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40. Urteil vom 6. August 1984 i.S. Kündig gegen Ausgleichskasse VATI und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 23, 25 AHVG, Art. 38 ZGB. |
- Die Verschollenerklärung entfaltet die gesetzlichen Wirkungen vom Zeitpunkt der Todesgefahr oder der letzten Nachricht an bis zu ihrer richterlichen Aufhebung. Für diese Zeitspanne ist die Ehefrau des Verschollenen als Witwe im Sinne von Art. 23 AHVG zu betrachten. Im Falle der Aufhebung der Verschollenerklärung ist sie für die während der Verschollenheit bezogenen Witwenrenten nicht rückerstattungspflichtig (Erw. 2). | |
Sachverhalt | |
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B.- Die gegen die beiden Verfügungen vom 27. April und 11. Mai 1982 erhobene Beschwerde wies die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich mit Entscheid vom 4. November 1982 ab.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Ilse Kündig beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der beiden angefochtenen Kassenverfügungen sei ihr bis Ende Juli 1982 eine Witwenrente auszurichten und es sei von einer Rückerstattung abzusehen.
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Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
1. Die Gewährung von Witwen- und Waisenrenten setzt den Tod des Ehemannes bzw. eines oder beider Elternteile voraus. Dem Tod gleichgestellt ist in Anknüpfung an Art. 38 ZGB die Verschollenerklärung (EVGE 1967 S. 237 Erw. 3, 1960 S. 97, 1953 S. 230 Erw. 2; ZAK 1960 S. 178 Erw. 1, 1952 S. 170 ff., 1951 S. 41, 1948 S. 488; JEAN-FRANÇOIS AUBERT, L'état civil et l'assurance-vieillesse et survivants, SZS 1962, S. 16-19; JEAN-DANIEL DUCOMMUN, Problèmes juridiques actuels de l'assurance-vieillesse et survivants, ZSR 74/1955 II, S. 270a-274a). Von der Regelung des Art. 38 ZGB ist das Sozialversicherungsrecht insofern abgewichen, als bereits vor der Verschollenerklärung im Sinne einer "vorgängigen sozialen Massnahme" Leistungen erbracht werden können, sofern im Falle der langen nachrichtenlosen Abwesenheit das Gesuch um Verschollenerklärung bereits gestellt bzw. dies nicht zumutbar ist oder wenn bei Verschwinden in Todesgefahr die Stellung des Gesuchs noch nicht möglich ist (EVGE 1960 S. 98; vgl. EVGE 1967 S. 235 Erw. 1 sowie Wegleitung des BSV über die Renten vom 1. Januar 1980, Rz. 128.2 - in der Fassung gemäss Nachtrag 2 - und Rz. 176). Eine weitere Abweichung vom Zivilrecht besteht darin, dass zwar die Wirkung der Verschollenerklärung entsprechend Art. 38 Abs. 2 ZGB grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Todesgefahr bzw. der letzten Nachricht zurückbezogen wird, jedoch der Frist des Art. 46 Abs. 1 AHVG Rechnung ![]() | 5 |
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a) Der Zweck der Verschollenerklärung besteht darin, der Ungewissheit über das Schicksal eines Vermissten im Interesse der mit ihm verbundenen Personen rechtlich ein Ende zu bereiten. Diesen Personen wird im Sinne einer Umkehrung der Beweislast der Nachweis des Todes erlassen, damit sie die aus dem Tode abgeleiteten Rechte geltend machen können, wie wenn der Tod bewiesen wäre (Art. 38 Abs. 1 ZGB). Folgerichtig löst die Verschollenerklärung in der AHV einen Anspruch auf Witwen- und Waisenrenten aus, weil mit ihr der Beweis für eine dem Tod des Versicherten gleichzustellende Tatsache erbracht wird (EVGE 1967 S. 237 Erw. 3 mit Hinweis).
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Die Verschollenerklärung entfaltet ihre Wirkung vom Zeitpunkt der Todesgefahr oder der letzten Nachricht an (Art. 38 Abs. 2 ZGB), bis der Nachweis erbracht werden kann, dass der Vermisste lebt, oder wenn die Tatsache und der Zeitpunkt seines Todes festgestellt werden können (JACQUES-MICHEL GROSSEN, Das Recht der Einzelpersonen, Schweizerisches Privatrecht, Bd. II, S. 308). Die Aufhebung der Verschollenerklärung hat im Interesse der Rechtssicherheit durch den Richter zu erfolgen; bis dahin bleibt der Vermisste auch im Todesregister als verschollen eingetragen (Art. 51 ZGB, Art. 91 Abs. 3 ZStV). Damit wird jenen Unsicherheiten begegnet, mit denen neue Anhaltspunkte über das Schicksal des Vermissten behaftet sind. Bis alle Zweifel über die Identität ausgeräumt sind, hat der Richter - wie vorliegend - unter Umständen eingehende Abklärungen zu treffen, weshalb auch in zeitlicher Hinsicht auf seinen Entscheid abzustellen ist. Für den Zeitraum der rechtsgültigen Verschollenerklärung treten daher die ![]() | 8 |
b) Verwaltung und Vorinstanz gehen davon aus, die Voraussetzungen für die Ausrichtung einer Witwenrente seien rückwirkend nicht erfüllt gewesen. Die Vorinstanz begründet dies im wesentlichen damit, dass die Verschollenerklärung "gänzlich widerrufen" und dadurch festgestellt worden sei, dass die Beschwerdeführerin nie Witwe im Sinne des Art. 23 AHVG gewesen sei. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Abgesehen davon, dass die aus der Verschollenerklärung abgeleiteten Rechte bis zum richterlichen Aufhebungsentscheid bestehen und die Beschwerdeführerin bis zu diesem Zeitpunkt sozialversicherungsrechtlich als Witwe zu betrachten ist (Erw. a hievor), lässt sich eine Rückwirkung mit dem Zweck der Sozialversicherung nicht vereinbaren. Denn Renten der AHV und IV bezwecken die Deckung des Existenzbedarfs der Betagten, Hinterlassenen sowie Invaliden und sind für den Unterhalt und bei Jugendlichen zusätzlich für die Erziehung bestimmt (BGE 107 V 213; ZAK 1982 S. 95 mit Hinweisen). Dies kommt insbesondere auch darin zum Ausdruck, dass Rentenleistungen unter gewissen Voraussetzungen bereits vor einer Verschollenerklärung im Sinne einer vorgängigen Sozialmassnahme erbracht werden können (Erw. 1 hievor). In diesen Fällen ist allerdings eine Rückerstattungspflicht anzunehmen, wenn der Richter die Verschollenerklärung nicht ausspricht (AUBERT, a.a.O., S. 19), da die Wirkungen des Art. 38 ZGB gar nie eingetreten sind.
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Zu Unrecht leitet das BSV aus der im Erbrecht vorgesehenen Sicherstellungs- und Herausgabepflicht (Art. 546 ff. ZGB) ab, für den Bereich der AHV sei ebenfalls eine Rückerstattungspflicht anzunehmen. Im Erbrecht sind im Gegensatz zur AHV nicht nur die Interessen der Hinterlassenen, sondern auch diejenigen des Verschollenen und besser berechtigter Dritter zu berücksichtigen. Das Zivilrecht regelt die Wirkungen der umgestossenen Verschollenerklärung ohnehin nicht einheitlich, lebt doch z.B. eine durch ![]() | 10 |
c) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Beschwerdeführerin bis zur Verfügung des Einzelrichters des Bezirksgerichts X. vom 8. Juli 1982, d.h. bis Ende Juli 1982 Anspruch auf eine Witwenrente hat.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid der AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich vom 4. November 1982 und die Verfügungen der Ausgleichskasse VATI vom 27. April und 11. Mai 1982 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin bis Ende Juli 1982 Anspruch auf eine Witwenrente hat.
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