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87. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_99/2016 vom 18. Oktober 2016 | |
Regeste |
Art. 86 und 90 ZPO; Teilklage, objektive Klagenhäufung, Bestimmtheit des Rechtsbegehrens. |
Genügende Bestimmtheit des Rechtsbegehrens, wenn mehrere Ansprüche in einer Teilklage gehäuft werden, ohne dass dabei angegeben wird, in welcher Reihenfolge und/oder in welchem Umfang sie geltend gemacht werden (E. 5)? | |
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Die Beschwerdeführerin hält auch vor Bundesgericht vorab daran fest, die Klage hätte mangels hinreichender Substanziierung abgewiesen werden müssen. Die unzureichende Substanziierung leitet sie einzig daraus ab, dass sich der Beschwerdegegner zur Begründung seiner Teilklageforderung auf mehrere, voneinander unabhängige Ansprüche stütze, ohne dabei zu präzisieren, in welcher Reihenfolge und/oder Höhe die eingeklagte Teilforderung darauf basiere. Dass die einzelnen Tatsachenbehauptungen des Beschwerdegegners als solche ungenügend wären, macht sie nicht geltend.
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4. Wieweit ein Sachverhalt zu substanziieren ist, damit er unter die Bestimmungen des materiellen Rechts subsumiert werden kann, ergab sich vor Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung aus dem materiellen Bundesrecht (BGE 133 III 153 E. 3.3 S. 162 mit Hinweisen). Nach diesem ist der Gläubiger berechtigt, eine Teilzahlung zu fordern. Dass er dabei angibt, worauf die Teilzahlung angerechnet wird, verlangt das materielle Bundesrecht nicht. Vielmehr bestimmt das Gesetz in Art. 86 ff. OR, an welche von mehreren ![]() | 3 |
Aus dieser ergibt sich allerdings "bloss", dass die Kantone aufgrund des materiellen Bundesrechts eine Teilklagemöglichkeit zur Verfügung zu stellen hatten (was nunmehr - seit Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung - ohne Belang ist) und dass das materielle Bundesrecht sowie die daraus fliessenden Anforderungen an die Substanziierung nicht nach einer weitergehenden Präzisierung der Zusammensetzung des eingeklagten Betrags im Prozess verlangen. Beim Erfordernis einer solchen Präzisierung handelt es sich demnach - entgegen der Beschwerdeführerin und einer auch in der Lehre vertretenen Ansicht (ISAAK MEIER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 220 f.; DANIEL FÜLLEMANN, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner und andere [Hrsg.], Bd. I, 2. Aufl. 2016, N. 7 zu Art. 86 ZPO; ALEXANDER MARKUS, in: Berner Kommentar Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. I, 2012, N. 12 zu Art. 86 ZPO; RENÉ HIRSIGER, Arbeitsrechtlicher Prozess - ausgewählte prozessuale und materiell-rechtliche Fallstricke, Mitteilungen des Instituts für Schweizerisches Arbeitsrecht [ArbR] 2014/2015 S. 59 ff.) - nicht um ein Problem der (ungenügenden) Substanziierung; im Einklang damit sind denn auch die diversen Tatsachenbehauptungen des Beschwerdegegners unter die materiellen Normen subsumierbar und ein substanziiertes Bestreiten war ohne Weiteres möglich. Vielmehr geht es hierbei um die prozessrechtliche Frage der genügenden Individualisierung des Rechtsbegehrens (so auch STEPHEN BERTI, Zur Teilklage nach Art. 86 ZPO der Schweizerischen Zivilprozessordnung, in: Haftpflichtprozess 2010, Fellmann/Weber [Hrsg.], 2010, S. 43 Fn. 21; LORENZ DROESE, Note zum Urteil 4A_519/2012 [nachfolgend: Note], SZZP 2013 S. 386).
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Vor Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung waren aber die prozessrechtlichen Vorgaben in den kantonalen Prozessgesetzen verankert (betreffend Teilklage siehe Urteile 2C_110/2008 vom 3. April 2009 E. 6; 4A_255/2010 vom 29. Juni 2010 E. 5.2; ![]() | 5 |
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5.2 Die Teilklage wird in Art. 86 ZPO geregelt. Liegt ein teilbarer Anspruch vor, so ist es zulässig, auch nur einen Teil davon einzuklagen. Als einzige spezifische Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Teilklage statuiert das Gesetz somit die Teilbarkeit des ![]() | 8 |
Erwägung 5.3 | |
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Der Beschwerdegegner macht gestützt auf seinen Arbeitsvertrag mit der Beschwerdeführerin drei Forderungen aus resp. für drei verschiedene Jahre geltend. Die Ansprüche fussen damit zwar alle auf demselben Arbeitsvertrag, betreffen aber jeweils unterschiedliche Perioden und damit verschiedene Lebenssachverhalte. Folglich handelt es sich bei ihnen um drei separate, eigenständige Ansprüche ![]() | 10 |
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Die alternative Häufung - die klagende Partei macht mehrere Ansprüche geltend, überlässt es jedoch dem Gericht oder der beklagten Partei, zu entscheiden, über welchen bzw. welche davon befunden wird - wird hingegen (vorbehältlich einer Wahlobligation mit noch nicht ausgeübtem Wahlrecht des Schuldners) als gegen das Bestimmtheitsgebot von Rechtsbegehren verstossend und daher unzulässig erachtet (BESSENICH/BOPP, a.a.O., N. 5 zu Art. 90 ZPO; MARKUS, a.a.O., N. 5 zu Art. 90 ZPO; VON ARX, a.a.O., S. 85 ff., der eine hier nicht weiter interessierende Ausnahme von der Unzulässigkeit befürwortet; SPÜHLER/WEBER, a.a.O., N. 1 zu Art. 90 ZPO; SUTER, a.a.O., S. 290; KUMMER, a.a.O., S. 154; MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 214; JEAN-MARC RAPP, Le cumul objectif d'actions, 1982, S. 40 ff.; TAPPY, a.a.O., S. 170; vgl. auch Urteil 5A_603/2008 vom 14. November 2008 E. 2). Ebenfalls um eine alternative Klagenhäufung handelt es sich, wenn die klagende Partei ihrem nicht individualisierenden Rechtsbegehren mehrere verschiedene Lebenssachverhalte zu Grunde legt und dabei offenlässt, welcher davon beurteilt werden soll (SUTER, a.a.O., S. 290; VON ARX, a.a.O., S. 86).
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Vielmehr handelt es sich um eine objektive Klagenhäufung, bei der nur ein Teil der Ansprüche - eben als Teilklage - eingeklagt wurde. Mangels Präzisierung seitens des Beschwerdegegners bleibt allerdings ungewiss, wie sich die gemäss Rechtsbegehren verlangten Fr. 30'000.- aus den drei separaten Ansprüchen zusammensetzen sollen - die Anzahl Möglichkeiten ist Legion. Damit wird ins Gutdünken des Gerichts gestellt, welcher Anspruch in welcher Höhe es als eingeklagt (und daher als zu beurteilen) erachten will. Bei Lichte betrachtet verbirgt sich hinter dem klägerischen Rechtsbegehren somit eine alternative objektive Klagenhäufung. Bei einer solchen genügt das Rechtsbegehren regelmässig - und so auch hier - den prozessualen Anforderungen an die Bestimmtheit von Rechtsbegehren nicht, weshalb sie unter der Geltung der ZPO grundsätzlich unzulässig ist.
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Dass das materielle Bundesrecht resp. das Erfordernis der Substanziierung keine Präzisierung erheischt (siehe E. 4), vermag an dieser prozessualen Voraussetzung der ZPO nichts zu ändern. Materiellrechtlich mögen in Art. 86 ff. OR Regeln vorgesehen sein, wie Zahlungen des Schuldners bei mehreren Schulden gegenüber demselben Gläubiger anzurechnen sind; in welcher Reihenfolge mehrere Ansprüche in einem gerichtlichen Verfahren zu beurteilen sind, lässt sich aus diesen Normen allerdings nicht ableiten (sondern eben nur, wie eine erfolgte Zahlung auf mehrere Schulden anzurechnen wäre). Dass der Regelungsgedanke dieser materiellrechtlichen Bestimmungen als prozessuale Vorgabe unpassend wäre und sich daher nicht übertragen lässt, zeigt insbesondere Art. 86 Abs. 1 OR - sinngemäss angewandt, wäre es diesfalls die beklagte Partei, die die Prüfungsreihenfolge im gerichtlichen Verfahren bestimmen könnte, womit es an ihr (anstatt an der klagenden Partei) wäre, die notwendige Bestimmtheit des klägerischen Rechtsbegehrens herbeizuführen.
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5.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass immer, wenn mehrere teilbare Ansprüche gegen denselben Schuldner in einer Klage gehäuft werden, davon aber bloss ein Teil eingeklagt wird, in der Klage zu präzisieren ist, in welcher Reihenfolge und/oder in welchem ![]() | 16 |
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