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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Evan Emerson, A. Tschentscher | |||
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vom 13. März 1913 in Sachen Vollenweider gegen Kantonsgericht St. Gallen. |
Sachverhalt: | |
Das Bundesgericht hat auf Grund folgender Aktenlage:
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A. | |
Nach Art. 1 des Reglements für die Anwälte und Rechtsagenten im Kanton St. Gallen vom 14. März/21. Mai 1901 kann den Beruf eines Anwalts im Kanton jeder stimmberechtigte Schweizerbürger ausüben, welcher a) einen guten Leumund und b) ein st. gallisches Anwaltspatent besitzt; diesem letzteren sind Anwaltspatente anderer Kantone gemäß Art. 5 Üb.-Best. zur BV gleichgestellt. Wer den Anwaltsberuf ausüben will, hat sich, gemäß Art. 2, unter Vorlage seiner Ausweise an den Präsidenten des Kantonsgerichts zu wenden, worauf dieses letztere bei einem Bewerber mit auswärtigem Patent darüber entscheidet, ob ihm die Ausübung des Berufes zu bewilligen sei. Ferner bestimmt Art. 8 des Reglements:
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"Außerkantonale Anwälte haben beim Empfang des Patentes bezw. der Bewilligung ..... durch Anzeige an das Kantonsgericht Rechtsdomizil im Kanton St. Gallen zu verzeigen."
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B. | |
Mit Zuschrift an das st. gallische Kantonsgericht vom 6. Januar 1913 ersuchte der Rekurrent Dr. Vollenweider, Rechtsanwalt in Zürich, unter Hinweis auf sein zürcherisches Anwaltspatent und ein nachträglich noch beigebrachtes Leumundszeugnis um die "formelle Bewilligung" zur Ausübung der Advokatur im Kanton St. Gallen. Hierauf verlangte die Kantonsgerichtskanzlei von ihm gemäß Art. 8 des Anwaltsreglements umgehend noch die Verzeigung eines st. gallischen Rechtsdomizils und hielt gegen ![]() ![]() | 4 |
C. | |
Gegen diesen Bescheid, der laut Bestätigung des Kantonsgerichts in dessen Namen erfolgt ist, hat Dr. Vollenweider am 9. Januar 1913 -- gleichzeitig mit der vorsorglichen Angabe einer st. gallischen Domiziladresse bei der Kantonsgerichtskanzlei, unter ausdrücklicher Wahrung seines Rechtsstandpunktes -- den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen und beantragt, das Kantonsgericht St. Gallen sei in Aufhebung seiner angefochtenen Schlußnahme anzuweisen, ihm die Domizilverzeigung im Kanton zu erlassen bezw. wieder zu erlassen und ihm die verlangte Bewilligung zur Berufsausübung zu erteilen. Er beruft sich auf Verletzung des Art. 5 Üb.-Best. z. BV; denn nach dessen Garantie der Freizügigkeit der wissenschaftlichen Berufsarten könne der Inhaber eines kantonalen Anwaltspatentes von einem beliebig erwählten Ort der Schweiz aus in deren ganzem Gebiete praktizieren und dürfe nicht gezwungen werden, auch noch in einem andern als dem Wohnsitzkantone faktischen oder auch nur rechtlichen Wohnsitz zu nehmen; der Patentinhaber brauche, richtig betrachtet, zum Zwecke der Berufsausübung in einem auswärtigen Kantone nicht einmal zunächst bei der dortigen Aufsichtsbehörde um Bewilligung einzukommen und die hiefür jeweils vorgesehene Gebühr zu entrichten, sondern könnte auf Grund seines Patentes ohne weiteres vor den Gerichten auftreten; die vorherige Anmeldung bei der Aufsichtsbehörde habe nur den Zweck, den Ausweis des Patentbesitzes ein für allemal zu leisten.
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D. | |
Das Kantonsgericht des Kantons St. Gallen hat unter Mitteilung, daß dem Rekurrenten nach erfolgter Domizilverzeigung die Anwaltsbewilligung gegen Nachnahme der Ausfertigungstaxe von 10 Fr. erteilt worden sei, auf Abweisung des Rekurses angetragen. Es führt wesentlich aus, das in Art. 5 Üb.-Best. z. BV garantierte Prinzip wäre allerdings verletzt, wenn ein Kanton die Bewilligung der Anwaltstätigkeit für außerkantonale Patentinhaber an Bedingungen knüpfte, die in ihrer Wirkung die Berufsausübung im Kanton faktisch ausschließen oder doch wesentlich er ![]() ![]() ![]() ![]() | 6 |
Erwägungen: | |
in Erwägung:
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Der Vorschrift von Art. 2 des st. gallischen Anwaltsreglements, wonach die Inhaber von Anwaltspatenten anderer Kantone zum Zwecke der Berufsausübung im Kanton St. Gallen eine Bewilligung des Kantonsgerichts einzuholen haben, hat sich der Rekurrent freiwillig unterzogen und auch die ihm für die Bewilligungserteilung abverlangte Taxe anstandslos bezahlt. Die Frage der bundesrechtlichen Zulässigkeit dieser beiden Auflagen ist deshalb hier nicht weiter zu erörtern. Immerhin mag gegenüber der sie in Abrede stellenden Bemerkung des Rekurrenten auf die im gegenteiligen Sinne ergangenen Urteile des Bundesgerichts vom 1. April 1897 i. S. Bühler (AS 23 I Nr. 69 Erw. 2 in fine S. 480 [= BGE 23 I 478 (480)]) und vom 30. September 1897 i. S. Morel, das die kantonsgerichtliche Vernehmlassung anruft, verwiesen sein. Dagegen ficht der Rekurrent mit seinem Begehren die ihm ferner gestellte Bedingung der Verzeigung eines "Rechtsdomizils" im Kanton St. Gallen, gemäß Art. 8 des Anwaltsreglements, als mit Art. 5 Üb.-Best. z. BV nicht vereinbar an. Diese Beschwerde erweist sich als begründet. Die den Rechtsanwälten als Vertretern einer wissenschaftlichen Berufsart durch Art. 5 Üb.-Best. z. BV eingeräumte Befugnis, auf Grund eines kantonalen Befähigungsausweises "ihren Beruf in der ganzen Eidgenossenschaft auszuüben", macht in der Tat die Ausübung der Advokatur in der Schweiz von den Kantonsgrenzen in dem Sinne unabhängig, daß es den Kantonen nicht gestattet ist, die Zulassung der sachlich verfassungsgemäß legitimierten Anwälte an eine dauernde örtliche Beziehung zum speziellen Kantonsgebiete zu knüpfen und demnach den außerhalb des Kantonsgebietes niedergelassenen Anwälten die Herstellung einer solchen Beziehung zur besonderen Bedingung zu machen. Der Zweck jener Verfassungsbestimmung erschöpft sich nicht, wie das Kantonsgericht anzunehmen scheint, darin, die Träger der verschiedenen kantonalen Befähigungsausweise, die im gleichen Kantonsgebiete niedergelassen sind, für die Berufsausübung im betreffenden Kanton einander rechtlich gleichzustellen; die Bestimmung zielt vielmehr ![]() ![]() ![]() ![]() | 8 |
Aus diesen Erwägungen folgt, daß der Rekurrent berechtigt ist, seine unter Rechtsverwahrung erfüllte Verzeigung eines st. gallischen "Rechtsdomizils" zu widerrufen, ohne daß das Kantonsgericht ihm deswegen, entgegen der im Bescheide der Kantonsgerichtskanzlei an ihn vom 8. Januar 1913 liegenden Verfügung, die seither erteilte Bewilligung zur Ausübung der Advokatur im Kanton St. Gallen wieder entziehen dürfte. In diesem Sinne ist die streitige Verfügung des Kantonsgerichts aufzuheben;
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Dispositiv | |
erkannt:
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