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15. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_171/2017 vom 15. Februar 2018 | |
Regeste |
Art. 162 und 178 lit. f StPO; Verfahrensstellung nach rechtskräftiger Verurteilung in einem getrennten Verfahren. | |
Sachverhalt | |
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B. Die dagegen gerichtete Berufung von X. hiess das Obergericht des Kantons Zürich am 6. Dezember 2016 insoweit gut, als es die Freiheitsstrafe von 14 Monaten auf 12 Monate reduzierte. Im Übrigen wies es die Berufung ab.
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C. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei teilweise aufzuheben. Er sei vom Vorwurf der Anstiftung zur qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz freizusprechen und wegen mehrfachen Hausfriedensbruchs sowie mehrfachen geringfügigen Diebstahls mit einer angemessenen Geldstrafe und Busse als teilweise Zusatzstrafe zu belegen. Die Kosten seien ausgangsgemäss neu zu verteilen. Eventualiter sei das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung und neuen Strafzumessung an das Obergericht zurückzuweisen. X. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
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D. Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf eine Stellungnahme.
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E. Das Bundesgericht hat den Entscheid am 15. Februar 2018 öffentlich beraten (Art. 58 Abs. 1 BGG). Es weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
1.1 Der Beschwerdeführer kritisiert den Schuldspruch wegen Anstiftung zur qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Dabei wendet er sich nicht mehr gegen die Würdigung seiner Aussagen und derjenigen von C. Er rügt vielmehr eine Verletzung von Art. 141 Abs. 2 sowie Art. 178 lit. f StPO, Art. 6 EMRK ![]() | 6 |
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Die Vorinstanz stellt - wie bereits die erste Instanz - zu der Sachverhaltserstellung im Wesentlichen auf die belastenden Aussagen von C. vom 25. Januar 2016 sowie die Angaben des Beschwerdeführers an der polizeilichen Einvernahme vom 23. Januar 2015, der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 25. Januar 2016 sowie der erstinstanzlichen Hauptverhandlung ab. Ebenso berücksichtigt sie die Vorbringen von C. an den polizeilichen Einvernahmen vom 9. Januar und 26. Februar 2015 sowie ihrer Hafteinvernahme vom 10. Januar 2015. Sie führt aus, gemäss konstanter Zürcher Gerichtspraxis könne eine Person nach ihrer rechtskräftigen Verurteilung im späteren Verfahren gegen einen Komplizen zum gleichen Sachverhalt Zeugnis ablegen. C. sei in ihrem Strafverfahren von Beginn an geständig gewesen und am 24. September 2015 gestützt darauf wegen des gleichen Sachverhalts, wie er im vorliegenden Verfahren zu beurteilen sei, rechtskräftig verurteilt worden. Eigene belastende Aussagen, die sich strafrechtlich zu ihrem Nachteil auswirken könnten, seien daher nicht denkbar. Es seien keine Gründe dafür ersichtlich, welche eine Einvernahme von C. als Zeugin im vorliegenden Verfahren verbieten würden. Ihr Zeugnis sei daher als Beweis gegen den Beschwerdeführer verwertbar.
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Erwägung 2 | |
Erwägung 2.1 | |
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2.1.4 Unbestritten ist grundsätzlich, dass der Wechsel von der Rolle der Auskunftsperson und jener des Zeugen zur Rechtsstellung der beschuldigten Person möglich sein kann und muss (vgl. SCHMID/JOSITSCH, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts ![]() | 13 |
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In einem publizierten Entscheid zum Teilnahmerecht gemäss Art. 147 StPO hielt das Bundesgericht fest, die beschuldigte Person habe gegenüber in anderen Verfahren beschuldigten Personen das Recht, mindestens einmal Fragen zu stellen. Die Aussagen von in anderen Verfahren beschuldigten Personen könnten mithin nur dann zu Lasten einer beschuldigten Person verwertet werden, wenn diese wenigstens einmal angemessene und hinreichende Gelegenheit gehabt habe, die sie belastenden Aussagen in Zweifel zu ziehen und Fragen an die beschuldigten Personen in den getrennten Verfahren zu stellen, wobei diese Personen gemäss Art. 178 lit. f StPO als Auskunftspersonen einzuvernehmen seien (BGE 141 IV 220 E. 4.5 S. 229 f.). Zur vorliegenden Konstellation, in welcher das erste Verfahren mittels Schuldspruch rechtskräftig abgeschlossen ist, äusserte sich das Bundesgericht nicht.
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In einem nicht amtlich publizierten Entscheid hatte das Bundesgericht zu beurteilen, ob ein rechtskräftig Verurteilter, der in der gleichen Sache in einem anderen Verfahren als Zeuge einvernommen werden soll, als anderer Verfahrensbeteiligter im Sinne von Art. 105 StPO Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat. Das Bundesgericht verneinte die Frage mit der Begründung, es sei nicht ersichtlich, inwiefern der Verurteilte durch die grundsätzliche Pflicht, wahrheitsgemäss über die persönliche Wahrnehmung tatsächlicher Vorgänge zu berichten, unmittelbar in eigenen Rechten betroffen und insoweit auf die Bestellung eines Rechtsbeistands zur Wahrung seiner Interessen angewiesen sein könnte. Daran ändere auch nichts, dass sein Urteil je nach Ausgang des getrennten Verfahrens in Revision gezogen werden könne. Er müsse sich nicht selber derart belasten, dass er sich (zusätzlich) strafrechtlich verantwortlich machen würde (Art. 169 Abs. 1 lit. a StPO). Die vorliegend interessierende Frage, ob der Verurteilte überhaupt als Zeuge befragt werden durfte, thematisierte das Bundesgericht nicht explizit (Urteil 1B_436/2011 vom 21. September 2011 E. 2).
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Anders entschied das Bundesgericht in einem Urteil, dem ein nahezu identischer Sachverhalt zu Grunde lag, wie er vorliegend zu beurteilen ist: Die rechtskräftig wegen falschen Zeugnisses Verurteilte wurde im Verfahren gegen ihren mutmasslichen Anstifter als Zeugin einvernommen. Das Bundesgericht erwog mit Hinweis auf entsprechende Lehrmeinungen, da das Verfahren gegen die Verurteilte rechtskräftig abgeschlossen sei, sei deren Einvernahme als Zeugin im gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahren wegen Anstiftung zu falschem Zeugnis nicht zu beanstanden (Urteil 6B_1178/2016 vom 21. April 2017 E. 2.4 mit Hinweisen).
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Da sich das Bundesgericht bisher nicht vertieft mit der Möglichkeit eines Rollenwechsels nach rechtskräftiger Verurteilung auseinandersetzte, besteht vorliegend Anlass, die kontroverse Frage einer näheren Überprüfung zu unterziehen.
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Erwägung 2.3 | |
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2.3.2 OBERHOLZER vertritt die Ansicht, die beschuldigte Person behalte nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss ihre Verfahrensrolle grundsätzlich bei. Sie könne deshalb in einem späteren Strafverfahren gegen Mitbeteiligte nicht als Zeugin, sondern nur als Auskunftsperson befragt werden, soweit sich der abzuklärende Sachverhalt auf Straftaten beziehe, die Gegenstand des ursprünglich gegen sie geführten Verfahrens gewesen seien (NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, Rz. 747). ![]() | 21 |
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DONATSCH schreibt, nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens durch Freispruch oder Schuldspruch sei der frühere Mitbeschuldigte gemäss Art. 178 lit. e und f StPO grundsätzlich als Zeuge einzuvernehmen. Nicht ganz identisch sei die Sachlage im Falle der Einstellung des Verfahrens gegen den Mitbeschuldigten, weil der Einstellungsverfügung nur eine beschränkte materielle Rechtskraft zukomme. Obwohl das Verfahren unter den Voraussetzungen von Art. 323 StPO wieder aufgenommen werden könne, sei der frühere Mitbeschuldigte nach der Einstellung des gegen ihn geführten Verfahrens grundsätzlich ebenfalls als Zeuge einzuvernehmen. Die Befragung als Auskunftsperson sei nur dann zulässig, wenn der Mitbeschuldigte aufgrund von seit der Einstellung bekannt gewordenen neuen Erkenntnissen zum Kreis der in Art. 178 lit. d StPO umschriebenen Personen gezählt werden müsse. Werde mit der Einvernahme des Mitbeschuldigten so lange zugewartet, bis dieser zufolge Abschlusses seines Verfahrens als Zeuge befragt werden könne, so sei dieses Vorgehen zwar grundsätzlich zulässig, es erhöhe jedoch die Gefahr einer Missachtung des Beschleunigungsgebots (DONATSCH, a.a.O., N. 36 ff. zu Art. 178 StPO mit Hinweisen).
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Unklar bleibt die Position von MOREILLON/PAREIN-REYMOND. Zwar verweisen sie auf das Urteil 6B_1039/2014 vom 24. März 2015, wonach die betreffende Person ihren prozeduralen Status als Auskunftsperson auch nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss behalte (vgl. oben E. 2.2). Dennoch halten sie fest, wenn das Verfahren abgeschlossen und die Person im Nachhinein zu befragen sei, habe dies als Zeuge zu geschehen, es sei denn, sie sei involviert (MOREILLON/ PAREIN-REYMOND, CPP, Code de procédure pénale, 2. Aufl. 2016, N. 19a sowie 22 zu Art. 178 StPO mit Hinweis auf PERRIER, a.a.O., N. 23 zu Art. 178 StPO).
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KERNER führt aus, bei in einem anderen Verfahren beschuldigten Personen falle eine Einvernahme als Zeuge ausser Betracht, "weil die damit verbundenen Aussage- und Wahrheitspflichten in Konflikt geraten könnten mit den Interessen, welche die zu befragende Person als Beschuldigte in ihrem eigenen Verfahren verfolgt". Er bringt zum Ausdruck, dass das Aussageverweigerungsrecht der Auskunftsperson "allein dem Schutz vor Selbstbelastung dient" (KERNER, a.a.O., N. 10 f. zu Art. 178 StPO). Zur vorliegenden Konstellation äussert er sich nicht explizit.
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BÄHLER hält fest, nicht jede an der Begehung irgendeiner Straftat beteiligte Person falle in einem Strafverfahren als Zeugin ausser Betracht. Massgebend müsse sein, ob die betroffene Person als Zeugin befragt in die Zwangslage geraten würde, entweder die Unwahrheit zu sagen, das heisse, ein falsches Zeugnis abzulegen, oder beim Eingestehen der Wahrheit Tatsachen bekannt geben zu müssen, die für sie selbst nachteilig sein könnten. Zu denken sei dabei vor allem an die in Art. 178 lit. d-f StPO aufgeführten Konstellationen, bei welchen die Einvernahme als Auskunftsperson bereits gesetzlich vorgesehen sei. Die Einvernahme einer Person als Zeugin sei so lange ausgeschlossen, als das Verfahren gegen sie nicht rechtskräftig abgeschlossen oder sie gemäss den gesetzlichen Bestimmungen als Auskunftsperson einzuvernehmen sei. Als abgeschlossen sei ein Strafverfahren zu betrachten, wenn eine rechtskräftige Verfahrenseinstellung oder Verurteilung beziehungsweise ein entsprechender Freispruch vorliege (JÜRG BÄHLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 12 zu Art. 162 StPO).
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Erwägung 3 | |
Erwägung 3.1 | |
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3.1.2 Eine Lücke im Gesetz besteht, wenn sich eine Regelung als unvollständig erweist, weil sie jede Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage schuldig bleibt. Hat der Gesetzgeber eine Rechtsfrage ![]() | 30 |
Erwägung 3.2 | |
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Während Art. 178 lit. f StPO auf die formelle Verfahrensstellung der einzuvernehmenden Person als Beschuldigte in einem anderen Verfahren abstellt, wird der Zeugenbegriff in Art. 162 StPO materiell definiert: Zeugin ist eine an der Begehung der abzuklärenden Straftat nicht beteiligte Person, unbesehen ihrer Stellung im Verfahren. Die Rolle als Auskunftsperson ist in zeitlicher Hinsicht beschränkt. Demgegenüber kann ein an der Begehung der abzuklärenden Straftat Beteiligter nach dem Gesetzeswortlaut nie als Zeuge einvernommen werden. Daraus ergibt sich, dass eine Person, die in einem getrennten Verfahren für die abzuklärende Tat oder eine damit in Zusammenhang stehende Straftat rechtskräftig verurteilt wurde, weder unter den Gesetzeswortlaut von Art. 178 lit. f StPO noch unter jenen von Art. 162 StPO subsumiert werden kann.
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3.2.2 Was das teleologische Element anbelangt, so ist für die Auslegung beider Bestimmungen letztlich auf den Sinn und Zweck von Art. 178 lit. f StPO abzustellen. Dieser besteht darin, die befragte Person zu schützen. Ihre Stellung im eigenen Strafverfahren soll nicht dadurch erschwert werden, dass sie im fremden Verfahren gegen eine mitbeschuldigte Person einer Wahrheits- und Aussagepflicht unterstellt wird und dadurch in den Gewissenskonflikt gerät, entweder sich selbst zu belasten oder erneuter Straffälligkeit auszusetzen, indem sie die Aussage zu Unrecht verweigert oder falsche Aussagen macht. Im Gegensatz zur Zeugin unterliegt die Auskunftsperson der Wahrheits- und Aussagepflicht nicht. Das Aussageverweigerungsrecht der Auskunftsperson dient allein dem Schutz vor Selbstbelastung (vgl. BBl 2006 1208 f. Ziff. 2.4.4; KERNER, a.a.O., N. 10 f. zu Art. 178 StPO; BÄHLER, a.a.O., N. 12 zu Art. 162 StPO; siehe auch: KAUFMANN, a.a.O., S. 161). Demgegenüber bezweckt ![]() | 34 |
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Art. 175 lit. f E-StPO, welcher dem geltenden Art. 178 lit. f StPO entspricht, erfasst nach dem Willen des Bundesrats Mittäterinnen, Mittäter, Teilnehmerinnen oder Teilnehmer der abzuklärenden Tat, welche jedoch in einem anderen Verfahren beurteilt werden. Diese Personen können nicht als beschuldigte Personen einvernommen werden, weil ihnen diese Eigenschaft im Verfahren, in welchem sie befragt werden, nicht zukommt. Der Bundesrat hält fest, eine Einvernahme als Zeugin und Zeuge falle ausser Betracht, weil ihre Aussage- und Wahrheitspflicht in Konflikt geraten könnte mit den Interessen, welche sie im eigenen Verfahren verfolgten. Das Gleiche gelte auch, wenn in den beiden Verfahren zwar nicht die gleiche, aber konnexe Straftaten verfolgt würden (BBl 2006 1209 Ziff. 2.4.4).
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Im Vorentwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung war die Konstellation von Art. 178 lit. f StPO noch nicht explizit geregelt. Aus dem Begleitbericht zum Vorentwurf ergibt sich jedoch, dass Mittäter des gleichen Delikts oder Täter konnexer Straftaten (z.B. Hehler, Geldwäscher), die in separaten Verfahren verfolgt werden, nach Ansicht der Verfasser Auskunftspersonen nach Art. 186 Abs. 1 lit. d VE-StPO seien (Bundesamt für Justiz, Begleitbericht zum Vorentwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung [nachfolgend: Begleitbericht], 2001, S. 138). Art. 186 VE-StPO, der Vorläufer von Art. 178 StPO, enthielt einen zweiten Absatz mit folgender Bestimmung: "Die Verfahrensleitung entscheidet, ob Auskunftspersonen im Sinne von Art. 186 Abs. 1 lit. d-f VE-StPO nach der Einstellung des Strafverfahrens oder nach dem Freispruch als Zeuginnen oder Zeugen einvernommen werden können." Im Begleitbericht wurde dazu festgehalten, Art. 186 Abs. 2 VE-StPO erfasse Fälle von Abs. 1 lit. d-f, in denen das Strafverfahren gegen die Auskunftsperson nachträglich eingestellt worden oder ein Freispruch erfolgt sei. Bisher sei überwiegend angenommen worden, dass nach dieser Einstellung oder dem Freispruch die betreffende Person als Zeugin oder Zeuge einzuvernehmen sei. Meistens möchten gegen ein solches Vorgehen keine Bedenken vorhanden sein. Problematisch sei es jedoch, wenn ein Restverdacht bleibe und die frühere beschuldigte Person, wenn ![]() | 37 |
Für die vorliegend zu beurteilende Konstellation einer rechtskräftigen Verurteilung ist dem historischen Auslegungsmoment nichts Konkretes zu Art. 178 lit. f StPO zu entnehmen. Es bleibt einzig festzuhalten, dass dem Gesetzgeber bewusst war, dass die betreffende Person gemäss damaliger Praxis nach Einstellung oder Freispruch als Zeugin oder Zeuge einzuvernehmen ist. Hätte der Gesetzgeber die Stellung als Auskunftsperson über den Abschluss des eigenen Strafverfahrens fortdauern lassen wollen, dann wäre dies in Art. 178 lit. f StPO ausdrücklich festgehalten worden. Stattdessen übernahm er Art. 186 Abs. 2 VE-StPO nicht, der in gewissen Fällen die Bei behaltung der Stellung als Auskunftsperson ermöglicht hätte. Dies legt nahe, dass nach Absicht des Gesetzgebers Art. 178 lit. f StPO bei Personen zur Anwendung gelangt, deren eigenes Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Demzufolge fällt die rechtskräftig beurteilte Person nicht unter diese Bestimmung.
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Hinsichtlich Art. 162 StPO ist die historische Auslegung wenig ergiebig. Art. 162 StPO lautet weitgehend identisch wie Art. 159 E-StPO und Art. 172 Abs. 1 VE-StPO, mit der Ausnahme, dass in Letzterem noch der Plural verwendet wurde. Weder der Botschaft noch der parlamentarischen Beratung noch der Zusammenfassung des Vernehmlassungsverfahrens oder dem Begleitbericht ist etwas über den Gesetzeswortlaut Hinausgehendes zum Zeugenbegriff zu entnehmen (vgl. BBl 2006 1196 Ziff. 2.4.3.1; AB 2006 S 1017; AB 2007 N 961; ![]() | 39 |
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3.3 Auf die drei unterschiedlichen Varianten von Einvernahmen und Belehrungen sowie deren Auswirkungen auf die Rechtsstellung der einzuvernehmenden Person wurde eingangs hingewiesen (vgl. oben E. 2.1). Eine Einvernahme des rechtskräftig Verurteilten im konnexen Verfahren als beschuldigte oder sachverständige Person kommt vorliegend aus offensichtlichen Gründen nicht in Betracht. Beim Entscheid, ob die betreffende Person in einem konnexen Verfahren als Zeugin oder Auskunftsperson einzuvernehmen ist, sind insbesondere Sinn und Zweck des Instituts der Auskunftsperson ausschlaggebend. In den hier einzig in Frage stehenden Konstellationen, in denen zumindest ein gewisser Verdacht gegen die einzuvernehmende Person besteht (vgl. Art. 178 lit. d-f StPO), dient die Einvernahme als Auskunftsperson nach dem Gesagten dem Schutz der einzuvernehmenden Person; es soll ein Konflikt zwischen Selbstbelastung einerseits und Verstoss gegen die Wahrheits- oder Aussagepflicht andererseits verhindert werden (vgl. oben E. 3.2.2). Nach dem rechtskräftigen Abschluss des eigenen Verfahrens durch Verurteilung besteht nun aber dieser Konflikt in der Regel nicht mehr, weshalb das Schutzbedürfnis der einzuvernehmenden Person entfällt. Wer in der Schweiz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, darf wegen der gleichen Straftat nicht erneut verfolgt werden ![]() | 41 |
Das Bundesgericht verkennt nicht, dass die gefundene Lösung die Trennung von Strafverfahren gegen mehrere Tatbeteiligte begünstigen kann. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass im schweizerischen Strafprozess der Grundsatz der Verfahrenseinheit gilt. Gemäss Art. 29 Abs. 1 StPO werden Straftaten gemeinsam verfolgt und beurteilt, wenn eine beschuldigte Person mehrere Straftaten verübt hat (lit. a) oder Mittäterschaft oder Teilnahme vorliegt (lit. b). Eine Verfahrenstrennung ist gemäss Art. 30 StPO nur bei Vorliegen sachlicher Gründe zulässig und muss die Ausnahme bleiben (zum Ganzen: BGE 138 IV 29 E. 3.2 S. 31 f., BGE 138 IV 214 E. 3.2 S. 219; Urteile 6B_1030/2015 vom 13. Januar 2017 E. 2.3; 1B_11/2016 vom 23. Mai 2016 E. 2.2; je mit Hinweisen). Es kommt hinzu, dass ein Zuwarten mit der Einvernahme bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gegen die einzuvernehmende Person die Gefahr einer Missachtung des Beschleunigungsgebots erhöht (DONATSCH, a.a.O., N. 38 zu Art. 178 StPO). Schliesslich vermag auch der vom Beschwerdeführer thematisierte Umstand, dass der Zeugenaussage im Strafverfahren höheres Gewicht zukommt als den Aussagen einer Auskunftsperson (vgl. dazu Urteile 6B_98/2016 vom 9. September 2016 E. 2.4.2; ![]() | 42 |
3.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine Person, die in einem getrennten Verfahren für die abzuklärende Tat oder eine damit in Zusammenhang stehende Straftat rechtskräftig verurteilt wurde, grundsätzlich in analoger Anwendung von Art. 162 ff. StPO als Zeuge oder Zeugin einzuvernehmen ist. Bestehen jedoch im Einzelfall Anhaltspunkte dafür, dass die einzuvernehmende Person über ihre Verurteilung hinaus (vgl. jedoch Art. 11 StPO) als Täterin oder Teilnehmerin der abzuklärenden oder einer konnexen Straftat nicht ausgeschlossen werden kann, so ist sie gestützt auf Art. 178 lit. d StPO als Auskunftsperson einzuvernehmen. Der Entscheid über die Rolle der einzuvernehmenden Person richtet sich nach der Sach- und Rechtslage im Einvernahmezeitpunkt (vgl. oben E. 2.1.3).
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