2 der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst, revidiert in Paris am 24. Juli 1971 (SR 0.231.15; im Folgenden: RBÜ) geniessen die Urheber von Werken der Literatur und Kunst das ausschliessliche Recht, jede öffentliche Wiedergabe des durch Rundfunk gesendeten Werkes mit oder ohne Draht zu erlauben, wenn diese Wiedergabe von einem anderen als dem ursprünglichen Sendeunternehmen vorgenommen wird. Abs. 2 der Norm behält es jedoch der Gesetzgebung der Verbandsländer vor, die Voraussetzungen für die Ausübung dieses Rechts festzulegen, sofern sie dadurch nicht das Urheberpersönlichkeitsrecht oder den Anspruch des Urhebers auf eine angemessene Vergütung beeinträchtigt. Art. 13 lit. a des internationalen Abkommens vom 26. Oktober 1961 über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen (SR 0.231.171; im Folgenden: Rom-Abkommen) hält fest, dass die Sendeunternehmen das Recht geniessen, die Weitersendung ihrer Sendungen zu erlauben oder zu verbieten. Den vertragsschliessenden Staaten bleibt es gemäss Art. 15 Abs. 2 des Rom-Abkommens jedoch unbenommen, für den Schutz der Sendeunternehmen in ihrer nationalen Gesetzgebung Beschränkungen gleicher Art vorzusehen, wie sie in dieser Gesetzgebung für den Schutz des Urheberrechts an Werken der Literatur und der Kunst vorgesehen sind; Zwangslizenzen können immerhin nur insoweit vorgesehen werden, als sie mit den Bestimmungen des Rom-Abkommens vereinbar sind. Nach Art. 14 Abs. 3 des Abkommens vom 15. April 1994 über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (SR 0.632.20, Anhang 1C; im Folgenden: TRIPS-Abkommen) haben die Sendeunternehmen das Recht, die Weitersendung ihrer Sendungen zu untersagen. Die Mitglieder, die den Sendeunternehmen dieses Recht nicht gewähren, bieten den Inhabern des Urheberrechts die Möglichkeit, die Weitersendung unter Vorbehalt der Bestimmungen der RBÜ zu untersagen (vgl. auch den Verweis in Art. 9 Abs. 1 TRIPS-Abkommen auf Art. 11bis RBÜ). Art. 14 Abs. 6 TRIPS-Abkommen bestimmt, dass die Mitglieder in Bezug auf das in Abs. 3 der Norm gewährte Weitersenderecht der ![]() | 29 |
4.6 Der Hinweis der Beschwerdeführerinnen auf die Richtlinie 98/ 83/EWG vom 27. September 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 6. Oktober 1993, Nr. L 248, S. 15-21) ist in diesem Zusammenhang unbehelflich. Die Richtlinie hält in Art. 9 Abs. 1 fest, das Recht der Urheberrechtsinhaber und der Inhaber verwandter Schutzrechte, einem Kabelunternehmen die Erlaubnis zur Kabelweiterverbreitung zu erteilen oder zu verweigern, könne nur durch Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden. Art. 10 sieht mit Bezug auf die Ausübung des Kabelweiterverbreitungsrechts durch Sendeunternehmen eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor, sofern es um die Rechte geht, die ein Sendeunternehmen hinsichtlich seiner eigenen Sendungen geltend macht; das gilt unabhängig davon, ob die betreffenden Rechte eigene Rechte des Unternehmens sind oder ihm durch andere Urheberrechtsinhaber und/oder Inhaber verwandter Schutzrechte übertragen worden sind. Diese Ausnahme ergibt sich aus dem Harmonisierungszweck der Richtlinie, da ein Bedarf nach einer Regelung der Ausübung des Kabelweiterverbreitungsrechts nur so weit besteht, als die Besonderheiten der Kabelweiterverbreitung es erfordern. Das ist nur bei einer unüberschaubaren Zahl von Rechteinhabern der Fall, die bei Sendeunternehmen eben gerade nicht vorliegt (THOMAS DREIER, in: Michel M. Walter [Hrsg.], Europäisches Urheberrecht, Kommentar, N. 2 zu Art. 10 der Satelliten- und Kabel-RL). Selbst wenn bei Schaffung des URG die Harmonisierung mit dem Europäischen Recht - und insbesondere mit der zum damaligen Zeitpunkt noch nicht in Kraft getretenen Richtlinie - ein Anliegen des Gesetzgebers gewesen sein sollte (vgl. das Votum der Berichterstatterin im Ständerat, der Vorschlag des Nationalrats, auf die Einführung einer gesetzlichen Lizenz zu verzichten, sei "überdies eurokompatibel" [AB 1992 S 381]), kann nicht über eine europaverträgliche Interpretation von Art. 22 Abs. 1 URG eine Ausnahme eingeführt werden, die das Gesetz nicht vorsieht. Die Einführung einer entsprechenden Ausnahme für Sendeunternehmen ins URG kann nur durch den ![]() | 30 |
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5.5 Die Auslegung des Tarifs muss sich an den gesetzlichen Vorgaben orientieren. Darüber hinaus hat die Interpretation der einzelnen Bestimmungen danach zu erfolgen, wie der Adressat sie auf Grund ihres Wortlauts, ihrer Ratio und ihrer Systematik verstehen darf und muss. Art. 22 Abs. 1 URG soll ausschliessen, dass einzelne Rechteinhaber nach ihrem Gutdünken die Kabelweiterverbreitung von Werken verhindern können (vgl. oben E. 4.2). Daraus folgt, dass für die Frage, ob ein Programm im Sinn von Ziffer 2.1 Abs. 1 des GT 1 für die Allgemeinheit bestimmt ist, der Wille des entsprechenden Rechteinhabers nicht massgebend sein kann. Kommt es aber nicht auf diesen Willen an, stellt sich die Frage, worin sich diese Voraussetzung von der (kumulativ zu erfüllenden) zweiten Voraussetzung der individuellen Empfangbarkeit unterscheidet. Eine systematische Auslegung der Bestimmung ergibt, dass das Kriterium "für die Allgemeinheit bestimmt" dann erfüllt wird, wenn das Programm für Privathaushalte in der Schweiz frei empfangbar ist, wohingegen die individuelle Empfangbarkeit auch bei einem verschlüsselten ![]() | 37 |
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Die Beschwerdegegnerin ist nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz bereit, mit der Beschwerdeführerin 2 einen Vertrag abzuschliessen. Die Beschwerdeführerinnen behaupten selbst nicht, die Beschwerdegegnerin weigere sich, die Bedingungen des GT 1 einzuhalten. Die Beschwerdeführerin 2 ist deshalb verpflichtet, der Beschwerdegegnerin die Erlaubnis zu erteilen, die Programme BBC 1, BBC 4 und BBC CBeebis in ihrem Kabelnetz weiterzuverbreiten. Die Vorinstanz hat kein Bundesrecht verletzt, als sie die Klage der Beschwerdeführerin 1 abwies.
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