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39. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen B.A. und vice versa (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_582/2018 / 5A_588/2018 vom 1. Juli 2021 | |
Regeste |
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB; Eheschutzmassnahmen; Ehegatten- und Kindesunterhalt; zumutbarer Vermögensverzehr. | |
Sachverhalt | |
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A.a A.A. (geb. 1968) und B.A. (geb. 1967) haben 1999 geheiratet. Sie sind die Eltern der beiden Söhne C.A. (geb. 2006) und D.A. (geb. 2008).
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A.b Die Eheleute trennten sich am 1. Januar 2014. Das Getrenntleben musste gerichtlich geregelt werden. Mit Entscheid vom 28. September 2015 stellte das Bezirksgericht Kriens nebst anderem die ![]() ![]() | 3 |
B. Im Rahmen der neuerlichen Überprüfung der jeweiligen Berufungen verpflichtete das Kantonsgericht den Ehemann, wie folgt an den Kindesunterhalt beizutragen: je Fr. 2'300.- vom 1. Januar 2014 bis 30. September 2016, je Fr. 2'500.- vom 1. Oktober 2016 bis 31. Dezember 2016, je Fr. 3'300.- (davon Fr. 800.- Betreuungsunterhalt) vom 1. Januar 2017 bis 30. September 2018, je Fr. 2'700.- (davon Fr. 400.- Betreuungsunterhalt) ab 1. Oktober 2018 bis 30. September 2020 und je Fr. 2'450.- (davon Fr. 150.- Betreuungsunterhalt) ab 1. Oktober 2020; jeweils zuzüglich allfälliger Kinderzulagen. Sodann habe der Ehemann wie folgt an den Unterhalt der Ehefrau beizutragen: Fr. 4'600.- vom 1. Januar 2014 bis 30. September 2016, Fr. 4'200.- vom 1. Oktober 2016 bis 31. Dezember 2016, Fr. 2'600.- vom 1. Januar 2017 bis 30. September 2018, Fr. 1'700.- ab 1. Oktober 2018 bis 30. September 2020 und Fr. 1'000.- ab 1. Oktober 2020. Schliesslich rechnete es an die ab 1. Januar 2014 zu leistenden Unterhaltsbeiträge die bis 30. Juni 2015 geleisteten Unterhaltszahlungen von Fr. 156'491.10 sowie die ab 1. Juli 2015 geleisteten Zahlungen an (Urteil vom 23. Mai 2018). Das Kantonsgericht ging dabei von einem zuletzt gemeinsam gelebten Standard der ganzen Familie von monatlich Fr. 16'000.- aus, den es nach grossen und kleinen Köpfen auf Eltern und Kinder verteilte. Ferner berücksichtigte es, dass der Ehemann seit Ende September 2016 ausgesteuert ist und über ein flüssiges Vermögen von Fr. 4.2 Mio. verfügt. Es mutete ihm zu, bis zur Festlegung eines allfälligen nachehelichen Unterhalts, was angesichts des bisherigen Prozessverhaltens bis ins Jahr 2024 dauern könnte, zur Deckung des Ehegatten- und des Kindesunterhalts sein Vermögen anzuzehren.
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C.
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C.a Gegen diesen Entscheid haben sowohl A.A. (Beschwerdeführerin) als auch B.A. (Beschwerdeführer) jeweils am 11. Juli 2018 Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Beide beantragen in teilweiser Aufhebung des angefochtenen Entscheids, es seien die ![]() ![]() | 6 |
C.b Das Bundesgericht heisst die Beschwerden teilweise gut und weist die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an das Kantonsgericht zurück.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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Erwägung 6.1 | |
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6.1.2 Ob und in welchem Umfang es als zumutbar erscheint, Vermögen für den laufenden Unterhalt einzusetzen, ist anhand sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen (Urteil 5A_25/2015 vom 5. Mai 2015 E. 3.2). Zu diesen Umständen gehören die Bedeutung des anzugreifenden Vermögens, die Funktion und Zusammensetzung desselben sowie das Ausmass des Vermögensverzehrs, und zwar sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Dauer ( BGE 129 III 7 E. 3.1.2; Urteile 5A_372/2015 vom 29. September 2015 E. 2.1.2 mit Hinweisen, in: FamPra.ch 2016 S. 261; 5A_25/2015 vom 5. Mai 2015 E. 3.2 mit Hinweis; 5A_706/2007 vom 14. März 2008 E. 4.4; 5P.472/2006 vom 15. Januar 2007 E. 3.2 mit Hinweis), aber auch das Verhalten, das zur Herabsetzung der Eigenversorgungskapazität geführt hat. So kann beispielsweise einem Unterhaltsschuldner, der wegen Vermögensdelikten seine gut bezahlte Stelle verloren und damit die Unmöglichkeit, im bisherigen Rahmen an den Unterhalt seiner Familie beizutragen, durch eigenes Verschulden herbeigeführt hat, ein Vermögensverzehr selbst dann zugemutet werden, wenn die relevanten Kriterien an sich nicht ![]() ![]() | 11 |
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6.1.4 Das Kriterium der Funktion des vorhandenen Vermögens zielt hauptsächlich auf jene Fälle, in denen das Vermögen für das Alter geäufnet worden ist. Offensichtlich spricht nichts dagegen, das genau zu diesem Zweck angesparte Vermögen für die Sicherstellung des Unterhalts der Eheleute nach der Pensionierung einzusetzen ( BGE 129 III 257 E. 3.5, BGE 129 III 7 E. 3.1.2; Urteile 5A_981/2016 vom 16. Oktober 2017 E. 3.4, in: FamPra.ch 2018 S. 229; 5A_136/2016 vom 12. September 2016 E. 3 mit Hinweisen; 5A_14/2008 vom 28. Mai 2008 E. 5, in: FamPra.ch 2009 S. 207 f.; 5P.439/2002 vom 10. März 2003 E. 2.1; 5P.173/2002 vom 29. Mai 2002 E. 5a mit Hinweisen). Nicht darunter fällt durch Erbanfall erworbenes Vermögen; dieses muss grundsätzlich unberücksichtigt bleiben ( BGE 129 III 7 E. 3.1.2; Urteile 5A_405/2019 vom 24. Februar 2020 E. 4.1, in: FamPra.ch 2020 S. 431; 5A_608/2019 vom 16. Januar 2020 E. 4.2.1; 5A_125/2019 vom 9. September 2019 E. 5.3; 5A_981/2016 vom 16. Oktober 2017 E. 3.4, in: FamPra.ch 2018 S. 229; 5A_592/ 2016 vom 8. März 2017 E. 4.3.3; 5A_136/2016 vom 12. September 2016 E. 3; 5A_372/2015 vom 29. September 2015 E. 2.1.2 mit Hinweisen, in: FamPra.ch 2016 S. 261; 5A_279/2013 vom 10. Juli ![]() ![]() | 13 |
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6.1.6 Die weiteren Beurteilungskriterien sind (naturgemäss) voneinander abhängig und je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls von unterschiedlicher Bedeutung. So hat die Grösse des Vermögens Einfluss einerseits auf die Höhe des zumutbaren Vermögensverzehrs und andererseits auf die Höhe des zu deckenden Unterhalts. Dabei ist klarzustellen, dass es keinen vorbehaltlosen Anspruch auf Beibehaltung des zuletzt gemeinsam gelebten Standards gibt und dieser gegebenenfalls herabgesetzt werden kann (Urteile 5A_170/2016 vom 1. September 2016 E. 4.3.5; 5A_372/2015 vom 29. September 2015 E. 2.1.2, in: FamPra.ch 2016 S. 261; je mit Hinweisen). Besteht eine eigentliche Mankosituation und geht es darum, das betreibungsrechtliche Existenzminimum ![]() ![]() | 15 |
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Die Rechtsprechung liefert keine allgemeingültigen Vorgaben für die Berechnung der Höhe des (zumutbaren) Vermögensverzehrs. Einzig wenn es um Ehegatten im vorgerückten Alter geht, die sich in einer Mankosituation befinden, hat es das Bundesgericht als zulässig erachtet, zu verlangen, dass - nach dem Vorbild der Ergänzungsleistungen zur AHV/IV - jährlich ein Zehntel des Reinvermögens, das eine Freigrenze übersteigt, verbraucht werde (Urteile 5A_25/2015 vom 5. Mai 2015 E. 3.2 mit Hinweisen; 5P.472/2006 vom 15. Januar 2007 E. 3.2 mit Hinweis; 5P.173/2002 vom 29. Mai 2002 E. 5b). ![]() | 17 |
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Der Beschwerdeführer weist nach - was die Beschwerdeführerin nicht bestreitet -, im vorinstanzlichen Verfahren behauptet und ![]() ![]() | 22 |
Weicht ein Gericht von einer konstanten (bundesgerichtlichen) Rechtsprechung ab, ohne dass hierfür sachlich haltbare Gründe vorliegen, verfällt es in Willkür ( BGE 135 III 232 E. 2.4 in fine; Urteile 5A_253/2020 vom 25. März 2021 E. 2.1 in fine; 5A_367/2020 vom 19. Oktober 2020 E. 3.7, in: FamPra.ch 2021 S. 187; je mit Hinweisen). Das Kantonsgericht ist mit seinem Entscheid von der ständigen Rechtsprechung, wonach auf durch Erbanfall erworbenes Vermögen grundsätzlich nicht zuzugreifen ist (E. 6.1.4), abgewichen. Mit der pauschalen Aussage, der Rückgriff auf das Eigengut sei unter den gegebenen Verhältnissen sachgerecht, liefert es keinen nachvollziehbaren Grund, weshalb im vorliegenden Fall vom Grundsatz abgewichen werden sollte. Ebenso wenig erklärt das Kantonsgericht, weshalb sich ein Abweichen von der diesbezüglich ständigen und klaren Rechtsprechung rechtfertigen würde. Damit ist das Kantonsgericht in Willkür verfallen.
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6.3.2 Sodann ist es vollständig unhaltbar, wie dies der Beschwerdeführer zutreffend darlegt, in der vorliegenden Konstellation die Zumutbarkeit des Vermögensverzehrs an Art. 11 Abs. 1 lit. c ELG (SR 831.30) messen zu wollen. Dieser Massstab kommt rechtsprechungsgemäss nur dann zum Tragen, wenn das Vermögen im Hinblick auf die Zeit nach der Pensionierung geäufnet wurde, die Ehegatten im Pensionsalter stehen, sie sich in einer eigentlichen Mankosituation ![]() ![]() | 24 |
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6.4 Insofern das Kantonsgericht den Beschwerdeführer verpflichtet, die den zuletzt gemeinsam gelebten Standard deckenden Unterhaltsbeiträge aus seinem durch Erbanfall erworbenen Vermögen zu finanzieren, erweist sich die Beschwerde als begründet. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an das Kantonsgericht zurückzuweisen, wobei sich dieses an die vorstehenden Erwägungen zu halten haben wird. ![]() | 26 |
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