BVerfGE 18, 407 - Verordnung als Landesrecht | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Johannes Rux, A. Tschentscher | |||
Rechtsverordnungen von Landesorganen, die auf einer bundesgesetzlichen Ermächtigung gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG beruhen, sind Landesrecht. |
Beschluss |
des Zweiten Senats vom 23. März 1965 |
- 2 BvN 1/62 - |
Entscheidungsformel: |
Rechtsverordnungen von Landesorganen, die auf einer bundesgesetzlichen Ermächtigung gemäß Artikel 80 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes beruhen, sind Landesrecht. |
Gründe | |
A. - I. | |
1. Art. 2 Abs. 1 des Fünften Strafrechtsänderungsgesetzes vom 24. Juni 1960 (BGBl. I S. 477) lautet:
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Verbot der Gewerbsunzucht
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(1) Die Landesregierung kann die Ausübung der Gewerbsunzucht 1. in Gemeinden unter zwanzigtausend Einwohnern für das ganze Gebiet der Gemeinde, 2. in Gemeinden von zwanzigtausend bis zu fünfzigtausend Einwohnern für das ganze Gebiet der Gemeinde oder für einzelne Bezirke und 3. in Gemeinden über fünfzigtausend Einwohnern für einzelne Bezirke durch Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend oder des öffentlichen Anstandes verbieten (§ 361 Nr. 6c des Strafgesetzbuches). Sie kann diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die höhere Verwaltungsbehörde übertragen. | 3 |
2. Die §§ 1 und 2 der bayerischen Landesverordnung über das Verbot der Gewerbsunzucht vom 21. September 1960 (GVBl. S. 225) bestimmen:
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§ 1
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§ 2
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Den Regierungen wird die Befugnis übertragen, die Ausübung der Gewerbsunzucht in Gemeinden von zwanzigtausend bis zu fünfzigtausend Einwohnern für das ganze Gebiet der Gemeinde oder für einzelne Bezirke und in Gemeinden über fünfzigtausend Einwohnern für einzelne Bezirke durch Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend oder des öffentlichen Anstandes zu verbieten (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 des Fünften Strafrechtsänderungsgesetzes).
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3. Auf Grund des § 2 der Landesverordnung hat die Regierung von Mittelfranken am 4. April 1961 folgende Bezirksverordnung über das Verbot der Gewerbsunzucht erlassen (RegABl. S. 43):
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§ 1
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Zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes werden das Anbieten und die Ausübung der Gewerbsunzucht außer in den Gebieten, in denen sie bereits durch die oben angegebene Landesverordnung verboten sind, in folgenden Stadtgebieten untersagt: a) in den Städten Ansbach und Schwabach allgemein einschließlich des Gebiets der Personenbahnhöfe und des übrigen Bahngeländes; b) in der Stadt Erlangen auf den Personenbahnhöfen und auf den Bahnhofsvorplätzen; c) in der Stadt Fürth/Bay. auf dem Hauptbahnhof und auf dem Bahnhofsvorplatz einschließlich der Grünanlagen; d) in der Stadt Nürnberg im Stadtgebiet innerhalb der Stadtmauer, ausgenommen an der Frauentormauer vom Färbertor bis zum Spittlertor; auf der Straße der Celtis-Unterführung und auf dem Celtisplatz; auf der Straße 'Hinterm Bahnhof' vom Celtisplatz bis zur Allersberger Straße; auf dem Frauentorgraben vom Bahnhofsplatz bis zum Plärrer und auf dem Plärrer; auf den Personenbahnhöfen und auf den Bahnhofsvorplätzen. | 11 |
§ 2
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Wer gewohnheitsmäßig den Verboten unter § 1 zuwiderhandelt, wird nach § 361 Nr. 6 c des Strafgesetzbuches mit Haft bestraft.
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14 | |
Diese Verordnung tritt eine Woche nach der amtlichen Bekanntmachung im Amtsblatt der Regierung von Mittelfranken in Kraft; sie gilt 20 Jahre.
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II. | |
1. Beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof ist ein Verfahren gemäß Art. 98 Satz 4 BV anhängig, in dem die Antragsteller geltend machen, daß § 2 der Landesverordnung vom 21. September 1960 sowie die Bezirksverordnung vom 4. April 1961 verfassungswidrig seien, weil diese Vorschriften die Grundrechte der Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) und des Eigentums (Art. 103 BV) verletzten. Sie seien auch mit Art. 109 Abs. 1 Satz 2, Art. 166 Abs. 2 sowie mit Art. 70 BV unvereinbar.
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2. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof kann in diesem Verfahren nur entscheiden, wenn die Bestimmungen der Landesverordnung vom 21. September 1960 und der Bezirksverordnung vom 4. April 1961, deren Verfassungswidrigkeit festgestellt werden soll, bayerisches Landesrecht sind.
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Der Bayerische Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß eine von einem Landesorgan erlassene Rechtsvorschrift auch dann Landesrecht ist, wenn sie sich auf eine höherrangige, insbesondere auf eine bundesrechtliche Ermächtigung stützt. Die Landesorgane übten im Rahmen der ihnen erteilten bundesrechtlichen Ermächtigung die eigene - originäre - Landesstaatsgewalt aus. Sie setzten also kein partielles Bundesrecht, sondern Landesrecht.
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Dagegen hat der Hessische Staatsgerichtshof in seinem Beschluß vom 26. Oktober 1956 - PSt 208 - (DÖV 1957, 189) die Meinung vertreten, daß die von einer Landesregierung auf Grund bundesgesetzlicher Ermächtigung erlassenen Rechtsverordnungen Bundesrecht seien.
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Der Bayerische Verfassungsgerichtshof kann an seiner Rechtsauffassung nicht festhalten, ohne bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Verfassungsgerichts eines anderen Landes abzuweichen. Er hat daher gemäß Art. 100 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit § 85 BVerfGG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingeholt.
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III. | |
1. Der Hessische Staatsgerichtshof hält in seiner Äußerung gemäß § 85 Abs. 2 BVerfGG an der im Beschluß vom 26. Oktober 1956 vertretenen Auffassung fest, daß eine von einer Landesregierung auf Grund bundesgesetzlicher Ermächtigung erlassene Rechtsverordnung Bundesrecht, nicht Landesrecht sei. Die Rechtsquelle für den Erlaß der Rechtsverordnung liege nicht in der Gesetzgebungsbefugnis des Landes, sondern in der des Bundes. Die nach der Landesverfassung zuständigen Gesetzgebungsorgane seien bei dem Erlaß von Rechtsverordnungen zur Durchführung von Bundesgesetzen grundsätzlich ausgeschaltet. Die Ermächtigung könne gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG nur der Bundesregierung, einem Bundesminister oder den Landesregierungen erteilt werden. Die Gesetzgebungsorgane der Länder hätten keine Befugnis, eine von der Landesregierung auf Grund bundesgesetzlicher Ermächtigung erlassene Rechtsverordnung abzuändern oder aufzuheben. Würde der Landtag eine solche Abänderung oder Aufhebung beschließen, so ginge die bundesgesetzliche Regelung gemäß Art. 31 GG der landesrechtlichen vor. Wäre die Verordnung Landesrecht, so wäre sie der Kontrolle des Landtags unterworfen und könnte im Wege der Landesgesetzgebung abgeändert oder aufgehoben werden. Hinzu komme, daß die zu einem Gesetz erlassene Durchführungsverordnung keine selbständige Bedeutung habe. Nur in Verbindung mit dem Gesetz sei sie verständlich. Sie vollende das Gesetz und mache es erst praktisch anwendbar. Die Rechtsverordnung sei daher nicht nur in ihrem Bestand, sondern auch in ihrem Inhalt abhängig von dem Bundesgesetz. Diese Verbindung sei oft so eng, daß nur schwer festzustellen sei, welche Gedanken bereits in dem Gesetz selbst und welche erst in der Ausführungsverordnung enthalten seien.
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Der Hessische Staatsgerichtshof hat ergänzend bemerkt, für seine Auffassung sei auch die Überlegung von Bedeutung gewesen, daß eine bundesgesetzliche Norm, die eine Landesregierung dazu ermächtigen würde, Landesrecht zu setzen, einen Eingriff in das Landesverfassungsrecht darstellen würde und mit dem Grundgesetz der Eigenstaatlichkeit der Länder nicht vereinbar wäre (Art. 20 Abs. 2 und 3, Art. 28 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG).
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2. Nach Ansicht der Bundesregierung kommt es entscheidend darauf an, wessen Rechtsetzungsgewalt durch Erlaß einer Verordnung ausgeübt wird. Die Rechtsquelle für den Erlaß von Rechtsverordnungen auf Grund bundesgesetzlicher Ermächtigung liege in der Gesetzgebungsgewalt des Bundes, nicht in der der Länder. Der Bund habe insoweit seine ihm nach dem Grundgesetz zustehende materiell-rechtliche Sachregelungsbefugnis in Anspruch genommen und hiervon einen Teil in Form einer Ermächtigung an ein Landesorgan delegiert. Hierbei handle es sich um eine echte Delegation gesetzgebender Gewalt.
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Während die Gesetzgebungsgewalt des Landtags originär sei und sich nach Art. 70 Abs. 1 GG beurteile, beruhe die materiellrechtliche Kompetenz der Landesregierung, wenn sie Verordnungen auf Grund bundesrechtlicher Ermächtigungen erlasse, allein auf der Ermächtigung durch das Bundesgesetz.
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Gehe man aber davon aus, daß es sich bei solchen Verordnungen um Landesrecht handle, das auf Grund originärer Gesetzgebungsgewalt erlassen werde, so müsse dem Landtag auch ein Abänderungsrecht eingeräumt werden, da die originäre Gesetzgebungsgewalt nur einheitlich verstanden werden könne.
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Landesrechtliche Rechtsverordnungen auf Grund bundesgesetzlicher Ermächtigung seien also Bundesrecht. Allerdings leiteten die Landesorgane ihre Existenz aus der Landesverfassung her. Damit sei jedoch für die Unterscheidung, ob die Landesorgane Bundesrecht oder Landesrecht setzen, nichts gewonnen. Denn für die Frage der Rechtsqualität der erlassenen Verordnung komme es darauf an, welche materielle Gesetzgebungsgewalt von den Landesorganen wahrgenommen werde. Bei Ermächtigungen der vorliegenden Art delegiere der Bund seine ihm zustehende materiell-rechtliche Gesetzgebungsgewalt auf die Landesregierungen, so daß die so zustande gekommenen Verordnungen in materiellrechtlicher Beziehung einen Bestandteil der Bundesgesetzgebung darstellten. Bei dieser Betrachtungsweise komme es nicht darauf an, ob der rein formelle Akt des Erlasses der Verordnung dem Herrschaftsbereich des Gliedstaates zuzurechnen sei. Es sei auch nicht entscheidend, daß die Landesregierung, wenn sie auf Grund bundesgesetzlicher Ermächtigung eine Rechtsverordnung erlasse, gleichwohl Landesorgan bleibe. Denn auch als Landesorgan sei die Landesregierung nicht gehindert, Bundesrecht zu erlassen, sofern sie durch eine bundesgesetzliche Vorschrift dazu ermächtigt werde.
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B. - I. | |
Die Vorlage ist gemäß Art. 100 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit § 85 BVerfGG zulässig. Die Rechtsfrage ist für das vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof schwebende Verfahren erheblich. Die in den Gründen der Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs vom 26. Oktober 1956 zu der Rechtsfrage dargelegte Rechtsauffassung trägt diese Entscheidung (vgl. Geiger, Kommentar zum BVerfGG, Anm. 5 zu § 85; BVerfGE 3, 261 [264 f.]).
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II. | |
Die vorgelegte Rechtsfrage wird in der Literatur seit langem erörtert (Nachweise bei Maunz-Dürig, Grundgesetz, Art. 80 Rdnr. 20 und 21, Anm. 4; außerdem neuestens Giese-Schunck, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl. 1962, II, 2 zu Art. 80; Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl. 1964, B IIIa zu § 137, S. 618). Abgesehen von dem angeführten Beschluß des Hessischen Staatsgerichtshofs vom 26. Oktober 1956 ist die neuere Rechtsprechung mit dem vorlegenden Gericht der Auffassung, daß eine von einem Landesorgan erlassene Rechtsvorschrift auch dann Landesrecht ist, wenn sie sich auf eine bundesrechtliche Ermächtigung stützt (so VGH Bremen, Beschluß vom 15. März 1955 - P 3/55 -, DöV 1955, 673 [674]; Bad.-Württ. VGH, Beschluß vom 14. Juni 1961, AöR n. F. 47 (1961), 95 [96]; derselbe, Beschluß vom 11. März 1963, NJW 1963, 1687).
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Diese Auslegung des Grundgesetzes ist zutreffend.
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III. | |
Der Staat kann nur durch seine Organe handeln. Nur deren Akte werden ihm zugerechnet. Im Bundesstaat, in dem die Ausübung der staatlichen Befugnisse zwischen Bund und Ländern aufgeteilt ist, wird dem Bund nur zugerechnet, was die Bundesorgane tun, einem Land nur, was die Landesorgane tun. Dementsprechend üben die Bundesorgane Bundesstaatsgewalt, die Landesorgane Landesstaatsgewalt aus. Also ist das von einem Bundesorgan gesetzte Recht Bundesrecht, das von einem Landesorgan gesetzte Recht Landesrecht (so auch Maunz-Dürig, a.a.O., Rdnr. 8 zu Art. 31 GG).
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Das gilt auch, wenn eine Landesregierung auf Grund einer ihr gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG in einem Bundesgesetz erteilten Ermächtigung eine Rechtsverordnung erläßt und wenn auf Grund einer in diesem Gesetz zugelassenen Subdelegation der Landesregierung ein nachgeordnetes Landesorgan - hier die Bezirksregierung - Rechtsvorschriften setzt. Sowohl die Rechtsverordnung der Landesregierung als auch die Verordnung der Bezirksregierung sind Landesrecht und nicht Bundesrecht. Im vorliegenden Fall gehört der Gesetzgebungsgegenstand - Strafrecht - zum Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Das gleiche würde aber gelten, wenn es sich um einen Gegenstand aus dem Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes handeln würde.
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1. Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Die Kompetenzzuweisung an den Bund auf dem Gebiet der Gesetzgebung wird von dem Prinzip beherrscht, daß dort, wo nach der Natur des zu regelnden Gegenstandes bei seiner rechtlichen Ordnung regionale Verschiedenheiten grundsätzlich nicht geduldet werden können oder gar nicht denkbar sind, dem Bund die ausschließliche Kompetenz zusteht (Art. 71, 73 GG). Auf bestimmten anderen Gebieten hat der Bund die konkurrierende Kompetenz, soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht (Art. 72, 74 GG). Wann ein solches Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung allein als vorliegend erachtet wird, sagt Art. 72 Abs. 2 GG. Die dort aufgestellten Voraussetzungen laufen im Ergebnis ebenfalls darauf hinaus, daß "Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung" mit "Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung" gleichzusetzen ist.
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2. Auch auf dem Gebiet seiner ausschließlichen Zuständigkeit kann der Bundesgesetzgeber, wie Art. 71 GG zeigt, durch Bundesgesetz die Länder zur Gesetzgebung ermächtigen. Niemand bestreitet, daß ein auf Grund einer solchen Ermächtigung vom Landesgesetzgeber erlassenes Landesgesetz Landesrecht und nicht Bundesrecht ist (vgl. Rudolf, Die Gesetzgebungsermächtigung nach Art. 71 GG, AöR 88 (1963) S. 159 [174]). Dieser Fall liegt nicht anders, als wenn ein Landesgesetz zur Regelung einer Materie erlassen wird, die von Verfassungs wegen ganz den Ländern vorbehalten ist. Der Bundesgesetzgeber nimmt mit seiner Ermächtigung nach Art. 71 GG in Kauf, daß die Materie nunmehr in den Ländern nicht einheitlich, sondern regional verschieden geregelt wird.
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3. Auch für die Rahmenkompetenz des Bundes nach Art. 75 GG kann es nicht zweifelhaft sein, daß die Vorschriften, die der Landesgesetzgeber zur Ausfüllung des vom Bundesgesetzgeber gezogenen Rahmens erläßt, Landesrecht und nicht Bundesrecht sind.
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4. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben nach Art. 72 Abs. 1 GG die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht. Regelt der Bund in Ausübung seiner konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis nur einen Teil einer Materie, so bleibt der Rest für die Regelung durch den Landesgesetzgeber frei. Vorschriften, die der Landesgesetzgeber insoweit erläßt, sind Landesrecht. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der vom Bundesgesetzgeber in Anspruch genommene Teil der Materie groß oder klein ist.
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5. Nichts anderes kann gelten, wenn der Bund in seinem Gesetz Regelungen ausspart und, anstatt diese Regelungen dem Landesgesetzgeber zu überlassen, gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG die Landesregierungen ermächtigt, das Nähere durch Rechtsverordnung zu regeln. Mit der Ermächtigung der Landesregierungen nimmt der Bundesgesetzgeber - anders als in dem oben Nr. 4 erwähnten Fall - allerdings insofern Einfluß auf die materielle Rechtsgestaltung in den Ländern, als er Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung in dem Gesetz bestimmt. Der Landesverordnunggeber ist also in der Rechtsgestaltung weniger frei, als es der Landesgesetzgeber dann ist, wenn der Bundesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 1 GG auf dem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung nur teilweise tätig geworden ist.
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Auch hier nimmt der Bundesgesetzgeber regionale Verschiedenheiten in der Regelung in Kauf: Das ist oft gerade der Sinn der Ermächtigung der Landesregierungen. Will der Bundesgesetzgeber eine einheitliche Regelung, so muß er anstelle der Landesregierungen die Bundesregierung oder einen Bundesminister zum Erlaß der Rechtsverordnung ermächtigen.
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Bundesrecht, dessen Geltungsbereich regional auf mehrere Länder oder auf eine oder mehrere Besatzungszonen begrenzt ist, ist im Grundgesetz in Ausnahmefällen vorgesehen (z.B. Art. 118, 124, 125 GG). Aber die Regelung einer bestimmten Materie durch Bundesrecht, das in allen Ländern der Bundesrepublik regional verschieden wäre, widerspräche dem bundesstaatlichen Aufbau: Die Setzung regional verschiedenen Rechts ist Sache der Länder.
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6. Gegen die Qualifizierung einer landesrechtlichen Verordnung, die auf bundesgesetzlicher Ermächtigung nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG beruht, als Landesrecht wird der Einwand erhoben, daß der Bund insoweit seine ihm nach dem Grundgesetz zustehende Befugnis zur materiell-rechtlichen Sachregelung in Anspruch genommen und dadurch die Entstehung von Landesrecht ausgeschlossen habe.
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Wenn Art. 72 Abs. 1 GG bestimmt, daß im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung haben, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht, so ist hier unter "Gebrauchmachen" eine erschöpfende materielle Regelung gemeint. Im vorliegenden Falle bedroht der Bundesgesetzgeber in § 361 Nr. 6 c StGB diejenige Person mit Strafe, die "gewohnheitsmäßig zum Erwerbe Unzucht treibt und diesem Erwerbe in einer Gemeinde oder in einem Bezirk einer Gemeinde nachgeht, in denen die Ausübung der Gewerbsunzucht durch Rechtsverordnung verboten ist". Hier liegt eine vollständige materielle Regelung durch den Bund nicht vor: Ohne die Verordnungen der Landesregierung und der Bezirksregierung ist die Strafnorm unvollständig, und es könnte auf Grund des vom Bundesgesetzgeber erlassenen § 361 Nr. 6 c StGB allein niemand bestraft werden. Gerade der Umstand, daß in Art. 2 des Fünften Strafrechtsänderungsgesetzes die Landesregierung mit dem Recht der Subdelegation zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt wird, ist ein Beweis dafür, daß der Bundesgesetzgeber die Materie nicht erschöpfend geregelt hat, weil er sie im Hinblick auf die Verschiedenheit der örtlichen Verhältnisse nicht erschöpfend regeln konnte. Das bedeutet nicht, daß anstelle der Landesregierung auch der Landesgesetzgeber die ergänzende Regelung treffen könnte; denn die bundesgesetzliche Regelung enthält die Entscheidung, daß nur der Verordnunggeber des Landes jene ergänzende Regelung soll erlassen können.
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Auch das Argument, die Rechtsverordnung der Landesregierung müsse schon deshalb Bundesrecht sein, weil die Rechtsquelle für ihren Erlaß in der Gesetzgebungsgewalt des Bundes liege und durch ihren Erlaß in Wahrheit die Rechtsetzungsgewalt des Bundes ausgeübt werde, überzeugt nicht. Durch die Ermächtigung der Landesregierungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG begibt sich der Bundesgesetzgeber insoweit seines Rechtes zur Ausübung eigener materieller Rechtsetzungsbefugnis. Der Fall liegt nicht anders, als wenn der Bundesgesetzgeber gemäß Art. 71 2. Halbsatz GG zum Erlaß von Landesgesetzen für eine Materie der ausschließlichen Gesetzgebung ermächtigt. Der Grund für die Ermächtigung nach Art. 71 2. Halbsatz GG wie für die nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG ist derselbe: die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit einer regional differenzierten Sachregelung.
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Für die Entscheidung der Frage, ob eine Rechtsverordnung Landesrecht oder Bundesrecht ist, kommt es also nur darauf an, welches Organ sie erlassen hat, und nicht darauf, welches Organ zu ihrem Erlaß ermächtigt hat. Die Landesregierung übt auch bei Gebrauchmachen von einer bundesgesetzlichen Ermächtigung nur Landesstaatsgewalt aus und kann deshalb nur Landesrecht setzen.
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7. a) Die Möglichkeit, daß der Landtag die Verordnung der Landesregierung durch Gesetz aufhebt, ist ohne praktische Bedeutung. Wenn er die Verordnung aufhebt, so kann dieses Verhalten Maßnahmen des Bundes gegen das Land zur Folge haben, wenn etwa dadurch der verwaltungsmäßige Vollzug des Bundesgesetzes wegen Fehlens von Durchführungsvorschriften (z.B. über die zuständigen Landesbehörden) in diesem Lande unmöglich wird. Das Fünfte Strafrechtsänderungsgesetz stellt es im übrigen in das Ermessen der Landesregierungen, ob sie z.B. die gewerbsmäßige Unzucht in Gemeinden unter 20 000 Einwohnern ganz, in solchen über 50 000 Einwohnern für einzelne Bezirke verbieten wollen oder ob sie von einem Verbot der gewerbsmäßigen Unzucht absehen wollen.
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Würde man annehmen, die Verordnung der Landesregierung sei Bundesrecht, so würde daraus zwingend folgen, daß die Landesregierung sich mit ihrer Verordnung nach dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori über alle früheren Rechtsverordnungen der Bundesregierung oder eines einzelnen Bundesministers hinwegsetzen könnte, sofern sie sich nur an die durch die bundesgesetzliche Ermächtigung gezogene Grenze hält. Außerdem könnte die Landesregierung sich auch über Bestimmungen der Landesverfassung und der Landesgesetze hinwegsetzen, da beide dem Bundesrecht nachgehen. Die gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG durch Bundesgesetz der Landesregierung erteilte Ermächtigung, im Verordnungswege Recht zu setzen, stellt sie aber bei dieser Rechtsetzung nicht von der Beachtung der Landesverfassung und der Landesgesetze frei (so auch Maunz-Dürig, a.a.O., Rdnr. 20/21 zu Art. 80 GG). Allein diese Auffassung entspricht dem bundesstaatlichen Prinzip.
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b) Eine bundesgesetzliche Norm, die die Landesregierung zur Setzung von Landesrecht ermächtigt, enthält keinen Eingriff in das Landesverfassungsrecht. Eine solche Norm kann nur auf Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG beruhen. Der angebliche Eingriff in das Landesverfassungsrecht läge nicht in dem ermächtigenden Gesetz, sondern in Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG, also einer Bestimmung des Bundesverfassungsrechts, die die Ermächtigung der Landesregierung gerade im Hinblick auf den bundesstaatlichen Aufbau zuläßt.
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IV. | |
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