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43. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. IV-Stelle des Kantons Zürich gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_841/2016 vom 30. November 2017 | |
Regeste |
Art. 4 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 6-8 ATSG (insb. Art. 7 Abs. 2 ATSG); Art. 28 Abs. 1 IVG; depressive Störungen leicht- bis mittelgradiger Natur und rentenbegründende Invalidität. | |
Sachverhalt | |
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B. A. erhob dagegen Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und reichte ein durch ihren Krankentaggeldversicherer veranlasstes psychiatrisches Gutachten des Dr. med. E., Chefarzt Klinik F., vom 29. Dezember 2015 während des Verfahrens nach. Das Gericht hiess die Beschwerde gut, hob die Verfügung vom 17. November 2015 auf und stellte fest, dass die Versicherte ab 1. November 2015 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente habe (Entscheid vom 10. November 2016).
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C. Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihre Verfügung vom 17. November 2015 zu bestätigen. Ferner ersucht sie um Erteilung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.
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A. lässt Abweisung der Beschwerde und auch des Gesuchs um aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels beantragen. Das kantonale Gericht schliesst sinngemäss auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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D. Mit Verfügung vom 15. Februar 2017 hat der Abteilungspräsident der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
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E. Die I. und die II. sozialrechtliche Abteilung haben zur folgenden Rechtsfrage ein Verfahren nach Art. 23 Abs. 1 BGG durchgeführt:
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Die beiden sozialrechtlichen Abteilungen haben die Rechtsfrage bejaht.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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Erwägung 3 | |
3.1 Das kantonale Gericht erwog, trotz frühzeitig begonnener und konsequent durchgeführter Therapie hätten die Ärzte der Versicherten übereinstimmend eine seit dem 10. November 2014 bestehende und bis mindestens Ende Februar 2016 dauernde 100%ige Arbeitsunfähigkeit attestiert. In den Akten würden sich keine Hinweise finden, die Zweifel an diesen Einschätzungen aufkommen liessen. Der Experte Dr. med. E. habe zwar eine gesundheitliche Besserung seit November 2015 festgestellt, dennoch aber bei Vorliegen einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (ICD-10 F43.21), einer generalisierten Angststörung (ICD-10 F41.1) und einer psychophysischen Erschöpfung (ICD-10 Z73.0) eine vollständige Arbeitsunfähigkeit im Gutachtenszeitpunkt festgehalten. Aufgrund der erheblichen psychophysischen Erschöpfung habe er eine weitere stationäre psychosomatische Rehabilitation empfohlen, die die Beschwerdegegnerin in der Klinik H. vom 11. Januar bis 13. Februar 2016 absolviert habe. In Nachachtung der Rechtsprechung gemäss ![]() | 12 |
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Erwägung 4 | |
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Erwägung 4.2 | |
4.2.1 Das Bundesgericht hat wiederholt unter Hinweis auf BGE 127 V 294 E. 4c S. 298 bekräftigt, dass in der Invalidenversicherung die Therapierbarkeit eines Leidens dem Eintritt einer rentenbegründenden ![]() | 15 |
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4.3 Aus medizinischer Warte können funktionelle Beeinträchtigungen durch somatoforme/funktionelle Störungen und durch solche depressiver Natur gleich gross sein. Die Objektivier- und Beweisbarkeit ist bei der Feststellung somatoformer Störungen und vergleichbarer Leiden eingeschränkt, worin sie sich aber nicht von anderen psychischen Störungen unterscheiden (PETER HENNINGSEN, Probleme und offene Fragen in der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit bei Probanden mit funktionellen Körperbeschwerdesyndromen, SZS 2014 ![]() | 17 |
4.4 Aus rechtlicher Sicht ergibt sich aus diesen Darlegungen, dass die Frage, ob bei Erkrankungen aus dem depressiven Formenkreis eine invalidenversicherungsrechtlich relevante Einschränkung der Arbeitsfähigkeit resultiert, ebenso wenig wie bei somatoformen Störungen, allein mit Bezug auf das Kriterium der Behandelbarkeit beantwortet werden kann. Zwar gilt die Frage, ob eine Therapie durchgeführt wird, auch im Rahmen der medizinischen Begutachtung als Indiz für den Leidensdruck der versicherten Person und damit für den Schweregrad der Störung (WOLFGANG HAUSOTTER, Psychiatrische und psychosomatische Begutachtung für Gerichte, Sozial- und private Versicherungen, Frankfurt 2016, S. 193; vgl. ferner FOERSTER/DRESSING/DRESSING, Begutachtung bei sozialrechtlichen Fragen, in: Psychiatrische Begutachtung, Venzlaff/Foerster/Dressing/Habermeyer [Hrsg.], 6. Aufl. 2015, S. 553 f.). Mit dem Hinweis auf eine "regelmässig gute Therapierbarkeit" bei leichten bis mittelschweren Störungen direkt auf eine fehlende invalidenversicherungsrechtlich relevante Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zu schliessen, greift aber zu kurz und blendet wesentliche medizinische Aspekte dieses ![]() | 18 |
Erwägung 4.5 | |
4.5.1 Unterliegen die depressiven Geschehen, losgelöst von der Frage ihrer Ausprägung, den gleichen Schwierigkeiten hinsichtlich Objektivier- und Beweisbarkeit wie alle psychischen Störungen, rechtfertigt sich - auch mit Blick auf die materielle Beweislast der die Invalidenrente beanspruchenden versicherten Person - keine gesonderte Beurteilung leichter bis mittelschwerer Störungen aus dem depressiven Formenkreis. Mit der Annahme, dass aus medizinischer Sicht generell für sämtliche psychischen Leiden eine beschränkte Objektivier- und Beweisbarkeit gilt und nachdem auch aus rechtlicher Warte grundsätzlich alle psychischen Erkrankungen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit den somatoformen Schmerzstörungen und vergleichbaren psychosomatischen Leiden gleich zu stellen sind (BGE 143 V 418), drängt ![]() | 19 |
4.5.2 Bei leichten bis mittelschweren depressiven Störungen ist, wie bei jeder geltend gemachten gesundheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit, demnach im Einzelfall (einzig) danach zu fragen, ob und wie sich die Krankheit leistungslimitierend auswirkt, wobei eine leistungs-, insbesondere rentenbegründende Invalidität jedenfalls eine psychiatrische, lege artis gestellte Diagnose voraussetzt (BGE 141 V 281 E. 2 S. 285 ff.; vgl. dazu auch ANDREAS STEVENS, Genügt die Beschwerdeschilderung als Krankheitsnachweis?, in: Grenzwertige psychische Störungen, Vollmoeller [Hrsg.], 2004, S. 27 ff.). Denn gerade mit Blick darauf, dass auch bei einem depressiven Leiden soziale Belastungen, die direkt negative funktionelle Folgen zeitigen, auszuklammern sind, setzt die vorzunehmende Abgrenzung zu reaktiven, invaliditätsfremden Geschehen auf psychosoziale Belastungen eine nachvollziehbare Diagnosestellung voraus. Nicht zuletzt im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit ist es sach- und systemgerecht, solche Leiden ebenfalls einem strukturierten Beweisverfahren nach BGE 141 V 281 zu unterziehen. Entscheidend ist dabei, unabhängig von der diagnostischen Einordnung ihres Leidens, ob es gelingt, auf objektivierter Beurteilungsgrundlage den Beweis einer rechtlich relevanten Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit zu erbringen, wobei die versicherte Person die materielle Beweislast zu tragen hat (BGE 141 V 281 E. 3.7.2 S. 295 f.). Wie bei den somatoformen Schmerzstörungen und vergleichbaren psychosomatischen Leiden verbleiben aber Verlauf und Ausgang von Therapien als wichtige Schweregradindikatoren. Dementsprechend ist es Aufgabe des medizinischen Sachverständigen, nachvollziehbar aufzuzeigen, weshalb trotz lediglich leichter bis mittelschwerer Depression und an sich guter Therapierbarkeit der Störung im Einzelfall funktionelle Leistungseinschränkungen resultieren, die sich auf die Arbeitsfähigkeit auswirken. Zudem haben medizinische Studien gezeigt, dass eine adäquate, leitlinienkonforme antidepressive Therapie als eine notwendige Voraussetzung für günstige Verläufe hinsichtlich Arbeitsfähigkeit und Wiedereingliederung anzusehen ist (Schweizerisches Gesundheitsobservatorium [Obsan], a.a.O., S. 19; FULVIA ROTA, Zur ![]() | 20 |
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Erwägung 5 | |
5.1 Fallspezifisch ergibt sich nach dem Gesagten, dass nicht bereits mit dem Argument der fehlenden Therapieresistenz eine invalidenversicherungsrechtlich relevante psychische Gesundheitsschädigung auszuschliessen ist. Mit der IV-Stelle kann aber dennoch nicht aufgrund der bestehenden Aktenlage auf einen Anspruch auf eine ganze Rente begründende Invalidität geschlossen werden. Insoweit ist die Beschwerde begründet (Art. 61 lit. c ATSG i.V.m. Art. 95 lit. a BGG; BGE 135 II 369 E. 3.1 in fine S. 373; BGE 135 V 23 E. 2 S. 25).
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5.2 Weder der Gutachter Dr. med. E. noch die behandelnden Ärzte der Klinik H. legten schlüssig und nachvollziehbar dar, warum sie trotz der von ihnen klinisch festgestellten Verbesserung der diagnostizierten Leiden weiterhin eine vollständige Arbeitsunfähigkeit in sämtlichen Tätigkeitsbereichen attestierten. Dr. med. E. schätzte in seinem Gutachten vom 29. Dezember 2015 die Arbeitsfähigkeit nach stationären therapeutischen Massnahmen von vier bis sechs Wochen prognostisch auf 50 % und rechnete mit einer monatlichen Steigerung derselben zwischen 20 und 25 % bis zur ![]() | 23 |
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