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3. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_912/2013 vom 4. November 2014 |
Art. 309 Abs. 3 StPO; Eröffnung der Strafuntersuchung. |
Art. 178 lit. a, Art. 180 Abs. 2 und Art. 181 Abs. 1 StPO; Einvernahme der Auskunftsperson, Hinweis auf Aussagepflicht bzw. Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechte. |
Art. 158 Abs. 1 lit. a und Art. 143 Abs. 1 lit. b StPO; Deliktsvorhalt zu Beginn der ersten Einvernahme. |
Art. 79 Abs. 2 StPO; Protokollberichtigung. |
Art. 329 Abs. 1 StPO; Prüfung der Anklage. |
Art. 141 Abs. 3 und Art. 143 Abs. 5 StPO; Durchführung der Einvernahme, Klärung von Widersprüchen. | |
Sachverhalt | |
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B. Das Bezirksgericht Zürich erklärte X. mit Urteil vom 15. Februar 2013 der Drohung schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten unbedingt, unter Anrechnung der ausgestandenen Haft. Das Obergericht des Kantons Zürich wies am 10. Juli 2013 eine vom Beurteilten erhobene Berufung ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
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C. X. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und er sei von der Anklage der Drohung freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
Erwägung 1.1 | |
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1.1.2 Die Vorinstanz nimmt an, der Umstand, dass eine Eröffnungsverfügung fehle oder allfällige Mängel aufweise, führe nicht zur Nichtigkeit der vorgenommenen Untersuchungshandlungen. Der Eröffnungsverfügung komme nur deklaratorische Wirkung zu. Im Übrigen ![]() | 6 |
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1.1.4 Die Strafuntersuchung gilt als eröffnet, sobald sich die Staatsanwaltschaft mit dem Straffall zu befassen beginnt (NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013[nachfolgend: Praxiskommentar], N. 2 zu Art. 309 StPO; a.M.FRANZ RIKLIN, StPO Kommentar, 2. Aufl. 2014, N. 5 zu Art. 309 StPO; NATHAN LANDSHUT, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 7 zuArt. 309 StPO). Dies trifft jedenfalls dann zu, wenn die Staatsanwaltschaft Zwangsmassnahmen anordnet. Da die Vorladung als Zwangsmassnahme gilt, genügt es in aller Regel für die Eröffnung, wenn die Staatsanwaltschaft erste Untersuchungshandlungen selber vornimmt, namentlich die beschuldigte Person einvernimmt (NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, N. 1371). Der Eröffnungsverfügung kommt mithin lediglich deklaratorische Wirkung zu (NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts [nachfolgend: Handbuch], 2. Aufl. 2013, N. 1227; ders., Praxiskommentar, a.a.O., N. 2 zu Art. 309 StPO; PIERRE CORNU, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 33 zu Art. 309 StPO; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, CPP, Code de ![]() | 8 |
Erwägung 1.2 | |
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1.2.2 Die Vorinstanz führt aus, die Privatklägerin sei am 22. November 2012 anlässlich ihres ersten Kontakts mit der Polizei in Nachachtung von Art. 107 Abs. 2 StPO schriftlich auf ihre Rechte als Opfer und als Privatklägerin aufmerksam gemacht worden. Ende November 2012 sei sie durch die Staatsanwaltschaft auf ihre Rechte nach Art. 117 StPO hingewiesen worden. Die Privatklägerin habe am 22. November 2012 Strafantrag wegen Drohung gestellt und habe sich damit als Privatklägerin im Strafpunkt konstituiert. Sie sei deshalb als Auskunftsperson befragt worden. Da von Beginn weg klar gewesen sei, dass kein Delikt gegen die sexuelle Integrität in Frage stand, habe der Privatklägerin von vornherein kein ![]() | 10 |
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Nach Art. 178 lit. a StPO wird die Person, die sich als Privatklägerin konstituiert hat (Art. 118 Abs. 1 und 2 StPO), als Auskunftsperson einvernommen (vgl. auch Art. 179 Abs. 1 StPO). Soweit die Privatklägerin nicht in einer delegierten Einvernahme durch die Polizei befragt wird, ist sie nicht zur Aussage verpflichtet (Art. 178 lit. a und Art. 180 Abs. 2 StPO; ROLAND KERNER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 3 zu Art. 179 und N. 1 zu Art. 180 StPO; ANDREAS DONATSCH, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 2 zu Art. 179 und N. 34 zu 180 StPO). Nach Art. 181 Abs. 1 StPO machen die Strafbehörden die Auskunftsperson zu Beginn der Einvernahme auf ihre Aussagepflicht oder ihre Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechte aufmerksam. Gemäss Abs. 2 derselben Bestimmung weisen sie die zur Aussage verpflichtete und die aussagewillige Auskunftsperson auf die möglichen Straffolgen einer falschen Anschuldigung ![]() | 12 |
1.2.4 Die Privatklägerin erhob am 22. November 2012 bei der Stadtpolizei Zürich Strafanzeige und Strafantrag gegen den Beschwerdeführer, wodurch sie sich als Privatklägerin konstituierte (Art. 118 Abs. 2 StPO), und wurde als Geschädigte zur Sache befragt. Bei dieser Einvernahme handelte es sich nicht um eine solche im Auftrag der Staatsanwaltschaft, so dass die Privatklägerin entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht zur Aussage verpflichtet war. Es stand ihr mithin ein uneingeschränktes Aussageverweigerungsrecht zu (Art. 180 StPO; KERNER, a.a.O., N. 1 zu Art. 181 StPO). Die Privatklägerin wurde in dieser Einvernahme über ihre Rechte als Opfer informiert. Darauf, dass sie nicht zur Aussage verpflichtet war, wurde sie, soweit ersichtlich, nicht hingewiesen. Unterblieben ist auch ein Hinweis auf die Straffolgen gemäss Art. 303-305 StGB. Einem Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht wäre allerdings angesichts des Umstands, dass die Privatklägerin bei der polizeilichen Befragung Strafantrag gegen den Beschwerdeführer gestellt hatte und mithin eine Strafuntersuchung gegen diesen herbeiführen wollte, wohl keine praktische Bedeutung zugekommen. Überdies würde, selbst wenn man die Bestimmung über das Zeugnisverweigerungsrecht gemäss Art. 177 Abs. 3 StPO analog auf die Privatklägerschaft im Sinne von Art. 178 lit. a StPO anwenden wollte, die nicht über ihr Aussageverweigerungsrecht gemäss Art. 181 StPO belehrt wurde, ![]() | 13 |
Ob die Aussagen der Privatklägerin anlässlich der Einvernahme vom 22. November 2012 trotz fehlendem Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht und die Straffolgen gemäss Art. 303-305 StGB verwertbar sind, kann aber letztlich offenbleiben. Denn diese ist am 18. Dezember 2012 von der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, nachdem sie auf die Geltendmachung von Rechten als Privatklägerschaft verzichtet hatte (Art. 166 StPO), als Zeugin einvernommen und unbestrittenermassen ordnungsgemäss über die Zeugnispflichten, das allgemeine Zeugnisverweigerungsrecht sowie ihre Opferrechte belehrt worden. Dass hier eine Fernwirkung des Verwertungsverbots bestanden haben soll, weil die Zeugeneinvernahme an die polizeiliche Befragung anknüpfe, lässt sich nicht sagen. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass die Befragung der Privatklägerin durch die Stadtpolizei Zürich "condicio sine qua non" für ihre Einvernahme als Zeugin durch die Staatsanwaltschaft gewesen wäre (zur Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten vgl. BGE 138 IV 169; BGE 133 IV 329 E. 4.5).
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Erwägung 1.3 | |
1.3.1 Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, es sei bei den Einvernahmen als Beschuldigter durch die Stadtpolizei Zürich in Verletzung von Art. 158 Abs. 1 lit. a und Art. 143 Abs. 1 lit. b StPO kein oder ein bloss ungenügender Deliktsvorhalt erfolgt. In der Einvernahme vom 23. November 2012, 10.12 Uhr, sei lediglich der Tatbestand der Drohung genannt worden, nicht aber ein konkreter, präzis umrissener Sachverhalt. Bei der Einvernahme von 14.25 Uhr desselben Tages handle es sich faktisch um die Fortsetzung der ersten Einvernahme, da die Befragung vom Morgen abgebrochen worden sei. Hier sei zunächst überhaupt kein Deliktsvorhalt erfolgt. Zudem sei er nicht über seine Rechte belehrt worden. Dass er mit "Umbringen" gedroht haben solle, sei ihm erst unter Ziff. 30 vorgehalten worden. Der konkrete Vorhalt müsse jedoch zu Beginn der Einvernahme erfolgen. Ein Mangel in dieser Hinsicht sei nicht heilbar. Die mangelhafte Eröffnung des konkreten Deliktsvorhalts habe ![]() | 15 |
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1.3.4 Der Beschwerdeführer wurde in der polizeilichen Einvernahme vom 23. November 2012, 10.12 Uhr, von der einvernehmenden Beamtin darüber orientiert, dass er festgenommen worden sei, weil er eines Verbrechens oder Vergehens verdächtigt sei. Es sei gegen ihn ein Strafverfahren wegen Drohung, begangen am Donnerstag, ![]() | 18 |
Es trifft zu, dass in der ersten Einvernahme bei der Information des Beschwerdeführers über den Verfahrensgegenstand der Inhalt der Drohung nicht genannt wurde. Indes wurde ihm nicht bloss pauschal vorgeworfen, die Privatklägerin bedroht zu haben. Vielmehr wurden Tatzeitpunkt und Tatort präzise umrissen, so dass sich der Beschwerdeführer, dessen Verteidiger bei der Fortsetzung der Einvernahme am Nachmittag vom 23. November 2012 anwesend war, entsprechend verteidigen konnte. Die Vorinstanz verletzt somit kein Bundesrecht, wenn sie annimmt, die Einvernahmen seien nicht prozessrechtswidrig erfolgt. Damit erübrigt es sich, auf die Frage einzugehen, ob bei fehlender Information über den Verfahrensgegenstand in der ersten Einvernahme sämtliche nachfolgenden Vernehmungen nichtig sind.
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Erwägung 1.4 | |
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1.4.2 Die Vorinstanz führt aus, da der Ehemann der Privatklägerin sich nicht am vorliegenden Strafverfahren beteiligt und keinen Strafantrag gegen den Beschuldigten gestellt habe, seien Weiterungen zur ![]() | 21 |
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Das Protokoll dient im Strafprozess u.a. als Grundlage für die Feststellung des Sachverhalts (Urteil des Bundesgerichts 6B_492/2012 vom 22. Februar 2013 E. 1.4). Der entscheiderhebliche Sachverhalt wird im zu beurteilenden Fall dadurch begrenzt, dass nur die Privatklägerin, nicht aber ihr Ehemann Strafantrag erhoben hat. Zu beurteilen ist mithin lediglich die gegenüber der Privatklägerin ausgestossene Drohung. Ob sich dieselbe auch gegen den Ehemann gerichtet hat, ist daher nicht von Bedeutung. Soweit der Beschwerdeführer mit der Protokollberichtigung den Nachweis dafür erbringen will, die Privatklägerin habe widersprüchlich ausgesagt, weil sie in der polizeilichen Befragung angegeben hat, der Beschwerdeführer ![]() | 24 |
Erwägung 1.5 | |
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1.5.2 Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer rüge zu Recht nicht, dass das erstinstanzliche Einzelgericht keine Anklageprüfung vorgenommen habe, sondern lediglich, dass das Ergebnis der Anklageprüfung nicht in einer separaten Verfügung festgehalten worden sei. Aus dem Gesetz ergebe sich hinsichtlich der Anklagezulassung indes lediglich eine Prüfungs-, nicht auch eine Verfügungspflicht. Vorliegend habe das Einzelgericht mit Verfügung vom 14. Januar 2013 nach Überprüfung der Anklage die weiteren Verfahrensschritte angeordnet und zur vorinstanzlichen Hauptverhandlung vorgeladen. Wären die Anklageschrift und die Akten nicht ordnungsgemäss erstellt und diese Prozessvoraussetzung somit nicht erfüllt gewesen oder hätten Verfahrenshindernisse bestanden, hätte ![]() | 26 |
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(...)
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Erwägung 3 | |
3.1 Zuletzt rügt der Beschwerdeführer, die Staatsanwaltschaft habe es unterlassen, die Privatklägerin bei ihrer Zeugeneinvernahme durch kritische Fragen und Vorhalte mit den diversen Widersprüchen ![]() | 31 |
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3.3 Auf die Beschwerde ist in diesem Punkt nicht einzutreten. Dem Ausmass von Unklarheiten in der Befragung kann nur im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung differenziert Rechnung getragen werden. Eine Einvernahme wird daher trotz unklaren Fragen nicht unverwertbar. Bei der Bestimmung von Art. 143 Abs. 5 StPO handelt es sich um eine blosse Ordnungsvorschrift (Art. 141 Abs. 3 StPO; GODENZI, a.a.O., N. 34 zu Art. 143 StPO; SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 14 zu Art. 143 StPO; ders., Handbuch, a.a.O., N. 788; vgl. auch HÄRING, a.a.O., N. 34 f., 37 zu Art. 143 StPO). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern die Zeugeneinvernahme durch die Staatsanwaltschaft den verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht entsprechen soll. Insofern ist das angefochtene Urteil auch hinreichend begründet. Der Beschwerdeführer legt denn auch nicht dar, welche Ungereimtheiten und Widersprüche nach seiner Auffassung im Einzelnen zu bereinigen gewesen wären. Die blosse Verweisung auf sein Plädoyer im vorinstanzlichen Verfahren genügt den Begründungsanforderungen nicht (Urteil des Bundesgerichts 6B_676/2013 vom 28. April 2014 E. 1).
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