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Informationen zum Dokument  BGer C 49/2001  Materielle Begründung
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BGer C 49/2001 vom 07.11.2001
 
{T 7}
 
C 49/01
 
IV. Kammer
 
Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger und Bundes-
 
richter Kernen; Gerichtsschreiberin Berger
 
Urteil vom 7. November 2001
 
in Sachen
 
Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen, Davidstrasse 21,
 
9001 St. Gallen, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
M.________, 1950, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechts-
 
anwalt Tim Walker, Hinterdorf 27, 9043 Trogen,
 
und
 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
 
A.- M.________, geboren 1950, arbeitete ab Februar
 
1996 als Hilfsmaler in der Einzelfirma des R.________,
 
Malergeschäft. Gemäss Kündigungsschreiben vom
 
27. Juni 1996 sah sich der Arbeitgeber wegen der schlechten
 
Auftragslage gezwungen, das Arbeitsverhältnis aufzulösen.
 
Am 13. Juli 1999 wurde über den Inhaber der Firma der Kon-
 
kurs eröffnet. Nachdem die Konkurseröffnung am 1. Oktober
 
1999 im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) publiziert
 
worden war, liess M.________ am 1. November 1999 eine
 
Forderung von Fr. 2211.95 aus Arbeitsvertrag in den Konkurs
 
einreichen und beantragte am 30. November 1999 bei der Kan-
 
tonalen Arbeitslosenkasse St. Gallen Insolvenzentschädigung
 
für in der Zeit von März bis Juni 1996 "unzulässigerweise
 
abgezogene Quellensteuer" im Betrag von Fr. 1532.- zuzüg-
 
lich Verzugszinsen von Fr. 261.70 für die Zeit vom 1. Juli
 
1996 bis zum 30. November 1999. Mit Verfügung vom 3. Dezem-
 
ber 1999 lehnte die Arbeitslosenkasse das Leistungsbegehren
 
ab, weil ungerechtfertigte Quellensteuerabzüge keine offe-
 
nen Lohnforderungen seien, welche einen Anspruch auf Insol-
 
venzentschädigung zu begründen vermöchten.
 
B.- In Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde
 
hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die
 
Verwaltungsverfügung vom 3. Dezember 1999 auf und wies die
 
Sache zum Erlass einer neuen Verfügung im Sinne der Er-
 
wägungen an die Arbeitslosenkasse zurück (Entscheid vom
 
10. Januar 2001). Zur Begründung wurde angegeben, die vom
 
ehemaligen Arbeitgeber vom Lohn abgezogenen Quellensteuern
 
entbehrten jeglicher Grundlage, weshalb im Umfang der zu
 
Unrecht erfolgten Steuerabzüge offene Lohnforderungen vor-
 
handen seien, für welche ein Anspruch auf Insolvenzentschä-
 
digung bestehe.
 
C.- Die Arbeitslosenkasse führt Verwaltungsgerichtsbe-
 
schwerde mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorin-
 
stanzlichen Entscheids sei ihre Verfügung vom 3. Dezember
 
1999 zu bestätigen.
 
M.________ lässt Abweisung der Verwaltungsgerichts-
 
beschwerde beantragen und um Gewährung der unentgeltlichen
 
Verbeiständung ersuchen. Das Staatssekretariat für Wirt-
 
schaft lässt sich nicht vernehmen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Aus den Lohnabrechnungen der Monate Mai und Juni
 
1996 geht hervor, dass der ehemalige Arbeitgeber des Be-
 
schwerdegegners für die Zeit von Februar bis Juni 1996
 
einen Steuerabzug von gesamthaft Fr. 1915.- vorgenommen
 
hat. Entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts muss
 
im vorliegenden Prozess nicht beurteilt werden, ob dieser
 
Abzug zu Unrecht erfolgte. Ebenso wenig ist zu entscheiden,
 
ob der allfällig zu Unrecht abgezogene Betrag eine Lohnfor-
 
derung darstellt, welche Anspruch auf Insolvenzentschädi-
 
gung auslöst. Denn selbst wenn davon auszugehen wäre, dass
 
noch Lohnforderungen aus dem Arbeitsverhältnis aus dem Jahr
 
1996 bestehen, müsste ein Anspruch auf Insolvenzentschädi-
 
gung verneint werden, wie die nachfolgenden Erwägungen
 
zeigen.
 
2.- a) Gemäss Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG haben bei-
 
tragspflichtige Arbeitnehmer von Arbeitgebern, die in der
 
Schweiz der Zwangsvollstreckung unterliegen oder in der
 
Schweiz Arbeitnehmer beschäftigen, Anspruch auf Insolvenz-
 
entschädigung, wenn gegen ihren Arbeitgeber der Konkurs
 
eröffnet wird und ihnen in diesem Zeitpunkt Lohnforderungen
 
zustehen. Die Insolvenzentschädigung deckt nach Art. 52
 
Abs. 1 AVIG (in der ab 1. Januar 1996 geltenden Fassung)
 
Lohnforderungen für die letzten sechs (ab 1. September
 
1999: vier) Monate des Arbeitsverhältnisses, für jeden
 
Monat jedoch nur bis zum Höchstbetrag nach Artikel 3 Ab-
 
satz 1; als Lohn gelten auch die geschuldeten Zulagen.
 
Wird über den Arbeitgeber der Konkurs eröffnet, so
 
muss der Arbeitnehmer gemäss Art. 53 AVIG seinen Entschädi-
 
gungsanspruch spätestens 60 Tage nach der Veröffentlichung
 
des Konkurses im Schweizerischen Handelsamtsblatt bei der
 
öffentlichen Kasse stellen, die am Ort des Betreibungs- und
 
Konkursamtes zuständig ist (Abs. 1). Bei Pfändung des Ar-
 
beitgebers muss der Arbeitnehmer seinen Entschädigungsan-
 
spruch innert 60 Tagen nach dem Pfändungsvollzug geltend
 
machen (Abs. 2). Mit dem Ablauf dieser Fristen erlischt der
 
Anspruch auf Insolvenzentschädigung (Abs. 3).
 
Nach Art. 55 Abs. 1 AVIG muss der Arbeitnehmer im
 
Konkurs- oder Pfändungsverfahren alles unternehmen, um
 
seine Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren, bis
 
die Kasse ihm mitteilt, dass sie an seiner Stelle in das
 
Verfahren eingetreten ist. Danach muss er die Kasse bei der
 
Verfolgung ihres Anspruchs in jeder zweckdienlichen Weise
 
unterstützen.
 
b) Der früheren Rechtsprechung zufolge bestand in den-
 
jenigen Fällen, in welchen die Konkurseröffnung oder die
 
Einreichung des Pfändungsbegehrens nach Beendigung des Ar-
 
beitsverhältnisses erfolgt, Anspruch auf Insolvenzentschä-
 
digung unter der kumulativen Voraussetzung, dass die Insol-
 
venz des Arbeitgebers im Zeitpunkt der Auflösung des Ar-
 
beitsverhältnisses schon bestanden hat und sich die Kon-
 
kurseröffnung bzw. die Einreichung des Pfändungsbegehrens
 
aus Gründen verzögert hat, auf die die versicherte Person
 
keinen Einfluss nehmen konnte (BGE 114 V 59 Erw. 3d). Wie
 
das Eidgenössische Versicherungsgericht in dem in SZS 2001
 
S. 92 ff. zusammengefassten Urteil B. vom 18. Februar 2000,
 
C 362/98, entschieden hat, wird daran insofern nicht fest-
 
gehalten, als ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung auch
 
dann gegeben sein kann, wenn die Zahlungsunfähigkeit des
 
Arbeitgebers erst nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses
 
eintritt. Unverändert gilt die bisherige zweite Voraus-
 
setzung, wonach sich die Konkurseröffnung bzw. die Ein-
 
reichung des Pfändungsbegehrens aus Gründen verzögert haben
 
muss, auf die die versicherte Person keinen Einfluss nehmen
 
konnte. Im Rahmen dieses Erfordernisses ist praxisgemäss
 
Art. 55 Abs. 1 AVIG zu beachten, nach dessen erstem Satz -
 
als Ausdruck der allgemeinen Schadenminderungspflicht - der
 
Arbeitnehmer im Konkurs- oder Pfändungsverfahren alles
 
unternehmen muss, um seine Ansprüche gegenüber dem Arbeit-
 
geber zu wahren. Ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung
 
entfällt daher, wenn der Arbeitnehmer oder die Arbeitneh-
 
merin nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Lohnan-
 
sprüche nicht innert nützlicher Frist geltend macht (BGE
 
114 V 60 Erw. 4). In dem in ARV 1999 Nr. 24 S. 140 ff. ver-
 
öffentlichten Urteil C. vom 25. Juni 1998, C 183/97, hat
 
das Eidgenössische Versicherungsgericht festgestellt, dass
 
ein Versicherter, dessen Arbeitsverhältnis lange vor dem
 
Konkurs des Arbeitgebers beendigt worden ist und der mehr
 
als ein Jahr nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu-
 
wartet, um ausstehende Löhne geltend zu machen, den An-
 
spruch auf Insolvenzentschädigung verliert.
 
c) Der Beschwerdegegner hat den Anspruch auf Insol-
 
venzentschädigung am 30. November 1999 und damit innert der
 
Frist von 60 Tagen seit der am 1. Oktober 1999 erfolgten
 
Publikation der Konkurseröffnung im SHAB angemeldet. Er ist
 
indessen der Pflicht zur Geltendmachung seiner Ansprüche
 
aus dem ehemaligen Arbeitsverhältnis in der Zeit bis zur
 
Konkurseröffnung nicht nachgekommen. Seinen Angaben zufolge
 
hat er letztmals im Juni 1996 Lohn erhalten. Die fraglichen
 
Quellensteuerabzüge wurden in den Lohnabrechnungen der Mo-
 
nate Mai und Juni 1996 vorgenommen. Die Kündigung des Ar-
 
beitsverhältnisses erfolgte am 27. Juni 1996, wobei der
 
ehemalige Arbeitgeber von einer zweiwöchigen Kündigungs-
 
frist ausging. Erst mit Schreiben vom 13. Februar 1998
 
fragte der Beschwerdegegner beim Steueramt der Gemeinde
 
B.________ nach, ob sein ehemaliger Arbeitgeber die Quel-
 
lensteuerbeträge abgeliefert habe. Aus der nachfolgenden
 
Korrespondenz zwischen dem Gemeindesteueramt und der da-
 
maligen Rechtsvertreterin des Beschwerdegegners zog dieser
 
den Schluss, die Quellensteuerabzüge seien zu Unrecht er-
 
folgt, weshalb er am 30. April 1999 Fr. 1915.- zuzüglich
 
Verzugszinsen vom ehemaligen Arbeitgeber zurückverlangen
 
liess. Weil R.________ daraufhin keine Zahlungen erbrachte,
 
wurde dieser Forderungsbetrag am 1. November 1999 in den
 
Konkurs des ehemaligen Arbeitgebers eingereicht. In der
 
Zeit von Juli 1996 bis anfangs 1998 hat der Beschwerde-
 
gegner keine Schritte zur Geltendmachung und Realisierung
 
der behaupteten Forderung aus Arbeitsvertrag unternommen.
 
Es liegen keinerlei Umstände vor, die diesen langen Ver-
 
zicht auf Vorkehren unter den massgebenden arbeitslosenver-
 
sicherungsrechtlichen Gesichtspunkten zu rechtfertigen ver-
 
möchten. Denn es kann nicht Zweck der Insolvenzentschädi-
 
gung sein, Lohnansprüche zu ersetzen, auf deren Geltend-
 
machung die Arbeitnehmenden während über eines Jahres seit
 
Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne hinreichenden
 
Grund verzichtet haben. Der Beschwerdegegner bringt in
 
seiner Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
 
vor, dass er zwischen der Beendigung des Arbeitsverhält-
 
nisses und dem Zeitpunkt seiner Erkenntnis, wonach die
 
Quellensteuern gar nicht hätten vom Lohn abgezogen werden
 
dürfen, nichts habe unternehmen müssen, schon gar nicht als
 
rechtsunkundiger Ausländer, der die Schriftsprache kaum be-
 
herrsche. Daraus ergibt sich allerdings nichts zu seinen
 
Gunsten, da niemand Vorteile aus seiner eigenen Rechtsun-
 
kenntnis ableiten kann (BGE 124 V 220 Erw. 2b/aa mit Hin-
 
weisen). Die Arbeitslosenkasse hat den Anspruch auf Insol-
 
venzentschädigung demzufolge im Ergebnis zu Recht verneint.
 
3.- Da es im vorliegenden Verfahren um Versicherungs-
 
leistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskos-
 
ten zu erheben.
 
Der Beschwerdegegner ersucht für den letztinstanzli-
 
chen Prozess um unentgeltliche Verbeiständung. Diese kann
 
ihm gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135
 
OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist und die Vertre-
 
tung geboten war (BGE 124 V 309 Erw. 6; AHI 1999 S. 85
 
Erw. 3). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3
 
OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der
 
Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später
 
dazu im Stande ist.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wer-
 
den Dispositiv-Ziffern 1, 2 und 4 des Entscheids des
 
Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom
 
10. Januar 2001 aufgehoben.
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
III.Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung
 
wird Rechtsanwalt Tim Walker, Trogen, für das Verfah-
 
ren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus
 
der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 500.-
 
(einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsge-
 
richt des Kantons St. Gallen, dem Amt für Wirtschaft
 
und Arbeit, St. Gallen, und dem Staatssekretariat für
 
Wirtschaft zugestellt.
 
Luzern, 7. November 2001
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer:
 
Die Gerichtsschreiberin:
 
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