BGE 141 IV 279 | |||
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37. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Kantonales Untersuchungsamt gegen X. (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1029/2014 vom 23. Juni 2015 | |
Regeste |
Art. 86 Abs. 1 lit. c HMG; Abgabe von Heilmitteln. | |
Sachverhalt | |
A. Das Kreisgericht St. Gallen verurteilte X. wegen mehrfacher vorsätzlicher Tierquälerei und mehrfacher vorsätzlicher Übertretung des Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1992 über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (Lebensmittelgesetz, LMG; SR 817.0) sowie des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 300 Tagen und einer Busse von Fr. 15'000.-.
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Dagegen erhob X. Berufung. Das Kantonsgericht des Kantons St. Gallen sprach ihn je in einem Anklagepunkt frei vom Vorwurf der vorsätzlichen Übertretung des Lebensmittelgesetzes und des Heilmittelgesetzes. Im Übrigen bestätigte es die angefochtenen Schuldsprüche und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu Fr. 230.- und einer Busse von Fr. 2'000.-.
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B. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben, soweit X. vom Vorwurf der vorsätzlichen Übertretung des Heilmittelgesetzes freigesprochen wurde, und die Sache sei zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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Erwägung 1.1 | |
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1.1.2 Die Vorinstanz erwägt, der Übertretungstatbestand nach Art. 87 Abs. 1 lit. f i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. c HMG könne vom Beschwerdegegner als Tierhalter nicht erfüllt werden. Nach dem Abschluss der TAM-Vereinbarung sei der Bestandestierarzt für den sachgemässen Umgang mit den Tierarzneimitteln verantwortlich gewesen. Er wäre verpflichtet gewesen, die Betriebe des Beschwerdegegners der TAM- Vereinbarung entsprechend zu besuchen und sich die notwendige Kenntnis über den Gesundheitszustand der Tiere zu verschaffen. Die Verletzung der Pflichten, die in der TAM-Vereinbarung und der Tierarzneimittelverordnung festgehalten seien, müsse sich der Beschwerdegegner nicht anrechnen lassen, weshalb er vom Vorwurf der unberechtigten Abgabe von Heilmitteln freizusprechen sei.
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Erwägung 1.3 | |
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1.3.2 Als Heilmittel im Sinne von Art. 86 Abs. 1 lit. c HMG gelten auch Tierarzneimittel (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 4 Abs. 1 lit. a HMG; URSULA EGGENBERGER STÖCKLI, in: Basler Kommentar, Heilmittelgesetz, 2006, N. 25 zu Art. 4 HMG; siehe auch THOMAS EICHENBERGER, in: Basler Kommentar, Heilmittelgesetz, 2006, N. 25 zu Art. 42 HMG). Denn Rückstände von Tierarzneimitteln in Lebensmitteln tierischer Herkunft können die Gesundheit des Konsumenten gefährden. Es können Allergien auftreten und die Resistenz des Organismus gegen schädliche Einwirkungen kann beim Menschen wie beim Tier beeinträchtigt werden (EICHENBERGER, a.a.O., N. 6 vor Art. 42-44 HMG). Insofern kann nicht gesagt werden, Art. 86 HMG erfasse nur Heilmittel im Humanbereich (vgl. aber BENEDIKT A. SUTER, in: Basler Kommentar, Heilmittelgesetz, 2006, N. 7, 9, 20, 21 zu Art. 86 HMG).
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Daran ändert nichts, dass die Botschaft vom 1. März 1999 zum Heilmittelgesetz diesbezüglich als missverständlich erscheinen mag, wenn der Bundesrat vorab festhält, "Abgeben" sei "Überlassung eines Arzneimittels an den Endverbraucher" oder "Überlassung des Medizinproduktes an den Anwender", und sodann ausführt, unter den Begriff "Abgabe" falle auch die "Anwendung an Drittpersonen oder am Tier" (BBl 1999 3491 Ziff. 22.02 zu Art. 4). Auch im Nebenstrafrecht gilt das Bestimmtheitsgebot ("nulla poena sine lege certa"), welches aus dem Legalitätsprinzip ("nulla poena sine lege") abgeleitet wird, wonach eine Strafe oder Massnahme nur wegen einer Tat verhängt werden darf, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt (Art. 1 StGB). Eine Strafnorm muss so präzise formuliert sein, dass der Bürger sein Verhalten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kann (BGE 138 IV 13 E. 4.1 S. 20 mit Hinweisen).
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Erwägung 1.4 | |
1.4.1 Ein Arzneimittel darf für Tiere nur verschrieben oder abgegeben werden, wenn die verschreibende Person das Tier oder den Tierbestand kennt. Ist das Arzneimittel für Nutztiere bestimmt, so muss die verschreibende Person auch deren Gesundheitszustand kennen (Art. 42 Abs. 1 und 2 HMG). Gemäss Art. 10 Abs. 1 TAMV müssen Tierärztinnen und Tierärzte vor der Verschreibung oder der Abgabe eines Tierarzneimittels, über das Buch geführt werden muss (Art. 26 TAMV), den Gesundheitszustand des zu behandelnden Nutztieres oder der zu behandelnden Nutztiergruppe persönlich beurteilen. Tierärztinnen, Tierärzte sowie Tierarztpraxen können mit der Tierhalterin oder dem Tierhalter schriftlich eine TAM-Vereinbarung über regelmässige Betriebsbesuche und den korrekten Umgang mit Tierarzneimitteln abschliessen. In diesem Fall können sie Tierarzneimittel auch ohne vorgängigen Bestandesbesuch verschreiben oder abgeben (Art. 10 Abs. 2 TAMV). Besteht eine TAM-Vereinbarung, so darf die Tierärztin oder der Tierarzt für eine bezeichnete Indikation Tierarzneimittel im Verhältnis zur Bestandesgrösse auch auf Vorrat verschreiben oder abgeben (Art. 11 Abs. 2 TAMV). Die Beurteilungskriterien, die Besuchsfrequenzen und der Inhalt der TAM-Vereinbarung richten sich nach Anhang 1 (Art. 10 Abs. 4 TAMV).
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1.4.2 Verabreicht der Tierhalter die Tierarzneimittel an die Tiere, dann liegt darin keine Abgabe im Sinne von Art. 86 Abs. 1 lit. c HMG, nur weil eine TAM-Vereinbarung abgeschlossen wurde. Dies gilt auch, wenn der Tierarzt wie im vorliegenden Fall gegen die Vorgaben der Tierarzneimittelverordnung verstösst, indem er die vorgeschriebenen Besuche unterlässt. Daran ändert nichts, dass sich der Beschwerdegegner in der TAM-Vereinbarung verpflichtete, die erhaltenen Tierarzneimittel nur für die bezeichnete Tierart einzusetzen und die Anweisungen des Tierarztes zu befolgen. Eine Begründung für die gegenteilige Auffassung findet sich weder in der Beschwerde noch im erstinstanzlichen Urteil.
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