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11. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. H. gegen Helsana Versicherungen AG (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
K 136/06 vom 18. Januar 2008 | |
Regeste |
Art. 4 ATSG; Art. 1a Abs. 2 lit. b KVG; Unfallbegriff, ungewöhnlicher äusserer Faktor. | |
Sachverhalt | |
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Die Helsana lehnte die Vergütung der Behandlungskosten von Fr. 564.20 ab, weil das zum Zahnschaden führende Geschehen keinem Unfall im Rechtssinn entspreche (mit Einspracheentscheid vom 16. Dezember 2005 bestätigte Verfügung vom 19. Oktober 2005).
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B. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 25. September 2006).
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C. H. lässt, gesetzlich vertreten durch seinen Vater, Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, die Helsana sei, unter Aufhebung von vorinstanzlichem und Einspracheentscheid, zu verpflichten, ihm für die Folgen des Unfalls vom 2. Juli 2005 die gesetzlichen Leistungen (Vergütung der Zahnbehandlung) zu erbringen.
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Die Helsana und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Entgegen dem Wortlaut des Rechtsbegehrens umfasst der Leistungsanspruch nicht die zahnärztliche Behandlung als solche, wie dies in der Militär- oder Unfallversicherung der Fall ist (Naturalleistungsprinzip); die Krankenkasse trifft vielmehr bei Bejahung der Leistungsvoraussetzungen nur die Pflicht, die zahnärztlichen Behandlungskosten nach Massgabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zu vergüten (Art. 24 und 28 KVG; Kostenvergütungsprinzip; UELI KIESER, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, Rz. 5 zu Art. 14 ATSG).
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2.2 Unfall ist die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat (Art. 4 ATSG). Diese Legaldefinition gilt seit dem 1. Januar 2003 auch im Gebiet der obligatorischen Krankenversicherung (Art. 1 Abs. 1 ![]() | 10 |
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Erwägung 3 | |
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Die Krankenversicherung lehnte die Vergütung der dadurch entstandenen zahnärztlichen Kosten unter Hinweis auf ein Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts vom 4. November 2005 ab. Es liege begrifflich kein versicherter Unfall vor, da kein ungewöhnlicher äusserer Faktor ausgewiesen sei, der schädigend auf den Körper eingewirkt habe. Auf die konkrete Wirkung des äusseren Faktors komme es nicht an.
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Eine Änderung der Rechtsprechung setzt wichtige Gründe voraus. Sie lässt sich mit der Rechtssicherheit grundsätzlich nur vereinbaren, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der Ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht (BGE 133 V 37 E. 5.3.3 S. 39; BGE 132 III 770 E. 4 S. 777; BGE 132 V 357 E. 3.2.4.1 S. 360 mit Hinweisen).
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Erwägung 4 | |
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4.1.1 Der äussere Faktor ist zentrales Begriffscharakteristikum eines jeden Unfallereignisses; er ist Gegenstück zur - den Krankheitsbegriff konstituierenden - inneren Ursache. Die Bezeichnung der massgebenden Genese wird aber erst durch die weiter erforderliche Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors ermöglicht. Die meisten Krankheiten beruhen auf einer Wechselwirkung von inneren ![]() | 18 |
4.1.2 PAUL PICCARD hat dem Erfordernis einer Abgrenzung von Unfall und Krankheit erstmalig Ausdruck verliehen. In seinem Werk "Haftpflichtpraxis und Soziale Unfallversicherung" (Zürich 1917) hat er zum Erfordernis eines ungewöhnlichen äusseren Faktors ausgeführt, die Ungewöhnlichkeit des auf den Körper einwirkenden schädigenden Faktors sei als Kriterium zur Ausscheidung von (nicht versicherten) Krankheiten unentbehrlich, während sichtbare äussere Verletzungen auch dann als Unfälle zu qualifizieren seien, wenn es sich um erfahrungsgemäss recht häufige Einwirkungen handle wie beispielsweise die Verletzung der Hand mit dem Taschenmesser (S. 27 f.; derselbe, in: Gelpke/Schlatter [Hrsg.], Unfallkunde, 2. Aufl., Bern 1930, S. 38 f.). Die spätere Lehre hat diese Sichtweise beibehalten (GIORGIO/NABHOLZ, Die schweizerische obligatorische Unfallversicherung, Zürich 1918, S. 116 f.; LAUBER, a.a.O., S. 92 f.; HAYMANN, La notion d'accident dans l'assurance obligatoire contre les accidents en Suisse, in: Revue internationale du travail, Genf 1937, S. 629 ff.; ALFRED MAURER, Recht und Praxis der schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, 2. Aufl., Bern 1963, S. 88; derselbe, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 167; ALDO BORELLA, La giurisprudenza del Tribunale federale delle assicurazioni sulla nozione d'infortunio, in: Temi scelti di ![]() | 19 |
Erwägung 4.2 | |
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4.2.2 Im Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 32/82 vom 7. Februar 1984 (wiedergegeben in: SUVA-Bericht 1984 Nr. 2 S. 3) wies das Gericht zunächst auf die Rechtsprechung hin, wonach bei Gesundheitsschädigungen, die erfahrungsgemäss auch als alleinige Folge von Krankheit bei durchaus normalem Geschehensablauf auftreten könnten, die Merkmale des Unfallbegriffs besonders deutlich erfüllt sein müssten; vor allem müsse dann die unmittelbare Ursache der Schädigung unter besonders sinnfälligen Umständen gesetzt worden sein (vgl. SUVA-Bericht 1980 Nr. 5 S. 9, E. 1b, U 1/80). Sodann hat es erkannt, wenn ein Taucher beim Aufstieg zu wenig Luft abgebe und deswegen einen - in jenem Fall letztlich tödlichen - Lungenriss erleide, so sei nicht der (in der Lunge entstandene) Überdruck als solcher auslösendes Moment, sondern die unzureichende Luftabgabe durch den Versicherten während des Auftauchens. Der Mechanismus der Luftabgabe sei ein physiologisches Geschehen, das sich im Körperinnern abspiele. Der Unfallcharakter könne nur bejaht werden, wenn die Fehlreaktion in sinnfälligen äusseren Umständen begründet liege. Es sei aber nicht erstellt, dass ein unerwartetes, schreckendes Ereignis wie beispielsweise ein grosser Fisch oder eine plötzliche starke Wasserbewegung die zur Abwendung eines Lungenüberdrucks erforderliche ![]() | 21 |
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Erwägung 4.3 | |
4.3.1 Nach der Rechtsprechung bezieht sich das Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit nicht auf die Wirkung des äusseren Faktors, sondern nur auf diesen selber. Ohne Belang für die Prüfung der Ungewöhnlichkeit ist insoweit, dass der äussere Faktor allenfalls ![]() | 23 |
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4.3.2.1 Ein gesteigertes Abgrenzungsbedürfnis besteht dort, wo der Gesundheitsschaden seiner Natur nach auch andere Ursachen als eine plötzliche schädigende Einwirkung haben kann, also keine gesicherte Zuordnung zum exogenen Faktor erlaubt. Dies gilt nach der Rechtsprechung insbesondere dann, wenn die Gesundheitsschädigung erfahrungsgemäss auch als alleinige Folge von Krankheit, insbesondere von vorbestandenen degenerativen Veränderungen eines Körperteils, innerhalb eines durchaus normalen Geschehensablaufs auftreten kann. In solchen Fällen muss die unmittelbare Ursache der Schädigung unter besonders "sinnfälligen" Umständen gesetzt worden sein (BGE 99 V 136 E. 1 S. 138; RKUV 1999 Nr. U 345 S. 422, E. 2b, U 114/97). Ist eine Verletzung wiederholten Mikrotraumata des täglichen Lebens zuzuschreiben, welche zu einer allmählichen Abnützung geführt haben, so ist sie (im Bereich der obligatorischen Unfallversicherung unter Vorbehalt von Art. 9 Abs. 2 UVV) als Krankheitsfolge zu betrachten (RKUV 1986 Nr. K 685 S. 295, K 42/85; EVGE 1969 S. 24; zur Bedeutung des weiteren Begriffselements der Plötzlichkeit in diesem Zusammenhang vgl. RKUV 2001 Nr. U 437 S. 344, U 430/00 mit Hinweisen).
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Somit wird eine Einwirkung ohne offensichtliche Schadensneigung erst durch das Hinzukommen eines zusätzlichen Ereignisses zum ungewöhnlichen äusseren Faktor. Stellt sich nach einer Fahrt auf einem Auto-Scooter (oder einer anderen Vergnügungsbahn) beispielsweise ein Zervikalsyndrom infolge Distorsion der Halswirbelsäule ein, so bedarf es - neben den üblichen auf den Körper einwirkenden Kräften - eines schadensspezifischen Zusatzgeschehens, damit ein Unfall angenommen werden kann (vgl. RKUV 1998 Nr. U 311 S. 468, U 2/97; 1996 Nr. U 253 S. 199, U 219/95; vgl. auch SVR 2006 UV Nr. 18 S. 65, U 296/05). Entsprechendes gilt mit Bezug auf eine Hyperflexionsbewegung der Halswirbelsäule bei der Vollbremsung eines Autos ohne Kollision, weil es hier um einen im ![]() | 26 |
4.3.2.2 Ist die Gesundheitsschädigung hingegen typische Folge einer äusseren Einwirkung, so erlaubt dies allenfalls, Rückschlüsse auf die Ungewöhnlichkeit zu ziehen. Unter Umständen kann aufgrund des medizinischen Befunds erstellt sein, dass eine Schädigung auf eine ungewöhnliche äussere Einwirkung und somit auf ein Unfallereignis zurückzuführen ist. Der mangelnde Nachweis eines Unfalls lässt sich zwar nur selten durch medizinische Feststellungen ersetzen. Diese dienen mitunter aber als Indizien im Beweis für oder gegen das Vorliegen eines Unfalls (RKUV 1996 Nr. U 253 S. 203, U 219/95, E. 4b mit Hinweis; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 264). Im Bereich der obligatorischen Unfallversicherung sind die in Art. 9 Abs. 2 UVV abschliessend aufgezählten Schädigungen - im Wesentlichen des Bewegungsapparats, etwa von Knochen, Muskeln, Sehnen und Bändern - denn auch selbst ohne ungewöhnliche äussere Einwirkung Unfällen gleichgestellt, wenn sie nicht eindeutig auf eine Erkrankung oder eine Degeneration zurückzuführen sind (vgl. BGE 129 V 466).
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Auch ausserhalb der unfallähnlichen Körperschädigungen kann es sich ergeben, dass von der Auswirkung eines von aussen betrachtet regulär verlaufenden Geschehens zwangsläufig auf einen tatsächlich ungewöhnlichen Verlauf geschlossen werden muss. So hat das Eidg. Versicherungsgericht im Jahre 1964 festgehalten, es liege ein Unfall im Rechtssinn vor, wenn das Trommelfell eines Wasserspringers durch den Wasserdruck perforiert wird. Wasser sei als ungewöhnlicher äusserer Faktor zu bewerten, wenn es eine ![]() | 28 |
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Erwägung 5 | |
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