BGE 148 IV 17 | |||
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2. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Kägi (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_333/2021 vom 5. November 2021 | |
Regeste |
Art. 56 lit. f und Art. 59 Abs. 1 StPO; Art. 30 Abs. 1 BV; Ausstand eines Staatsanwalts im Strafverfahren; verbindliche gesetzliche Zuständigkeitsordnung für die Prüfung von Ausstandsgesuchen. | |
Sachverhalt | |
Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich erhob am 22. Dezember 2020 Anklage beim Bezirksgericht Horgen gegen A. Mit Eingabe vom 24. Dezember 2020 stellte der Beschuldigte ein Ausstandsbegehren gegen den verfahrensleitenden Staatsanwalt Adrian Kägi, welches das Bezirksgericht am 11. Mai 2021 als unbegründet abwies. Dagegen erhebt A. Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den Beschluss des Bezirksgerichts Horgen vom 11. Mai 2021 auf und überweist die Sache zuständigkeitshalber an das Obergericht des Kantons Zürich zu neuer Entscheidung.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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2.1 Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Gesetzesbestimmung (BGE 147 I 136 E. 2.3.2; BGE 147 II 25 E. 3.3; BGE 145 II 182 E. 5.1). Wird wie vorliegend ein Ausstandsgrund nach Art. 56 lit. f StPO betreffend die Staatsanwaltschaft geltend gemacht, sieht Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO nach dem klaren Wortlaut vor, dass die Beschwerdeinstanz ("l'autorité de recours"; "la giurisdizione di reclamo") im Sinne von Art. 20 StPO (vgl. BGE 143 IV 69 E. 1.1; HENZELIN/MAEDER MORVANT, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 8 ff. zu Art. 20 StPO; ANDREAS J. KELLER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl. 2020, N. 7 zu Art. 20 StPO) und nicht das Sachgericht entscheidet - ohne weiteres Beweisverfahren und endgültig. Ist der Gesetzeswortlaut wie hier klar (vgl. auch NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Aufl. 2020, Rz. 189), kann das Gericht davon nur abweichen, wenn ein triftiger Grund für die Annahme besteht, der Wortlaut ziele am "wahren Sinn" der Regelung vorbei. Anlass für eine solche Annahme können die Entstehungsgeschichte der Bestimmung (historisch), ihr Zweck (teleologisch) oder der Zusammenhang mit anderen Vorschriften (systematisch) geben, so namentlich, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann (BGE 147 II 25 E. 3.3; BGE 145 II 153 E. 4.3.1, BGE 145 II 119 E. 6.1; BGE 145 I 108 E. 4.4.2; je mit Hinweisen).
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Besonders wenig Spielraum für eine Abweichung vom klaren Gesetzeswortlaut besteht im Lichte von Art. 30 Abs. 1 BV bei Regelungen betreffend die gerichtliche Zuständigkeitsordnung. Nach dieser Bestimmung hat jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges Gericht. Art. 30 Abs. 1 BV verlangt, dass das Gericht und seine Zuständigkeit generell-abstrakt durch formelles Verfahrensrecht im Voraus bestimmt sind (BGE 134 I 125 E. 3.3 S. 133 mit Hinweisen). Diese Bestimmung ist verletzt, wenn ein anderes als das im Gesetz vorgesehene Gericht entscheidet, das Gericht also seine Zuständigkeit in Missachtung des Gesetzes bejaht oder verneint (BGE 123 I 49 E. 3c und d S. 53 ff.; Urteil des Bundesgerichts 1B_126/2012 vom 28. März 2012 E. 2.2.1; je mit Hinweisen).
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2.2 Die Vorinstanz begründete ihre Zuständigkeit mit der Rechtsprechung des Obergerichts des Kantons Zürich, wonach die Beschwerdeinstanz für die Behandlung von Ausstandsbegehren gegen die Staatsanwaltschaft nur dann zuständig sein könne, wenn das Verfahren noch vor der Staatsanwaltschaft anhängig sei; insbesondere, da Sinn und Zweck der Zuständigkeitsregel von Art. 59 Abs. 1 StPO sei, dass eine andere als die vom Ausstand betroffene Behörde über das Ausstandsgesuch entscheide. Wenn die Sache jedoch beim erstinstanzlichen Gericht - in aller Regel, weil Anklage erhoben wurde - anhängig sei, habe nicht die Beschwerdeinstanz über die gegen die Staatsanwaltschaft geltend gemachten Ausstandsgründe zu entscheiden. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich die Verwirklichung des behaupteten Ausstandsgrunds auf das Stadium des staatsanwaltschaftlichen Verfahrens beziehe. Verwirkliche sich im gerichtlichen Verfahren ein Ausstandsgrund betreffend das Vorverfahren, müsse das Gericht auch von Amtes wegen prüfen, ob Handlungen des vom Ausstandsgrund Betroffenen zu berücksichtigen seien. Es könne dementsprechend nicht Sinn und Zweck der StPO sein, dass die Beschwerdeinstanz über den Ausstand entscheide, zumal diese gegebenenfalls nur das Ausstandsgesuch gutheissen würde, ohne sich zu den prozessualen Folgen zu äussern. Diese Grundsätze würden sowohl für das Berufungsgericht als auch für das erstinstanzliche Gericht gelten, wenn bei ihnen die Sache anhängig sei.
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Die Vorinstanz beruft sich für die Begründung ihrer Zuständigkeit nicht auf die Lehre und es ist auch nicht ersichtlich, dass sie darin eine Stütze finden könnte. Vorweg blendet die Abweichung vom klaren Wortlaut von Art. 59 Abs. 1 StPO aus, dass die StPO für Ausstandsgesuche separate Zwischenverfahren vorsieht (vgl. das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 25. Januar 2018 E. 3b/bb, in: RBOG 2018 S. 191 f.). Dabei übersieht die Auslegung des Obergerichts des Kantons Zürich, auf die sich das Bezirksgericht Horgen im angefochtenen Entscheid stützt, die institutionelle Bedeutung der in Art. 59 Abs. 1 StPO festgelegten Zuständigkeitsordnung. Die Prüfung von Ausstandsgesuchen betreffend die Staatsanwaltschaft gemäss StPO durch die ihr hierarchisch übergeordnete Beschwerdeinstanz soll nämlich auch sicherstellen, dass Ausstandsfragen von einer institutionell möglichst unabhängigen Behörde beurteilt werden. Die Einsetzung der Beschwerdeinstanz soll zudem eine kantonal einheitliche Behandlung solcher Ausstandsgesuche gewährleisten. Neben der mit der Einführung der StPO anvisierten Vereinheitlichung der Verfahren, der Rechtssicherheit und dem klaren Wortlaut von Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO gibt es somit auch materielle Aspekte, die für die gewählte Zuständigkeitsordnung angeführt werden können. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber das auf eine grammatikalische Auslegung gestützte Ergebnis nicht gewollt haben kann.
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Die vom Wortlaut von Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO abweichende gerichtliche Zuständigkeit nach der Rechtsprechung des Obergerichts des Kantons Zürich erweist sich als nicht gerechtfertigt und ist demnach unzulässig.
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2.4 Das Ausstandsgesuch hätte nach Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO von der Beschwerdeinstanz behandelt werden müssen. Wie das Bezirksgericht im angefochtenen Entscheid bemerkt, wäre daher die III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vorliegend zuständig gewesen. Der angefochtene Entscheid wurde somit nicht von der gemäss Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO zuständigen Vorinstanz gefasst. Der vorinstanzliche Entscheid ist daher aufzuheben (vgl. nicht publ. E. 1.1).
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