BGE 135 IV 6 | |||
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2. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_114/2008 vom 4. November 2008 | |
Regeste |
Art. 23 Abs. 1 al. 4 ANAG; rechtswidriges Verweilen im Lande; Grundsatz "ne bis in idem"; Schuldprinzip. |
Fehlt es nach einem ersten Schuldspruch für eine zweite Verurteilung an einem neuen Tatentschluss, ist bei der Strafzumessung darauf zu achten, dass die Summe der wegen des Dauerdelikts ausgesprochenen Strafen dem Gesamtverschulden angemessen ist und die im Gesetz angedrohte Höchststrafe nicht überschreitet (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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Eine vom Beurteilten gegen diesen Entscheid geführte Berufung wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen mit Urteil vom 11. Januar 2008 ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
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B. X. führt Beschwerde an das Bundesgericht, mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
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C. Das Obergericht des Kantons Schaffhausen stellt in seiner Vernehmlassung sinngemäss den Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Staatsanwaltschaft schliesst unter Verweisung auf das angefochtene Urteil ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
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Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 8. Februar 1999 in der Schweiz auf. Das Bundesamt für Flüchtlinge wies ein von ihm gestelltes Asylgesuch am 15. Januar 2001 ab und wies ihn gleichzeitig aus der Schweiz weg. Vom 5. Oktober 2001 bis zum 9. Juli 2004 befand sich der Beschwerdeführer aufgrund eines Urteils des Bezirksgerichts Zürich vom 5. Oktober 2001, mit welchem er zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Landesverweisung verurteilt worden war, im Strafvollzug. Am 4. Juni 2004 verfügte das Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung eine unbefristete Einreisesperre, gültig ab 10. Juli 2004. Mit Strafbefehl vom 30. März 2005 verurteilte die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl den Beschwerdeführer wegen Verweisungsbruchs, begangen vom 10. Juli 2004 bis 29. März 2005, zu 3 Monaten Gefängnis, welche Strafe er vom 30. März 2005 an verbüsste. Seit der Entlassung aus dem Strafvollzug hielt sich der Beschwerdeführer weiterhin ohne gültigen Rechtsgrund in der Schweiz auf.
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Erwägung 2 | |
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Erwägung 3 | |
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Die Verurteilung wegen eines Dauerdelikts bewirkt nach der Rechtsprechung dessen Zäsur. Da die Verurteilung nur die Herbeiführung und die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes bis zum Urteilszeitpunkt erfasst, ist das Aufrechterhalten des Dauerzustands nach dem Urteil als selbständige Tat zu werten. Die Tateinheit wird durch die Verurteilung aufgehoben, und für neue Delikte gilt der Grundsatz "ne bis in idem" nicht (BGE 104 IV 230 E. 3 [zur aufgegebenen Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts]). In diesen Fällen ist daher eine neue Verurteilung für die vom ersten Urteil nicht erfassten Tathandlungen (vgl. BGE 118 IV 269 E. 4) möglich (Urteil des Bundesgerichts 6S.485/2005 vom 8. Februar 2006 E. 1.2.1; vgl. auch RUTH RISSING-VAN SAAN, in: Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2006, 2. Bd., N. 56 vor § 52 dStGB; STREE/STERNBERG-LIEBEN, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Aufl. 2006, N. 87 zu Vorbem. §§ 52 ff. dStGB).
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Erwägung 4 | |
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4.2 Die Vorbehalte, welche das deutsche Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Schuldprinzips gegen die Zäsurwirkung beim Dauerdelikt vorbringt, erlangen auch im vorliegend zu beurteilenden Kontext Bedeutung. Denn die Strafverfolgungsbehörden schaffen durch die Eröffnung eines erneuten Strafverfahrens unter Verweis auf die Zäsurwirkung der vorausgegangenen Verurteilung jeweils selbst die Voraussetzung für die Verurteilung wegen einer vermeintlich neuen Tat. In einem solchen Fall bildet letztlich nicht die individuelle Schuld des Täters Anlass der Bestrafung und Grundlage der Strafzumessung, sondern die von Zufälligkeiten abhängige Geschwindigkeit der Strafverfolgung, die zur Konstruktion von Zäsurwirkungen führt (vgl. Urteil BVerfG, 2 BvR 1895/05 vom 27. Dezember 2006, E. C.II. b/bb, in: EuGRZ 2007 S. 66). Die Problematik manifestiert sich im Besonderen bei der Konstellation, in welcher die infolge der Zäsurwirkung in verschiedenen Strafverfahren ausgesprochenen Strafen die im fraglichen Tatbestand angedrohte Höchststrafe in ihrer Gesamtheit überschreiten. In diesem Fall wird das Schuldprinzip, auf welchem das Strafrecht fusst (BGE 123 IV 1 E. 2), unterlaufen und kommt der erneuten Bestrafung zunehmend eine Beugewirkung zur Erzwingung der unterlassenen Handlung zu.
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Dieser Problematik ist insofern Rechnung zu tragen, als eine neuerliche Verurteilung wegen eines Dauerdelikts und eine Zumessung der Strafe ohne Rücksicht auf die bereits in einem früheren Strafurteil erfasste Dauer der Tatbestandsverwirklichung erfordert, dass der Täter nach dem früheren Schuldspruch einen vom früheren losgelösten, neuen Tatentschluss fasst. Fehlt es an einem solchen, beruht die nach dem vorangegangenen Schuldspruch andauernde Verwirklichung des Dauertatbestandes mithin auf einem fortwirkenden, schon vor der ersten Verurteilung gefassten einheitlichen Tatentschluss, muss der Richter im neuen Urteil bei der Zumessung der Strafe für die noch nicht beurteilte Deliktsdauer mit Blick auf das Schuldprinzip darauf achten, dass die Summe der wegen des Dauerdelikts ausgesprochenen Strafen dem Gesamtverschulden angemessen ist (Art. 47 Abs. 1 StGB) und die im fraglichen Tatbestand angedrohte Höchststrafe nicht überschreitet.
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4.3 Im zu beurteilenden Fall verletzt das angefochtene Urteil auch unter diesem Gesichtspunkt Bundesrecht nicht. Der Beschwerdeführer ist in einem ersten Verfahren des Verweisungsbruchs im Sinne von Art. 291 StGB wegen Missachtung der durch das Bezirksgericht Zürich ausgesprochenen Landesverweisung schuldig erklärt worden. Das Gesetz droht für diesen Tatbestand eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren (nach der bis zum 1.1.2007 geltenden Fassung Gefängnis) oder Geldstrafe an. Im angefochtenen neuen Urteil, in welchem keine Verurteilung wegen Verweisungsbruchs erfolgte, weil mit Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches altrechtlich ausgesprochene Landesverweisungen aufgehoben wurden (Art. 1 Abs. 2 Schlussbestimmungen der Änderung vom 13. Dezember 2002), lautet der Schuldspruch auf rechtswidriges Verweilen im Land gemäss Art. 23 Abs. 1 al. 4 ANAG. Dieser Tatbestand droht Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen (bzw. nach der bis zum 1. Januar 2007 geltenden Fassung Gefängnis bis zu sechs Monaten) an. Die in beiden Urteilen ausgesprochenen Strafen von drei Monaten Gefängnis und Geldstrafe von 90 Tagessätzen erweisen sich in ihrer Summe dem Verschulden als angemessen und überschreiten die Höchststrafe nicht. Eine Verletzung des dem Richter bei der Strafzumessung zustehenden Ermessens ist nicht ersichtlich.
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