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27. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_256/2014 vom 8. April 2015 | |
Regeste |
Schreckung der Bevölkerung (Art. 258 StGB); Begriff der "Bevölkerung". | |
Sachverhalt | |
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Dieser Text war für diejenigen Personen einsehbar, welche über die Online-Plattform "Facebook" ein eigenes Profil erstellt und in Bezug auf das Profil von X. den Freundschaftsstatus innehatten. Es handelte sich um zirka 290 Personen, was X. wusste.
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B.
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B.a Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl sprach X. mit Strafbefehl vom 4. Oktober 2012 der Schreckung der Bevölkerung (Art. 258 StGB) schuldig und bestrafte ihn mit einer unbedingten Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu Fr. 30.-, wobei 21 Tagessätze durch Haft erstanden waren.
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X. erhob Einsprache. Die Staatsanwaltschaft hielt am Strafbefehl fest und überwies die Akten dem erstinstanzlichen Gericht.
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B.b Der Einzelrichter des Bezirks Zürich sprach X. am 4. Dezember 2012 der versuchten Schreckung der Bevölkerung im Sinne von Art. 258 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB schuldig und bestrafte ihn mit einer unbedingten Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu Fr. 10.-, wovon 21 Tagessätze durch Haft erstanden waren.
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X. erklärte Berufung.
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B.c Das Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, sprach X. am 25. November 2013 der versuchten Schreckung der Bevölkerung (Art. 258 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB) schuldig und bestrafte ihn mit einer teilbedingten Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu Fr. 10.-, unbedingt vollziehbar im Umfang von 21 Tagessätzen, wobei die Strafe durch die anzurechnenden 21 Tage Haft bereits erstanden war, und bedingt vollziehbar im Umfang von 24 Tagessätzen bei einer Probezeit von drei Jahren.
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C. X. erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich sei aufzuheben und er sei vom Vorwurf der versuchten Schreckung der Bevölkerung freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
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D. Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf Vernehmlassung verzichtet.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Erwägung 2 | |
Erwägung 2.3 | |
2.3.1 Art. 258 StGB ist nur anwendbar, wenn die "Bevölkerung" (la "population", la "popolazione") in Schrecken versetzt beziehungsweise zu versetzen versucht wird. Die Vorinstanz befasst sich mit diesem Tatbestandsmerkmal nicht im Einzelnen. Sie prüft stattdessen, ob der Beschwerdeführer die inkriminierte Äusserung "öffentlich" tat. Sie bejaht dies unter Berufung auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Merkmal der Öffentlichkeit beim Tatbestand der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis StGB (BGE 130 IV 111 E. 5 f.). Die inkriminierte Äusserung habe von den rund 290 "Facebook"-Freunden des Beschwerdeführers gelesen werden können. Diese seien nicht alle miteinander bekannt oder durch persönliche Beziehungen verbunden gewesen. Sie hätten zudem durch Drücken des "like-button" die Äusserung ihren Freunden zur Kenntnis geben können, worüber der Beschwerdeführer keine Kontrolle gehabt habe. Die inkriminierte Äusserung sei daher nicht im privaten Rahmen, sondern öffentlich erfolgt.
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2.3.2 Unter welchen Voraussetzungen Äusserungen im "Facebook" an "Facebook"-Freunde als "öffentlich" im Sinne des Tatbestands der Rassendiskriminierung (Art. 261bis StGB) zu qualifizieren sind und ob die inkriminierten Äusserungen in diesem Sinne öffentlich waren, ist hier nicht zu entscheiden, da vorliegend nicht Art. 261bis StGB zur Diskussion steht. Den Tatbestand der Schreckung der Bevölkerung gemäss Art. 258 StGB erfüllt nicht schon, wer durch öffentliche Äusserungen andere Personen in Schrecken versetzt. Der Tatbestand setzt vielmehr voraus, dass der Täter die Bevölkerung (la population, la popolazione) in Schrecken versetzt. Die Lehre nimmt an, dass mit dem Begriff der "Bevölkerung" im Sinne von Art. 258 StGB ein grösserer Personenkreis, eine unbestimmte Vielzahl von Personen gemeint ist (GERHARD FIOLKA, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, N. 20, 24 zu Art. 258 StGB; STRATENWERTH/BOMMER, Besonderer Teil II: Straftaten gegen Gemeininteressen, 7. Aufl. 2013, § 38 N. 2, 5). Unter "Bevölkerung" im Sinne dieser Bestimmung sei nicht die Gesamtheit der Einwohner eines Gebiets zu verstehen. Vielmehr reiche aus, dass eine grössere Anzahl von Personen (beispielsweise Angehörige bestimmter Konfessionen, Rassen oder Bevölkerungsschichten) betroffen sei (HANS ![]() | 13 |
2.3.3 Unter der "Bevölkerung" sind nach dem allgemeinen Sprachgebrauch "alle Bewohner, Einwohner eines bestimmten Gebietes" zu verstehen (Duden, Das Bedeutungswörterbuch, 4. Aufl. 2010). "Bevölkerung" meint "die Gesamtheit aller Personen, die in einem bestimmten Gebiet leben. Je nach Fragestellung kann ein solches die gesamte Erde umfassen (Welt-B.) oder sehr eng eingegrenzt sein (Stadtteil)" (Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl. 2006). Entsprechend werden die Begriffe "population" und "popolazione" in der französischen und in der italienischen Sprache definiert. "Population" meint ![]() | 14 |
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Hingegen kann der Personenkreis, mit welchem der Urheber einer Äusserung durch Freundschaft oder Bekanntschaft im realen oder virtuellen Leben verbunden ist, nicht als "Bevölkerung" im Sinne von Art. 258 StGB angesehen werden, zumal hier ein Bezug zu einem bestimmten Ort fehlt.
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