![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
53. Auszug aus dem Urteil vom 30. November 1979 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Demarmels und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn | |
Regeste |
Art. 128 Abs. 1 AHVV. |
- Für Beitragsverfügungen ist die Unterschrift kein Gültigkeitserfordernis. | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn bezeichnete die Verfügungen mangels Unterschrift als nichtig. Das Bundesamt für Sozialversicherung erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
| 2 |
Aus den Erwägungen: | |
3 | |
3. a) In der älteren Verwaltungsrechtslehre findet sich die These, zum Erfordernis der Schriftlichkeit eines Verwaltungsaktes gehöre auch, dass dieser die - gegebenenfalls faksimilierte - Unterschrift des zuständigen Organs trage (GIACOMETTI, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, Bd. 1, S. 386; IMBODEN, Der nichtige Staatsakt, S. 99; JELLINEK, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., S. 270). Auch die neuere Doktrin hält an diesem Grundsatz fest (GRISEL, Droit administratif suisse, S. 194 oben; FORSTHOFF, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 10. Aufl., S. 238; SCHWARZENBACH, Grundriss des allgemeinen Verwaltungsrechts, 6. Aufl., S. 107, 112). Jedoch weisen verschiedene Autoren darauf hin, dass die modernen Möglichkeiten der mechanischen oder elektronischen ![]() | 4 |
"Das Verfahren und die richtige Eröffnung führen vor allem bei
| 5 |
Verfügungen zu Problemen, die durch den Computer ausgestellt werden, wie
| 6 |
zum Beispiel Rentenverfügungen, Verfügungen auf dem Gebiet des
| 7 |
Steuerrechts, Telephonrechnungen usw. Solche Computerrechnungen enthalten
| 8 |
keine Unterschrift und oft keine Rechtsmittelbelehrung.
| 9 |
In der Praxis muss deshalb die Rechnung, soll sie rechtskräftig werden, in
| 10 |
einem späteren Verfahren als formelle Verfügung eröffnet werden"
| 11 |
(Grundzüge des allgemeinen und schweizerischen Verwaltungsrechts, S. 230).
| 12 |
Damit schliesst sich FLEINER-GERSTER dem Grundsatz nach der traditionellen Lehre an. IMBODEN/RHINOW weisen darauf hin, dass es umstritten sei,
| 13 |
"ob das Erfordernis der Schriftlichkeit eine Verpflichtung zur
| 14 |
Unterzeichnung beinhalte, ja, ob sich diese Verpflichtung aus den
| 15 |
allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts ergebe", vertreten aber grundsätzlich ebenfalls die herkömmliche Auffassung, indem sie weiter ausführen,
| 16 |
"die fehlende Unterschrift sollte im Regelfall - d.h. wenn nicht
| 17 |
besondere Gründe vorliegen, die den Mangel als blosses Versehen
| 18 |
kennzeichnen (der Adressat weiss, dass die Behörde im Sinne der formell
| 19 |
mangelhaften Ausfertigung verfügt hat) - die Unwirksamkeit der Verfügung
| 20 |
bewirken" (Verwaltungsrechtsprechung, Bd. 1, 5. Aufl., Nr. 84 B III, S.
| 21 |
529, vgl. auch Nr. 40 B V 2c, S. 243, und Nr. 44 B III, S. 268).
| 22 |
b) In der Praxis ist die Frage nach der Notwendigkeit der Unterschrift bei einer schriftlich zu erlassenden Verfügung ebenfalls kontrovers. Im Jahre 1939 entschied das Bundesgericht, dass die Eröffnung einer Einschätzung, die den einschlägigen Bestimmungen entspreche und mit dem Stempel der erlassenden Behörde versehen sei, nicht als rechtsungültig bezeichnet werden könne, wenn die Unterschrift des zuständigen Steuerbeamten auf dem Formular fehle (Urteil vom 30. November ![]() | 23 |
4. a) Das Eidg. Versicherungsgericht hat sich verschiedentlich mit der Frage nach der Notwendigkeit der Unterzeichnung von Verfügungen im Bereich des Sozialversicherungsrechtes befasst. Bereits im Urteil vom 1. Mai 1939 i.S. Kippel (EVGE 1939, S. 33 ff., insbesondere S. 36 f.), das eine formularmässig erlassene, nicht handschriftlich unterzeichnete Krankengeldverfügung der Militärversicherung betraf, hat es festgehalten, dass für Verwaltungsakte - soweit nicht positive Bestimmungen etwas anderes vorschreiben - der Grundsatz der Formlosigkeit anerkannt sei, dies in dem Sinne, dass die betreffenden behördlichen Willensäusserungen nicht an eine bestimmte Form gebunden seien, sondern in beliebiger Weise erfolgen können. Wo jedoch für einen Verwaltungsakt eine Form, z.B. die Schriftlichkeit, ausdrücklich durch Gesetz vorgeschrieben sei, müsse diese Form gewahrt werden, und zwar als Voraussetzung der Gültigkeit des betreffenden Verwaltungsaktes; dabei erscheine es als zulässig, aus gewissen sonstigen Vorschriften stillschweigende gesetzliche Formvorschriften, z.B. die Notwendigkeit der Schriftlichkeit, abzuleiten. Im übrigen könnten aber an eine Verfügung keine Formerfordernisse, ![]() | 24 |
b) An dieser Rechtsprechung ist auch mit Bezug auf Beitragsverfügungen der Ausgleichskassen festzuhalten. Hiebei handelt es sich um Anordnungen, die in grosser Anzahl getroffen werden müssen und die sich - ausser in den im Formular einzusetzenden Zahlen - sachlich voneinander nicht unterscheiden. Es liegt daher im Interesse einer einfachen und raschen Verfahrensabwicklung, dass solche Verfügungen auf mechanischem oder elektronischem Wege erlassen werden können, wobei es bezüglich der Frage der Unterschrift letztlich unerheblich ist, ob sich die Ausgleichskasse beim Ausfüllen des Formulars eines Computers oder - wie bei den hier streitigen Nachzahlungsverfügungen - allenfalls auch nur einer Schreibmaschine bedient. Auf der andern Seite widerspricht es - wie das Bundesamt zutreffend ausführt - nicht dem Interesse des Beitragspflichtigen, insbesondere nicht seinem Rechtsschutzbedürfnis, ![]() | 25 |
Ob die vorstehenden Ausführungen auch für - zuweilen ebenfalls mit dem Computer ausgefertigte - Verfügungen Gültigkeit haben, mit welchen individuelle Leistungen zugesprochen oder verweigert werden, ist - da es vorliegend um Beitragsverfügungen geht - nicht zu entscheiden. Ebenso kann offen bleiben, ob die Nichtbeachtung von Verwaltungsweisungen, die eine Unterzeichnung ausdrücklich verlangen (vgl. etwa Rz 1049 der Wegleitung des Bundesamtes über die Renten, gültig ab 1. Januar 1971, und Rz 200 des bundesamtlichen Kreisschreibens über das Verfahren in der Invalidenversicherung, gültig ab 1. April 1964), nur als Verstoss gegen eine Ordnungsvorschrift zu werten ist oder ob dadurch die Gültigkeit der Rechtshandlung grundsätzlich und in gleicher Weise in Frage gestellt wird wie dort, wo das Gesetz zusätzlich zur vorausgesetzten Schriftlichkeit die Unterschrift speziell fordert (vgl. z.B. Art. 52 Abs. 1 VwVG, Art. 30 Abs. 1 und 108 Abs. 2 OG; BGE 86 III 3 f. mit Hinweisen).
| 26 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |