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17. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_259/2015 vom 24. Februar 2016 | |
Regeste |
Art. 52 Abs. 1 ATSG; Art. 10 ATSV; Einsprache per E-Mail. |
Anspruch auf eine Nachfristansetzung besteht in einem solchen Fall nicht (E. 4.5 und 4.6). |
Eine Verbesserung des Formmangels kann innerhalb der ordentlichen Rechtsmittelfrist vorgenommen werden, worauf die versicherte Person gegebenenfalls aufmerksam zu machen ist (E. 4.6). |
Fallkonstellation, in welcher ein Hinweis auf den Formmangel trotz noch laufender Einsprachefrist unterbleiben konnte (E. 4.7). | |
Sachverhalt | |
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B. Die dagegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. Februar 2015 ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A. beantragen, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Mobiliar zu verpflichten, auf die Einsprache vom 24. bzw. 30. ![]() | 3 |
Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt. Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt.
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D. Das Bundesgericht hat am 24. Februar 2016 eine öffentliche Beratung durchgeführt.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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2.2 Art. 52 Abs. 1 ATSG stellt in formeller Hinsicht keinerlei Anforderungen an die Einsprache. Der Bundesrat hat jedoch in Art. 10-12 ATSV (SR 830.11) Bestimmungen zu Form und Inhalt der Einsprache sowie zum Einspracheverfahren erlassen. Gemäss Art. 10 Abs. 1 ATSV müssen Einsprachen ein Rechtsbegehren und eine Begründung enthalten. Abgesehen von den hier nicht massgebenden Fällen gemäss Art. 10 Abs. 2 ATSV kann die Einsprache laut Art. 10 Abs. 3 ATSV wahlweise schriftlich oder bei persönlicher Vorsprache mündlich erhoben werden. Die schriftlich erhobene Einsprache muss die Unterschrift der Einsprache führenden Person oder ihres Rechtsbeistands enthalten (Art. 10 Abs. 4 Satz 1 ATSV). Bei einer mündlich erhobenen Einsprache hält der Versicherer die Einsprache in einem Protokoll fest; die Person, welche die Einsprache führt, oder ihr Rechtsbeistand muss das Protokoll unterzeichnen (Art. 10 Abs. 4 Satz 2 ATSV). Genügt die Einsprache den Anforderungen nach Abs. 1 nicht oder fehlt die Unterschrift, so setzt der Versicherer ![]() | 7 |
2.3 Nach dem für das erstinstanzliche Beschwerdeverfahren massgebenden Art. 61 lit. b ATSG muss die Beschwerde eine gedrängte Darstellung des Sachverhaltes, ein Rechtsbegehren und eine kurze Begründung enthalten. Genügt sie diesen Anforderungen nicht, so setzt das Versicherungsgericht der Beschwerde führenden Person eine angemessene Frist zur Verbesserung und verbindet damit die Androhung, dass sonst auf die Beschwerde nicht eingetreten wird. Nach der zu dieser Bestimmung ergangenen Rechtsprechung hat im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren die Ansetzung einer Nachfrist zur Verbesserung einer mangelhaften Beschwerdeschrift nicht nur bei Unklarheit des Rechtsbegehrens oder der Begründung, sondern ganz allgemein immer dann zu erfolgen, wenn eine Beschwerde den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt; also auch dann, wenn ein Rechtsbegehren und/oder eine Begründung überhaupt fehlen. Es handelt sich bei der erwähnten Bestimmung um eine formelle Vorschrift, die das erstinstanzliche Gericht stets verpflichtet, eine Frist zur Verbesserung der Mängel anzusetzen, sofern dadurch nicht in rechtsmissbräuchlicher Weise eine Verlängerung der Beschwerdefrist erreicht werden soll (BGE 134 V 162 E. 5.1 S. 168; bestätigt in: SVR 2010 UV Nr. 29 S. 117, 8C_556/2009 E. 3; vgl. dazu auch Urteil 2C_331/2011 vom 25. Januar 2012 E. 3.1). Der Anwendungsbereich der Nachfrist erstreckt sich über die in Art. 61 lit. b ATSG ausdrücklich erfassten Bereiche hinaus. Sie ist auch anzusetzen, wenn weitere formelle Eintretensvoraussetzungen, die nachträglich erfüllt werden können, nicht erfüllt sind (SVR 2009 UV Nr. 25 S. 90, 8C_767/2008 E. 4.3.1). Aufgrund der grammatikalischen Identität von Art. 61 lit. b Satz 2 ATSG und Art. 10 Abs. 5 ATSV gilt diese Auslegung auch für das Einspracheverfahren (SVR 2013 UV Nr. 10 S. 35, 8C_596/2012 E. 4.2; 2009 IV Nr. 19 S. 49, I 898/06 E. 3.2; Urteil 8C_28/2011 vom 26. Mai 2011 E. 2.2). Der Bezug liegt darin begründet, dass für das Einspracheverfahren nicht strengere formelle Anforderungen gelten können als für das nachfolgende ![]() | 8 |
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Für den elektronischen Verkehr im Rahmen von Gerichts- und Verwaltungsverfahren ist eine spezifische gesetzliche Regelung notwendig (Urteil 1P.254/2005 vom 30. August 2005 E. 2.3, in: Pra 2006 Nr. 51 S. 362; vgl. auch Urteil 5A_650/2011 vom 27. Januar 2012 E. 4). Das ATSG enthält keine Bestimmungen über den elektronischen Verkehr. Es liegt insoweit auch kein nicht abschliessend geregelter Verfahrensbereich im Sinne von Art. 55 Abs. 1 ATSG vor, weshalb nicht ergänzend auf die Bestimmungen des VwVG (vgl. Art. 11b Abs. 2, Art. 21a Abs. 1 und Art. 34 Abs. 1bis VwVG [SR 172.021]) zurückgegriffen werden kann. Von der dem Bundesrat in Art. 55 Abs. 1bis ATSG übertragenen Kompetenz, die Bestimmungen des VwVG über den elektronischen Verkehr mit Behörden auch für den Bereich des Sozialversicherungsrechts anwendbar zu ![]() | 10 |
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Erwägung 4 | |
4.1 Der Beschwerdeführer rügt eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1 BGG), indem die Vorinstanz davon ausgehe, er sei sich des Formerfordernisses einer persönlich unterzeichneten Einsprache bewusst gewesen und habe in der rechtsmissbräuchlichen Absicht gehandelt, auf diesem Weg eine ![]() | 12 |
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4.3 Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bedeutet es keinen überspitzten Formalismus, vom Bürger zu verlangen, dass er seine Rechtsschriften eigenhändig unterzeichnet oder von einem bevollmächtigten und nach einschlägigem Verfahrensrecht zugelassenen Vertreter unterzeichnen lässt. Jedoch ist zu beachten, dass die Vorschriften des Zivil-, Straf- und Verwaltungsverfahrensrechts der Verwirklichung des materiellen Rechts zu dienen haben, weshalb die zur Rechtspflege berufenen Behörden verpflichtet sind, sich innerhalb des ihnen vom Gesetz gezogenen Rahmens gegenüber den Rechtsuchenden so zu verhalten, dass deren Rechtsschutzinteresse materiell gewahrt werden kann. Behördliches Verhalten, das einer Partei den Rechtsweg verunmöglicht oder verkürzt, obschon auch eine andere gesetzeskonforme Möglichkeit bestanden hätte, ist mit ![]() | 14 |
4.4 In BGE 120 V 413 E. 6a S. 419 entschied das damalige Eidg. Versicherungsgericht, kantonale Gerichte handelten gegen Treu und Glauben, wenn sie ein nicht oder von einer nicht zur Vertretung berechtigten Person unterzeichnetes Rechtsmittel als unzulässig beurteilten, ohne eine kurze, gegebenenfalls über die gesetzliche Rechtsmittelfrist hinausgehende Nachfrist für die gültige Unterzeichnung anzusetzen. Es sei nicht verfassungswidrig, wenn das kantonale Gericht bei Einlegung eines Rechtsmittels auf der Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters besteht. Hingegen habe es bei fehlender gültiger Unterschrift eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels anzusetzen (vgl. auch BGE 142 I 10 E. 2.4.6 S. 13; Urteile 2D_64/2014 vom 2. April 2015 E. 5.3; 1C_39/2013 vom 11. März 2013 E. 2.3). Nach der Rechtsprechung schafft eine von Amtes wegen angesetzte Nachfrist mit entsprechender Androhung die Voraussetzung für ein Nichteintreten, sofern der Fristansetzung nicht nachgelebt wird (SVR 2010 UV Nr. 29 S. 117, 8C_556/2009 E. 4.2 mit Hinweis auf ZAK 1956 S. 479).
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4.6 Fest steht, dass die per E-Mail vom 24. Oktober 2014 eingereichte Einsprache den Gültigkeitserfordernissen der vom Versicherten gewählten Schriftlichkeit der Eingabe (Art. 52 ATSG in Verbindung mit Art. 10 Abs. 4 Satz 1 ATSV) nicht genügt (vgl. E. 2.4 hiervor). Dies wird vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten. Auch wenn im geschäftlichen Verkehr und im begrenzten Umfang auch zwischen Privaten und Behörden die Kommunikation auf elektronischem Wege durchaus verbreitet ist, vermag das einfache E-Mail bei prozessual relevanten Eingaben wie der Einsprache gemäss Art. 52 Abs. 1 ATSG die in Art. 10 Abs. 4 Satz 1 ATSV für schriftlich erhobene Einsprachen ausdrücklich vorgeschriebene Voraussetzung der Unterschrift nicht zu erfüllen. Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind per Fax (BGE 121 II 252 E. 4 S. 255; Urteil 9C_739/2007 vom 28. November 2007) oder gewöhnlichem E-Mail eingereichte Eingaben nicht fristwahrend (Urteile 2C_531/2015 vom 18. Juni 2015 E. 2.1; 2C_154/2011 vom 28. Februar 2011 E. 2). Dies gebietet sich nicht zuletzt auch aus Gründen der Rechtssicherheit. Weiter entspricht es gängiger Praxis, dass Beschwerdeschriften, deren Unterschrift fehlt, nur innert Nachfrist verbessert werden können, wenn die Unterlassung unfreiwillig erfolgt ist, nicht aber, wenn diese bewusst - durch Übermittlung per Telefax oder gewöhnlichem E-Mail - geschieht (E. 4.5 hiervor). Denn bei der Übermittlung einer Eingabe mittels E-Mail geht eine Unterschrift regelmässig nicht vergessen, sondern sie fehlt der Natur der Sache nach von vornherein. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf ZAK 1956 S. 479 (vgl. auch SVR 2010 UV Nr. 29 S. 117, 8C_556/2009 ![]() | 18 |
4.7 Auch im vorliegenden Fall war die Einsprachefrist noch nicht abgelaufen, als der Beschwerdeführer am 24. Oktober 2014 seine Eingabe mittels E-Mail einreichte. Es stellt sich daher die Frage, ob der Unfallversicherer den Beschwerdeführer rechtzeitig auf den Formfehler der Eingabe hätte aufmerksam machen müssen, damit er den Fehler vor Ablauf der Einsprachefrist hätte verbessern können. Da der Versicherte im besagten E-Mail ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass "das Original auf dem Postweg unterwegs" sei, konnte sie jedoch ohne Weiteres davon absehen. Aufgrund der Wortwahl konnte diese Mitteilung nur so verstanden werden, dass die fehlende Unterschrift bereits auf Papierform nachgeholt und das Dokument auf dem Postweg verschickt worden ist. Hinzu kommt, dass die Rechtsmittelbelehrung der Verfügung vom 23. September 2014 den eindeutigen Hinweis enthielt, dass die Einsprache "schriftlich (auf dem Postweg)" zu erfolgen hat. Unerheblich ist dabei, dass die mündliche Einsprache in der Rechtsmittelbelehrung nicht ebenfalls ausdrücklich erwähnt wurde. In einem solchen Fall wäre nämlich ein unterzeichnetes Protokoll zu erstellen und die Eingabe somit ebenfalls in Papierform aufzunehmen gewesen. Der Beschwerdeführer hat den Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung nicht beachtet und die Eingabe per elektronischer Post eingereicht. Selbst wenn er diesen übersehen haben sollte, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihm versehentlich ein Formfehler unterlaufen ist. Im Mail vom 24. Oktober 2014 teilte er nämlich nicht nur seine Absicht mit, den ![]() | 19 |
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