Beschluß | |
des 1. Senates vom 28. Januar 1987
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- 1 BvR 455/82 - | |
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn E ... 1. unmittelbar gegen das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. Februar 1982 - 1 RA 1/81 -, 2. mittelbar gegen § 25 Abs. 3 AnVG (= § 1248 Abs. 3 RVO).
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Entscheidungsformel:
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Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
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Gründe | |
A. | |
Mit der gegen eine sozialgerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde begehrt der Beschwerdeführer mittelbar die Überprüfung des § 25 Abs. 3 AnVG (= § 1248 Abs. 3 RVO) auf Vereinbarkeit mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG. Die angegriffene Norm räumt weiblichen Versicherten ein Recht ein, das Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres zu beziehen, während männliche Versicherte in der Regel das Altersruhegeld erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres beziehen können.
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I.
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Es gehört nicht zum hergebrachten Bestand des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung, daß weibliche Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres Altersruhegeld beziehen können.
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1. In den Anfängen der Invalidenversicherung war eine Alters ![]() ![]() | |
Durch § 2 Abs. 2 des Zweiten Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 19. Juni 1942 (RGBl. I S. 407) und § 1 der Verordnung zur Anpassung der Reichsversicherungsgesetze an das Zweite Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in den Rentenversicherung vom 22. Juni 1942 (RGBl. I S. 411) wurde in der Arbeiterrentenversicherung erstmals eine besondere Altersgrenze für weibliche Versicherte eingeführt; der damals neu gefaßte § 1253 Abs. 2 RVO sah einen Anspruch auf Rente für Frauen ab 55 Jahren vor, sofern sie mindestens vier lebende Kinder geboren hatten und ihr Ehemann verstorben war.
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2. Seit der Rentenreform 1957 gilt für die Rentenversicherungen der Angestellten und Arbeiter eine einheitliche Regelung der Altersgrenze. Danach erhalten weibliche Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, auf Antrag Altersruhegeld, wenn sie die Wartezeit erfüllt und in den letzten zwanzig Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt haben (§ 25 Abs. 3 AnVG in der Fassung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 [BGBl. I S. 88]).
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Die Einführung einer besonderen Altersgrenze für Frauen geht auf einen Vorschlag des Bundestagsausschusses für Sozialpolitik zurück. Zur Begründung der vom Regierungsentwurf abweichenden Regelung führte dieser in seinem Bericht aus (zu BTDrucks. II/3080, S. 10 zu § 1253):
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Auch hinsichtlich der Altersgrenze für Frauen ist der Ausschuß den Vorschlägen des Bundesrates im Grundsatz gefolgt. Nunmehr erhalten weibliche Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, auf Antrag Altersruhegeld, wenn sie in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt haben und eine solche Beschäftigung nicht mehr ausüben.
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Bei dieser besonderen Altersgrenze für Frauen hat sich der Ausschuß davon leiten lassen, daß die versicherte Frau vielfach einen Doppelberuf als Arbeitnehmer und Hausfrau erfüllt hat, der eine frühzeitige Abnutzung der Kräfte und damit frühzeitige Berufsunfähigkeit hervorruft.
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Ihre jetzt geltende Fassung erhielt die Vorschrift durch das Gesetz zur weiteren Reform der gesetzlichen Rentenversicherungen (Rentenreformgesetz - RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl. I S. 1965):
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§ 25 Abs. 3 AnVG (= § 1248 Abs. 3 RVO)
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Altersruhegeld erhält auf Antrag auch die Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach Absatz 7 Satz 2 erfüllt hat, wenn sie in den letzten zwanzig Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat.
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Die Wartezeit nach Absatz 7 Satz 2 ist erfüllt, wenn eine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten zurückgelegt ist.
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3. Der Grundsatz, nach welchem der Versicherte Altersruhegeld erhält, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit ![]() ![]() | |
II.
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1. Der 1919 geborene Beschwerdeführer ist Witwer mit eigenem Hausstand und drei Kindern. Im Juli 1979 beantragte er erfolglos bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte die Gewährung des vorgezogenen Altersruhegeldes nach § 25 Abs. 3 AnVG. Auf diese, nach dem Gesetzeswortlaut nur weiblichen Versicherten zustehende Leistung müsse auch er nach dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung einen Anspruch haben. Mit dem früheren Bezug des Altersruhegeldes solle bei Frauen die Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt ausgeglichen werden. Da auch er einer solchen zweifachen Beanspruchung ausgesetzt sei, gründe sich sein Begehren auf den Gleichberechtigungsgrundsatz. Das Sozialgericht wies die gegen den ablehnenden Bescheid des Rentenversicherungsträgers erhobene Klage ab. Die Regelung in § 25 Abs. 3 AnVG könne nicht im Wege der Auslegung auch auf männliche Versicherte bezogen werden.
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Darin liege kein Verfassungsverstoß. Unterstelle man die tatsächlichen Annahmen des Gesetzgebers über eine Doppelbelastung der Frau durch Haushalt und Beruf als zutreffend, so widerstreite § 25 Abs. 3 AnVG nicht dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau. Die tatsächliche Verschiedenheit der zu regelnden Sachverhalte - Frauen mit dieser Doppelbelastung auf der einen, Männer ohne eine solche Belastung auf der anderen Seite - lasse die unterschiedliche Regelung nicht willkürlich, sondern sinnvoll erscheinen. Dem Einwand des Beschwerdeführers, daß inzwischen ein Wandel der tatsächlichen Verhältnisse diese Unterschiede in der Lebenssituation von Frauen und Männern eingeebnet habe, könne nicht nachgegangen werden. Dies folge bereits daraus, daß es sich um generelle Tatsachen aus einem vielschichtigen gesellschaftlichen Befund, der beruflichen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, handele. Derartig komplizierte ![]() ![]() | |
In welchem Ausmaß sich die berufliche Rollenverteilung zwischen Mann und Frau seit 1957 geändert habe, könne dahingestellt bleiben. Im Regelfall gewährten die Rentenversicherungsträger auch jetzt noch Leistungen unter Berücksichtigung von Sachverhalten, die weit in die Vergangenheit zurückreichten. Der Gesetzgeber habe daher davon ausgehen dürfen, daß § 25 ![]() ![]() | |
III.
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Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 2 und 3 GG). Angesichts gewandelter sozialer und gesellschaftlicher Verhältnisse widerspreche die vor 25 Jahren eingeführte Privilegierung der Frauen, die § 25 Abs. 3 AnVG unabhängig von Familienstand und Kinderzahl vorsehe, der Billigkeit und dem Gerechtigkeitsempfinden. Über die Hälfte aller Frauen seien erwerbstätig, davon seien etwa 60 vom Hundert verheiratet und ungefähr ein Drittel von diesen habe wiederum Kinder unter 15 Jahren. Die Doppelbelastung durch Haushalt und Beruf sei nicht mehr allein Frauensache. Zudem belegten alle neueren Statistiken und wissenschaftlichen Erkenntnisse, daß für diese geschlechtsspezifische Differenzierung keine sachlich einleuchtenden Gründe sprächen. Frauen hätten eine um mehr als sechs Jahre längere Lebenserwartung und seien bei gleichem Lebensalter biologisch jünger als Männer. Von den Frauen erreichten nur etwa 10 vom Hundert das Pensionsalter nicht, während bei den Männern 24 vom Hundert dieses Schicksal träfe. Der weithin zu beobachtende Trend zu möglichst vorzeitiger Beendigung des Erwerbslebens sei Ausdruck der in den letzten 20 Jahren in allen Bereichen stetig gestiegenen beruflichen Anspannung. Ähnlich wie es das Bundesverfassungsgericht im Witwerrentenurteil vom 12. März 1975 (BVerfGE 39, 169) hinsichtlich der unterschiedlichen Voraussetzungen ausgesprochen habe, sei auch im vorliegenden Zusammenhang die Differenzierung zwischen Frauen und Männern nicht mehr hinnehmbar. Wenn schon eine unverheira ![]() ![]() | |
IV.
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1. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat namens der Bundesregierung darauf hingewiesen, daß die Regelung auf den Vorschlag der Europäischen Regionalkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation 1955 zurückgehe. Sie habe empfohlen, die Altersgrenze für Frauen generell fünf Jahre vor derjenigen für Männer beginnen zu lassen. Diese Empfehlung beruhe auf der Annahme, daß die komplexen Wirkungen des Alters den Frauen unbeschadet ihrer längeren Lebenserwartung früher als Männern die Fähigkeit nähmen, sich modernen Arbeitsbedingungen anzupassen. Dementsprechend gälten in der DDR, in Österreich, der Schweiz, in Frankreich, Großbritannien und Italien niedrigere Altersgrenzen für Frauen als für Männer. In Österreich seien erst 1981 Bestrebungen zur Angleichung der Altersgrenzen aus der Erwägung zurückgewiesen worden, daß die Rollen von Mann und Frau im Beruf und im gesellschaftlichen Leben noch nicht austauschbar seien. Haushaltsführung und Kindererziehung oblägen überwiegend den Frauen, die demgemäß auch weiterhin einer mehrfachen Belastung unterlägen, die den Schluß rechtfertige, daß ihre Arbeitskraft früher als bei vergleichbaren männlichen Versicherten unter das Maß sinke, das bei einer versicherungspflichtigen Tätigkeit gefordert werde.
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Für die hier zu beurteilende Regelung habe sich der Gesetzgeber jedenfalls zur Zeit ihrer Schaffung auf ähnliche Überlegungen stützen können. Die verschiedene Behandlung von Männern und Frauen hinsichtlich der Altersgrenze knüpfe an objektive biologische und funktionale (arbeitsteilige) Unterschiede im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an. Den biologischen Unterschied habe der Gesetzgeber in einer geringeren körperlichen Belastbarkeit der Frau gesehen. Die funktionalen Unterschiede, die zur Doppelbelastung der er ![]() ![]() | |
Der in den letzten 25 Jahren eingetretene gesellschaftliche Wandel habe nichts Entscheidendes an der Doppelbelastung der älteren erwerbstätigen Frauen durch Haushalt und Beruf geändert. Insbesondere wegen seines weit zurückreichenden Vergangenheitsbezuges begünstige demnach § 25 Abs. 3 AnVG auch heute noch jene Frauen, die während ihres Versicherungslebens die Doppelbelastung aus Erwerbstätigkeit und Haushalt und die sich daraus für ihre Berufsfähigkeit ergebenden Folgen getragen hätten.
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Die Bestimmung über das vorgezogene Altersruhegeld für weibliche Versicherte sei auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil es Männer gebe und gegeben habe, die ebenfalls durch Beruf und Haushalt belastet seien, und daß es umgekehrt Frauen geben möge - etwa kinderlose berufstätige Frauen, die ihren Haushalt durch eine Hilfskraft führen ließen -, die zu keiner Zeit eine solche mehrfache Bürde getragen hätten. Dabei handele es sich um seltene Einzelfälle, die der Gesetzgeber bei typisierender Regelung von Massenerscheinungen habe außer Betracht lassen dürfen. Die Typisierung sei auch deshalb gerechtfertigt, weil bei ihrer Beurteilung große Gruppen von männlichen Versicherten - nämlich Schwerbehinderte, Berufs- und Erwerbsunfähige und Arbeitslose - aus der Betrachtung ausgeklammert werden müßten, weil sie ohnedies Altersruhegeld mit Vollendung des 60. Lebensjahres erhielten. Der Nachteil, den Männer durch die hier in Rede stehende Typisierung hinzunehmen hätten, bestehe nur darin, daß sie eine aus der Doppelbelastung resultierende Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit konkret nachweisen müßten, während sie bei Frauen mit dem Erreichen des 60. Lebensjahres unterstellt werde.
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2. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hat sich zu den praktischen Auswirkungen der mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffenen gesetzlichen Regelung geäußert. ![]() ![]() | |
3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich ferner der Deutsche Frauenrat durch den Deutschen Juristinnenbund, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sowie die im Ausgangsverfahren beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte geäußert. Alle Stellungnahmen stimmen im Ergebnis darin überein, daß § 25 Abs. 3 AnVG mit dem Grundgesetz vereinbar sei (vgl. C I 2) [S. 174 ff.]).
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Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
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1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, daß der Beschwerdeführer während des Verfahrens 65 Jahre alt geworden ist, so daß seither für ihn jedenfalls die Möglichkeit besteht, das Altersruhegeld nach § 25 Abs. 5 AnVG zu beziehen. Wäre die Verfassungsbeschwerde deshalb unzulässig, könnte ein so nachhaltig in die Rechtssphäre eines Betroffenen eingreifendes Urteil wie die Entscheidung des Bundessozialgerichts praktisch nicht mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Der Umstand, daß die Fachgerichte und das Bundesverfassungsgericht oft außerstande sind, in kurzer Zeit eine Entscheidung hinsichtlich schwieriger Fragen zu treffen, darf aber nicht dazu führen, daß eine Verfassungsbeschwerde allein wegen des vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenden Zeitablaufs als ![]() ![]() | |
2. Allerdings fehlt dem Beschwerdeführer das Rechtsschutzbedürfnis insoweit, als die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 25 Abs. 3 AnVG über den Zeitpunkt hinaus geprüft werden soll, zu welchem er mit Vollendung des 65. Lebensjahres die Voraussetzungen für den Bezug von Altersruhegeld nach § 25 Abs. 5 AnVG erfüllt hat. Die vorliegende Entscheidung betrifft daher nur den Zeitraum bis zum Juli 1984.
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Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
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I.
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1. Die Vorschrift des § 25 Abs. 3 AnVG (= § 1248 Abs. 3 RVO), die dem angegriffenen Urteil zugrunde liegt, hat zur Folge, daß weibliche und männliche Versicherte hinsichtlich der Altersgrenzen für den Bezug des Altersruhegeldes verschieden behandelt werden. Diese Unterscheidung bei der Gewährung von Altersruhegeld an Frauen und Männer wiegt in ihrer Auswirkung allerdings weniger schwer, wenn die Vorschriften über das flexible Altersruhegeld und über das Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit sowie über die Inanspruchnahme von Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten vor Vollendung des 65. Lebensjahres berücksichtigt werden (vgl. A I 3) [S. 165 f.]). Diese Möglichkeiten haben dazu geführt, daß männliche und weibliche Versicherte heute durchschnittlich schon mit 58 Jahren Versichertenrenten beziehen (vgl. Page/Reimann, DAngVers 1983, S. 401; Reimann, DAngVers 1985, S. 406). Dies mag mit dazu beigetragen haben, daß die angegriffene Regelung bislang durchgängig als befriedigend empfunden worden ist.
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Sie ist in der Rechtsprechung (vgl. BSGE 46, 214 [216] und ![]() ![]() | |
Auch finden sich dem § 25 Abs. 3 AnVG ähnliche Regelungen in vielen europäischen Rechtsordnungen (vgl. dazu von Maydell, Anlageband 2 zum Bericht der Sachverständigenkommission für die soziale Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen, veröffentlicht 1979 durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung). Dies entspricht einer Empfehlung der Ersten Europäischen Regionalkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation vom Februar 1955.
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2. Alle in diesem Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit des § 25 Abs. 3 AnVG abgegebenen Stellungnahmen gehen ebenfalls davon aus, daß die unterschiedliche Regelung über die Gewährung von Altersruhegeld bei Frauen und Männern mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
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a) Nach Meinung des Deutschen Juristinnenbundes kann es für die Beurteilung der Vorschrift nicht auf ohnedies unzureichende statistische Erkenntnisse ankommen, wie es sie über einen vorzeitigen Kräfteverschleiß von Frauen und einen Vergleich der durchschnittlichen Lebenserwartungen von Frauen und Männern gebe. Bei Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit würden ohnedies die dafür vorgesehenen Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten gezahlt. Ein wesentlicher Gesichtspunkt sei, daß aus den Beiträgen einer Frau im Durchschnitt weniger ![]() ![]() | |
Schließlich sei darauf hinzuweisen, daß bei der Rentenreform 1957 auch die negativen Auswirkungen der Lohndiskriminierung von Frauen auf deren Versichertenrenten noch für Jahrzehnte festgeschrieben worden seien, da den Frauen Werteinheiten nur für die durch Lohnabschläge gekürzten oder aus den niedrigeren "Frauenlohngruppen" gezahlten Einkommen gutgeschrieben würden. Diese Lohndiskriminierung senke zudem das Durchschnittseinkommen aller Versicherten. Wenn auch nicht alle Ungerechtigkeiten der Vergangenheit durch das Rentenversicherungsrecht korrigiert werden könnten, so seien doch bei der Frage, ob die Frauen durch die nur für sie geltende besondere Altersgrenze von 60 Jahren verfassungswidrig bevorzugt würden, die mehrfachen Benachteiligungen nicht außer acht zu lassen, die dieser einzigen Vergünstigung gegenüberstünden. Angesichts dieser Benachteiligungen lägen vergleichbare und gleichzubehandelnde Sachverhalte nicht vor.
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Den Charakter als Ausnahmeregelung zugunsten der Frauen habe § 25 Abs. 3 AnVG zudem inzwischen weitgehend verloren, weil auch für Männer die Altersgrenze flexibler gestaltet sei. Die Besserstellung der Frauen, die bei Inanspruchnahme des Altersruhegeldes mit 60 Jahren nur eine Versicherungszeit von 180 ![]() ![]() | |
b) Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat ausgeführt, der Wortlaut der Vorschrift scheine zwar allein auf den Geschlechterunterschied abzustellen; die Entstehungsgeschichte zeige indes, daß es sich um eine Regelung handele, die an biologische und funktionale Unterschiede anknüpfe und einen vom Sozialstaatsprinzip sowie dem Gleichberechtigungsgrundsatz gebotenen Ausgleich bewirke. Die früher bei Erlaß dieser Norm maßgebenden Gründe für die ungleiche Behandlung von männlichen und weiblichen Versicherten seien auch heute noch gegeben. Durch flexiblere Regelungen der Altersgrenze sei auch bei den Männern der Anteil der sechzigjährigen Altersrentner erheblich gestiegen. Da diese Möglichkeiten eines vorzeitigen Rentenbezugs von der Zurücklegung einer 35jährigen Versicherungszeit abhängig seien, könnten Frauen sie kaum nutzen, weil sie insoweit durch rentenrechtlich noch immer unberücksichtigte spezifische Gegebenheiten in ihrer sozialen Biographie diese lange Versicherungszeit nur selten erreichen könnten.
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Das Argument einer allgemein höheren Lebenserwartung der Frauen trage den Einwand der Verfassungswidrigkeit des § 25 Abs. 3 AnVG ebenfalls nicht. Angesichts der unterschiedlichen Erwerbsquote bei Männern und Frauen sei die Lebenserwartung in Abhängigkeit von der Erwerbstätigkeit zu untersuchen. Daraus lasse sich eine Tendenz dahin erkennen, daß die Lebenserwartung bei zunehmender Dauer der Erwerbstätigkeit sinke und daß sich dabei auch der Unterschied zuungunsten der Frauen verändere. Angesichts der weiter steigenden Erwerbsquote - selbst jener, die Kinder erzögen - werde sich diese Entwicklung nicht umkehren.
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Zudem müsse beachtet werden, daß Frauen in weit stärkerem Maße als Männer Arbeiten verrichteten, die eine hohe Belastung ![]() ![]() | |
Daß § 25 Abs. 3 AnVG auch für alleinstehende Frauen gelte und andererseits Männer auch dann unberücksichtigt lasse, wenn sie tatsächlich einer doppelten Belastung durch Haushaltsführung und Beruf ausgesetzt gewesen seien, berühre die Regelung nicht. Unter den alleinstehenden Frauen befänden sich viele, die Angehörige zu pflegen hätten. Außerdem könnten sie sich wegen durchweg geringerer Verdienste nicht so leicht eine Haushaltshilfe leisten wie Männer. Soweit alleinerziehende Männer einer wirklichen Doppelbelastung unterlägen, dürfte es sich dabei vornehmlich um geschiedene oder verwitwete Versicherte handeln. Sie hätten dann aber regelmäßig nicht die Kinder gerade in den ersten, intensive Pflege erfordernden Lebensjahren betreut und deshalb auch nicht - wie die erwerbstätigen Mütter - auf die gesamte, von der Erwerbsarbeit freie Zeit und auf Erholung verzichten müssen.
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c) Nach Meinung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte läßt sich § 25 Abs. 3 AnVG zwar nicht mit dem Gesichtspunkt einer Doppelbelastung der berufstätigen Frau rechtfertigen, wohl aber mit der Stellung der Frau im Berufsleben, die sich infolge biologischer Gegebenheiten von derjenigen des Mannes maßgeblich unterscheide. Der Anteil der Frauen, die im Beruf nur die unterste Qualifikationsebene erreichten, stehe im krassen Mißverhältnis zur Frauenquote im Beruf. Auch bei höheren Qualifikationen seien die Frauen in Aufstiegspositionen unterrepräsentiert. Geburt und Erziehung von Kindern zwängen Frauen häufig zu Pausen in der Erwerbstätigkeit in Zeiten, in ![]() ![]() | |
II.
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Diesen Stellungnahmen ist im Ergebnis darin beizutreten, daß die unterschiedlichen Regelungen über die Gewährung von Altersruhegeld bei Männern und Frauen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.
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1. Die Regelung wurde zu einer Zeit eingeführt, in der das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG bereits galt. Sie wurde im Gesetzgebungsverfahren mit sozialen Erwägungen gerechtfertigt, nämlich mit der Doppelbelastung, welcher versicherte Frauen vielfach ausgesetzt seien und die einen stärkeren Kräfteverbrauch zur Folge habe. Dieser Begründung ist das Bundessozialgericht in seinem angegriffenen Urteil gefolgt, nach dessen Meinung auch der Wandel der gesellschaftlichen Wirklichkeit keinen Anlaß zu einer abweichenden Beurteilung gibt.
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2. Wie das Bundesverfassungsgericht in der ersten Witwenrentenentscheidung (BVerfGE 17, 1 [9 f.]) ausgeführt hat, ist die der Frau eröffnete Möglichkeit, das Altersruhegeld schon mit 60 statt mit 65 Jahren zu beziehen, aus dem Gedanken sozialen ![]() ![]() | |
a) Prüfungsmaßstab ist Art. 3 Abs. 2 GG. Der darin enthaltene Gleichberechtigungsgrundsatz entspricht dem in Absatz 3 geregelten Diskriminierungsverbot, wonach niemand "wegen seines Geschlechts" benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Er ist in der Rechtsprechung strikt angewendet worden, namentlich dort, wo es sich um Benachteiligungen von Frauen handelte; zum Abbau dieser Benachteiligungen sollte das Grundrecht bevorzugt dienen. Eine Differenzierung nach dem Geschlecht ist danach nur ausnahmsweise zulässig, wenn im Hinblick auf die objektiven biologischen oder funktionalen (arbeitsteiligen) Unterschiede nach der Natur des jeweiligen Lebensverhältnisses eine besondere Regelung erlaubt oder sogar geboten ist (vgl. BVerfGE 3, 225 [242]; 43, 213 [225]; 52, 369 [374]; 57, 335 [342 f.]).
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b) Der Gleichberechtigungsgrundsatz ist in der bisherigen Rechtsprechung bevorzugt als Abwehrrecht zur Unterbindung von Diskriminierungen angewendet worden. In neuerer Zeit wird erörtert, ob nicht dem Gleichberechtigungsgebot ebenso wie anderen Grundrechten neben dem Charakter als Abwehrrecht auch positive Verpflichtungen des Gesetzgebers zur Förderung und Unterstützung der Grundrechtsverwirklichung zu entnehmen sind. Im Zusammenhang damit wird das Sozialstaatsprinzip als für den Gesetzgeber verpflichtend in Betracht gezogen, das im besonderen Maße auf positive staatliche Tätigkeit statt auf bloße Enthaltsamkeit im Sinne einer Respektierung vorgefundener gesellschaftlicher Strukturen und Verhältnisse bezogen sei (vgl. Friauf, Gleichberechtigung der Frau als Verfassungsauftrag, in: Schriftenreihe des Bundesministeriums des Innern, Bd. 11 1981, S. 25 und 26 ff.).
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Ob und inwieweit der Gesetzgeber aus Art. 3 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet sein könnte, ![]() ![]() | |
c) Bei der Prüfung, ob solche Nachteile entstanden sind, wie lange sie fortwirken und welche Maßnahmen als Ausgleich in Betracht kommen, ist grundsätzlich von der Einschätzung des Gesetzgebers auszugehen.
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Diese Nachteile sind in den Stellungnahmen des Juristinnenbundes, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte dargestellt. Würde es sich allein um einen Ausgleich für die Doppelbelastung handeln, könnte es zweifelhaft sein, ob eine unterschiedliche Behandlung auch zugunsten von Frauen ohne diese Doppelbelastung und zum Nachteil von Männern mit einer solchen statthaft wäre (vgl. BVerfGE 52, 369; 57, 335). Es kommen aber weitere Umstände hinzu, die der Gesetzgeber in typisierender Betrachtungsweise berücksichtigen durfte.
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So weist die Bundesversicherungsanstalt zutreffend darauf hin, ![]() ![]() | |
d) Zum Ausgleich dieser Nachteile erscheint die Einräumung des den Frauen gewährten, nicht allzu erheblichen Vorteils unbedenklich. Ob es richtiger gewesen wäre, einen Ausgleich auf andere Weise zu suchen, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden (vgl. auch BVerfGE 43, 108 [123 f.]; 61, 319 [354]). Insbesondere kann das Gericht vom Gesetzgeber getroffene Maßnahmen nicht mit der Begründung beanstanden, andere seien noch wirksamer oder geeigneter.
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III.
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Der Wandel in den tatsächlichen Verhältnissen, der sich schon vollzogen hat und noch vollzieht, und die Angleichung der Rechtsordnung an die gebotene Gleichstellung von Frau und Mann lassen erwarten, daß die Umstände, welche die verfassungsrechtliche Prüfung unter dem Gesichtspunkt des Nachteilsausgleiches beeinflussen, im Laufe der weiteren Entwicklung an Bedeutung verlieren werden. Wann das der Fall sein wird und ![]() ![]() | |