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47. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_934/2016 vom 13. Juli 2017 | |
Regeste |
Art. 29 Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Art. 5 Abs. 1 StPO; Kaskade möglicher Folgen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots; Bestätigung der Rechtsprechung. |
Aufgrund der Andersartigkeit von Strafen und Massnahmen kann eine Strafreduktion auch dann eine angemessene Wiedergutmachung einer Verletzung des Beschleunigungsgebots darstellen, wenn sich die beschuldigte Person bereits im vorzeitigen Massnahmenvollzug befand (E. 1.4). | |
Sachverhalt | |
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B. Am 29. März 2016 wies das Kantonsgericht des Kantons Basel-Landschaft die dagegen gerichtete Berufung von X. und die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft ab, bestätigte das strafgerichtliche Urteil und auferlegte X. die Kosten des Berufungsverfahrens zu einem Drittel.
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C. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, die ihm vom Strafgericht auferlegten Verfahrenskosten seien wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots um 30 % zu reduzieren. Für das Berufungsverfahren vor Kantonsgericht seien ihm keine Kosten aufzuerlegen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
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Die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die Angelegenheit am 13. Juli 2017 an einer öffentlichen Sitzung beraten.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer und sein Komplize seien früh im Vorverfahren geständig gewesen. Der ihnen vorgeworfene Sachverhalt habe bereits nach kurzer Zeit festgestellt werden können, weshalb die gegen den Beschwerdeführer und dessen Komplizen geführten Strafverfahren hätten abgetrennt werden können. Denn gemeinsam mit den Drahtziehern des grösseren Komplexes seien der Beschwerdeführer und sein Komplize nur vom 23. auf den 24. Mai 2010 straffällig geworden, wobei eine gemeinsame Anklage nicht erforderlich gewesen sei. Der Komplize sei im Mai 2011 einvernommen worden und der Beschwerdeführer im Februar 2011 sowie im Dezember 2011, nachdem er im vorzeitigen Massnahmenvollzug erneut delinquiert habe. Die Akten zu diesen Straftaten des ![]() | 7 |
In der Folge prüft die Vorinstanz, ob die Verfahrenskosten, welche die erste Instanz dem Beschwerdeführer auferlegte, zu 30 % auf die Staatskasse zu nehmen sind, weil das Beschleunigungsgebot verletzt wurde. Sie erwägt, die erste Instanz habe der Verletzung des Beschleunigungsgebots bereits mit einer Reduktion der Freiheitsstrafe Rechnung getragen, womit die dem Beschwerdeführer entstandenen Nachteile genügend ausgeglichen seien. Eine Reduktion der erstinstanzlichen Verfahrenskosten sei daher nicht angezeigt.
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Zu den Kosten des Berufungsverfahrens erwägt die Vorinstanz, der Beschwerdeführer und sein Komplize unterlägen mit ihren Berufungen und die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anschlussberufung. Deshalb würden die Kosten zu je einem Drittel dem Beschwerdeführer, seinem Komplizen und der Staatskasse belastet.
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1.2 Der Beschwerdeführer fordert für die Verletzung des Beschleunigungsgebots eine Reduktion der Verfahrenskosten. Die Vorinstanz führe aus, die Verfahrensverzögerung sei für ihn enorm belastend gewesen. Unter Berücksichtigung dieser Formulierung müsse davon ausgegangen werden, dass ihm ein Schaden in aussergewöhnlicher Schwere entstanden sei. Aus diesem Grund sei nicht nachvollziehbar und geradezu widersprüchlich, wenn die Vorinstanz lediglich eine Strafreduktion von sechs Monaten vornehme. Der Beschwerdeführer habe sich vom 21. März 2011 bis 27. Februar 2015 im vorzeitigen Massnahmenvollzug befunden. Insofern habe er eine Strafe ![]() | 10 |
Erwägung 1.3 | |
1.3.1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV). Art. 6 Ziff. 1 EMRK vermittelt diesbezüglich keinen weitergehenden Schutz als Art. 29 Abs. 1 BV (BGE 130 I 269 E. 2.3 S. 272 f., BGE 130 I 312 E. 5.1 S. 332; je mit Hinweis). Gemäss Art. 5 Abs. 1 StPO nehmen die Strafbehörden die Strafverfahren unverzüglich an die Hand und bringen sie ohne unbegründete Verzögerung zum Abschluss. Das Beschleunigungsgebot verpflichtet die Behörden, ein Strafverfahren mit der gebotenen Beförderung zu behandeln, nachdem die beschuldigte Person darüber in Kenntnis gesetzt wurde. Sie soll nicht länger als notwendig den Belastungen eines Strafverfahrens ausgesetzt sein (BGE 133 IV 158 E. 8 S. 170). Die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer entzieht sich starren Regeln. Ob sich die Dauer als angemessen erweist, ist in jedem Einzelfall unter Würdigung aller konkreten Umstände zu prüfen (BGE 130 I 312 E. 5.2 S. 332 mit Hinweisen).
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Erwägung 1.4 | |
1.4.1 Folgen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots sind meistens die Strafreduktion, manchmal der Verzicht auf Strafe oder, als ultima ratio in Extremfällen, die Einstellung des Verfahrens (BGE 135 IV 12 E. 3.6 S. 26; BGE 133 IV 158 E. 8 S. 170; BGE 130 I 312 E. 5.3 S. 333; BGE 130 IV 54 E. 3.3.1 S. 55; BGE 117 IV 124 E. 4d S. 129; Urteil 6B_462/2014 vom 27. August 2015 E. 1.3, nicht publ. in: BGE 141 IV 369; je mit Hinweisen). Bei der Frage nach der sachgerechten Folge ist zu berücksichtigen, wie schwer die beschuldigte Person durch die Verfahrensverzögerung getroffen wurde, wie gravierend die ihr vorgeworfenen Taten sind und welche Strafe ausgesprochen werden müsste, wenn das Beschleunigungsgebot nicht verletzt worden wäre. Rechnung zu tragen ist auch den Interessen der Geschädigten und ![]() | 13 |
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Selbst der Beschwerdeführer argumentiert an anderer Stelle, ob ein Extremfall vorliege, der eine Verfahrenseinstellung rechtfertige, könne offenbleiben, weil er lediglich eine Reduktion der erstinstanzlichen Verfahrenskosten verlange. Dass ein solcher Extremfall vorliegen könnte, zogen die erste Instanz und die Vorinstanz angesichts der Gesamtumstände zu Recht überhaupt nicht in Erwägung. Dementsprechend kamen ein Strafverzicht oder gar eine Einstellung des Verfahrens nie in Frage. Nur bei einer Verfahrenseinstellung wäre aber daran zu denken gewesen, dem Beschwerdeführer keine oder reduzierte Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 423 Abs. 1 i.V.m. Art. 426 Abs. 1 e contrario StPO; vgl. auch Art. 426 Abs. 2 StPO). Auch ein finanzieller Ausgleich im Sinne einer Genugtuung kommt nur bei Freispruch oder Verfahrenseinstellung in Frage (Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO). Ein Abweichen von diesen Grundsätzen hätte die Abkehr vom Prinzip der Akzessorietät der Kosten zur Folge. Ebenso wenig liegt eine "fehlerhafte Verfahrenshandlung" gemäss Art. 426 Abs. 3 lit. a bzw. Art. 417 StPO vor, was eine teilweise Kostenauflage an den Kanton erlauben würde. Solches setzt im Übrigen ein Verschulden voraus, während die Folgen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots von einem Verschulden unabhängig sind.
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Die von den Vorinstanzen vorgenommene Reduktion der Freiheitsstrafe von zweieinhalb auf zwei Jahre hält sich innerhalb des ![]() | 16 |
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Reduktion der Strafe könne keine Wiedergutmachung darstellen, sondern erfolge nur "auf dem Papier". Sollte er damit meinen, die Strafreduktion könne eine Verletzung des Beschleunigungsgebots nur dann ausgleichen, wenn eine Strafe betroffen ist, die mit Gewissheit vollzogen wird, dann könnte ihm nicht gefolgt werden. Dies würde bedeuten, dass die Strafreduktion keine Wiedergutmachung darstellen würde, wenn die Strafe nur bedingt ausgesprochen wird. Denn auch hier erfolgt die Strafreduktion gewissermassen "auf dem Papier". Indessen kann einer langen Verfahrensdauer ohne weiteres auch strafmindernd Rechnung getragen werden, wenn die Strafe bedingt ausgesprochen wird (vgl. Urteil 6B_544/2012 vom 11. Februar 2013 E. 8.2). Gemäss konstanter Rechtsprechung stellt die Strafreduktion mithin auch bei lediglich bedingt ausgesprochenen Strafen eine Art der Wiedergutmachung dar. Gleiches gilt für die blosse Feststellung der Verletzung des Beschleunigungsgebots im Dispositiv, welche - obwohl für die betroffene Person faktisch ebenfalls nicht spürbar - als Möglichkeit moralischer Wiedergutmachung anerkannt ist ![]() | 17 |
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