Beschluß | |
des Ersten Senats vom 26. April 1978
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-- 1 BvL 29/76 -- | |
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 14 Abs. 2 Satz 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes vom 27. Juli 1969 (BGBl. I S. 946) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 4. November 1976 (S 17 Kr 38/76) -.
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§ 14 Absatz 2 Satz 1 des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) vom 27. Juli 1969 (Bundesgesetzbl. I S. 946) ist mit Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz unvereinbar, soweit die Umlagebeträge nach dieser Bestimmung im Falle der Kurzarbeit sich nicht ermäßigen.
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Gründe: | |
A. | |
Das Vorlageverfahren betrifft die Frage, ob es verfassungswidrig ist, die Umlage, die nach dem Lohnfortzahlungsgesetz zum Ausgleich der durch das Gesetz veranlaßten Arbeitgeberaufwendungen erhoben wird, ohne Rücksicht darauf zu berechnen, daß die Lohnsumme sich wegen der Zahlung von Kurzarbeitergeld vermindert.
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I.
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Das Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) vom 27. Juli 1969 (BGBl. I S. 946) - LFZG - verpflichtet die Arbeitgeber, ihren Arbeitern, die durch Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert sind, bis zur Dauer von sechs Wochen Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Diese Regelung kann insbesondere für die lohnintensiven Kleinbetriebe eine erhebliche wirtschaftliche Belastung bedeuten, die zugleich ein nur schwer kalkulierbares Risiko darstellt. Zum Ausgleich hierfür ordnet das Gesetz für Unternehmen, die nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigen, einen Risikoausgleich an. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten 80% des an kranke Arbeiter tatsächlich fortgezahlten Arbeitsentgelts. Die Mittel dafür werden nach dem Lohnfortzahlungsgesetz durch eine Umlage aufgebracht, zu der alle Betriebe, die einen Erstattungsanspruch haben, herangezogen werden.
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Die Berechnung der Umlage ist in § 14 LFZG wie folgt geregelt:
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(2) Die Umlagebeträge sind in Vomhundertsätzen des Entgelts (Umlagesatz) festzusetzen, nach dem die Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen für die im Betrieb beschäftigten Arbeiter bemessen werden oder bei Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen zu bemessen wären. ..."
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Die Bestimmung des Absatzes 2 dieser Vorschrift wird für den Fall der Kurzarbeit allgemein als Verweisung auf § 166 Abs. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 582) - AFG - angesehen, der wie folgt lautet:
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"Der Beitrag bemißt sich nach dem Arbeitsentgelt, das nach § 68 der Bemessung des Kurzarbeitergeldes (den §§ 68 und 86 der Bemessung des Kurzarbeitergeldes oder Schlechtwettergeldes) für die Arbeitsstunde zugrunde zu legen ist, und nach der Zahl der Arbeitsstunden, die der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall am Ausfalltag innerhalb der Arbeitszeit (§ 69) geleistet hätte. Dies gilt auch in den Fällen, in denen in einem Kalendermonat außer dem Kurzarbeitergeld (Kurzarbeitergeld oder Schlechtwettergeld) Arbeitsentgelt bezogen worden ist. Der Betrag, nach dem sich der Beitrag bemißt, gilt als Bruttoarbeitsentgelt."
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Da Kurzarbeitergeld gemäß § 68 Abs. 1 AFG nach dem fiktiven Arbeitsentgelt bemessen wird, das der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall durch die Kurzarbeit erhalten hätte ( = Vollohn), hat die Verweisung des § 14 Abs. 2 LFZG auf § 166 Abs. 2 AFG die Folge, daß die Umlage für Betriebe, in denen Kurzarbeit geleistet wird, sich nicht entsprechend der ausgefallenen Arbeitszeit und der hieraus folgenden Lohnkürzung vermindert.
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Allgemeine Voraussetzung für die Gewährung von Kurzarbeitergeld ist nach § 63 Abs. 1 AFG die Erwartung, daß durch die Gewährung von Kurzarbeitergeld den Arbeitnehmern die Arbeitsplätze und dem Betrieb die eingearbeiteten Arbeitnehmer erhalten werden.
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1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist ein Bauunternehmen mit nicht mehr als 20 Beschäftigten. Sie hat die Auffassung vertreten, es sei unzulässig, die Umlage gemäß § 14 LFZG nach dem fiktiven Vollohn zu berechnen. Es müßten die im Falle der Kurzarbeit tatsächlich gezahlten Löhne zugrunde gelegt werden.
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In den Monaten März bis November 1974 wurde im Betrieb der Klägerin des Ausgangsverfahrens Kurzarbeit geleistet, so daß die Arbeitnehmer während dieser Zeit Kurzarbeitergeld aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit bezogen. Daneben zahlte der Betrieb Entgelt nur für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden.
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Während der Zeit der Kurzarbeit berechnete der Betrieb die nach § 14 LFZG abgeführte Umlage nur nach dem tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelt. Später ergab eine Betriebskontrolle die nach Auffassung der Krankenkasse unrichtige Berechnung der Umlagebeträge. Diese forderte daher durch Bescheid die nach dem fiktiven Vollohn errechnete, um DM 4.831,07 erhöhte Umlage an.
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2. Nach erfolglos gebliebenem Widerspruch erhob die Klägerin des Ausgangsverfahrens Klage zum Sozialgericht. Das Gericht setzte das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht folgende Frage vor:
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"Widerspricht § 14 Abs. 2 Satz 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes insoweit dem allgemeinen Gleichheitssatz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip, als Umlagebeiträge zur Lohnfortzahlungsversicherung im Falle der Kurzarbeit nach dem Vollohn zu erheben sind?"
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In den Gründen des Vorlagebeschlusses wird ausgeführt, daß die Klage im Falle der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 14 Abs. 2 LFZG abzuweisen sei. Diese Bestimmung sei nicht auslegungsfähig. Der Bescheid entspreche der Gesetzeslage. Die Norm verstoße aber gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Arbeitgeber, dessen Arbeiter Kurzarbeitergeld erhielten, könne im Falle ihrer Erkrankung nur für den tatsächlich fortgezahlten Lohn Erstattung beanspruchen. Er müsse indessen eine Umlage bezahlen, die sich nach Lohnanteilen berechne, für die er keine Erstattung verlangen könne. Von anderen Arbeitgebern werde das nicht verlangt. Durch eine solche Umlageberechnung würden Kleinbetriebe, deren Risiken durch Lohnfortzahlung über die Erstattungsregelung gemildert werden sollten, gerade in der Zeit, in der Kurzarbeit ihre Krisenanfälligkeit vermehre, zusätzlich belastet.
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Der allgemeine Gleichheitssatz gebiete es, diesen Umständen bei der Berechnung der Umlagenhöhe Rechnung zu tragen. Die zu wenig differenzierte gesetzliche Regelung könne auch nicht aus sachlichen Gründen gerechtfertigt werden. Insbesondere sei sie aus Erwägungen der Praktikabilität nicht zu halten.
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III.
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Zu der Vorlage haben sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung namens der Bundesregierung und der 3. Senat des Bundessozialgerichts geäußert.
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1. Der Bundesminister hält die vorgelegte Regelung für verfassungsgemäß: Die Bedenken, die das vorlegende Gericht deswegen habe, weil der Arbeitgeber im Falle der Kurzarbeit die volle Umlage zahlen müsse, obschon ihm bei Krankheit seiner Arbeitnehmer nur der entsprechend der Kurzarbeit verminderte Lohn erstattet werde, seien unbegründet, weil Leistungen und Gegenleistungen im Recht der Sozialversicherung sich nicht zu entsprechen brauchten. Vielmehr rechtfertige das Prinzip des sozialen Ausgleichs in der Sozialversicherung die Abweichung vom Äquivalenzprinzip.
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Im übrigen beständen auch gewichtige Gründe dafür, die Umlage für die kurzarbeitenden Betriebe in gleicher Höhe wie bei anderen umlagepflichtigen Betrieben zu berechnen.
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Grundsätzlich entspreche nämlich die gleichmäßige Heranziehung aller betroffenen Betriebe zur Umlage nach dem Vollohn dem Risiko, das allen Betrieben auferlegt sei. Die zusätzliche Belastung im Falle der Kurzarbeit könne einmal diesen, einmal jenen Unternehmer treffen. So verwirkliche diese Regelung am besten den Grundsatz der Gleichbehandlung. Würde man demgegenüber die Umlage für kurzarbeitende Betriebe nur nach tatsächlich gezahlten Löhnen erheben, so würde das zu einer allgemeinen Erhöhung der Umlage führen. Das aber mache für alle betroffenen Unternehmen den in der Umlage liegenden Kostenfaktor schwerer kalkulierbar. Derartige Unwägbarkeiten würden auf die Preiskalkulationen durchschlagen. Die Kostenbelastung durch erhöhte Umlagen könnte zudem die Folge haben, daß in Betrieben, die keine Kurzarbeit leisteten, Arbeitsplätze abgebaut würden, um die Belastung gering zu halten.
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Im übrigen diene die Regelung der Praktikabilität. Da die Vorschrift von einer einheitlichen Bemessungsgrundlage ausgehe, brauche das individuelle Risiko des Betriebes nicht abgeschätzt zu werden. Verwaltungstechnische Gründe gestatteten dem Gesetzgeber den günstigen, weil praktischen Umlagemodus zu wählen.
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Tatsächlich führe die Belastung des kurzarbeitenden Betriebes mit der nach dem fiktiven Vollohn errechneten Umlage im Endeffekt auch nicht unbedingt zur Benachteiligung eines solchen Betriebes. In späteren Jahren könnte oft wegen der verminderten Ausgleichszahlungen an kurzarbeitende Betriebe die allgemeine Umlage gesenkt werden.
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Soweit dennoch bei Unternehmen, die im größeren Ausmaß nur Kurzarbeit leisten könnten, Benachteiligungen aufträten, sei das als unvermeidbar hinzunehmen. Es handele sich bei der angegriffenen Vorschrift um die Regelung von Massenvorgängen, die, um praktikabel zu sein, typisieren dürfe. Derartige Regelungen könnten den Besonderheiten eines einzelnen Falles nicht immer gerecht werden.
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2. Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat mitgeteilt, daß das Gericht bei zwei Entscheidungen zu § 14 LFZG grundsätzlich von der Verfassungsmäßigkeit der Regelung ausgegangen sei, nach der kleine Unternehmer auch gegen ihren Willen in die Umlagepflicht mit der Zielsetzung des Ausgleichs von Arbeitgeberaufwendungen in Fällen der Lohnfortzahlung einbezogen seien.
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Die vorgelegte Vorschrift über die Berechnung der Umlage sei jedoch verfassungsrechtlich bedenklich. Sie benachteilige Betriebe mit Kurzarbeit gegenüber anderen Unternehmen. Bei Kurzarbeit müsse der Betrieb die Umlage auch für Lohnanteile zahlen, die er nicht erwirtschaftet habe und die ihm auch nicht erstattet werden könnten. Dabei sei ein solcher Betrieb wirtschaftlich ohnehin in vergleichsweise ungünstigeren Verhältnissen.
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Die gesetzliche Regelung habe eine Solidargemeinschaft geschaffen mit dem Ziel, den Kleinbetrieben die mit der Lohnfortzahlung verbundene Mehrbelastung zu erleichtern. Mit einer solchen Zielsetzung sei es unvereinbar, wenn ein kurzarbeitendes Mitglied der Solidargemeinschaft dieselben Umlagebeträge aufbringen müsse wie wirtschaftlich gesunde Unternehmen. Der Gleichheitssatz gebiete hier eine differenzierende Regelung. Es ließe sich auch kein sachgerechter Grund dafür erkennen, daß die Umlagebeträge im Falle der Kurzarbeit nach dem fiktiven Vollohn erhoben würden.
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Die Vorlage ist zulässig. Das vorlegende Gericht hat dargetan, daß es auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift für die Entscheidung im Ausgangsverfahren ankommt. Das Gericht geht zutreffend davon aus, daß die Vorschriften des § 14 Abs. 2 Satz 1 LFZG i.V.m. § 166 Abs. 2 AFG keinen Spielraum für eine von ihm für verfassungskonform gehaltene Auslegung lassen.
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§ 14 Abs. 1 Satz 2 LFZG verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, soweit er dazu führt, daß bei Betrieben in Zeiten der Kurzarbeit eine Umlage nach dem fiktiven Vollohn erhoben wird.
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I.
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Der Zwang zur Umlage nach § 14 LFZG verletzt nicht die allgemeine Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 1 GG. Die gesetzliche Regelung schließt die von ihr betroffenen Betriebe, ohne daß es dabei auf deren Willen ankommt, zu einer Solidargemeinschaft zusammen. Die Zielsetzung dieses Eingriffes in die unternehmerische Freiheit liegt darin, kleine Betriebe vor den schwer kalkulierbaren Risiken der ihnen durch das Lohnfortzahlungsgesetz auferlegten sozialen Verpflichtungen zu schützen. Dabei geht die Regelung davon aus, daß das Risiko der Erkrankung bei solchen Betrieben nicht hinreichend in eine unternehmerische Kostenrechnung einbezogen werden kann. Solche Zielsetzungen entsprechen den Maßstäben, die das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit für die Einführung von Zwangsversicherungssystemen gesetzt hat. Im Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz der Freiheit des Einzelnen und den Anforderungen einer sozialstaatlichen Ordnung ist dem Gesetzgeber in der Frage, ob er überhaupt eine Pflichtversicherung begründen will oder eine ihr nahekommende Regelung trifft, weitgehend Gestaltungsfreiheit zuzubilligen (vgl. BVerfGE 10, 354 [370 f.]; 29, 221 [235]; 44, 70 [89]).
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II.
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Soweit die verfassungsrechtliche Prüfung den Berechnungsmodus für die Belastung des einzelnen Betriebes mit der Umlage betrifft, ist die Regelung an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen.
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1. Grundsätzlich beläßt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Dieser hat regelmäßig zu entscheiden, welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, daß ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt. Sein Spielraum endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, weil ein einleuchtender Grund für die Differenzierung fehlt (vgl. BVerfGE 9, 334 [337]; 25, 269 [293] und st. Rspr.).
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Der gesetzgeberische Spielraum wird durch die beanstandete Regelung überschritten. Denn es ist mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar, wenn die gesetzliche Regelung die von der Umlagepflicht betroffenen Unternehmen dadurch verschieden behandelt, daß im Normalfall die tatsächlich gezahlten Löhne als Berechnungsgrundlage für die Umlage herangezogen werden, während im Falle der Kurzarbeit ein fiktiver Lohn maßgeblich ist. Diese verschiedene Behandlung wird dadurch verschärft, daß eine einheitliche Norm die Umlage an den Vollohn bindet, ohne dabei zwischen den Betrieben mit voller Arbeitszeit und solchen mit Kurzarbeit zu differenzieren, obwohl der Erstattungsanspruch im Falle der Kurzarbeit vermindert ist.
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a) Der Gleichheitsverstoß liegt einmal darin, daß dem einen Unternehmer Beitragsverpflichtungen auferlegt werden, deren Höhe etwa seinem Risiko entspricht, während den anderen gleiche Verpflichtungen treffen, obschon sein Risiko, nämlich die Verpflichtung zur Lohnfortzahlung, weit geringer ist. Im Regelfall bedeutet die gesetzliche Vorschrift, daß nach § 10 Abs. 1 LFZG 80 % des im Krankheitsfall fortgezahlten vollen Arbeitsentgelts erstattet werden. Im Falle der Kurzarbeit aber werden nur 80 % des in der Regel stark verkürzten Arbeitsentgelts gezahlt. Bei unveränderter Bemessungsgrundlage wird das Risiko für die zwangsweise zusammengeschlossene Solidargemeinschaft bei Kurzarbeit also deutlich vermindert. Auch wenn man die "Kostenerstattungsversicherung" als ein der gesetzlichen Sozialversicherung ähnliches System sieht (vgl. dazu BSG 36, 16 [19]), rechtfertigt der im Sozialversicherungsrecht vielfach zum Ausdruck kommende Gedanke des sozialen Ausgleichs es nicht, Leistung und Gegenleistung außer Betracht zu lassen. Das Umlageverfahren nach § 14 LFZG dient keinen langfristigen Umverteilungszielen. Es soll vielmehr den Arbeitgebern, denen das Lohnfortzahlungsgesetz das Krankheitsrisiko auch der Arbeiter auferlegt hat, diese Last durch ihre Einbeziehung in eine Ausgleichsgemeinschaft erleichtern. Die Umlagen werden kostendeckend nach dem vermutlich entstehenden Bedarf erhoben. In einem solchen System darf der versicherungsrechtliche Äquivalenzgedanke, nach dem Leistung und Gegenleistung grundsätzlich in einem dem Risiko entsprechenden Verhältnis stehen müssen, nicht vernachlässigt werden.
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b) Zum anderen widerspricht die Regelung einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise deswegen, weil sie zur Folge hat, daß gerade die Betriebe durch relativ höhere Beiträge belastet werden, deren wirtschaftliche Situation das am wenigsten zuläßt. Im Falle der Kurzarbeit hat der Arbeitgeber im Interesse der Erhaltung von Arbeitsplätzen vorübergehend die Möglichkeit, das Fortbestehen der Arbeitsplätze dadurch zu sichern, daß die Zahlung von Kurzarbeitergeld teilweise an die Stelle seiner vertraglichen Entgeltsverpflichtungen tritt; eine solche Situation ist ein Anzeichen für eine wirtschaftliche Krisenlage eines Unternehmens. Kurzarbeit bedeutet naturgemäß Umsatzrückgang in dem betroffenen Unternehmen und damit in aller Regel auch Gewinnausfall. Ein gesetzliches System, das den kleineren Betrieb durch die Einführung der Lohnfortzahlung besonders belastet und deswegen eine Zwangsumlage zur Deckung der neuen Risiken einführt, darf nicht bei der Berechnung der Höhe dieser Umlage den durch Kurzarbeit vermehrt krisenanfälligen Betrieb zu einer gegenüber dem gesunden Betrieb erhöhten Umlage veranlagen.
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2. Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes läßt sich nicht entnehmen, welche Gründe den Gesetzgeber dazu veranlaßt haben, den durch Kurzarbeit betroffenen Betrieb durch die nach dem Vollohn berechnete Umlage zu belasten. Lediglich auf der Leistungsseite sind die Probleme der Lohnfortzahlung bei Kurzarbeit berücksichtigt worden (vgl. BTDrucks. V/3985, zu Drucks. V/4285, S. 5 und Protokoll des 19. BTAusschusses, 5. Wp., 88. Sitzung, S. 8/9 und 14). Bei der ins Detail gehenden Rücksichtnahme des Gesetzgebers auf den Zusammenhang zwischen Lohnfortzahlung, Erstattungsanspruch und Bemessung der Umlage, wie er in § 14 Abs. 2 Satz 2 LFZG deutlich wird (vgl. zu Drucks. V/4285, S. 4), kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Gesetzgeber, der das Arbeitsförderungsgesetz zeitlich etwa gleichzeitig beraten hat, die Auswirkungen des § 166 Abs. 2 AFG auf die Umlageberechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 LFZG in Fällen, wie den vorliegenden, übersehen hat.
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Der Umstand, daß der Gesetzgeber sich möglicherweise über die Gründe für die Umlageberechnung mit ihrer Auswirkung auf den Betrieb mit Kurzarbeit keine volle Klarheit verschafft hat, schließt es allerdings nicht aus, daß es vernünftige und sachliche Gründe für diese Regelung gibt. Nicht die subjektive Willkür des Gesetzgebers führt zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit, sondern nur die objektive, d. h. die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der gesetzlichen Maßnahme im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation (vgl. BVerfGE 2, 266 [281]; 42, 64 [73]).
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Sachliche Gründe, die die Regelung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar, sie lassen sich insbesondere nicht aus der Stellungnahme des Bundesministers entnehmen.
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Zwar mag es zutreffen, daß in den Bezirken von gesetzlichen Krankenkassen, in denen im erheblichen Umfang von Kleinbetrieben Kurzarbeit eingeführt war, die Verminderung der Umlage auf einen Vomhundertsatz des tatsächlich gezahlten Lohnes zur Folge hätte, daß die jährlich festzusetzende generelle Umlage anstiege. Das bedeutet auch eine Umstellung der Kalkulation in sämtlichen Unternehmen. Indessen würde es sich dabei um eine einmalige Anpassung an die neue Umlage handeln und nicht darum, daß eine dauernde Unsicherheit durch wechselnde Umlagenhöhen eintritt. Durch Kurzarbeit ausgelöste Schwankungen des Umlagesatzes würden gerade auf Dauer vermieden, wenn die Bemessungsgrundlage für die Erstattung und für die Umlage identisch wären. Soweit Schwankungen etwa durch wechselnden Krankenstand bedingt sind, bleibt diese Unsicherheit von der vorgelegten Regelung oder einer Veränderung unberührt.
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Erst recht kann die Regelung innerhalb des Systems, in dem sie steht, nicht durch den Gedanken gerechtfertigt werden, daß eine durch eine etwaige Entlastung des kurzarbeitenden Betriebes erhöhte allgemeine Umlage bei normal arbeitenden Betrieben dazu führen könnte, Arbeitsplätze aufzugeben, um sich von der erhöhten Kostenlast zu befreien. Zunächst ist fraglich, wie hoch der etwaige Anstieg überhaupt wäre und ob neben anderen Kosten gerade die Umlage nach § 14 LFZG so belastend ist, daß derartige Folgen überhaupt besorgt werden müßten. Zudem muß es als widersprüchlich erscheinen, die kurzarbeitenden Betriebe, an deren Arbeitnehmer zur Erhaltung der Arbeitsplätze Kurzarbeitergelder gezahlt werden, erhöht zu belasten, um die Arbeitsplätze in vergleichsweise weniger krisenanfälligen Betrieben zu sichern.
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Die Regelung kann auch nicht durch Erwägungen der Praktikabilität gerechtfertigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar wiederholt ausgesprochen, daß der Gesetzgeber den praktischen Erfordernissen der Verwaltung Rechnung tragen kann (vgl. BVerfGE 9, 20 [32]; 27, 220 [230]; 44, 283 [288]). Im vorliegenden Fall ist aber nicht ersichtlich, daß eine Vorschrift, die die Umlage bei kurzarbeitenden Betrieben nicht nach dem Vollohn berechnet, weniger praktikabel sein könnte als die gegenwärtige Regelung. Das Abgehen von der jetzigen Bemessungsgrundlage hat nicht die vom Bundesminister befürchtete Folge, daß eine individuelle Abschätzung des dem einzelnen Betrieb anhaftenden Kurzarbeiterrisikos erfolgen müßte. Die Umlage, die in ihrer Höhe nach den tatsächlichen Ausgaben bemessen wird, entspricht den Erstattungsbeträgen, also der Ausgabenseite.
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Es bedeutet auch weder für die betroffenen Betriebe noch für die Träger der Sozialversicherung eine Erschwerung, wenn die Ablösung der Umlage vom fiktiven Vollohn zur Folge hat, daß die Bemessungsgrundlage für die Rentenbeiträge, die nach § 166 Abs. 2 AFG weiter auch bei kurzarbeitenden Betrieben nach dem fiktiven Vollohn erfolgt, anders wäre als die Grundlage für die Umlage. Auch nach geltendem Recht ist der tatsächlich gezahlte Lohn sozialversicherungsrechtlich maßgeblicher Faktor für die Berechnung einzelner Leistungen (z.B. des Krankengeldes nach § 144 Abs. 2 AFG, des Erstattungsanspruchs nach § 163 Abs. 2 AFG und § 166 Abs. 3 AFG sowie für das Kurzarbeitergeld nach § 68 Abs. 1 Nr. 2 AFG).
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Endlich kann die Regelung auch nicht mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, daß dem Gesetzgeber bei der Regelung von Massenerscheinungen typisierende Regelungen gestattet seien, die die Besonderheiten des Einzelfalles vernachlässigen könnten. Das ist zwar grundsätzlich richtig, rechtfertigt aber die vorgelegte Regelung nicht. Einmal zeigen § 164 Abs. 2 AFG und § 2 Abs. 2 LFZG, daß der Gesetzgeber die Besonderheiten der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bei Kurzarbeit nicht zugunsten einer groben Typisierung vernachlässigt hat. Zum andern ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei benachteiligender Typisierung stärker eingeengt (BVerfGE 17, 1 [24]). Stehen die wirtschaftlichen Folgen einer solchen Regelung in einem Mißverhältnis zu den mit der Typisierung verbundenen Vorteilen, so genügt diese dem Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht (vgl. BVerfGE 21, 12 [27 f.]). Das gilt insbesondere dann, wenn eine andere, der Verfassung besser entsprechende Typisierung genauso möglich ist. Das wäre im vorliegenden Fall beispielsweise die Typisierung dahin, daß die Bemessung der Umlage nicht nach fiktiven, sondern nach tatsächlich gezahlten Entgelten berechnet wird.
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Allerdings ist das nicht die einzige Möglichkeit, eine Regelung zu treffen, die den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes bei der Ausgestaltung der Berechnung der Umlage für kurzarbeitende Betriebe gerecht werden könnte. Das Bundesverfassungsgericht kann daher, um die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zu wahren, nur zu der Feststellung kommen, daß die gegenwärtige gesetzliche Regelung mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist (vgl. BVerfGE 15, 46 [75]).
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