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13. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft gegen X. (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_845/2015 vom 1. Februar 2016 | |
Regeste |
Art. 17 Abs. 1 und Art. 311 Abs. 1 Satz 2 StPO; Zuständigkeit für den Erlass von Übertretungsstrafbefehlen. |
Die Kantone können den Erlass von Übertretungsstrafbefehlen in analoger Anwendung von Art. 17 Abs. 1 StPO an Untersuchungsbeauftragte der Staatsanwaltschaft delegieren. Eine kantonale Regelung, wonach bei Übertretungen innerhalb der Staatsanwaltschaft nicht die Staatsanwälte, sondern andere Mitarbeiter für den Erlass von Strafbefehlen zuständig sind, verstösst nicht gegen übergeordnetes Recht. Erforderlich ist jedoch ein gültiger kantonaler Erlass, der dies explizit vorsieht (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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B. Der Strafgerichtspräsident Basel-Landschaft erklärte X. am 22. Oktober 2014 in Bestätigung des Strafbefehls der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 400.-.
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Auf Berufung von X. hob das Kantonsgericht Basel-Landschaft das Urteil vom 22. Oktober 2014 mit Beschluss vom 16. Juni 2015 auf. Es wies die Angelegenheit zur neuen Entscheidung an das Strafgericht zurück und wies dieses an, gemäss Art. 356 Abs. 5 StPO zu verfahren.
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C. Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Beschluss vom 16. Juni 2015 sei aufzuheben und das Verfahren sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 § 19i Abs. 2 der Dienstordnung der Sicherheitsdirektion des Kantons Basel-Landschaft vom 23. Oktober 1984 (SGS 145.11; nachfolgend: Dienstordnung) sieht vor, dass der Erste Staatsanwalt ![]() | 6 |
Gestützt darauf erteilte die Erste Staatsanwältin des Kantons Basel-Landschaft dem Untersuchungsbeauftragten B. auf Antrag der Leitenden Staatsanwältin der Hauptabteilung Arlesheim mit Verfügung vom 25. September 2012 die Berechtigung, per sofort und bis auf Widerruf sämtliche Übertretungsstrafbefehle der Hauptabteilung Arlesheim "selbständig zu kontrollieren und zu unterschreiben".
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Mit Verfügung vom 11. Februar 2015 erteilte die Erste Staatsanwältin B. auf Antrag des Leitenden Staatsanwalts der Hauptabteilung Strafbefehle zudem die Bewilligung, per sofort und bis auf Widerruf Übertretungsstrafbefehle der Hauptabteilung Strafbefehle, Abteilung 1, "zu verfassen, zu kontrollieren sowie in Vertretung und unter der Verantwortung des zuständigen Staatsanwalts zu unterschreiben".
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Die Beschwerdeführerin machte im vorinstanzlichen Verfahren geltend, der Untersuchungsbeauftragte B. habe die Untersuchung im Verfahren gegen den Beschwerdegegner unter der Verantwortung des zuständigen Staatsanwalts geführt und den Strafbefehl vom 12. März 2013 tatsächlich in dessen Vertretung unterzeichnet, auch wenn dies aufgrund seiner alleinigen Unterschrift auf dem Strafbefehl nicht erkennbar sei. Aus dem Aktenzirkulationsblatt, welches sich bei den Akten befinde, werde ersichtlich, dass der zuständige Staatsanwalt den Strafbefehl vor dem Versand geprüft habe.
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2.2 Die Vorinstanz prüfte im angefochtenen Entscheid zunächst, ob der Untersuchungsbeauftragte B. zum selbstständigen Erlass von Strafbefehlen befugt war, d.h. ob die Tatsache, dass der Strafbefehl vom 12. März 2013 von B. unterzeichnet wurde, einen formellen Mangel darstellt. Sie führt zusammengefasst aus, der Kanton Basel-Landschaft habe von der in Art. 17 Abs. 1 StPO vorgesehenen Möglichkeit, die Verfolgung und Beurteilung von Übertretungen an Verwaltungsbehörden zu übertragen, nicht Gebrauch gemacht, womit die Kompetenz der Staatsanwaltschaft belassen bleibe. Dem Einführungsgesetz des Kantons Basel-Landschaft vom 12. März 2009 zur Schweizerischen Strafprozessordnung (EG StPO/BL; SGS 250) sei zudem keine Bestimmung zu entnehmen, wonach Verwaltungspersonal der Staatsanwaltschaft vollständig für die Untersuchung von Übertretungen zuständig sei. Die Verfahrensleitung sei gemäss § 12 EG StPO/BL vielmehr grundsätzlich den Staatsanwälten ![]() | 10 |
§ 19i Abs. 2 der Dienstordnung sei dementsprechend zwingend im Lichte von § 12 EG StPO/BL auszulegen. Somit habe in Übertretungsstrafsachen der Erlass von Strafbefehlen unter der Verantwortung eines Staatsanwalts zu erfolgen. Aus den Akten müsse die effektive (und nicht nur die pro forma) Verfahrensleitung durch einen Staatsanwalt eindeutig hervorgehen. Mit anderen Worten müsse den Akten entnommen werden können, wie der zuständige Staatsanwalt seine Gesamtverantwortung wahrgenommen habe. Damit einher gehe, dass die Vornahme wesentlicher Verfahrensschritte in die alleinige Zuständigkeit der die Verfahrensleitung innehabenden Staatsanwälte falle. Dazu gehöre auch der Erlass von Strafbefehlen als verfahrensabschliessende Verfügungen im Sinne von Art. 318 StPO. Soweit § 19i Abs. 2 der Dienstordnung den selbstständigen Erlass von Strafbefehlen durch Untersuchungsbeauftragte zulasse, und sei dies "unter der Verantwortung eines Staatsanwalts", verletze die Bestimmung übergeordnetes Recht und sei damit nicht anwendbar.
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Vorliegend lege die alleinige Unterschrift von B. auf dem Strafbefehl den Schluss nahe, dass dieser nicht unter der Leitung oder im Auftrag des zuständigen verfahrensleitenden Staatsanwalts einzelne Untersuchungshandlungen vorgenommen habe, sondern das Verfahren durchgehend selbstständig geführt habe und zwar derart, dass er durch den eigenständigen Erlass des Strafbefehls auch betreffend Schuld und Strafe autonom geurteilt habe. Dieser Eindruck werde verstärkt durch die Verfügung der Ersten Staatsanwältin vom 25. September 2012, welche wie dargelegt Art. 311 StPO, § 12 EG StPO/BL und teilweise auch § 19i Abs. 2 der Dienstordnung verletze. ![]() | 12 |
Die Vorinstanz erwähnt sodann die allgemeine Dokumentationspflicht gemäss Art. 76 ff. StPO. Fehlende Unterschriften (wie in casu), aber auch blosse pro-forma-Unterschriften in den Strafakten seien als gesetzeswidrig anzusehen, soweit sich nicht transparent aus den Akten ergebe, wer tatsächlich den Fall geleitet habe und ob und wieweit der Fall durch den zuständigen Staatsanwalt geführt worden sei oder nicht.
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§ 19i der Dienstordnung führe zu einer effizienten Erledigung einer hohen Anzahl von Übertretungsverfahren im Kanton ![]() | 15 |
Die Vorinstanz gehe unter Hinweis auf BGE 131 V 483 davon aus, nur die Unterzeichnung des zuständigen Staatsanwalts könne in authentischer Weise dessen tatsächliche Verantwortung bzw. Leitung über das fragliche Verfahren bezeugen. Dabei übersehe sie, dass dem zitierten Bundesgerichtsentscheid ein Gerichtsverfahren zugrunde lag, bei welchem die Rechtsunterworfenen Anspruch auf Kenntnis der personellen Besetzung des Gerichts hätten. Dies gelte gemäss Art. 81 StPO zwar grundsätzlich auch für die Endentscheide im Strafverfahren, doch bestimme Art. 80 Abs. 1 StPO ausdrücklich, dass die Bestimmungen des Strafbefehlsverfahrens vorbehalten bleiben. Art. 353 Abs. 1 lit. k StPO bringe explizit zum Ausdruck, dass es sich bei der ausstellenden Person nicht zwingend um einen Staatsanwalt handeln müsse. Diesem Formerfordernis, wie auch den übrigen in Art. 353 StPO genannten Voraussetzungen, genüge der für ungültig erklärte Strafbefehl vollumfänglich. BGE 131 V 483 E. 2.3.2 verlange, dass der Erlass dem tatsächlichen Willen des Unterzeichnenden entspreche. Diese Voraussetzung sei vorliegend erfüllt. Der Untersuchungsbeauftragte habe das Übertretungsstrafverfahren unter der Verantwortung des vorgesetzten Leitenden Staatsanwalts geführt, den Strafbefehl verfasst, erlassen und somit folgerichtig und transparent auch unterzeichnet.
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Erwägung 3 | |
3.1 Ziel der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen StPO war es, auf schweizerischer Ebene eine Vereinheitlichung des Strafprozessrechts herbeizuführen. Von der Vereinheitlichung betroffen waren die früher geltenden 26 kantonalen Strafprozessordnungen, einschliesslich der besonderen Bestimmungen über das Jugendstrafverfahren, sowie die Bundesstrafrechtspflege (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts [Botschaft StPO], BBl 2006 1095 Ziff. 1.2). Ein vereinheitlichtes Verfahrensrecht bedeutet nicht notwendigerweise auch eine Vereinheitlichung der in Bund und Kantonen tätigen Strafbehörden. Da eine Vereinheitlichung des ![]() | 17 |
Erwägung 3.2 | |
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3.2.2 Die Aufgabenteilung zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft im Vorverfahren ergibt sich u.a. aus Art. 15 f. und Art. 299 ff. StPO. Darüber hinaus regelt Art. 311 Abs. 1 StPO auch, wer innerhalb der Staatsanwaltschaften für die Beweiserhebung zuständig ist. Es sind ![]() | 19 |
3.2.3 Der Erlass von Strafbefehlen nach Art. 352 ff. StPO fällt in die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft (Art. 318 Abs. 1 StPO). Bund und Kantone können die Verfolgung und Beurteilung von Übertretungen jedoch Verwaltungsbehörden übertragen (Art. 17 Abs. 1 StPO). Bei den Übertretungsstrafbehörden im Sinne von Art. 17 StPO kann es sich um Behörden handeln, die primär Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Möglich ist jedoch ebenfalls, dass sich diese Behörden allein mit der Verfolgung von Übertretungen befassen (SCHMID, Handbuch, a.a.O., N. 360). Die zur Verfolgung und Beurteilung von Übertretungen eingesetzten Verwaltungsbehörden haben die Befugnisse der Staatsanwaltschaft (Art. 357 Abs. 1 StPO). Das Übertretungsstrafverfahren vor der Verwaltungsbehörde richtet sich ![]() | 20 |
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Erwägung 3.3 | |
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Das vom Landrat des Kantons Basel-Landschaft erlassene EG StPO/BL regelt Aufgaben und Wahl bzw. Anstellung des Ersten Staatsanwalts, der Leitenden Staatsanwälte sowie der weiteren Staatsanwälte und Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft (vgl. § 7-10 EG StPO/BL). Es legt zudem die fachlichen Voraussetzungen an Staatsanwälte fest (§ 11 EG StPO/BL). Zu den weiteren Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft gehören namentlich die von der Staatsanwaltschaft angestellten Untersuchungsbeauftragten (§ 10 Abs. 4 i.V.m. § 12 EG StPO/BL). Die Untersuchungsbeauftragten sind gemäss § 12 Abs. 1 EG StPO/BL befugt, unter der Leitung oder im Auftrag der Staatsanwälte Untersuchungshandlungen vorzunehmen. § 13 EG StPO/BL ![]() | 23 |
Die Auslegung und Anwendung kantonalen Rechts überprüft das Bundesgericht - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen - nur auf Willkür und Vereinbarkeit mit anderen bundesverfassungsmässigen Rechten (vgl. Art. 95 BGG; BGE 141 I 105 E. 3.3.1 mit Hinweisen).
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Nicht gefolgt werden kann der Beschwerdeführerin, wenn sie geltend macht, der Einsatz von Verwaltungsbeamten in Übertretungsstrafverfahren könne auch direkt in einer Exekutivverordnung geregelt werden. Es ist wie dargelegt vielmehr am kantonalen Gesetzgeber, abweichende Bestimmungen zu erlassen, wo die StPO Raum dafür lässt. Nicht ausgeschlossen ist zwar, dass dieser die Kompetenz zur Regelung bestimmter Fragen an andere Behörden delegiert. Eine solche Delegationsnorm ist im EG StPO/BL jedoch ebenfalls nicht auszumachen. § 13 EG StPO/BL verpflichtet den Regierungsrat zum Erlass der Dienstordnung der Staatsanwaltschaft. Die Dienstordnung hat gemäss der Vernehmlassungsvorlage zum EG StPO/BL (gemäss Medieninformation der Direktion Sicherheit der JPMD des Kantons ![]() | 26 |
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Erwägung 4 | |
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Ähnliche Bestimmungen wie § 19i Abs. 2 der Dienstordnung, wonach Untersuchungsbeamte, Sachbearbeiter oder weitere Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft (unter gewissen Voraussetzungen) Übertretungsstrafbefehle erlassen können, kennen auch andere Kantone (vgl. Art. 37 Abs. 4 des Justizgesetzes des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 13. September 2010; Art. 59 Abs. 2 des Einführungsgesetzes des Kantons Bern vom 11. Juni 2009 zur Zivilprozessordnung, zur Strafprozessordnung und zur Jugendstrafprozessordnung; Art. 13 Abs. 1 des Einführungsgesetzes des Kantons Glarus vom 2. Mai 2010 zur Schweizerischen Strafprozessordnung und zur Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung; Art. 15 Abs. 2 des Einführungsgesetzes des Kantons Graubünden vom 16. Juni 2010 zur Schweizerischen ![]() | 29 |
Explizit vorgesehen ist in Art. 17 Abs. 1 StPO allerdings nur die Möglichkeit der Kantone, die Verfolgung und Beurteilung von Übertretungen in Abweichung von der Regelung in der StPO einer Verwaltungsbehörde, d.h. einer anderen Behörde als den Staatsanwaltschaften zu übertragen. Das Gesetz spricht ausdrücklich von der Übertragung auf eine Verwaltungsbehörde und nicht auf Verwaltungsbeamte. Ob ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft als Mitglied einer Verwaltungsbehörde zu betrachten ist oder nicht, kann offengelassen werden (bejahend HANSPETER USTER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 2 zu Art. 17 StPO). Zu prüfen bleibt indessen, ob die Kantone den Erlass von Übertretungsstrafbefehlen in analoger Anwendung von Art. 17 Abs. 1 StPO an Untersuchungsbeauftragte delegieren können.
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Der Auffassung von SCHMID ist beizupflichten. Die Wahl, welche Behörde für die Verfolgung und Beurteilung von Übertretungen zuständig sein soll, war bereits vor Inkrafttreten der StPO den Kantonen überlassen (BBl 2006 1137 zu Art. 17). Art. 17 Abs. 1 StPO erlaubt die Weiterführung der früheren unterschiedlichen kantonalen Regelungen im Übertretungsstrafverfahren (SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 3 zu Art. 17 StPO; ders., Handbuch, a.a.O., N. 360). Zwar sieht die Bestimmung lediglich die Übertragung von Übertretungsstrafverfahren auf Verwaltungsbehörden vor. Dennoch entspricht es Sinn und Zweck der Regelung, dass innerhalb der Staatsanwaltschaften auch nichtjuristisches Personal mit Massengeschäften in Übertretungsstrafsachen betraut werden können muss (vgl. FELIX BÄNZIGER, Die schweizerische Strafprozessordnung - ein Projekt mit Zukunft, ZSR 121/2002 I S. 541; ders., Die Schweizerische ![]() | 32 |
4.3 Eine kantonale Regelung in analoger Anwendung von Art. 17 Abs. 1 StPO, wonach bei blossen Übertretungen innerhalb der Staatsanwaltschaft nicht die Staatsanwälte, sondern andere Mitarbeiter für den Erlass von Strafbefehlen zuständig sind, verstösst daher nicht gegen übergeordnetes Recht. Inhaltlich sind entsprechende von der StPO abweichende Bestimmungen demnach denkbar. Erforderlich ist jedoch ein gültiger kantonaler Erlass, der dies explizit vorsieht (oben E. 3; USTER, a.a.O., N. 2 zu Art. 17 StPO; SCHMID, Handbuch, a.a.O., N. 1353). Bezüglich des Kantons Basel-Landschaft bleibt es dabei, dass keine solche gesetzliche Grundlage besteht. (...)
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