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54. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B., C. und Betreibungsamt Frauenfeld (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_630/2016 vom 29. Mai 2017 | |
Regeste |
Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG; Anspruch eines Bezügers einer liechtensteinischen AHV-Rente auf absoluten Pfändungsschutz. |
Die liechtensteinische AHV-Rente ist in der Schweiz grundsätzlich absolut unpfändbar (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde von A. schützte der Einzelrichter des Bezirksgerichts Frauenfeld als untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen mit Entscheid vom 30. Juni 2016 teilweise und wies das Betreibungsamt an, den pfändbaren Betrag auf Fr. 38.- zu korrigieren. Das Obergericht des Kantons Thurgau als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs wies die dagegen gerichtete Beschwerde am 10. August 2016 ab.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 2. September 2016 (Postaufgabe) ist A. an das Bundesgericht gelangt. Der Beschwerdeführer verlangt vor Bundesgericht nebst der Aufhebung des angefochtenen Entscheids die Feststellung der absoluten Unpfändbarkeit der liechtensteinischen AHV-Rente sowie die Nichtigerklärung der Pfändungsurkunden.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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Demgegenüber bekräftigt der Beschwerdeführer seinen bereits im kantonalen Verfahren vertretenen Standpunkt, dass seine liechtensteinische AHV-Rente absolut vor Pfändung geschützt sei. Zur Begründung führt er ergänzend aus, Art. 54 des liechtensteinischen Gesetzes vom 14. Dezember 1952 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, welcher die Unpfändbarkeit von liechtensteinischen AHV-Renten vorsehe, sei vorliegend aufgrund des IPRG unmittelbar anwendbar und rechtsverbindlich.
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2.3 Die Durchführung der Zwangsvollstreckung erfolgt nach dem Recht des Vollstreckungsstaates. Soweit der Beschwerdeführer das liechtensteinische Gesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung angewendet wissen möchte, kann ihm nicht gefolgt werden; Unpfändbarkeitsbestimmungen des ausländischen Rechts sind in einem schweizerischen Vollstreckungsverfahren nicht anwendbar (vgl. DANIEL STAEHELIN, Das internationale Betreibungsrecht, BlSchK 2015 S. 135). Die Unpfändbarkeit einer Rente beurteilt sich deshalb in erster Linie nach dem SchKG. Unpfändbar sind gemäss Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG - soweit hier interessierend - die Renten gemäss Art. 20 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 über die ![]() | 9 |
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In der europarechtlichen Lehre wird sodann propagiert, dass für die Beurteilung der Pfändbarkeit ausländischer Renten nunmehr Art. 5 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109.268.1; nachfolgend: VO 883/2004) heranzuziehen sei, der den Grundsatz der Gleichstellung von Leistungen oder Einkünften aufstellt (BETTINA KAHIL-WOLFF, Die neuen EU-Koordinierungsverordnungen 883/2004 und 987/2009: Auswirkungen auf die soziale Sicherheit der Schweiz, in: Strassenverkehrsrechtstagung vom 10.-11. Juni 2010, Probst/Werro [Hrsg.], 2010, S. 280 f.). Nachfolgend ist auf die Frage einzugehen, ob der Anwendungsbereich dieser Verordnung eröffnet ist.
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Erwägung 3 | |
3.1 Gemäss Art. 20 Abs. 1 des Übereinkommens vom 4. Januar 1960 zwischen Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (SR 0.632.31; nachfolgend: EFTA-Übereinkommen) soll der freie Personenverkehr unter den Mitgliedstaaten sichergestellt werden gemäss den ![]() | 12 |
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3.3 Ihren sachlichen Geltungsbereich definiert die VO 883/2004 unter Art. 3 Abs. 1. Danach gilt die Verordnung unter anderem für Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die Leistungen bei Alter und an Hinterbliebene betreffen (Art. 3 Abs. 1 lit. d und e). Die VO 883/2004 findet in der Alters- und Hinterlassenenversicherung daher grundsätzlich Anwendung (vgl. Art. 153a AHVG). Allerdings ist fraglich, ob das Ziel der Verordnung, die verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften des Sozialrechts miteinander zu koordinieren, den vorliegenden Sachverhalt berührt, denn obschon das Pfändungsverbot auch in den einschlägigen sozialversicherungsrechtlichen Erlassen verankert ist (vgl. Art. 20 Abs. 1 AHVG, Art. 50 Abs. 1 IVG sowie Art. 20 ELG), betrifft die Frage des Pfändungsschutzes bestimmter Sozialleistungen primär eine zwangsvollstreckungsrechtliche Materie. Gegenüber dem staatlichen Sozialschutz liegt die ganz wesentliche Besonderheit des Schuldnerschutzes in der ![]() | 14 |
Wie es sich vorliegend mit der Anwendbarkeit der VO 883/2004 (welche die VO 1408/71 ersetzt hat) verhält, bedarf indes keiner vertiefteren Prüfung. Die Unpfändbarkeit der liechtensteinischen AHV-Rente des Beschwerdeführers ergibt sich aus den nachfolgend darzulegenden Gründen nämlich bereits aus einer an Sinn und Zweck orientierten Auslegung von Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG, weshalb sich am Ausgang des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im einen oder anderen Fall ohnehin nichts ändern würde. Aus dem gleichen Grund ist auch nicht erforderlich, die in der Lehre aufgestellte These zu prüfen, die betreibungsrechtliche Privilegierung in Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG stelle womöglich eine soziale Vergünstigung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Anhang I FZA bzw. Art. 9 Abs. 2 Anhang K Anlage 1 des EFTA-Übereinkommens dar (vgl. CARDINAUX, a.a.O., Fn. 16 und 21).
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4.2 Die von Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG erfassten Leistungen sind dem Zugriff der Gläubiger entzogen, selbst wenn sie einmal das Existenzminimum des Schuldners und seiner Familie übersteigen sollten (BGE 135 III 20 E. 5 S. 26 f.; 78 III 113 f.; GEORGES VONDER MÜHLL, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 37 zu Art. 92 SchKG). In der Botschaft des Bundesrates über die Änderung des SchKG aus dem Jahre 1991 wurde die absolute Unpfändbarkeit der Leistungen der ersten Säule mit sozialpolitischen Erwägungen, aber auch mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine "beschränkte" Pfändbarkeit der ersten Säule begründet. Laut Verfassung habe der Bund eine erste Säule zu errichten, die den Existenzbedarf der Menschen namentlich bei Alter und Invalidität angemessen decke (Art. 34quater aBV; neu: Art. 112 und Art. 112a BV). Die beschränkte Pfändbarkeit der ersten Säule stünde damit in wohl unverträglichem Widerspruch. Der Frage ihrer Pfändbarkeit komme aber an sich nur untergeordnete Bedeutung zu, da in der Praxis das individuell berechnete (d.h. die konkreten Lebensverhältnisse berücksichtigende) ![]() | 17 |
4.3 Es ist unstrittig, dass es sich bei der liechtensteinischen AHV-Rente nicht um eine der in Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG aufgeführten Leistungen handelt, welche der Gesetzgeber explizit mit einem absoluten Schutz vor Pfändung versehen hat. Ob diesbezüglich eine zu füllende Gesetzeslücke oder ein qualifiziertes Schweigen vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGE 140 III 206 E. 3.5.3 S. 213). Da die Möglichkeit des Bezugs von ausländischen Altersgrundrenten in den Gesetzesmaterialien gar nicht angesprochen wird, kann jedenfalls allein aufgrund deren Nichterwähnung im Tatbestand von Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG nicht auf eine bewusste Entscheidung im Sinne eines qualifizierten Schweigens des Gesetzgebers geschlossen werden. Es ist vielmehr danach zu fragen, ob der Bezug der betreffenden ausländischen Altersgrundrente mit dem in Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG geregelten Sachverhalt des Bezugs einer schweizerischen AHV-Rente hinsichtlich des Pfändungsschutzes teleologisch betrachtet vergleichbar ist. Dabei ist vom Grundgedanken des Gesetzgebers auszugehen, die gesetzliche Zweckbestimmung von bestimmten existenzsichernden Sozialleistungen aufrechtzuerhalten, im Übrigen aber die Pfändung von Sozialleistungen im Interesse der Gläubiger zu ermöglichen, soweit sie das betreibungsrechtliche Existenzminimum übersteigen. In diesem Sinne hat das Bundesgericht in E. 2.6.3 von BGE 134 III 608 bereits angedeutet, dass die Gleichstellung einer ausländischen Rente in ![]() | 18 |
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4.5 Angesichts der nachgewiesenen Gleichartigkeit entspricht der Einbezug der liechtensteinischen AHV-Rente in den Tatbestand von Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG im Übrigen auch einer verfassungskonformen Auslegung im Sinne des allgemeinen Gebotes der Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 1 BV). Namentlich ist in diesem Zusammenhang zu sehen, dass ausländische Renten ebenso wie schweizerische ![]() | 20 |
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Ein Vorbehalt ist immerhin anzubringen für den Fall, dass die liechtensteinische AHV-Rente unter Anrechnung der in der Schweiz bezogenen AHV-Teilrente und gegebenenfalls allfälliger weiterer unpfändbarer ausländischer Altersgrundrenten den Betrag der schweizerischen maximalen AHV-Rente übersteigt; in einer solchen Situation könnte sich ein Schuldner für den darüber hinausgehenden Betrag nicht auf einen absoluten Schutz vor Pfändung berufen. Davon kann vorliegend aber keine Rede sein, liegen die dem Beschwerdeführer aus der schweizerischen und liechtensteinischen Grundversicherung ausgerichteten Leistungen doch auch kumuliert noch (deutlich) unter der schweizerischen maximalen (einfachen) AHV-Rente (bei lückenloser Beitragsdauer) von derzeit Fr. 2'350.- pro Monat.
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