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33. Urteil des Kassationshofes vom 6. Mai 1955 i.S. Christen gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | |
Regeste |
Art. 112 StGB, Mord. |
b) Art. 112 geht dem Art. 113 StGB vor. | |
Sachverhalt | |
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Am 10. September 1953 gegen 7 Uhr trat Christen von seiner Wohnung an der Dättnauerstrasse in Winterthur-Töss aus den Weg nach dem Kantonsspital an, wo er wegen eines Oberarmbruches eine Nachbehandlung durchmachte. Unterwegs, in der Nähe der Stelle, wo der Kronenrainweg in den Ebnet-Wald führt, traf er die im Jahre 1941 geborene Ursula Weishaupt, die auf dem Wege zur ![]() | 2 |
B.- Am 17. Februar 1955 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich Christen wegen Mordes (Art. 112 StGB) zu zwölf Jahren Zuchthaus, abzüglich 491 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft, und stellte ihn für sieben Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein.
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Das Gericht nahm übereinstimmend mit dem Sachverständigen an, der.Angeklagte habe in einem Affektdämmerzustande gehandelt, wobei seine Fähigkeit zur Einsicht in das Unrecht der Tat nicht wesentlich beeinträchtigt, jedoch die Fähigkeit, sich gemäss seiner Einsicht zu verhalten, wegen der sensitiven Debilität und der Störungen im Hirn mindestens mittelstark vermindert gewesen sei (Art. 11 StGB). Es führte weiter aus, die Begehung ![]() | 4 |
C.- Christen führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei statt des Mordes des Totschlages, eventuell der vorsätzlichen Tötung, schuldig zu erklären und entsprechend milder zu bestrafen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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Über diese Abweichung vom Entwurfe darf nicht hinweggesehen werden. Sie wurde von den eidgenössischen Räten beschlossen, weil die kasuistische Aufzählung nicht befriedigte, insbesondere weil befürchtet wurde, sie könnte Lücken aufweisen (Sten Bull, Sonderausgabe, NatR 251, 252, 266, StR 137). Daher geht es nicht an, mit dem Beschwerdeführer den Tatbestand des Mordes nur zu bejahen, wenn die besonders verwerfliche Gesinnung oder die Gefährlichkeit des Täters sich in einer der in Art. 99 des Entwurfes aufgezählten Tatsachen (Mordlust, Habgier, besondere Grausamkeit usw.) äussert. Sie kann sich auch aus anderen Umständen oder Überlegungen des Täters ergeben, wie anderseits die in Art. 99 des Entwurfes aufgezählten Beweggründe und Arten des Vorgehens die Tat nicht notwendigerweise zum Morde machen.
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2. Der deutsche Text des Art. 112 StGB verlangt nicht, dass die Gefährlichkeit des Täters einen besonderen Grad erreiche; denn das Wort "besonders" bezieht sich grammatikalisch nur auf "verwerfliche Gesinnung", nicht auch auf "Gefährlichkeit". Der französische Text, lautend: "Si le délinquant a tué dans des circonstances ou avec une préméditation dénotant qu'il est particulièrement ![]() | 9 |
Welche Fassung den Sinn richtig wiedergibt, kann dahingestellt bleiben; denn der Beschwerdeführer hat unter Umständen getötet, die nicht nur seine Gefährlichkeit, sondern seine besondere Gefährlichkeit offenbaren. Sie ergibt sich daraus, dass er über ein zufällig des Weges kommendes zwölfjähriges Mädchen aus dem einzigen Grunde, weil es ahnungslos zur Verrichtung der Notdurft vor ihm die unteren Teile des Körpers entblösste, in einem Affektdämmerzustand einherfiel und es hierauf entweder im Sinnenrausch, oder damit es ihn nicht als Täter der an ihm begangenen Unzucht verraten könne, durch Messerstiche und Würgen tötete. Nach der verbindlichen Feststellung des Obergerichts befindet er sich in einem Geisteszustand, der befürchten lässt, dass seine chronisch gestauten Affekte unter gleichen oder anderen Umständen erneut ausbrechen und ihn zu einer ähnlichen Tat treiben werden. Der Beschwerdeführer verkennt den Sinn des Art. 112, wenn er glaubt, die besondere Gefährlichkeit sei zu verneinen, weil er seinen Zustand nicht verschuldet habe. Ob verschuldet oder nicht, hat diese Geistesverfassung sich in der vom Beschwerdeführer schuldhaft begangenen Tat offenbart. Das genügt, die besondere Gefährlichkeit als (alternatives) Merkmal des Mordes zu bejahen. Dass sie ihre Ursache in der Gesinnung habe, setzt Art. 112 nicht voraus.
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Ob die Umstände der Tat ausserdem eine besonders verwerfliche Gesinnung verraten, oder ob diese zu verneinen wäre, weil der Beschwerdeführer im Affektdämmerzustande gehandelt hat, kann dahingestellt bleiben.
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Das Obergericht verkennt den Sinn dieser Bestimmung, ![]() | 13 |
Ob der Affektdämmerzustand, in dem die heftige, den Beschwerdeführer zur Tötung treibende Gemütsbewegung bestand, entschuldbar war, da das Mädchen seine den Beschwerdeführer so unerwartet beeindruckenden Körperteile unaufgefordert entblösst hatte, kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn die Tat ausser den Tatbestandsmerkmalen des Art. 112 auch jene des Art. 113 aufweisen sollte, wäre der Beschwerdeführer zu Recht nach ersterer Bestimmung verurteilt worden. Der Grundtatbestand der vorsätzlichen Verbrechen und Vergehen gegen das Leben ist in Art. 111 (vorsätzliche Tötung) normiert (Botschaft des Bundesrates zum Entwurf S. 30; Sten Bull, Sonderausgabe, NatR 266). Nur im Verhältnis zu diesem ist Totschlag privilegierter Tatbestand, nicht auch im Verhältnis zum Mord (Art. 112), der qualifizierter Fall ist. Es kann nicht der Sinn des Gesetzes sein, dem privilegierenden Merkmal den Vorrang vor dem qualifizierenden zu geben. Im Volke gilt sowohl der Lustmörder, der sein Opfer im Sinnenrausch umbringt, als auch der Sittlichkeitsverbrecher, der es lediglich tötet, damit es ihn nicht verraten kann, auch dann als ein mit der vollen Strenge des Gesetzes zu züchtigender Mörder, wenn er in heftiger Gemütsbewegung, möge sie entschuldbar sein oder nicht, gehandelt hat. Hierauf hat in Bezug auf den Lustmord und andere Fälle schon Zürcher in der zweiten Expertenkommission hingewiesen (Prot. 2148). Er hat auch, ohne dass ihm widersprochen worden wäre, betont, dass die Merkmale des Mordes die Annahme eines blossen Totschlages ausschliessen (Prot. 2162). Ein anderes Mitglied der Kommission hat der Bestimmung ![]() | 14 |
Demnach erkennt der Kassationshof:
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