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44. Urteil i.S. Helsana Versicherungen AG gegen B. und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern |
K 95/01 vom 30. April 2004 | |
Regeste |
Art. 32 Abs. 1, Art. 25 Abs. 2 lit. a Ziff. 1 und Art. 33 KVG; Art. 33 lit. a und c KVV sowie Art. 1 KLV und Anhang 1 KLV: Zweckmässigkeit der Leistung. |
Im konkreten Fall wird die Wirksamkeit von Physiotherapie zur Behandlung der Nacken- und Schulterbeschwerden in Anbetracht der zeitlichen Verteilung sowie Dauer und Intensität der Massnahme bejaht (Erw. 6.2.1). | |
Sachverhalt | |
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B. In Gutheissung der Beschwerde von B. hob das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 26. Juni 2001 den Einspracheentscheid vom 10. Juli 2000 auf und verpflichtete die Helsana, die Kosten der Mammareduktionsplastik vom 13. September 1999 zu übernehmen.
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C. Die Helsana führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Im vorliegenden Fall steht fest, dass im Zeitpunkt des Eingriffs am 13. September 1999 das Körpergewicht 67 kg betrug, was bei einer Körpergrösse von 163 cm einem BMI von 25,2 entspricht. Gemäss Operationsbericht vom selben Tag wurden an der rechten Brust 490 g, an der linken 510 g Fett- und Drüsengewebe reseziert. Es steht zu Recht ausser Frage, dass in Bezug auf die Kriterien "Mindestgewicht des entnommenen Gewebes" sowie "fehlende Adipositas" die Leistungspflicht zu bejahen ist.
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4. Umstritten ist, ob die vor dem Eingriff vom 13. September 1999 geklagten Beschwerden (Schmerzen im Nacken- und ![]() | 9 |
Erwägung 5 | |
5.1 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden die vorinstanzliche Beweiswürdigung und rechtliche Subsumtion als einseitig und willkürlich gerügt. Es sei unzulässig, aus dem Verschwinden der Beschwerden nach dem Eingriff auf den Kausalzusammenhang mit der Mammahypertrophie resp. den überschweren Mammae zu schliessen. Im Weitern würdige die Vorinstanz die Aussagen des Dr. med. G. vom vertrauensärztlichen Dienst der Krankenkasse unzutreffend und ziehe daraus die falschen Schlüsse. In seiner Stellungnahme vom 9. März 2000 weise der Vertrauensarzt u.a. darauf hin, dass bei Personen im Alter der Patientin (Jahrgang 1932) häufig Rücken- und Nackenbeschwerden aufgrund von degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule bestünden und der Zusammenhang mit der Brustgrösse schwierig nachzuweisen sei. Wenn Dr. med. G. im Bericht vom 26. April 2000 ausführe, bei Patientinnen im Alter der Versicherten seien ästhetische Motive für eine Mammareduktionsplastik meist untergeordnet, halte er anderseits auch fest, die ebenfalls geklagte Atemnot, das Beklemmungsgefühl und die Sensationen würden auf eine psychiatrische Störung hindeuten. Das Verschwinden dieser nicht im Zusammenhang mit der rheumatologischen Diagnose (Schulter-Armsyndrom beidseits, rechtsbetont) ![]() | 10 |
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Im Weitern ist der Helsana darin beizupflichten, dass die Aussage des Vertrauensarztes, wonach im Alter 67 ästhetische Motive für eine Mammareduktionsplastik meist untergeordnet seien, nicht ohne weiteres den Umkehrschluss zulässt, andernfalls hätte die Beschwerdegegnerin den Eingriff schon in einem früheren Zeitpunkt vornehmen lassen. Nichts desto weniger bleibt die klare und auch plausible vertrauensärztliche Feststellung, dass bei Frauen in diesem Alter ästhetische Gesichtspunkte für eine Brustverkleinerung meist nicht im Vordergrund stehen. Soweit anderseits degenerative Veränderungen der Wirbelsäule bestehen, können sie erfahrungsgemäss ebenfalls bei (älteren) Frauen ohne überschwere Mammae Rückenbeschwerden verursachen. Dass die Abnützungen bei der Beschwerdegegnerin auch bei normal schweren Mammae wahrscheinlich zu solchen Beschwerden führten oder geführt hätten, macht die Helsana nicht geltend. Soweit im Übrigen mit Dr. med. G. Atemnot, Beklemmungsgefühl und Sensationen als psychisch bedingte Symptome aufzufassen sind, steht ausser Frage, dass überschwere Mammae krankheitswertige psychische Beschwerden verursachen können.
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Insgesamt sprechen die Aussagen des Vertrauensarztes nicht entscheidend gegen den Kausalzusammenhang zwischen der Mammahypertrophie und den geklagten Beschwerden.
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6. Schliesslich bringt die Helsana vor, sie sei ihrer Pflicht zur Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts in Bezug auf die vor ![]() | 14 |
Mit diesen Vorbringen bestreitet die Helsana sinngemäss die Verpflichtung zur Übernahme der Mammareduktionsplastik im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit der Leistung (Art. 32 Abs. 1 KVG).
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6.1 Eine Leistung ist im Sinne von Art. 32 Abs. 1 KVG wirksam, wenn sie objektiv den Erfolg der Behandlung der Krankheit erwarten lässt (BGE 128 V 165 Erw. 5c/aa; RKUV 2000 Nr. KV 132 S. 281 Erw. 2b). Ob sie zweckmässig ist, beurteilt sich nach dem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen der Anwendung im Einzelfall, unter Berücksichtigung der damit verbundenen Risiken, gemessen am angestrebten Heilerfolg der möglichst vollständigen Beseitigung der körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung (BGE 127 V 146 Erw. 5). Die Zweckmässigkeit fragt u.a. nach der medizinischen Indikation der Leistung (RKUV 2000 Nr. KV 132 S. 282 Erw. 2c). Nach denselben Kriterien beurteilt sich, welche von ![]() | 16 |
Geht es um die Vergütung einer Mammareduktionsplastik durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung im Besonderen, stellt sich die Frage, ob konservative Massnahmen, insbesondere Physiotherapie bei Rückenbeschwerden, eine wirksame alternative Behandlungsmöglichkeit darstellen oder dargestellt hätten. Ist das zu bejahen, bleibt weiter zu prüfen, welche der beiden Leistungen die zweckmässigere ist (in diesem Sinne RKUV 1996 Nr. K 972 S. 7 Erw. 6b in fine, wo allerdings ungenau die wesentliche Verbesserung des Gesundheitszustandes als Richtschnur für die Beurteilung der Zweckmässigkeitsfrage genannt wird).
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Erwägung 6.2 | |
Erwägung 6.2.1 | |
6.2.1.1 Der Begriff der Wirksamkeit definiert sich in erster Linie vom Ziel her, auf welches die in Frage stehende Massnahme gerichtet ist. Insbesondere differenziert er nicht danach, ob es um die Bekämpfung der Ursachen der gesundheitlichen Beeinträchtigung geht oder um die Behandlung der Symptome der Krankheit. Diese Unterscheidung ebenso wie die Dauer des Erfolges der Massnahme sind erst, aber immerhin bei der Beurteilung der Zweckmässigkeit von Bedeutung. Unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeit der Leistung als Voraussetzung für deren Übernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung ist somit nicht in erster Linie die möglichst vollständige Beseitigung der körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung entscheidend. Vielmehr ist danach zu fragen, ob das Ziel der Behandlung (Beschwerdefreiheit und/oder Wiederherstellung der körperlichen, geistigen und psychischen Funktionalität namentlich im Hinblick auf die Arbeitsfähigkeit [vgl. Art. 2 Abs. 1 KVG, in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2002]) objektiv erreichbar ist (vgl. GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 185, welcher von der allgemeinen Eignung einer medizinischen Massnahme zur Zielerreichung spricht).
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6.2.1.2 Im vorliegenden Fall steht aufgrund der Akten fest, dass die Versicherte im Zeitraum 1984 bis 1994 wegen Beschwerden im Nacken- und Schulterbereich in physiotherapeutischer Behandlung stand. In diesem Zusammenhang besteht entgegen der ![]() | 19 |
Seit 1984 war somit Physiotherapie für die Behandlung der Rückenschmerzen (Nacken- und Schulterbeschwerden) notwendig. Die Therapie war indessen jeweils von beschränkter Dauer und musste seit 1989 bloss alle vier Jahre durchgeführt werden. Es ist anzunehmen, dass in den behandlungsfreien Intervallen, somit die meiste Zeit, praktisch Beschwerdefreiheit bestand. Aufgrund dieser Umstände, insbesondere in Anbetracht der zeitlichen Verteilung sowie Dauer und Intensität der Therapie, ist deren Wirksamkeit zu bejahen.
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6.2.2.1 Bei der Mammareduktionsplastik wurde Fett- und Drüsengewebe reseziert. Dadurch wurden die Brüste kleiner und um rund 1 kg leichter. Mit diesem operativen Eingriff wurde somit lediglich eine der Ursachen der im Vordergrund stehenden Rückenbeschwerden angegangen und behoben. Soweit durch die überschweren Mammae bedingt, wurde gleichzeitig auch die Haltung verbessert. Dass nach der Reduktionsplastik mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die gesundheitliche Beeinträchtigung vollständig beseitigt war, insbesondere keine Physiotherapie (mehr) notwendig sein würde, kann aus Sicht der Verhältnisse bis zum Eingriff nicht ohne ![]() | 22 |
6.2.2.2 Die konservativen Massnahmen (Physiotherapie, Gymnastik) waren auf die Stärkung der Muskulatur und die Korrektur der Haltung gerichtet. Es ist anzunehmen, dass sie auch die mit den degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule verbundenen körperlichen Defizite positiv beeinflussten. Im Übrigen kann als Erfahrungstatsache gelten, dass Physiotherapie und Gymnastik allgemein gesundheitserhaltende und -fördernde Wirkung zukommt. Dass die konservativen Massnahmen wirksam waren, ist in Erw. 6.2.1 dargelegt worden. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass unter dem Gesichtspunkt der Schadenminderungspflicht (vgl. dazu EUGSTER, a.a.O., Rz 219) die Physiotherapie aufgrund der zeitlichen Verteilung sowie Dauer und Intensität der Behandlung durchaus zumutbar war. An dieser Beurteilung ändern die im Zeitraum 1995 bis 1997 an der Klubschule Migros besuchten Rückengymnastik-Kurse nichts. Dabei kann offen bleiben, ob jenes offenbar auf eigene Initiative absolvierte Training einer gezielt auf die Nacken- und Schulterbeschwerden gerichteten physiotherapeutischen Behandlung gleichgestellt werden kann und anzunehmen ist, ohne diese Vorkehr hätte sich die Schmerzsituation früher als im Winter 1998 verschlechtert. Gymnastik im Rahmen des Zumutbaren ist in jedem Alter als wichtiger Bestandteil eigener Gesundheitsvorsorge zu betrachten.
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6.2.3 Dass die Behandlung der Nacken- und Schulterbeschwerden mittels konservativer Massnahmen bis zum Zeitpunkt der Mammareduktionsplastik vom 13. September 1999 nicht als ganz abgeschlossen gelten konnte und mit dem erneuten Auftreten behandlungsbedürftiger Schmerzen gerechnet werden musste, spricht für die Zweckmässigkeit des Eingriffs. Allerdings hielten sich Physiotherapie und Gymnastik in zumutbarem Rahmen. Sodann ist aufgrund des vielgestaltigen Ursachenspektrums fraglich, ob beim Entscheid über das Kostengutsprachegesuch für die Zeit nach der Operation Beschwerdefreiheit erwartet werden konnte. Bei dieser Sachlage kann die Zweckmässigkeit der Mammareduktionsplastik nicht ohne weiteres bejaht werden. Vorab stellt sich die Frage, ob ohne Operation bei Fortsetzung der konservativen Massnahmen im ![]() | 24 |
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