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Bearbeitung, zuletzt am 12.12.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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20. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A., B. und Mitb. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt und Eidgenössische Spielbankenkommission (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_178/2019 und andere vom 1. April 2020 | |
Regeste |
Art. 70 und 71 StGB; Berechnung der Ersatzforderung im Zusammenhang mit Vermögenswerten, welche im Rahmen eines illegalen Pokerturniers gewonnen wurden. | |
Sachverhalt | |
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B. Nachdem der Strafbescheid vom 19. Januar 2012 in Rechtskraft erwachsen war, erliess die ESBK gegen zahlreiche Personen, welche an den von R. betriebenen Pokerturnieren teilgenommen hatten, einen Einziehungsbescheid. Darin wurden die Turnierteilnehmer jeweils verpflichtet, dem Bund eine Ersatzforderung zu bezahlen.
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Ein Teil dieser Einziehungsbescheide erging Ende 2012 und im Februar 2013. Weitere Bescheide waren zu diesem Zeitpunkt bereits vorbereitet worden. ![]() | 3 |
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Im April 2016 stellte die ESBK weiteren Einziehungsbetroffenen einen Einziehungsbescheid zu.
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D. Die von verschiedenen Einziehungsbetroffenen gegen die Einziehungsbescheide erhobenen, im Pilotprozess noch nicht behandelten Einsprachen, wies die ESBK mit separaten Einziehungsverfügungen vom 14. Oktober 2016 ab und bestätigte die von ihr zuvor verfügten Ersatzforderungen.
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Daraufhin stellte ein Teil der Einziehungsbetroffenen ein Begehren um gerichtliche Beurteilung.
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E. In der Folge verpflichtete das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt (Einzelgericht) einen Grossteil der Einziehungsbetroffenen, welche die Beurteilung durch das Gericht verlangt hatten, zur Bezahlung einer Ersatzforderung an den Bund in unterschiedlicher Höhe, wobei die jeweiligen Forderungen mehrheitlich weniger als Fr. 10'000.- betrugen.
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F. Gegen diese separat ergangenen Verfügungen erhoben sowohl die ESBK wie auch diverse Einziehungsbetroffene Beschwerde beim Appellationsgericht Basel-Stadt. Dieses vereinigte die verschiedenen Verfahren. Mit Entscheid vom 2. Oktober 2018 (bzw. Rektifikat vom 5. Februar 2019) hiess es die Beschwerde der ESBK teilweise gut und legte die Höhe der an den Bund zu bezahlenden Ersatzforderungen für einen Teil der Einziehungsbetroffenen neu fest. Im Übrigen wies es die Beschwerden in Bestätigung der angefochtenen Verfügungen ab.
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G. Gegen den Entscheid des Appellationsgerichts Basel-Stadt vom 2. Oktober 2018 führen A., B., C., D., E., F., G., H., I., J., K., L., M., N., O., P. und Q. (gesamthaft nachfolgend: Beschwerdeführer) je Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragen jeweils, der Entscheid ![]() ![]() | 10 |
H. Das Appellationsgericht Basel-Stadt und die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt lassen sich innert Frist nicht vernehmen. Die ESBK verweist auf ihre bisherigen Eingaben und den Entscheid der Vorinstanz und verzichtet im Übrigen darauf, eine Vernehmlassung einzureichen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerden gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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8.1 Die Vorinstanz bejaht das Vorliegen eines hinreichenden Deliktskonnexes zwischen der Anlasstat und den von den Beschwerdeführern erzielten Gewinnen. Sodann führt sie im Wesentlichen aus, dass es sich bei Verstössen gegen die Spielbankengesetzgebung um eine generelle Normwidrigkeit handle. Die den Beschwerdeführern zugeflossenen Vermögensvorteile seien als Ganzes rechtswidrig entstanden, weshalb für die Berechnung der Ersatzforderung grundsätzlich auf das Bruttoprinzip abzustellen sei. Im Weiteren könne die Rechtsgleichheit unter den Turnierteilnehmern nur bei Anwendung des Bruttoprinzips bewahrt werden. Denn mit dem Bruttoprinzip stehe der Gewinner gleich da, wie jener Spieler, der zwar einen Spieleinsatz geleistet, aber keinen Gewinn erzielt habe. Beide hätten ihren ganzen Einsatz verloren. Würde jedoch nach dem Nettoprinzip für die Einziehung beim Gewinner der Spieleinsatz vom Gewinn abgezogen werden, so hätte dieser - anders als der Nichtgewinner - wenigstens jenen Einsatz zurückerhalten, der zu seinem Gewinn geführt hat. Zudem würde nicht nur zwischen Gewinnern und Nichtgewinnern, sondern auch zwischen jenen, die viele Einsätze geleistet haben, bis sie einen Gewinn einfahren konnten, und jenen, die mit wenigen Einsätzen Gewinne erzielt haben, eine Ungleichbehandlung geschaffen. Der Vielgewinner könnte viele Einsätze abziehen und hätte gesamthaft gesehen nur wenige Einsatzgelder verloren. Jene Person, die viel gespielt jedoch nur selten, aber vielleicht sehr viel ![]() ![]() | 14 |
8.2 Dass ein zureichender Deliktskonnex zwischen der Anlasstat und den im Zeitraum vom 6. Juli 2010 bis zum 9. März 2011 erzielten Gewinnen besteht, wird von den Beschwerdeführern nicht bestritten. Ebensowenig stellen sie in Abrede, aus der Anlasstat direkt begünstigt zu sein. Sie bringen jedoch zusammengefasst vor, dass die Vorinstanz die Ersatzforderung zu Unrecht nach dem Bruttoprinzip berechnet und damit das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzt habe. So habe diese bei ihrer Verhältnismässigkeitsprüfung zahlreiche entscheidrelevante Umstände, wie etwa die Tatsache, dass ihnen als blosse Teilnehmer des Pokerturniers kein strafrechtliches Verschulden angelastet werden könne, ausser Acht gelassen. Unter Berücksichtigung dieser besonderen Gegebenheiten gebiete sich aus Gründen der Verhältnismässigkeit eine Einziehung nach dem Nettoprinzip. Das von der Vorinstanz vorgebrachte Argument der Rechtsgleichheit sei nicht stichhaltig. Turnierteilnehmer, welche im fraglichen Deliktszeitraum keinen Gewinn erzielt hätten, seien keine Einziehungsbetroffene. Ein Vergleich zwischen Einziehungsbetroffenen und Nichteinziehungsbetroffenen sei daher nicht sachgerecht. Unter den Einziehungsbetroffenen werde die Rechtsgleichheit auch bei Anwendung des Nettoprinzips gewahrt. Eine über den tatsächlichen Gewinn hinausgehende Ausgleichseinziehung sei nicht erforderlich, ![]() ![]() | 15 |
Erwägung 8.3 | |
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8.3.2 Hinsichtlich des Umfangs der Einziehung stellt sich die Frage, ob der gesamte, dem Betroffenen im Zusammenhang mit der Straftat zugeflossene Vermögenswert, ohne Berücksichtigung der dafür vorgenommenen Aufwendungen, abgeschöpft werden soll ("Bruttoprinzip") oder ob lediglich der nach Abzug der Aufwendungen und Gegenleistungen verbleibende Betrag, einzuziehen ist ("Nettoprinzip") ![]() ![]() | 17 |
8.3.3 Die Rechtsprechung des Bundesgerichts neigt zur Anwendung des Bruttoprinzips, verlangt aber die Beachtung des allgemeinen Grundsatzes der Verhältnismässigkeit (BGE 141 IV 317 E. 5.8.2 S. 326, BGE 141 IV 305 E. 6.3.3 S. 313; BGE 124 I 6 E. 4b/bb S. 8 f.; je mit Hinweisen; Urteile 6B_728/2010 vom 1. März 2011 E. 4.5.3; 6B_56/2010 vom 29. Juni 2010 E. 3.2; 6B_697/2009 vom 30. März 2010 E. 2.2). In der Lehre wird die Auffassung vertreten, dass bei generell verbotenen Handlungen das Bruttoprinzip anzuwenden ist, während bei an sich rechtmässigem, nur in seiner konkreten Ausrichtung rechtswidrigem Verhalten das Nettoprinzip gelten soll (SCHMID, a.a.O., N. 57 f. und 105 zu Art. 70-72 StGB; TRECHSEL/JEAN-RICHARD, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 6d zu Art. 70 StGB). Andere Autoren raten von jeglichem Schematismus ab und treten dafür ein, in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände eine Wertung vorzunehmen und zu prüfen, ob und inwieweit der gesamte Bruttoerlös der strafbaren Handlung zugerechnet werden kann und inwieweit die Abschöpfung in diesem Umfang vor dem Verhältnismässigkeitsprinzip standhält (FLORIAN BAUMANN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2019, N. 34 zu Art. 70/71 StGB; GREINER/AKIKOL, Grenzen der Vermögenseinziehung bei Dritten [Art. 59 Ziff. 1 Abs. 2 StGB] - unter Berücksichtigung von zivil- und verfassungsrechtlichen Aspekten, AJP 2005 S. 1351; ausführlich auch SIMONE NADELHOFER DO CANTO, Vermögenseinziehung bei Wirtschafts- und Unternehmensdelikten, 2008, S. 88 ff.). MARCEL SCHOLL (in: Kommentar Kriminelles Vermögen - Kriminelle Organisationen, Bd. I, 2018, § 5 Ersatzforderungen, N. 111 zu Art. 71 StGB) und GÜNTER STRATENWERTH (in: Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II: Strafen und Massnahmen, 2. Aufl. 2006, § 13 Rz. 109 ff.) scheinen grundsätzlich das Nettoprinzip zu befürworten. ![]() | 18 |
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Glücksspiele sind Spiele, bei denen gegen Leistung eines Einsatzes ein Geldgewinn oder ein anderer geldwerter Vorteil in Aussicht steht, der ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt (Art. 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1998 über Glücksspiele und Spielbanken [SBG; AS 2000 677]). Das Organisieren und gewerbsmässige Betreiben von Glücksspielen ausserhalb konzessionierter Spielbanken stellt nach Art. 56 Abs. 1 lit. a SBG eine Übertretung dar, welche mit Haft oder Busse zu bestrafen ist. Nicht strafbar macht sich jedoch, wer an solchen Spielen nur teilnimmt. Die von der Einziehung betroffenen Beschwerdeführer trifft insofern kein strafrechtliches Verschulden. Sie gingen weder einer illegalen Tätigkeit nach, noch haben sie im Zusammenhang mit dem illegalen Pokerturnier anderweitig gegen strafrechtliche Bestimmungen verstossen. Die Einziehung nach dem reinen Bruttoprinzip ist vor diesem Hintergrund abzulehnen. Mit den Beschwerdeführern hätte die Vorinstanz den Umstand, dass den Einziehungsbetroffenen kein rechtswidriges Verhalten vorgeworfen werden kann, in ihre Verhältnismässigkeitsprüfung mit einbeziehen müssen (vgl. zur Relevanz dieses Kriteriums: BGE 141 IV 317 E. 5.8.2 f. S. 326 ff.).
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8.4.2 Die Anwendung des Bruttoprinzips lässt sich vorliegend auch nicht mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit rechtfertigen. Wie die Beschwerdeführer zutreffend ausführen, wurden nur diejenigen Turnierteilnehmer mit einer Ersatzforderung konfrontiert, welche einen Gewinn erzielt haben. Ob die Einziehung dieses gesamten Gewinns verhältnismässig erscheint, ist allein mit Blick auf diese Spieler zu ![]() ![]() | 23 |
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8.4.5 Nicht gefolgt werden kann den Beschwerdeführern indessen, wenn sie geltend machen, dass jegliche im Deliktszeitraum geleisteten Buy-ins von ihrem Gewinn abzuziehen seien. Vielmehr wären auch bei Anwendung des Nettoprinzips einzig die Buy-ins für diejenigen Spiele abzuziehen, bei denen der Spieler auch effektiv einen Gewinn erzielt hat. Allein diese waren für die Gewinne kausal und können als Aufwendungen bei der Festlegung der Ersatzforderung berücksichtigt werden. ![]() | 26 |
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