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30. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. AXA Versicherungen AG gegen CSS Versicherung AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_555/2016 vom 13. Juni 2017 | |
Regeste |
Art. 6 Abs. 2 UVG; Art. 9 Abs. 2 lit. f UVV (je in der bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung); unfallähnliche Körperschädigung. |
Wer aus Wut oder Frust absichtlich mit der Faust gegen eine Wand schlägt, um sich abzureagieren und dabei einen Strecksehnenausriss am kleinen Finger erleidet, handelt diesbezüglich eventualvorsätzlich. Angesichts der Wucht des Schlags war das Verletzungsrisiko hier so nah, dass die versicherte Person nicht mehr auf das Ausbleiben des Erfolgs vertrauen konnte (E. 4.2.4). | |
Sachverhalt | |
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B. Die hiergegen von der CSS eingereichte Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 23. Juni 2016 gut und stellte fest, dass A. für die Folgen des Ereignisses vom 11. Februar 2014 Anspruch auf die gesetzlichen Leistungen der Unfallversicherung habe.
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Die CSS schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet - genau wie der Versicherte - auf eine Vernehmlassung.
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D. Mit Verfügung vom 20. Januar 2017 hat das Bundesgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt.
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E. Das Bundesgericht hat am 13. Juni 2017 eine öffentliche Beratung durchgeführt.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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Die Leistungspflicht des Unfallversicherers ist - auch wenn eine der in Art. 9 Abs. 2 lit. a bis h UVV unter dem Titel "unfallähnliche Körperschädigungen" aufgeführten Befunde erhoben wird - nur gegeben, wenn die Verletzung, wie in Art. 4 ATSG vorgesehen, auf eine plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines äusseren Faktors zurückzuführen ist.
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Erwägung 3 | |
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3.2 Die Vorinstanz bejahte dies. Sie führte aus, es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass die Verletzung absichtlich oder zumindest eventualvorsätzlich erfolgt sei. Der Versicherte habe sich mit dem Faustschlag Erleichterung von seinem Ärger und seiner Wut verschafft. Aufgrund der Wut sei die alltägliche Geste unkontrollierbar geworden, hierin liege der für die Annahme einer unfallähnlichen ![]() | 13 |
3.3 Die Beschwerdeführerin stellt sich dagegen auf den Standpunkt, die verlangte fehlende Absicht der schädigenden Einwirkung beziehe sich auf die Einwirkung selbst. Hier sei der Faustschlag gegen die Wand zweifelsohne beabsichtigt gewesen. Weiter sei aufgrund der Ausgangssituation und der erlittenen Verletzung anzunehmen, dass der Versicherte den Schlag heftig und unkontrolliert ausgeführt habe. Daher sei die erlittene Verletzung ein zwingender immanenter Bestandteil der absichtlich herbeigeführten schädigenden Handlung. Bei einem heftigen, unkontrollierten Faustschlag werde eine Verletzung - entgegen der Vorinstanz - billigend in Kauf genommen und diese daher zumindest eventualvorsätzlich herbeigeführt. Aufgrund der objektiven Gefährlichkeit der Aktivität sei auf eine freiwillige Gesundheitsschädigung zu schliessen. Ein Faustschlag gegen die Wand sei zwingend mit der Gefahr einer Gesundheitsschädigung verbunden; zumindest eine Kontusion der Finger oder der Faust lasse sich bei einer solchen Tat nicht vermeiden. Es liege ein sinnloser, selbstschädigender Vorgang ohne schützenswerten Charakter vor, dessen wirklicher Wille nicht eruierbar sei. Ähnlich dem Ritzen mit dem Messer am Arm oder dem Zerdrücken eines Glases mit der Hand sei hier per se eine selbstschädigende Handlung anzunehmen. Bei dieser Sachlage sei nicht nachvollziehbar, wie das kantonale Gericht habe zum Schluss gelangen können, dass keine Anhaltspunkte für eine absichtliche oder eventualvorsätzliche Schädigung vorlägen. Überdies sei auch kein äusserer Faktor gegeben. Der Faustschlag sei nicht in einer allgemein gesteigerten Gefahrenlage erfolgt, sondern dieser selbst begründe die Gefahrenlage. Verglichen mit dem von der Vorinstanz als Beispiel erwähnten Fersentritt auf den Boden sei bei einem Faustschlag gegen die Wand die Krafteinwirkung und die Verletzungsgefahr viel grösser; der Fersentritt auf den Boden sei nicht zwingend auf eine Schädigung ausgerichtet. Die Wand sei Bestandteil des beabsichtigten Hergangs ![]() | 14 |
Erwägung 4 | |
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Erwägung 4.2 | |
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4.2.3 Ein wesentlicher Teil des sozialversicherungsrechtlichen Schrifttums lässt nebst eigentlicher Absicht und einfachem Vorsatz auch Eventualvorsatz genügen, um fehlende Absicht bzw. Unfreiwilligkeit und damit das Vorliegen eines Unfalls auszuschliessen (ALFRED BÜHLER, Der Unfallbegriff, in: Haftpflicht- und Versicherungsrechtstagung, 1995, S. 195 ff., 211, insbesondere unter Berufung auf ROLAND SCHAER UND ANDERE, Das Verschulden im Wandel des Privatversicherungs-, Sozialversicherungs- und Haftpflichtrechts, 1992, S. 33; UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 21 zu Art. 4 ATSG; GABRIELA RIEMER-KAFKA, Die Pflicht zur Selbstverantwortung: Leistungskürzungen und Leistungsverweigerungen zufolge Verletzung der Schadensverhütungs- und Schadensminderungspflicht im schweizerischen Sozialversicherungsrecht, 1999, S. 102; dieselbe, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, 5. Aufl. 2016, S. 84 Rz. 2.52). Ebenfalls namhafte Autoren haben sich in gegenteiligem Sinn geäussert (ALFRED MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl. 1989, S. 174; ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Die Leistungskürzung oder -verweigerung gemäss Art. 37-39 UVG, 1993, S. 112 f.). Ersterer verweist dabei auch auf die Rechtslage im ![]() | 18 |
Ohne sich mit dieser Frage näher auseinandergesetzt zu haben, hielt das Bundesgericht in Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 2 UVV fest, es sei von einer absichtlichen Gesundheitsschädigung auszugehen, wenn diese mit Absicht, einfachem Vorsatz oder Eventualvorsatz verursacht werde. Streitentscheidende Bedeutung kam der spezifischen Vorsatzqualifikation im betreffenden Fall jedoch nicht zu (vgl. RKUV 2000 Nr. U 385 S. 267, U 228/99 E. 3b/aa mit Hinweis auf BGE 115 V 151 E. 4 S. 152). Im Urteil EVGE 1944 S. 101 ff. hatte das damalige Eidg. Versicherungsgericht zu entscheiden, ob der Verzehr einer verdorbenen Wurst, der zum Tod führte, als Unfall angesehen werden konnte. Es führte dazu aus, die Verderbnis der Wurst sei offensichtlich gewesen und der Versicherte habe daher auch schlechte Teile dieser weggeschnitten und Schnaps getrunken, um den Unbekömmlichkeiten vorzubeugen. Damit habe er gewisse - wenn auch nicht geradezu tödliche - Schadensfolgen bewusst in Kauf genommen. Es mangle am Merkmal der Unfreiwilligkeit und daher liege kein Unfall vor (vgl. dazu die Kritik bei KIESER/LANDOLT, Unfall - Haftung - Versicherung, 2012, N. 28; BÜHLER, a.a.O., S. 211 f. Fn. 58 sowie bereits MAURER, Recht und Praxis der Unfallversicherung, 1963, S. 108 f.). Rund 17 Jahre später hielt das Eidg. Versicherungsgericht unter Bezugnahme auf genau dieses Urteil dagegen, es sei sehr unwahrscheinlich, dass dieses dazu führen könnte, eine schädigende Einwirkung bereits dann von der Versicherung auszuschliessen, wenn sie bloss in Kauf genommen wurde (EVGE 1961 S. 201 E. 2b S. 206; kritisch dazu BÜHLER, a.a.O., S. 211 f. Fn. 58).
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In jüngerer Zeit hat das Bundesgericht in Zusammenhang mit zu beurteilenden Leistungskürzungen wegen absichtlicher Herbeiführung des Gesundheitsschadens oder des Todes im Sinne von Art. 37 Abs. 1 UVG die Frage verschiedentlich offengelassen, ob der Eventualvorsatz einbezogen werden soll (SZS 2013 S. 174 E. 6.4; 2012 S. 172 E. 5.3 f.; vgl. ferner den Hinweis auf die betreffenden Urteile in BGE 138 V 522 E. 5.1.1 S. 527 sowie Urteil U 21/95 vom 17. April 1996 E. 1b).
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Ausser Frage steht jedoch, dass der Schlag des hier beteiligten Versicherten aus einer Gemütsbewegung heraus erfolgt war. Derlei geschieht notwendigerweise mit Wucht und dies wenn nicht in der Absicht, so doch mit Wissen um den damit verbundenen Schmerz, der in aller Regel auch gewollt ist. Je nach Wucht kann ein solcher Schlag nicht nur schmerzhaft sein, sondern - wie im vorliegenden Fall mit dem erfolgten Strecksehnenausriss - ernsthafte Verletzungsfolgen zeitigen. Je heftiger der Schlag geführt wird, desto näher liegt eine solche Verletzungsfolge und umso eher wird sie vom Wissen der handelnden Person als mögliche Folge erfasst. Daraus darf auf den Willen geschlossen werden, wenn sich dem Handelnden der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 4 mit Hinweis).
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Aufgrund der hier gegebenen Verletzungsfolge musste der Versicherte seinen Schlag heftig ausgeführt haben, zumal nichts auf eine vorbestandene Schädigung hindeutet und - wie soeben erwogen - auch keine besondere Beschaffenheit oder Anordnung der Aufschlagsfläche vorlag. Dass er um die Möglichkeit des damit verursachten ![]() | 23 |
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