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30. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Merck & Co. Inc. gegen Mepha Pharma AG und Mepha AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_435/2010 vom 4. März 2011 | |
Regeste |
Art. 52 Abs. 4 und Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 bzw. Art. 53 lit. c und Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000; Art. 2 Abs. 2 lit. a PatG; Ausschluss von der Patentierbarkeit; Patentschutz für zweite medizinische Anwendung; Dosierungsanleitung. | |
Sachverhalt | |
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Alendronsäure ist zugleich der wirksame Bestandteil eines Arzneimittels der Beschwerdeführerin. Dieses Arzneimittel wurde schon früher zur Behandlung von Osteoporose verwendet. Die Beschwerdeführerin hatte zunächst eine Form des Medikaments vermarktet, bei welcher der Patient täglich 10 mg Alendronsäure zu sich nehmen musste.
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In der Zwischenzeit hat die Beschwerdeführerin eine neue Form ihres Arzneimittels auf den Markt gebracht, bei welcher der Patient wöchentlich 70 mg Alendronsäure einzunehmen hat. Anspruch 1 des entsprechenden Streitpatents lautet wie folgt:
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"Verwendung von Alendronat bei der Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von Osteoporose bei einem Menschen, der eine solche Behandlung benötigt, wobei das Medikament an den Menschen als eine Einheitsdosis, die etwa 70 mg der Alendronatverbindung auf Gewichtsbasis an aktiver Alendronsäure enthält, gemäss einem Dauertherapieplan mit einem Dosierungsintervall von einmal pro Woche oral verabreicht wird."
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B. Am 29. März 2007 klagten die Mepha Pharma AG sowie die Mepha AG, beide mit Sitz in Aesch BL, (Beschwerdegegnerinnen) beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen die Beschwerdeführerin mit dem Rechtsbegehren, es sei der schweizerische Teil des europäischen Patents Nr. 1 175 904 für nichtig zu erklären.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 14. April 2009 aufzuheben und die Klage vom 29. März 2007 abzuweisen. Eventualiter sei die Streitsache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht hebt den Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 14. April 2009 in Gutheissung der Beschwerde auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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"(4) Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen Körper vorgenommen werden, gelten nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen im Sinne des Absatzes 1. Dies gilt nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend genannten Verfahren."
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2.1.1 In der Begründung ging die Vorinstanz davon aus, dass Anspruch 1 des Streitpatents die Verwendung einer bekannten Substanz (Alendronsäure) bei der Herstellung eines Medikaments für eine bekannte medizinische Indikation (Behandlung von Osteoporose) betrifft und sich von der bisherigen Anwendung lediglich durch das ![]() | 13 |
2.1.2 Die Vorinstanz erwog, dass bei der Beurteilung dieser Frage die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA) sowie einschlägige nationale Entscheide zu berücksichtigen seien. Sie nahm zunächst auf die drei parallelen Entscheide G 1/83, G 5/83 sowie G 6/83 der Grossen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 5. Dezember 1984 (Amtsblatt, Europäisches Patentamt [nachfolgend: Amtsblatt EPA] 3/1985 S. 59 ff.) Bezug, die sich mit der Zulässigkeit von Patentansprüchen für die sogenannte zweite medizinische Indikation befassen. Die Vorinstanz hielt fest, dass damit einerseits die zweite medizinische Verwendung abgesegnet, andererseits aber auch die Patentierung eines Stoffes zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers verboten worden sei. Die genaue Tragweite dieser Entscheidungen sei indes unklar geblieben. Die Auseinandersetzung der Parteien mit der Rechtsprechung des Europäischen Patentamts (so unter anderem mit den ins Feld geführten Entscheiden T 317/95, T 56/97, T 584/97, T 4/98, T 485/99 und T 1020/03 der Technischen Beschwerdekammer) sei insoweit überholt, als inzwischen die Grosse Beschwerdekammer mit Entscheid der Technischen Beschwerdekammer vom 22. April 2008 in der Sache T 1319/04 erneut angegangen worden sei. Der entsprechende Entscheid G 2/08 (der am 19. Februar 2010 ergangen ist, vgl. dazu unten E. 2.2.2) stehe noch aus, weshalb keine Rechtsprechung des EPA vorliege, welche die Frage der ![]() | 14 |
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Die Technische Beschwerdekammer habe in ihrem Entscheid T 1020/03 vom 29. Oktober 2004 (Amtsblatt EPA 4/2007 S. 204 ff.) zwar darauf hingewiesen, die nationalen Gesetze würden für Ärzte entsprechende Ausnahmen von der Wirkung des Patents vorsehen, womit ein Arzt, der das Medikament für die zweite medizinische Indikation verordne, auf Grundlage der nationalen Verletzungsvorschriften trotz patentgemässem Verhalten kein Patentverletzer sei. Im schweizerischen Recht gebe es - abgesehen von Art. 2 Abs. 2 lit. a PatG und Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 - eine solche den Arzt von Patentverletzungsklagen befreiende Vorschrift jedoch nicht. Deshalb werde der Arzt in der Schweiz bei seiner Tätigkeit nur dann vor Patentverletzungsklagen geschützt, wenn die Bestimmung des geeigneten individuellen Therapieplans für einen Patienten - einschliesslich der Verschreibung und Dosierung von Medikamenten - als dem Patentschutz entzogenes Verfahren behandelt werde. Damit erweise sich Anspruch 1 des Streitpatents als von der Patentierung ausgeschlossen, was zur Nichtigerklärung des schweizerischen Teils des europäischen Patents Nr. 1 175 904 führe, ohne dass weitere Fragen (namentlich Neuheit sowie Naheliegen) geprüft werden müssten.
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Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, mit der - von der Vorinstanz nicht abgewarteten - Entscheidung G 2/08 ![]() | 19 |
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Das Streitpatent wurde am 28. März 2007 erteilt. Damit beurteilt sich die aufgeworfene Frage der Patentierbarkeit im zu beurteilenden Fall nach den revidierten Art. 53 lit. c sowie Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000, wohingegen Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 nicht auf das am 13. Dezember 2007 bereits erteilte Streitpatent anwendbar ist.
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Nach Art. 53 lit. c EPÜ 2000 werden europäische Patente nicht erteilt für "Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen Körper vorgenommen werden" (Satz 1). Dies gilt nach derselben Bestimmung jedoch nicht "für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem dieser Verfahren" (Satz 2).
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Derselbe Vorbehalt ist unter dem Titel "Neuheit" unter anderem in Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 vorgesehen zugunsten von Stoffen und Stoffgemischen, die bereits bekannt sind und damit zum Stand der Technik gehören, "sofern sie zur Anwendung in einem in Art. 53 c) ![]() | 23 |
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Damit bleiben einerseits die unter dem EPÜ 1973 ergangenen Entscheide der Beschwerdekammern des EPA von Bedeutung. Andererseits trifft entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerinnen nicht zu, dass die Entscheidung G 2/08 der Grossen Beschwerdekammer für das vorliegende Verfahren keine Relevanz habe, zumal sich diese sowohl mit Art. 53 lit. c sowie Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 als auch mit der Rechtsprechung zu Art. 52 Abs. 4 und Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 auseinandersetzt.
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2.2.5 Art. 53 lit. c EPÜ 2000 unterscheidet - wie vormals Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 - zwischen nicht gewährbaren ![]() | 26 |
2.2.6 Nach Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 (wie schon Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973) werden Stoffe oder Stoffgemische von der Patentierung nicht ausgeschlossen, obwohl sie zum Stand der Technik gehören, sofern sie zur Anwendung in einem in Art. 53 lit. c EPÜ 2000 genannten Verfahren bestimmt sind und ihre Anwendung in einem dieser Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört. Für ein Erzeugnis zur Anwendung in einem Verfahren zur therapeutischen Behandlung kann demnach nicht nur dann Patentschutz gewährt werden, wenn es an sich neu ist und damit Gegenstand eines Erzeugnisanspruchs sein kann. Vielmehr ist es als Stoff oder Stoffgemisch nach Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 auch dann patentierbar, wenn es an sich zwar bereits bekannt ist, aber noch nicht in einem Verfahren zur therapeutischen Behandlung angewendet wurde. Diese erste medizinische Indikation ist in der Regel Gegenstand breiter allgemeiner Ansprüche ![]() | 27 |
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Den Beschwerdegegnerinnen kann nicht gefolgt werden, wenn sie die Zulässigkeit der sogenannten schweizerischen Anspruchsform in Frage stellen wollen, wurde diese in der Schweiz doch mit Art. 7d PatG sogar ausdrücklich gesetzlich verankert (vgl. auch PETER HEINRICH, Kommentar zu PatG/EPÜ, 2. Aufl. 2010, N. 1 zu Art. 7d PatG, wonach diese Bestimmung nicht unbedingt nötig gewesen wäre, jedoch der Klarheit diene). Zudem ist der Entscheid der Grossen Beschwerdekammer, in der "schweizerischen Anspruchsform" abgefasste Ansprüche inskünftig nicht mehr zuzulassen, in der mit Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 neu geschaffenen Anspruchskategorie des zweckgebundenen Stoffschutzes begründet und betrifft bereits erteilte Patente nicht (Entscheidung 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 491 ff. Ziff. 7).
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Mit der Grossen Beschwerdekammer ist zudem davon auszugehen, dass die beschriebene Regelung nicht auf eine neue Indikation im Sinne einer neuen Krankheit beschränkt ist, sondern selbst dann gilt, wenn die Verwendung eines bekannten Arzneimittels auf die Behandlung einer Krankheit gerichtet ist, die mit diesem Stoffgemisch bereits behandelt wurde, sofern diese Behandlung neu und erfinderisch ist. Dies entsprach bereits unter dem EPÜ 1973 einer ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, etwa in Fällen, die eine neue Gruppe von behandelten Subjekten (T 19/86 vom 15. Oktober 1987, Amtsblatt EPA 1-2/1989 S. 28 Ziff. 8; T 893/90 vom 22. Juli 1993 Ziff. 4.1/4.2; T 233/96 vom 4. Mai 2000 Ziff. 8.7), einen neuen Verabreichungsweg bzw. eine neue Verabreichungsart (T 51/93 vom 8. Juni 1994 Ziff. 3.1.2; T 138/95 vom 12. Oktober 1999 Ziff. 4 f.; vgl. auch T 120/03 vom 29. Oktober 2004, ![]() | 32 |
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Im Hinblick auf die Patentierbarkeit ist allerdings erforderlich, dass dieses Dosierungsregime neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Art. 52 Abs. 1 EPÜ 2000). Es reicht daher nicht aus, dass die Definition der Dosierungsanleitung im Anspruch bloss anders formuliert ist, sie muss vielmehr eine vom Stand der Technik abweichende technische Lehre beinhalten. Dabei ist zu betonten, dass ein Dosierungsregime in den allermeisten Fällen naheliegend ![]() | 34 |
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Das abweichende Urteil 07/16296 des Tribunal de Grande Instance de Paris vom 28. September 2010 erwähnt demgegenüber zwar den Entscheid G 2/08 der Grossen Beschwerdekammer, setzt sich damit jedoch nicht auseinander, in der Meinung, den Entscheidungen der Beschwerdekammern des EPA komme keine Bindungswirkung zu. Der Entscheid dieses erstinstanzlichen Gerichtes ist daher für das vorliegende Verfahren ebenso wie der von der Vorinstanz erwähnte ![]() | 36 |
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2.2.12 Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass sich unter dem revidierten EPÜ 2000 Unterschiede hinsichtlich des Schutzumfangs ergeben werden. Nach dem neuen Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 können nunmehr zweckgebundene Stoffansprüche gewährt werden, die auf den Stoff selbst gerichtet sind, während unter der Herrschaft des EPÜ 1973 nur Ansprüche in der "schweizerischen Anspruchsform" zugelassen wurden, also solche, die auf die Verwendung eines ![]() | 38 |
Entsprechende Bedenken, die Ärzteschaft werde der Gefahr von Patentverletzungsklagen ausgesetzt, zumal eine besondere Vorschrift fehle, die den Arzt gegen Patentverletzungsklagen schützen würde, waren letztlich ausschlaggebend für den angefochtenen Entscheid der Vorinstanz, Anspruch 1 des Streitpatents von der Patentierung auszuschliessen. Dabei ist zu bedenken, dass der hier zur Diskussion stehende Anspruch in der sogenannten schweizerischen Anspruchsform abgefasst und damit auf die Verwendung von Alendronat zur Herstellung eines Arzneimittels gerichtet ist, womit sich die Frage einer möglichen Patentverletzung nicht in gleicher Weise stellt wie beim von der Grossen Beschwerdekammer erwarteten breiteren Schutzumfang der nach Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 nunmehr zulässigen zweckbezogenen Stoffansprüche. Insbesondere gilt es jedoch zu beachten, dass die Unterzeichnerstaaten mit Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 bzw. Art. 53 lit. c EPÜ 2000 einheitliche Regeln zur Frage der Patentierbarkeit geschaffen haben, während sich die Frage, ob eine Verletzung des europäischen Patents vorliegt, nach nationalem Patentrecht richtet (vgl. Art. 64 Abs. 3 EPÜ 1973/EPÜ 2000). Es kann daher nicht angehen, die einheitlichen Bestimmungen zur Patentierbarkeit sowie deren Ausnahmen aus dem Blickwinkel des nationalen Rechts und vor dem Hintergrund des Fehlens nationaler Bestimmungen auszulegen, die bestimmte - als besonders schützenswert zu erachtende - Handlungen von der Wirkung des Patents ausnehmen würden. Sollte in diesem Zusammenhang zum Schutz der ärztlichen Freiheit tatsächlich Handlungsbedarf bestehen, so wäre auf dem Gesetzgebungsweg eine entsprechende Ausnahme von der Wirkung des Patents (vgl. Art. 9 PatG) vorzusehen. Es erscheint daher angebracht, den schweizerischen Gesetzgeber auf die entsprechende Problematik hinzuweisen. Das Fehlen einer nationalen Sonderbestimmung, nach der die Behandlungstätigkeit des Arztes generell nicht als Patentverletzung erachtet würde, kann aber nicht als Argument für eine abweichende Auslegung des Europäischen ![]() | 39 |
3. Die Vorinstanz hat ein neues Dosierungsregime zu Unrecht als generell patentierungsunfähig angesehen. Sie hat Anspruch 1 des Streitpatents zu Unrecht unter die Ausnahme von der Patentierbarkeit gemäss Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 bzw. Art. 53 lit. c EPÜ 2000 subsumiert. Der angefochtene Entscheid vom 14. April 2009 ist demnach aufzuheben und die Streitsache ist zur Beurteilung der weiteren Voraussetzungen der Patentierbarkeit, insbesondere der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit (vgl. Art. 52 Abs. 1 EPÜ 2000), an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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