BGE 134 III 511 | |||
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80. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. V. gegen Generali BVG-Stiftung (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_99/2008 vom 3. Juli 2008 | |
Regeste |
Art. 4 und 6 VVG (in der bis Ende 2005 gültig gewesenen Fassung); Verletzung der Anzeigepflicht und Rücktritt vom Vorsorgevertrag. |
In casu keine Anzeigepflichtverletzung eines alkoholabhängigen Antragstellers, welcher die offengehaltene Frage "Bestanden in den letzten 5 Jahren jemals Krankheiten (...)?" verneint hat; Auslegung des Begriffs "Krankheit" (E. 4 und 5). | |
Aus den Erwägungen: | |
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Erwägung 3 | |
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"Art. 3 AUFNAHMEVERFAHREN / AUSKUNFTSERTEILUNG
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1. Der Arbeitgeber meldet der Stiftung jeden Arbeitnehmer, der gemäss Vorsorgeplan dem Kreis der meldepflichtigen Arbeitnehmer angehört, zur Aufnahme in die Personalvorsorge und die Versicherung.
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2. ...
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3. Die Aufnahme in die Versicherung erfolgt aufgrund eines ausgefüllten und unterzeichneten Anmeldeformulares. Es werden die jeweiligen Aufnahmebedingungen für Gruppenversicherungen der GENERALI angewandt.
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4. Jede versicherte oder anspruchsberechtigte Person hat der Stiftung über alle ihre Versicherung betreffenden massgebenden Verhältnisse
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...
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... ... Hat die versicherte Person tatsächlich bekannte, erhebliche Gefahrentatsachen verschwiegen, kann die Stiftung innerhalb von vier Wochen, nachdem sie von der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis erhalten hat, jede das BVG-Obligatorium übersteigende Leistungspflicht ablehnen."
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Nach Art. 3 Ziff. 4 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 des Reglements der Beschwerdegegnerin hat der durch den Arbeitgeber zur Aufnahme in die Versicherung gemeldete Arbeitnehmer auf dem von ihm ausgefüllten und unterzeichneten Anmeldeformular über alle seine die "Versicherung betreffenden massgebenden Verhältnisse wahrheitsgetreu Auskunft zu geben". Mit dieser Umschreibung sind im Reglement die erheblichen Gefahrstatsachen im Sinne von Art. 4 VVG anvisiert, aber nicht konkretisiert, weshalb diesbezüglich auf die zu erwähnter Gesetzesbestimmung ergangene Rechtsprechung zurückzugreifen ist.
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Erwägung 3.3 | |
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3.3.2 Gefahrstatsachen im Sinne des Art. 4 VVG sind alle Tatsachen, die bei der Beurteilung der Gefahr in Betracht fallen und den Versicherer demzufolge über den Umfang der zu deckenden Gefahr aufklären können; dazu sind nicht nur jene Tatsachen zu rechnen, welche die Gefahr verursachen, sondern auch solche, die bloss einen Rückschluss auf das Vorliegen von Gefahrenursachen gestatten. Die Anzeigepflicht des Antragstellers weist indessen keinen umfassenden Charakter auf. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Angabe jener Gefahrstatsachen, nach denen der Versicherer ausdrücklich und in unzweideutiger Art gefragt hat; der Antragsteller ist daher ohne entsprechende Fragen nicht verpflichtet, von sich aus über bestehende Gefahren Auskunft zu geben. In zeitlicher Hinsicht erstreckt sich die Anzeige- bzw. Nachmeldepflicht auch auf (erhebliche) Gefahrstatsachen, die zwar nach Einreichung des Antrages, aber vor Abschluss des Vertrages entstehen, unabhängig davon, ob die Vertragswirkungen früher oder später einsetzen. Hat der Antragsteller beim Abschluss einer Versicherung eine für ihn erkennbare erhebliche Gefahrstatsache im soeben dargelegten Sinn, nach der er ausdrücklich und in unzweideutiger Art gefragt worden war, unrichtig beantwortet oder verschwiegen, so steht dem Versicherer nach Art. 6 VVG (in der bis Ende 2005 gültig gewesenen, hier anwendbaren Fassung; vgl. ab 1. Januar 2006: Art. 6 Abs. 1 und 2 VVG) das Recht zu, binnen vier Wochen seit Kenntnis der Verletzung der Anzeigepflicht vom Vertrag zurückzutreten (BGE 116 V 218 E. 5a S. 226 f. mit zahlreichen Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung; vgl. auch BGE 118 II 333 E. 2a S. 336; BGE 116 II 338 E. 1a S. 339, je mit Hinweisen; SZS 1998 S. 375, E. 3a, B 42/96).
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3.3.4 Gemäss Art. 4 Abs. 3 VVG gilt eine Vermutung dafür, dass die Gefahrstatsachen, auf welche die schriftlichen Fragen des Versicherers "in bestimmter, unzweideutiger Fassung gerichtet sind", erheblich sind. Damit stellt das Gesetz eine widerlegbare Rechtsvermutung für die Erheblichkeit derjenigen Tatsachen auf, über die der Versicherer mit den schriftlichen Fragen Auskunft verlangt (ALFRED MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Aufl., Bern 1995, S. 253; vgl. URS CH. NEF, in: Honsell/Vogt/Schnyder [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag [VVG], Basel 2001, N. 50 zu Art. 4 VVG). Der Sinn und die Tragweite der gestellten Fragen sind jedoch nach denselben Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln, wie sie für Verträge gelten, somit normativ nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Vertrauensprinzip) sowie unter Berücksichtigung der speziell für den Versicherungsvertrag im Gesetz (Art. 4 Abs. 3 VVG) statuierten Erfordernisse der Bestimmtheit und Unzweideutigkeit der Fragenformulierung. Danach verletzt ein Versicherter die Anzeigepflicht, wenn er eine bestimmte und unzweideutig formulierte Frage zu den bei ihm bestehenden oder vorbestandenen gesundheitlichen Störungen verneint, denen er nach der ihm zumutbaren Sorgfalt Krankheitscharakter beimessen müsste. Hingegen würde es zu weit führen, wenn der Aufnahmebewerber vereinzelt aufgetretene Unpässlichkeiten, die er in guten Treuen als belanglose, vorübergehende Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens betrachten darf und bei der gebotenen Sorgfalt nicht als Erscheinungsformen eines ernsthafteren Leidens beurteilen muss, anzuzeigen verpflichtet wäre. Das Verschweigen derartiger geringfügiger Gesundheitsstörungen vermag keine Verletzung der Anzeigepflicht zu begründen (BGE 106 V 170 E. 3b S. 174 betreffend Art. 5 Abs. 3 des bis 31. Dezember 1994 in Kraft gewesenen Bundesgesetzes vom 13. Juni 1911 über die Krankenversicherung [KUVG], das eine dem Art. 4 VVG weitgehend analoge, allerdings verschuldensabhängige Regelung der Anzeigepflichtverletzung kannte; vgl. auch BGE 116 II 338 E. 1b S. 340).
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Erwägung 4 | |
4.1 Nach Auffassung der Vorinstanz hat V. die Anzeigepflicht dadurch verletzt, dass er in der am 25. Januar 2000 zuhanden der BVG-Stiftung ausgefüllten Gesundheitserklärung die Frage Nr. 7 - "Bestanden in den letzten 5 Jahren jemals Krankheiten ...?" - verneint hat. Dabei ist das Gericht in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer seit Jahren unter Alkoholismus leide, der eine Krankheit darstelle und bei ihm zu einem Leberschaden sowie vollständiger Invalidität geführt habe. Bereits am 7. Januar 1992 habe ihn sein Hausarzt zwecks Gastroskopie und Sonographie der Leber an Dr. med. W., Spezialarzt FMH für Innere Medizin, überwiesen, der in seinem Bericht vom 10. Januar 1992 ausgeführt habe, V. leide seit einigen Monaten an mehr oder weniger konstanten Schmerzen im rechten Hypochondrium (Oberbauch) und müsse am Morgen gelbliches, manchmal dunkelbraunes Magensekret erbrechen; die Leber sei massiv vergrössert und plump, die Kanten abgerundet; es bestehe Verdacht auf Fettleberzirrhose. Im Dezember 2000 sei die Leber schliesslich so stark geschädigt gewesen, dass sie zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt habe; wenn dem aber so sei, müssten "auch im Januar 2000 spürbare Beeinträchtigungen vorhanden" gewesen sein; im Mai 2000 habe V. dementsprechend auch - gleich wie im Jahre 1992 - erneut unter rezidivierendem Erbrechen gelitten und deshalb den Spezialarzt für Chirurgie Dr. med. T. aufgesucht. Im Januar 2000 sei er "schon dermassen lange Zeit alkoholabhängig" gewesen und habe "entsprechende sekundäre Gesundheitsschädigungen" aufgewiesen, dass er diese auf dem Fragebogen als Krankheit hätte angeben müssen.
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Erwägung 5 | |
5.1 Soweit das kantonale Gericht aus den vom Gastroenterologen Dr. med. W. im Januar 1992 erhobenen pathologischen Leberbefunden sowie der im Mai 2000 wegen rezidivierendem Erbrechen erfolgten Konsultation des Chirurgen Dr. med. T. den Schluss gezogen hat, der Beschwerdeführer habe im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Gesundheitserklärung am 25. Januar 2000 sowie in den fünf Jahren davor an Alkoholismus gelitten und dadurch bedingte "sekundäre Gesundheitsschädigungen" (insbesondere Leberschädigung) aufgewiesen, ist diese Feststellung weder offensichtlich unrichtig noch rechtsfehlerhaft getroffen worden. Unter dem Blickwinkel von Art. 105 Abs. 2 BGG nicht halten lässt sich dagegen die Annahme der Vorinstanz, angesichts der im Dezember 2000 eingetretenen vollständigen Arbeitsunfähigkeit müssten bereits im Januar 2000 "spürbare Beeinträchtigungen" vorhanden gewesen sein. Diese Feststellung entbehrt einer verlässlichen Grundlage in den medizinischen Akten; sie ist vielmehr rein spekulativ und damit willkürlich, sodass eine diesbezügliche Bindungswirkung des Bundesgerichts entfällt.
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5.2.1 Die relevante Frage 7 auf dem Fragebogen der Beschwerdegegnerin - "Bestanden in den letzten 5 Jahren jemals Krankheiten ...?"- ist sehr umfassend und weit formuliert. Was unter "Krankheiten" zu verstehen ist (vorübergehende Erkrankungen üblicher Art, Krankheiten mit oder ohne Arbeitsunfähigkeit, ...?), geht daraus nicht hervor. Die Beschwerdegegnerin hätte den Krankheitsbegriff ohne weiteres durch konkrete, für den Laien verständliche Krankheitsbilder spezifizieren (betreffend Lumbago vgl. BGE 101 II 339 E. 2b S. 343 f.) oder überhaupt nur nach solchen fragen können. Zudem stellte sie dem Aufnahmebewerber auf dem Fragebogen nur für den Fall der Bejahung einer Krankheit zwei Leerzeilen für deren Beschreibung zur Verfügung. Für den Fall der Negation der Gesundheitsfrage 7 liess sie dem zu Versichernden keinen Raum, um allfälligen Zweifeln über das Vorliegen einer ernsthaften Erkrankung oder einer passageren, belanglosen Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens Ausdruck zu geben. Bei solch offengehaltenen Fragen ist eine Anzeigepflichtverletzung nach der Rechtsprechung zu Art. 6 VVG (in der bis Ende 2005 gültig gewesenen, hier anwendbaren Fassung) nur restriktiv anzunehmen (vgl. SZS 1998 S. 376 f., B 42/96; BGE 116 II 338 E. 1d S. 341: ["... avec la plus grande retenue"]; 101 II 339 E. 2b S. 344; ferner Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts B 106/04 vom 6. Mai 2006, E. 5.2, und B 38/99 vom 18. September 2000, E. 3b).
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5.2.3 Musste sich der Beschwerdeführer in den fünf Jahren vor dem Ausfüllen/Unterzeichnen des Fragebogens nur einmal wegen einer Gesundheitsstörung, in welcher er unter Umständen eine Folge seiner Alkoholsucht hätte erblicken müssen, in ärztliche Behandlung begeben und war bei ihm bis Januar 2000 kein nennenswerter Leistungsabfall als Gipser zu verzeichnen, kann ihm nach dem unter E. 5.2.2 hievor Gesagten keine Anzeigepflichtverletzung zur Last gelegt werden, wenn er die nicht eindeutige Frage nach dem Bestand von "Krankheiten" in den letzten fünf Jahren verneinte (vgl. auch Urteil B 106/04 vom 16. Mai 2006, E. 5.1).
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