Urteil | |
des Ersten Senats vom 13. Juli 1965 auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 1965
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-- 1 BvR 771/59, 234, 246, 367/61 und 17/62 -- | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden I. der Firma .. -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt .. -- gegen 1. den Bescheid des Finanzamts für Körperschaften, Hamburg, vom 12. Mai 1956 -- St.-Nr. Kö 204/46 -- 2. das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 15. April 1958 -- II 108 -- 110 -- 56 -- 3. das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 9. Juni 1959 -- I 167/58 U -- (1 BvR 771/59) -- II. der .. -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt .. -- gegen 1. a) den Bescheid des Finanzamts Dortmund-Süd vom 15. Februar 1956 -- St.-Nr. 26/34 -- b) die Einspruchsentscheidung des Finanzamts Dortmund-Süd vom 19. Dezember 1959 -- Az. s.R. 1/55 -- c) das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 23. November 1960 -- FG V c 2/60 -- d) das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 21. November 1961 -- I 108/61 -- 2. a) den Bescheid des Finanzamt Dortmund-Süd vom 29. November 1955 -- St.-Nr. 26/34 -- b) die Einspruchsentscheidung des Finanzamts Dortmund-Süd vom 19. Dezember 1959 -- Az. s.R. 1/54 -- c) das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 23. November 1960 -- FG V c 1/60 -- d) das Urteil des ![]() ![]() ![]() ![]() | |
Entscheidungsformel:
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A. 1. Die Urteile des Bundesfinanzhofs vom 9. Juni 1959 -- I 167/ 58 U -- und vom 21. November 1961 -- I 107/61, I 108/61 -- sowie die darin bestätigten Entscheidungen der Finanzämter und Urteile der Finanzgerichte verletzen die Grundrechte der Beschwerdeführerinnen aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes und werden aufgehoben. Die Sachen werden an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.
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2. Die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. März 1961 -- VII C 29.60, VII C 119.60 -- und vom 14. Juli 1961 -- VII ![]() ![]() | |
B. § 17 Absatz 1 des Gewerbesteuergesetzes in der für die jeweiligen Erhebungszeiträume maßgebenden Fassung ist nichtig, soweit er zuläßt, daß für Wareneinzelhandelsunternehmen, die in einer Gemeinde eine Betriebstätte unterhalten, ohne in dieser ihre Geschäftsleitung zu haben, der Hebesatz bis zu drei Zehnteln erhöht werden kann.
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Gründe: | |
A. -- I. | |
Nach § 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) sind die Gemeinden berechtigt, eine Gewerbesteuer als Gemeindesteuer zu erheben. Besteuerungsgrundlagen für die Gewerbesteuer sind der Gewerbeertrag und das Gewerbekapital (§ 6 Abs. 1); daneben kann die Lohnsumme als Besteuerungsgrundlage gewählt werden (§ 6 Abs. 2). Die Steuer wird in der Weise berechnet, daß auf den nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital oder nach der Lohnsumme ermittelten einheitlichen Steuermeßbetrag der Hebesatz angewendet wird, der von der hebeberechtigten Gemeinde durch Gemeindesatzung festgelegt ist (§§ 11, 12, 14, 16, 25). Der Hebesatz muß für alle in der Gemeinde vorhandenen gewerblichen Unternehmen gleich sein (§§ 16 Satz 2, 25 Abs. 4). Eine Ausnahme ist nur in § 17 GewStG vorgesehen. Diese Bestimmung ist in dem hier wesentlichen Teil seit Erlaß des Gesetzes unverändert geblieben (vgl. zuletzt Fassung vom 25. Mai 1965 -- BGBl. I S. 459 -). Sie lautet:
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(1) Für Bank-, Kredit- und Wareneinzelhandelsunternehmen, die in einer Gemeinde eine Betriebstätte unterhalten, ohne in dieser ihre Geschäftsleitung zu haben, kann der Hebesatz hinsichtlich der ![]() ![]() | |
(2)...
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(3) Die Zweigstellensteuer muß für alle in der Gemeinde vorhandenen Unternehmen der im Absatz 1 bezeichneten Art die gleiche sein.
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Diese Regelung für die Steuer nach Gewerbeertrag und Gewerbekapital gilt entsprechend für die Lohnsummensteuer (§ 25 Abs. 5).
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Die Zweigstellensteuer wird nicht von den in einer Gemeinde befindlichen Zweigbetriebstätten als solchen, sondern von dem Gesamtunternehmen hinsichtlich der einzelnen Zweigstellen erhoben. Deshalb finden bei ihrer Berechnung nicht die für das gesamte Unternehmen errechneten Steuermeßbeträge Anwendung. Vielmehr ist der einheitliche Steuermeßbetrag in die auf die einzelnen Gemeinden entfallenden Anteile (Zerlegungsanteile) zu zerlegen (§ 28 Satz 1). Bei Wareneinzelhandelsunternehmen wird der einheitliche Steuermeßbetrag zur Hälfte nach dem Verhältnis der gesamten Einnahmen eines Betriebes zu den in den einzelnen Betriebstätten erzielten Betriebseinnahmen zerlegt; zur Hälfte wird der Zerlegungsmaßstab gebildet durch das Verhältnis der gesamten Arbeitslöhne des Unternehmens zu den Löhnen, die an die bei den einzelnen Betriebstätten beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind (§ 29 Abs. 1 Ziff. 3). Führt die auf solche Weise vorgenommene Zerlegung zu einem offenbar unbilligen Ergebnis, so ist vom Finanzamt nach einem Maßstab zu zerlegen, der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt (§ 33 Abs. 1 Satz 1).
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II.
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1. Die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen fünf Verfassungsbeschwerden richten sich -- abgesehen von den Angriffen gegen die vorausgegangenen Verwaltungsakte und instanzgerichtlichen Entscheidungen -- in zwei Fällen (Verfassungsbeschwerden zu I. und II.) gegen letztinstanzliche Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, in den übrigen Fällen (Ver ![]() ![]() | |
a) Die Beschwerdeführerin zu I), ..., die eine Tageszeitung herausgibt, hat ihre Geschäftsleitung in Hamburg. Sie unterhält in Essen eine Betriebstätte, in der die Westausgabe der Tageszeitung hergestellt und vertrieben wird. Die Stadt Essen zog die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer dortigen Betriebstätte zur Zweigstellensteuer aus Gewerbeertrag und -kapital heran. Das Finanzamt entschied nach § 212 c Abs. 2 AO, die Beschwerdeführerin sei zweigstellensteuerpflichtig. Ihre Rechtsmittel blieben erfolglos (BFH BStBl. 1959 III, 336).
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b) Die Beschwerdeführerin zu II), die ..., wurde ebenfalls mit ihren auswärtigen Betriebstätten, in denen sie die von ihr hergestellten Zeitungen vertreibt, durch die Städte Hagen und Wattenscheid zur Zweigstellensteuer nach Gewerbeertrag und -kapital, durch die Stadt Wattenscheid gleichzeitig zur Zweigstellensteuer nach der Lohnsumme herangezogen. Die vom Finanzamt nach § 212 c Abs. 2 AO getroffene Feststellung, daß die Beschwerdeführerin zweigstellensteuerpflichtig sei, wurde durch zwei Urteile des Bundesfinanzhofs vom 21. November 1961 bestätigt.
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c) Die Beschwerdeführerin zu III), die ..., die in vielen Städten der Bundesrepublik Warenhäuser unterhält, wurde von der Stadt Dortmund hinsichtlich ihrer dortigen Filiale zur Zweigstellensteuer nach Gewerbeertrag und -kapital herangezogen. Die gegen diese Heranziehungsbescheide gerichtete verwaltungsgerichtliche Klage wurde in letzter Instanz durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. März 1961 (BVerwGE 12, 140) zurückgewiesen.
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d) Die Beschwerdeführerin zu IV), die ..., die die von ihr hergestellten Metallwaren zum größten Teil in eigenen Ladengeschäften vertreibt, wurde von der Stadt Mönchengladbach hinsichtlich ihrer dortigen Filiale zur Zweigstellensteuer nach Gewerbeertrag und -kapital herangezogen. Die verwaltungsgerichtliche Klage gegen zwei solcher Heranziehungsbescheide ![]() ![]() | |
e) Die Beschwerdeführerin zu V), die ..., die sich mit dem Fang von Fischen, deren Verarbeitung und dem Handel mit Fischen befaßt, vertreibt ihre Erzeugnisse in eigenen Filialen. Die Städte Krefeld, Düsseldorf, Velbert, Mülheim/Ruhr, Viersen und Grevenbroich zogen sie mit ihren dortigen Betrieben zur Zweigstellensteuer nach Gewerbeertrag und -kapital heran. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Heranziehung in sechs Urteilen vom 14. Juli 1961.
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2. Die beiden oberen Bundesgerichte gehen im wesentlichen übereinstimmend davon aus, durch die Zweigstellensteuer solle aus sozial- und wirtschaftspolitischen Gründen das ortsansässige mittelständische Gewerbe gegen die Konkurrenz auswärtiger, meist kapitalkräftiger Unternehmen geschützt werden. Diese zusätzliche Belastung verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die großen auswärtigen mit Zweigstellen arbeitenden Unternehmen seien in der Regel steuerlich leistungsfähiger als ihre ortsansässige mittelständische Konkurrenz. Durch ihre große Ertragskraft und überlegene Wettbewerbsfähigkeit gefährdeten sie die Existenz der mittelständischen Betriebe. Zu deren Schutz habe der Gesetzgeber die Zweigstellensteuer einführen können. Diese Voraussetzung für ihre Erhebung sei auch dadurch nicht entfallen, daß sich die Inhaber örtlicher Einzelhandelsunternehmen zur Erlangung von Vorteilen beim Einkauf, zur allgemeinen Leistungssteigerung und Rationalisierung und zur Werbung zu Einkaufsgenossenschaften und zu sog. freiwilligen Ketten zusammengeschlossen hätten; diese Zusammenschlüsse hätten die ungleichen Verhältnisse nicht wesentlich geändert.
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Art. 12 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil die Heranziehung zur Zweigstellensteuer die freie Berufswahl nicht berühre und die in der Erhebung möglicherweise liegende Berufsausübungsregelung durch Interessen des Gemeinwohls gerechtfertigt sei. Eine Verletzung von Art. 11 GG scheide aus. Die Regelung der Zweigstellensteuer gehöre auch zur verfassungsmäßigen Ordnung. Daß § 17 ![]() ![]() | |
3. Die Verfassungsbeschwerden werden im wesentlichen mit folgenden Erwägungen begründet:
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Die Einführung der Zweigstellensteuer entspringe einer grundsätzlich "warenhausfeindlichen" Haltung, der auch ein bereits lange vor dem Nationalsozialismus zutage getretener antisemitischer Zug nicht fehle; die Warenhäuser und die Filialunternehmen würden hier als typische Verkörperungen des "jüdischen Großkapitals" bekämpft.
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Die Zweigstellensteuer verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, denn der Gesetzgeber habe damit die von ihm für die allgemeine Gewerbesteuer geschaffene Sachgesetzlichkeit ohne überzeugende Gründe durchbrochen. Die auf Abwälzbarkeit angelegte Gewerbesteuer sei als Objektsteuer nur nach dem Ertrag und Kapital ausgerichtet und sei insoweit vom Äquivalenzprinzip getragen, als sie einen Ausgleich der einem Gewerbetreibenden durch gewerbefördernde Maßnahmen erwachsenden Vorteile und ein Entgelt für die der Gemeinde durch den Gewerbebetrieb entstehenden Lasten bringen soll. Damit sei es unvereinbar, daß lediglich auf Grund des subjektiven Elements der Organisationsform eine zusätzliche Belastung erfolge.
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Die Erhebung der Zweigstellensteuer lasse sich auch nicht mit der größeren wirtschaftlichen Ertragskraft der Zweigstellenunternehmen und der sich daraus ergebenden Gefährdung des Mittelstandes rechtfertigen. Einmal gehöre der größere Teil der Zweigstellenunternehmen selbst zum Mittelstand, auf der anderen Seite unterhielten viele besonders ertragskräftige Unternehmen keine Zweigstellen und würden deshalb von der Steuer nicht erfaßt. Die Differenzierung nach Sitz der Geschäftsleitung und nach Wirtschaftszweigen sei ebenfalls willkürlich. Im übrigen hätten ![]() ![]() | |
Die Zweigstellensteuer stelle wegen der Unterscheidung nach Herkunft und Geschäftsleitung eine nach Art. 3 Abs. 3 GG unzulässige Fremdensteuer dar.
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Sie beschränke auch unzulässigerweise die Berufswahl, mindestens greife sie ohne ausreichenden Grund empfindlich in die Berufsausübung ein (Art. 12 Abs. 1 GG) und verletze das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 GG).
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Die Regelung verstoße auch gegen die verfassungsmäßige Ordnung, denn eine Maßnahme der staatlichen Wirtschaftslenkung, wie sie die Zweigstellensteuer darstellen solle, dürfe nicht von dem freien Belieben der Gemeinden abhängig gemacht werden. Die Ermächtigung zur Erhebung der Zweigstellensteuer entspreche nicht den Erfordernissen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.
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4. Die Bundesregierung verneint eine Verletzung des Grundgesetzes. Nach ihrer Ansicht bildet die Zweigstellensteuer einen Ausgleich dafür, daß die Gemeinden mit Zweigstellen bei der Zerlegung des einheitlichen Steuermeßbetrages gegenüber den Gemeinden, in denen die Geschäftsleitung des Gesamtunternehmens ihren Sitz habe, benachteiligt würden. Außerdem rechtfertige sich die besondere Belastung der Zweigstellenunternehmen aus dem Gedanken des Schutzes des ortsansässigen mittelständischen Gewerbes gegen die überlegene Konkurrenz kapitalkräftiger auswärtiger Großunternehmen. Auf die im allgemeinen gesteigerte Wirtschaftskraft und die daraus folgende überlegene Wettbewerbsfähigkeit könne schon aus der Tatsache der Gründung und Unterhaltung von Filialen außerhalb des Sitzes der Geschäftsleitung geschlossen werden.
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Diese Wettbewerbsvorteile hätten die Wareneinzelhändler durch den Zusammenschluß zu Einkaufsgenossenschaften und die Bildung freiwilliger Ketten noch nicht ausgleichen können. Die Beschränkung der Steuer auf einzelne Geschäftszweige sei schon deshalb nicht willkürlich, weil diese Gewerbezweige unter dem ![]() ![]() | |
5. Das Bundesverfassungsgericht hat beim Institut für Handelsforschung der Universität Köln eine Auskunft über die Wettbewerbslage zwischen selbständigen Einzelhandelsunternehmen und Filialunternehmen eingeholt. Ferner hat das Statistische Bundesamt die Ergebnisse der Handels- und Gaststättenzählung 1960 mitgeteilt und zu einzelnen Fragen, die den Vergleich zwischen Filialunternehmen und sonstigen Unternehmen betreffen, Stellung genommen.
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Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig und begründet.
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I.
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Die Gewerbesteuer ist dadurch charakterisiert, daß sie als Sachsteuer nach dem Gewerbeertrag und Gewerbekapital berechnet wird. Auch die Lohnsummensteuer knüpft an ein derartiges objektives Merkmal an. Somit ist bei gleichem Ertrag und gleichem Gewerbekapital -- abgesehen von der hier nicht bedeutsamen Sonderregelung in § 11 Abs. 1 GewStG -- die gleiche Steuer zu entrichten. Der Gesetzgeber hat die eine zusätzliche Belastung bildende Zweigstellensteuer als eine Sondergewerbesteuer ausgestaltet und Unternehmen, die auswärtige Betriebstätten unterhalten, bei gleichem Ertrag und gleichem Kapital -- auch bei ![]() ![]() | |
II.
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Einleuchtende Gründe für die Erhebung einer Zweigstellensteuer bei Filialunternehmen des Wareneinzelhandels sind nicht gegeben.
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1. Nach dem Wortlaut des § 17 GewStG war es die Absicht des Gesetzes, die Möglichkeit eines Schutzes der ortsansässigen Einzelhandelsunternehmen -- ohne Rücksicht auf ihre Schutzbedürftigkeit im einzelnen -- gegen die Konkurrenz durch Zweigstellen auswärtiger Unternehmen zu schaffen. Dies haben auch Rechtsprechung und Schrifttum übereinstimmend angenommen.
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Es liegt auf der Hand, daß jemand nicht deshalb zu einer höheren Steuer herangezogen werden darf, weil er kein Einheimischer ist, denn in einer freiheitlichen Rechts- und Wirtschaftsordnung, die dem Einzelnen die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, Freizügigkeit und freie Berufswahl grundsätzlich gewährleistet, steht es jedem auch frei, sich den Ort zu wählen, an dem er sich geschäftlich betätigen will. Für eine Schlechterstellung der Aus ![]() ![]() | |
2. Die Gewerbesteuer als eine besondere Steuer neben der Einkommen- und Körperschaftsteuer soll die besonderen Belastungen und Aufwendungen abgelten, die der Gemeinde aus dem Vorhandensein der Gewerbebetriebe erwachsen (Blümig-Boyens- Steinbring-Klein, GewStG, 7. Aufl. § 1 Anm. 5).
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a) Angesichts dieser Zweckbestimmung könnte eine Zusatzsteuer für auswärtige Zweigstellenunternehmen dann sachgerecht sein, wenn deren Filialen den Gemeinden höhere Ausgaben verursachen würden oder das Interesse auswärtiger Filialunternehmen an gemeindlichen Veranstaltungen größer wäre als das ortsansässiger Unternehmen. Hierfür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Für die Entstehung der besonderen gemeindlichen Lasten sind allein die Größe und Struktur der einzelnen Betriebe von Bedeutung. Keine Rolle spielt jedoch der Umstand, ob die Betriebe ihre Geschäftsleitung in der Gemeinde haben oder ob sie Zweigstellen auswärtiger Unternehmen sind. Das Interesse von Zweigstellenunternehmen an gemeindlichen Veranstaltungen ist allenfalls nach der Größe des Betriebs oder der Zahl der Beschäftigten verschieden hoch. Keinesfalls aber nützen die gemeindlichen Einrichtungen den Unternehmen allein deswegen mehr, weil es sich um Zweigstellenbetriebe handelt.
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b) Die besondere steuerliche Belastung der auswärtigen Zweigstellenunternehmen kann auch nicht damit begründet werden, bei diesen Unternehmen kämen die persönlichen Ausgaben der Inhaber nicht der Wirtschaft der Zweigstellengemeinde zugute; insbesondere wäre unter diesem Gesichtspunkt die Unterscheidung zwischen Zweigstellenunternehmen des Bank- und Kreditwesens und Wareneinzelhandelsunternehmen einerseits und den Filialunternehmen der übrigen geschäftszweige andererseits nicht zu rechtfertigen.
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d) Schließlich wird zur Rechtfertigung der Zweigstellensteuer geltend gemacht, die Gemeinden erhielten durch die notwendige Zerlegung des einheitlichen Steuermeßbetrages für eine in ihrem Bereich liegende Filiale weniger Gewerbesteuer als für eine gleichgroße selbständige Betriebstätte, obwohl die Belastung der Gemeinde bei beiden Betrieben gleich sei; die in einer Filiale verkörperte Wirtschaftskraft erfahre durch die von der Zentrale ausgehende Einwirkung der dort tätigen Kräfte einen Zuwachs, der mit der Regelbesteuerung in Form der allgemeinen Gewerbesteuer nicht erfaßt werde. Obwohl die Tätigkeit der in der Zentrale beschäftigten Kräfte für den Ertrag der Filiale von Bedeutung sei, werde die auf diese Kräfte entfallende Lohnsumme bei der Zerlegung auch nicht zu einem Teil den Gemeinden zugerechnet.
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Schon die Annahme, daß die Gemeinden immer oder in der Regel bei Filialen im Vergleich zu selbständigen wirtschaftlich gleichwertigen Betrieben eine geringere Gewerbesteuer erhalten, trifft nicht zu. Vielmehr ist die Wirkung der Zerlegung von der Struktur des einzelnen Unternehmens abhängig, z.B. davon, ob es sich um ein kapitalintensives oder ein lohnintensives Unternehmen handelt. Zudem gibt es nach allgemeiner Auffassung keinen Maßstab, der dem Umfang der Belastung genau gerecht wird, den eine Betriebstätte für eine Gemeinde mit sich bringt (Lenski- Steinberg, Komm. zum GewStG, § 29 Anm. 1). Unangemessene Ergebnisse im Einzelfall lassen sich bei einer generellen Regelung nicht vermeiden. § 33 GewStG sieht für alle Fälle unbilliger Zerlegungsergebnisse die Zerlegung nach Maßstäben vor, die den tatsächlichen Verhältnissen besser gerecht werden als die pauschalierende gesetzliche Regelung. Bei einer Gesamtbetrachtung kann daher nicht anerkannt werden, daß der Zerlegungsmaßstab des § 29 Abs. 1 GewStG die Zweigstellengemeinden hinsichtlich einer Zweigbetriebstätte in der Regel schlechter stellt, als wenn es sich um ein ortsansässiges Unternehmen handeln würde (Lenski-Steinberg, aaO, § 17 Anm. 1). ![]() | |
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3. Die Entstehungsgeschichte zu § 17 GewStG ergibt Anhaltspunkte dafür, daß die Zweigstellensteuer auch dem Schutz der mittelständischen Unternehmen gegen größere überlegene Konkurrenzunternehmen dienen sollte. Trotzdem läßt sie sich auch unter diesem Gesichtspunkt nicht rechtfertigen.
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a) Die Erwägung, wirtschaftlich stärkere Konkurrenzunternehmen zu einer höheren Gewerbesteuer heranzuziehen, um im Interesse des Mittelstandsschutzes die wirtschaftlich weniger leistungsfähigen Betriebe konkurrenzfähig zu erhalten, kann im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG an sich nicht beanstandet werden. Der Gesetzgeber kann durch wirtschaftliche Lenkungsmaßnahmen das freie Spiel der Kräfte korrigieren und zu diesem Zweck auch Steuergesetze erlassen, soweit dieser Nebenzweck mit verfassungsrechtlich unbedenklichen Steuern erreicht wird (BVerfGE 4, 7 [19]; 6, 55 [81]; 13, 331 [345]; 16, 147 [161]). Er konnte den mittelständischen Einzelhandel im Verhältnis zu den Zweigstellenunternehmen als besonders schutzbedürftig betrachten und sich daher veranlaßt sehen, ihn bei der Gestaltung der Gewerbesteuer zu fördern. Die ihn hierbei leitende Annahme, daß die Zweigstellenunternehmen im Durchschnitt eine größere Ertragskraft hätten, wird durch die vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Feststellungen unterstützt.
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Nach Auskunft des Instituts für Handelsforschung an der Universität Köln weisen die mit den ortsansässigen Betrieben in Wettbewerb stehenden Zweigstellen in der Regel eine über dem ![]() ![]() ![]() | |
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Ist es unter dem Gesichtspunkt des Mittelstandsschutzes schon nicht zulässig, Zweigstellenunternehmen schlechter zu stellen als wirtschaftlich gleich starke Unternehmen ohne Zweigstellen, so besteht erst recht kein einleuchtender Grund, danach zu unterscheiden, ob Zweigstellenunternehmen ihre Geschäftsleitung außerhalb oder innerhalb der hebeberechtigten Gemeinde haben. Dies gilt auch für die Fälle, in denen ein überörtliches Zweigstellenunternehmen den Schwerpunkt seines Filialnetzes am Ort seiner Geschäftsleitung in einer Großstadt hat, dort jedoch hinsichtlich dieser Betriebstätten nicht zur Zweigstellensteuer herangezogen wird.
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Der Gedanke des Schutzes des mittelständischen Einzelhandels vermag diese verschiedene Behandlung nicht zu motivieren. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es mit einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise unvereinbar, den mittelständischen Einzelhandel nur vor der von außen kommenden übermächtigen Konkurrenz kapitalkräftiger Unternehmen zu schützen und diese deshalb stärker zu belasten, ihn aber dem Wettbewerb der ortsansässigen, wirtschaftlich ebenso starken Betriebe unbeschränkt auszusetzen. Betrachtet man das Motiv der Erhaltung einer möglichst großen Zahl selbständiger mittelständischer Existenzen auf dem Gebiet des Einzelhandels als den die Zweigstellensteuer rechtfertigenden Grund und sieht man die Zweigstellenunternehmen wegen ihrer Betriebsstruktur und vermuteten ![]() ![]() | |
Die gesetzliche Differenzierung ließe sich nur dann zwanglos erklären, wenn die ortsansässigen Zweigstellenunternehmen sich in aller Regel von den überörtlichen Filialunternehmen in ihrer Struktur und Ertragskraft wesentlich unterschieden und wegen minderer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht in demselben Maße als bedrohliche Konkurrenz der übrigen Einzelhandelsunternehmen anzusehen wären. Nach der Auskunft des Instituts für Handelsforschung ist aber bei der die beiden Gruppen kennzeichnenden durchschnittlichen Situation mit wesentlichen Unterschieden zwischen Zweigstellenunternehmen mit Filialen nur am Ort der Geschäftsleitung und Zweigstellenunternehmen mit überörtlichem Verkaufsnetz nicht zu rechnen. Für ein Zweigstellenunternehmen mit Filialen nur am Sitz der Geschäftsleitung liege ein gewisser Vorteil in der strafferen Zentralisation, die sich besonders bei kurzfristig zu treffenden Dispositionen, vor allem im Hinblick auf den Warennachschub vom Zentrallager zu den Verkaufsstellen, positiv auswirken könne. Auch hinsichtlich der Transportkosten sei das örtliche Filialnetz günstiger gestellt als das regionale. Weiterhin seien Markterkundung und Werbung in der Durchführung leichter und in der Wirkung sicherer. Dem stehe als Nachteil gegenüber, daß der Absatzmarkt bei nur örtlichem Filialnetz auf das Gebiet einer Gemeinde einschließlich ihrer Randgebiete eingeschränkt bleibe. Bei dieser Sachlage läßt sich nicht allgemein feststellen, daß die überörtlichen Zweigstellenunternehmen für den ortsansässigen Mittelstand eine größere Gefahr darstellen als die rein örtlichen Zweigstellenunternehmen.
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