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37. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. GmbH gegen Bundesamt für Gesundheit (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_563/2020 vom 7. Juni 2021 | |
Regeste |
Art. 32 Abs. 1 und Art. 96 KVG; Art. 65b Abs. 6 und Art. 65d KVV; Art. 34f KLV; Wirtschaftlichkeitsbeurteilung eines patentgeschützten Medikaments im Rahmen des therapeutischen Quervergleichs (TQV). |
Die Einstufung der Vorinstanz, beim konkret zu prüfenden - patentgeschützten - Medikament handle es sich um ein Nachfolgepräparat in diesem Sinne, verletzt kein Bundesrecht (E. 6.4-6.4.2). Definition des Begriffs "therapeutischer Fortschritt" gemäss Art. 65b Abs. 6 KVV (E. 7 und 7.1). Das fragliche Arzneimittel weist im Vergleich zu dem in der SL gelisteten Originalpräparat keinen entsprechenden therapeutischen Fortschritt respektive Mehrwert auf, weshalb es nicht zu beanstanden ist, dass es anlässlich des TQV nicht (mehr) patentgeschützten Medikamenten gegenübergestellt wurde (E. 7.2-7.5). | |
Sachverhalt | |
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A.a Die A. GmbH ist Zulassungsinhaberin des vom Schweizerischen Heilmittelinstitut (Swissmedic) zugelassenen, patentgeschützten Arzneimittels B., das in verschiedenen Dosierungen (5 mg, 10 mg, 20 mg, 30 mg, 40 mg) und Packungsgrössen seit (...) auf der Liste der pharmazeutischen Spezialitäten und konfektionierten Arzneimittel mit Preisen (Spezialitätenliste [SL]) figuriert. Es enthält den Wirkstoff C. und ist zur Behandlung von (...) indiziert.
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A.b Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) teilte der A. GmbH mit Rundschreiben vom (...) mit, dass B. der dreijährlichen Überprüfung der Aufnahmebedingungen der in der SL gelisteten Präparate unterzogen werde, und ersuchte um Eingabe der dafür erforderlichen Daten in die bereitgestellte Internet-Applikation bis (...). Insbesondere wurden Angaben zur Wirksamkeit und Zweckmässigkeit sowie - mit Blick auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit - zu den Grundlagen des von der A. GmbH vorgenommenen therapeutischen Quervergleichs (TQV) gefordert. In Bezug auf Letzteren schlug die A. GmbH im Folgenden als Vergleichspräparat insbesondere D. vor, welches ebenfalls den Wirkstoff C. beinhalte und der gleichen Indikation diene. Das BAG orientierte die Zulassungsinhaberin daraufhin dahingehend, dass es B. als Arzneimittel mit bekanntem Wirkstoff betrachte, da vor dessen Einführung bereits die C.-haltigen Arzneimittel E., F. und D. in die SL aufgenommen worden seien. Ein Arzneimittel mit bekanntem Wirkstoff, welches wie B. keinen Generika-Status aufweise, werde bei der Preisüberprüfung wie ein Originalpräparat behandelt, sei aber per Definition als sogenanntes Nachfolgepräparat einzustufen. Sofern ein solches keinen therapeutischen Fortschritt gegenüber dem bisher in der SL aufgelisteten Originalpräparat bringe, werde dem Patentschutz bei der Preisfestsetzung nicht Rechnung getragen. Da ein derartiger therapeutischer Fortschritt in casu zu verneinen sei, werde B. im TQV mit den patentabgelaufenen (...)-Medikamenten G., H. und I. verglichen. Die A. GmbH hielt dem im Nachgang entgegen, dass ein therapeutischer Fortschritt von B. gegenüber D. auf Grund klinischer Daten durchaus belegt sei (höhere Bioverfügbarkeit, tendenziell bessere klinische Wirksamkeit, Möglichkeit einer Feintitration in Schritten von ![]() ![]() | |
Das BAG schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die A. GmbH wiederholt replikweise ihre Anträge.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen:
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4.2.1 Dass sich Art. 65b Abs. 6 KVV für die Aufnahme eines Arzneimittels in die SL innerhalb dieser Schranken bewegt, wird von keiner Seite bestritten. Gemäss Art. 32 Abs. 2 KVG werden die Wirksamkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Leistungen periodisch überprüft. Dabei ist zu beachten, dass es explizit der Zielsetzung von Art. 32 Abs. 2 KVG entspricht, sicherzustellen, dass die in der SL gelisteten Arzneimittel - als Voraussetzung für die Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) - die Kriterien von Art. 32 Abs. 1 KVG (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungen) jederzeit erfüllen (vgl. BGE 142 V 26 E. 5.4). Gemäss Sachüberschrift von Art. 65d KVV sowie Abs. 1 dieser Bestimmung ist bei der dreijährlichen Überprüfung denn auch zu kontrollieren, ob das betroffene Arzneimittel die Aufnahmebedingungen noch erfüllt. Letztere werden in Art. 65 KVV umschrieben, gemäss dessen Abs. 3 ein Arzneimittel unter anderem wirtschaftlich sein muss. Anhand welcher Massstäbe die Wirtschaftlichkeit zu beurteilen ist, regelt Art. 65b KVV ("Beurteilung der Wirtschaftlichkeit"). Abs. 2 dieser Bestimmung nennt als Elemente der Wirtschaftlichkeitsbeurteilung den Auslandpreisvergleich (APV) und den TQV. Weiter legt Abs. 6 von Art. 65b KVV fest, dass die Kosten für Forschung und Entwicklung bei Originalpräparaten stets, bei Nachfolgepräparaten indessen ![]() ![]() | 10 |
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Erwägung 6 | |
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Dem wird in der Beschwerde entgegengehalten, der Schluss des Bundesverwaltungsgerichts, B. sei als Nachfolgepräparat einzustufen, erweise sich als nicht sachgerecht und stelle eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts dar.
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Erwägung 6.3 | |
6.3.1 Auf Grund der Angaben in den einschlägigen Fachinformationen besteht eine Identität bezüglich Wirkstoff und Indikation von ![]() ![]() | 17 |
6.3.2 B. wurde sodann im Rahmen eines vereinfachten Zulassungsverfahrens als Arzneimittel mit bekannten Wirkstoffen (BWS; Art. 14 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte [Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21] in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 der Verordnung vom 22. Juni 2006 des Schweizerischen Heilmittelinstituts über die vereinfachte Zulassung von Arzneimitteln und die Zulassung von Arzneimitteln im Meldeverfahren [VAZV; SR 812.212.23]) deklariert. Als BWS gelten Arzneimittel, die einen Wirkstoff enthalten, der bereits in einem anderen von Swissmedic zugelassenen Arzneimittel enthalten ist oder war (Art. 12 Abs. 1 VAZV; vgl. auch Ziff. A.2 des vom BAG herausgegebenen Handbuchs betreffend die SL, Stand 2017 [nachfolgend: SL-Handbuch], abrufbar unter www.bag.admin.ch). Es wird unterschieden zwischen "BWS ohne Innovation" und "BWS mit Innovation", wobei die Beschwerdeführerin geltend macht, B. sei im Rahmen des Zulassungsverfahrens als Letzteres klassifiziert worden. Damit wird ein Arzneimittel mit beispielsweise einer neuen Indikation, Darreichungsform, Verabreichungsweg, Dosisstärke und/oder Dosierungsempfehlung bezeichnet, wofür die entsprechenden Vorgaben der von Swissmedic herausgegebenen Wegleitungen "Zulassung Humanarzneimittel mit neuer aktiver Substanz HMV4" und "Änderungen und Zulassungserweiterungen HMV4" eingehalten werden müssen (vgl. Wegleitung "Zulassung Humanarzneimittel mit bekanntem Wirkstoff HMV4" von Swissmedic, S. 3 [Stand 1. März 2021]). Ein "BWS ohne Innovation" stellt demgegenüber ein Arzneimittel dar, das sich hinsichtlich Indikation, Darreichungsform, ![]() ![]() | 18 |
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6.4.2 Ebenso wenig verfängt das Argument der Beschwerdeführerin, der Umstand, dass es sich bei B. um ein "BWS mit Innovation" handle, spreche gegen die Qualifizierung als Nachfolgepräparat. Zum einen wird die diesbezügliche, angeblich anlässlich des Zulassungsverfahrens erfolgte Einstufung lediglich behauptet, ohne dass entsprechende Belege vorgelegt würden. So enthält denn etwa auch die SL-Aufnahmeverfügung des BAG vom (...), wonach die Preisfestsetzung von B. "auf Grund des Preisvergleichs mit D. wegen des ![]() ![]() | 21 |
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7. Zu beurteilen ist in einem nächsten Schritt, ob die vorinstanzliche Feststellung, B. bringe im Vergleich zu D. keinen therapeutischen Fortschritt, gegen Bundesrecht verstösst. Hierbei sind, worauf die ![]() ![]() | 23 |
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Auch wenn an den therapeutischen Fortschritt im Sinne von Art. 65b Abs. 6 KVV - und darin ist der Beschwerdeführerin zu folgen - nicht die gleich hohen Anforderungen wie bei der Prüfung eines Innovationszuschlags im Sinne von Art. 65b Abs. 7 KVV gestellt werden dürfen (wofür ein bedeutender therapeutischer Fortschritt erforderlich ist [Hervorhebung durch das Bundesgericht]; vgl.nicht publ. E. 2.2.1), genügt es für die Annahme eines solchen nicht, dass sich ein Medikament zum Vorgängerpräparat nur unwesentlich unterscheidet (sog. Scheininnovation [siehenicht publ. E. 2.2.3]); diesgilt auch für den Fall, dass ein Arzneimittel heilmittelrechtlich als "BWS mit Innovation" eingestuft wurde (dazu oben E. 6.3.2). Vielmehr muss - grundsätzlich wie beim Innovationszuschlag nach Art. 65b Abs. 7 KVV - mittels klinischer Studien rechtsgenüglich nachgewiesen werden, dass sich aus dem veränderten patentgeschützten Element (beispielsweise Indikation, Darreichungsform, Verabreichungsweg, Dosisstärke und/oder Dosierungsempfehlung) ein Vorteil hinsichtlich Wirksamkeit, Sicherheit oder Behandlungscompliance ergibt (vgl. Art. 32 Abs. 1 KVG [Wirksamkeitsnachweis mit wissenschaftlichen Methoden] und Art. 65a KVV). Denentsprechenden Erwägungen der Vorinstanz ist vollumfänglich beizupflichten. Ist kein solcher Zusatznutzen belegt, besteht trotz etwa der veränderten patentgeschützten Darreichungsform prinzipiell ![]() ![]() | 25 |
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Mit Vorinstanz und Beschwerdegegner kann bereits in Anbetracht der geringen Anzahl der untersuchten Patienten und des lediglich auf sieben Tage angelegten Untersuchungszeitraums nicht von einer aussagekräftigen Studie gesprochen werden, zumal es auch an der rechtsprechungsgemäss erforderlichen Publikation in einer Fachzeitschrift fehlt. Eine Studie, die sich noch nicht der Diskussion und dem Urteil der Fachwelt gestellt hat, worunter die alleinige Präsentation an einer Fachveranstaltung nicht gezählt werden kann, lässt noch keinen Rückschluss auf einen Vorteil hinsichtlich Wirksamkeit, Sicherheit oder Behandlungscompliance eines veränderten patentgeschützten Elements eines Medikaments zu. Vielmehr müssen die entsprechenden Studien von der Anlage, der Aktualität, dem Beobachtungszeitraum, der Anzahl und Auswahl der Probanden sowie der Art der Durchführung und Auswertung her wissenschaftlichen Standards genügen und entsprechend gesicherte Aussagen zur Wirksamkeit erlauben (vgl. GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 624 Rz. 707). So wurde höchstrichterlich etwa die Auffassung eines Experten bestätigt, wonach Fallzahlen von je nur hundert Patienten in Untergruppen einer Doppelblindstudie zu klein seien, um statistisch genügend abgesicherte Angaben liefern zu können (Urteil K 71/93 vom 25. April 1994 E. 3c, in: SVR 1994 KV Nr. 25 S. 85). Ferner liess das Bundesgericht zur Bestätigung der Langzeitwirkung einen Zeitraum von 52 Wochen für ein Arzneimittel zur ![]() ![]() | 28 |
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Die Schlussfolgerung von Vorinstanz und Beschwerdegegner, die besagte Studie könne nicht als ausreichender Beweis für einen therapeutischen Fortschritt im Sinne von Art. 65b Abs. 6 KVV gewertet werden, erweist sich vor diesem Hintergrund nicht als offensichtlich fehlerhaft. Es kann damit offenbleiben, ob deren Aussagekraft für die vorstehenden Belange nicht ohnehin auf Grund anderweitiger Faktoren (nur 21-tägiger Untersuchungszeitraum, Erkenntnisse nur mit Blick auf Kinder relevant, die normal frühstücken etc.) anzuzweifeln ist.
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7.3 Die Beschwerdeführerin sieht den entscheidwesentlichen Vorteil ferner darin, dass einzig B. die Möglichkeit einer Feintitration in 5 mg-Schritten (2,5 mg pro Freisetzungsphase) biete; damit könne ![]() ![]() | 31 |
Da es jedoch an Belegen fehlt respektive solche von der Beschwerdeführerin jedenfalls nicht beigebracht werden, welche einen aus der Möglichkeit der entsprechenden Feintitration fliessenden klinisch relevanten Mehrnutzen in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit oder Behandlungscompliance dokumentieren, mangelt es bereits an einem wissenschaftlich gesicherten Nachweis, der es erlauben würde, auf einen therapeutischen Fortschritt nach Massgabe von Art. 65b Abs. 6 KVV zu schliessen. Es hat folglich auch in diesem Punkt bei den Ausführungen im angefochtenen Urteil sein Bewenden.
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Die Voraussetzungen zur Anwendung von Art. 65b Abs. 6 Teilsatz 2 KVV sind damit erfüllt, weshalb es nicht zu beanstanden ist, dass der Beschwerdegegner darauf verzichtet hat, dem TQV von B. das patentgeschützte Präparat D. als Vergleichsprodukt zugrunde zu legen. Vielmehr wurde dem Patentschutz von B. bei der ![]() ![]() ![]() | 35 |
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