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Informationen zum Dokument  BGE 52 I 293 - Von Büren  Materielle Begründung
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Zitiert selbst:

Sachverhalt
A.
B.
C.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung :
1.- Die dem Hausierpatent des Rekurrenten beigefügte Anordnu ...
2.- Nun verlangt der Rekurrent aber weiter, es sei festzustellen, ...
Demnach erkennt das Bundesgericht :
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher  
 
BGE 52 I, 293 (293)40. Urteil vom 12. November 1926 i. S. von Bären gegen Solothurn.
 
Es bildet eine Verletzung der Garantie der Handels- und Gewerbefreiheit, wenn den Hausierern nicht gestattet wird, sich bei ihrer Berufsausübung der Motorfahrzeuge zu bedienen.  
 
Sachverhalt
 
 
A.
 
Nach dem soloth. Gesetz über das Hausierund Marktwesen vom 16. Juli 1899 ist für die Ausübung des Hausiergewerbes der Besitz eines vom Polizeidepartement auszustellenden Patentes erforderlich. Als Hausierverkehr wird nach § 1 Ziff. 1a u.a. betrachtet : "Das Feilhalten von Waren durch Umherführen undBGE 52 I, 293 (293)BGE 52 I, 293 (294) Umhertragen in den Strassen und in den Häusern." Das Gesetz bestimmt, welche Waren vom Hausierverkehr ausgeschlossen sind und welche nicht unter die Patentpflicht fallen (§§ 2 und 4) und § 5 stellt für die Erteilung des Patentes gewisse persönliche Erfordernisse auf. Dafür ist eine Gebühr zu entrichten, die für den in § 1 Ziff. 1 litt. a bezeichneten Hausierverkehr 1 bis 200 Fr. per Monat beträgt; sie ist innerhalb der gesetzlichen Grenze nach der Natur der feilzubietenden Gegenstände, dem auszuübenden Beruf und dem Umfang und Ertrag des Geschäftes festzusetzen. Nach § 25 kann das Polizeidepartement in Fällen, wo der Patentinhaber der Übertretung gesetzlicher Vorschriften sich schuldig macht, das Patent sofort entziehen, wogegen beim Regierungsrat Beschwerde geführt werden kann (§ 26).
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Am 6. April 1926 ist dem Emil von Buren in Zürich vom Polizeikommando von Solothurn ein Hausierpatent gemäss § 1 Ziff. 1 a des Hausiergesetzes ausgestellt worden, gültig bis 7. Mai 1926. Auf dem Patent wurde vermerkt, dass die "Benützung eines Motorfahrzeuges." untersagt sei. Einige Tage später wurde von Polizeiorganen festgestellt, dass sich von Büren seine Ware (Reisbesen) durch ein Personenautomobil der Firma Zeier in Zürich in die verschiedenen Ortschaften nach-führen liess. Aus diesem Grunde wurde ihm das Patent weggenommen; die vorläufige Konfiskation wurde durch Verfügung des Polizeidepartements vom 30. April 1926 geschützt und in eine definitive Patentverweigerung umgewandelt. Von Büren rekurrierte hiegegen an den Regierungsrat von Solothurn, der jedoch den Rekurs durch Entscheid vom 24./27. Mai 1926 abwies, mit folgender Begründung: "Das kantonale Polizeidepartement hat seinerzeit an das Polizeikommando die Weisung ergehen lassen, dass die Verwendung von Motorfahrzeugen beim Vertrieb von Hausierwaren zu verbieten sei. Die genannte Weisung wurde gestütztBGE 52 I, 293 (294) BGE 52 I, 293 (295)auf die in den Kantonsratsverhandlungen vom 24. November 1924 gefallenen Wünsche und Anregungen (vgl. Kantonsratsverhandlungen 1924 S. 521 ff.) erlassen, die in der Benützung von Wagen und insbesondere von Motorfahrzeugen beim Hausierverkehr eine Schädigung der übrigen zu Fuss wandernden Hausierer erblickten. In der Tat liegt in dieser Art des forcierten Hausierverkehrs eine Gefahr nicht nur für den zu Fuss wandernden Hausierer, sondern auch eine ungebührliche Schädigung des ansässigen Gewerbes. Eine weitere Begründung der getroffenen Massnahme liegt jedoch besonders in folgendem: In konstanter Praxis der Patentbehörden wird die Erteilung von Hausierpatenten auf diejenigen Bewerber beschränkt, die zufolge ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse einen andern Erwerb nicht finden können. Aus diesem Grunde werden zumeist auch ledige Bewerber abgewiesen. Diese Bedürftigkeit scheint jedoch in denjenigen Fällen, wo die Hausierware mit Personenautomobilen vertrieben wird, ausgeschlossen. Es ergibt sich somit, dass der durch das Polizeidepartement verfügte Patententzug eine im öffentlichen Interesse gelegene Massnahme ist und durch den Regierungsrat gemäss § 26 des Hausiergesetzes geschützt werden muss."
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B.
 
Gegen diesen Entscheid hat sich Emil von Büren durch Eingabe vom 24. Juli beim Bundesgericht beschwert mit dem Antrag:
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    "Es sei der angefochtene Beschluss wegen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit, Art. 31 BV aufzuheben und festzustellen, das dem Beschwerdeführer das konfiszierte Hausierpatent herauszugeben sei, unter Verlängerung desselben für die Dauer der Konfiskation, und dass ferner auf sein Verlangen ihm wieder ein neues Hausierpatent zu bewilligen sei."
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Der Beschwerdeführer bringt an : "Er habe die Reisbesen, die ihm durch ein Personenautomobil nachgeführt wurden, in den betreffenden Ortschaften aufBGE 52 I, 293 (295) BGE 52 I, 293 (296)ein Handwägelchen umgeladen und so zu verkaufen gesucht. Eine solche Zuführung der Ware könne nicht verboten werden; das verstosse gegen Art. 31 BV. Die Interessen der ansässigen Gewerbe und der zu Fuss wandernden Hausierer dürften nicht berücksichtigt werden. Der Patententzug sei nicht im öffentlichen Interesse erfolgt, sondern sei rein willkürlich (Bürckhardt, Kommentar zur BV S. 260 litt. b). Durch die dem Beschwerdeführer auferlegte Beschränkung werde versucht, eine Korrektur des freien Handels herbeizuführen und auf diese Art ausserkantonale Hausierer durch die ungerechtfertigte Erschwerung des Hausierens vom Kanton fernzuhalten.
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C.
 
Der Regierungsrat von Solothurn hat auf Abweisung der Beschwerde angetragen : Hausierer im Sinne des solothurnischen Gesetzes sei derjenige, der die Ware mit sich trage. Das Mit führen von Ware sei nur ausnahmsweise, wenn das Tragen unmöglich gewesen sei, gestattet worden. Der Hausierhandel mit Automobilen entspreche nicht der Vorstellung, die man sich beim Erlass des Gesetzes vom Hausieren gemacht habe. Wo er bewilligt worden sei, habe er zu schweren Unzukömmlichkeiten geführt, sodass die Patentbehörde schon aus diesem Grunde dazu habe kommen müssen, "dass Hausierer einerseits und Automobil anderseits unvereinbare Dinge seien". Dazu komme, dass in der Kantonsratsverhandlung vom 24. November 1924 möglichste Beschränkung der Ausstellung von Hausierpatenten verlangt und geltend gemacht worden sei, dass durch den Hausierhandel mit Automobilen die Ware verteuert und die zu Fuss gehenden Hausierer benachteiligt würden. Da der Regierungsrat und das Polizeidepartement sich der Richtigkeit dieser Argumente nicht hätten verschliessen können, habe das letztere verfügt, künftig die Verwendung von Personen- oder Lastautomobilen beim Vertrieb von Hausierwaren gänzlich und grundsätzlich zu verbieten. Eine solche Art des HausierBGE 52 I, 293 (296)BGE 52 I, 293 (297)vertriebes brauche nicht geduldet zu werden, weil sie im Hausiergesetz nicht vorgesehen sei und dem Sinn und Geist des Gesetzes widerspreche. Ein neuzeitliches Hausiergesetz würde die Verwendung des Automobils beim Vertrieb der Hausierware ausschliessen. Diese Art des Hausierhandels bringe ferner eine unzulässige Schädigung des ansässigen Gewerbes mit sich, indem die Konkurrenz schärfer werde; sie dürfe deshalb aus volkswirtschaftlichen Gründen untersagt werden. Die Beschränkung liege auch im Interesse des kaufenden Publikums, das ein eminentes Interesse am Bestehen eines geschäftstüchtigen reellen Gewerbes habe. Eine Verschärfung des bestehenden Konkurrenzkampfes zwischen ansässigem Gewerbe und Hausierhandel durch Bevorzugung des Wandergewerbes mit der Zuhilfenahme von Automobilen könne von den Behörden nicht verantwortet werden. Das Hausierpatent sei nach konstanter Praxis für die kleinen, ärmern Leute bestimmt. Diese soziale Funktion würde es verlieren, wenn es auch an Personen erteilt werden müsste, die sich zum Transport der Ware des Automobils bedienen können. Es handle sich nicht um einen Willkürakt, sondern um eine durch Erwägungen volkswirtschaftlicher und polizeilicher Art begründete Anordnung. Eine unzulässige Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit liege in dem Patententzug nicht. Die Polizeibehörde sei berechtigt, an die Erteilung von Hausierpatenten Bedingungen und Auflagen zu knüpfen, die darauf ausgehen, die wohlanständigen und angemessenen, dem Geiste des Hausiergesetzes entsprechenden Formen des Hausierverkehrs zu sichern und eine Übermarchung im volkswirtschaftlichen Interesse zu verhindern. Sie sei auch befugt, bei Nichtinnehaltung der auferlegten Bedingungen die angedrohten Zwangsmassnahmen zu ergreifen und zum Patententzug zu schreiten. Bei dieser Auffassung komme darauf, dass der Rekurrent das Automobil nur benützte, um seine Ware von einer Ortschaft zur andern nachzu-BGE 52 I, 293 (297)
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BGE 52 I, 293 (298)führen, während er sie dann in anderer Weise vertrieb, nichts an. "Sinn und Geist unseres Hausiergesetzes und der Zweckgedanke der einer neuern Gewerbeschutzgesetzgebung angepassten behördlichen Massnahmen gehen auf eine gänzliche Unterdrückung des Fahrzeuges beim Wandergewerbe; eine Einschränkung des Verbotes führt zu dessen Umgehung."
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung :
 
1.- Die dem Hausierpatent des Rekurrenten beigefügte Anordnung, dass die Benützung von Motorfahrzeugen untersagt  sei,  stellt sich  gewerberechtlich  als Bedingung oder Auflage des bewilligten Hausierhandels dar, durch die die Art der Ausübung des letztern in gewissem Sinne beschränkt wird. Da sich der Rekurrent gegen die Beifügung dieser Bedingung nicht aufgelehnt hat, so war er, für die Dauer des Patentes, daran gebunden, und wenn er ihr zuwiderhandelte, so konnte ihm das Patent entzogen werden, ohne Rücksicht darauf, ob man es mit einer nach Gesetz und Verfassung unzulässigen Beschränkung zu tun habe. Der Rekurs muss deshalb,  soweit  damit  der  Patententzug  angefochten und verlangt wird, dass dem Rekurrenten das Patent unter Verlängerung desselben für die Dauer der Konfiskation herauszugeben sei, abgewiesen werden.
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2.- Nun verlangt der Rekurrent aber weiter, es sei festzustellen, dass ihm auf sein Verlangen ein neues Hausierpatent zu bewilligen sei, und zwar ohne jene Bedingung. Da der Rekurrent an einer solchen  Feststellung zweifellos ein Interesse hat und da ihm der Patententzug nicht entgegengehalten werden kann, wenn sich jene Bedingung als unzulässig darstellt, so ist auf die Beschwerde insofern einzutreten als geprüft wird, ob die fragliche Bedingung eine zulässige Beschränkung der Gewerbeausübung sei oder darüber hinausgehe. Diese Frage ist in letzterem Sinne zu beantworten. Es ist davon auszugehen, dass nach feststehender PraxisBGE 52 I, 293 (298) BGE 52 I, 293 (299)des Bundesrates und des Bundesgerichts der Hausierhandel als Form der Erwerbstätigkeit nach dem Grundsatze der Handels- und Gewerbefreiheit nicht verboten werden und lediglich im Interesse der Allgemeinheit gewissen Beschränkungen unterworfen werden darf (s. das Kreisschreiben des Bundesrates vom 11. Dezember 1874 BB1. 1874 III S. 889, Salis, Bundesrecht II N. 889, betreffend das Bundesgericht BGE 42 I S. 255 Erw. 2). Deshalb ist es als zulässig erklärt worden, dass einzelne Waren vom Hausierhandel ausgeschlossen werden und dass dieser der Patentpflicht unterstellt wird, die einerseits durch die damit verbundene persönliche Kontrolle dazu dient, den mit dem Hausierhandel besonders verknüpften Gefahren, insbesondere der der Übervorteilung des Publikums, zu begegnen, und wodurch es anderseits ermöglicht wird, diese Art Handelsbetrieb steuerlich zu erfassen. Dies sind die Gesichtspunkte, aus denen die Patentpflicht zu betrachten und die Zulässigkeit von Beschränkungen zu beurteilen ist. Die Nichtzulassung zum Hausierhandel und die Auferlegung von besondern Bedingungen muss sich demnach, um als zulässig zu erscheinen, mit Gründen des öffentlichen Wohls rechtfertigen lassen. Solche Gründe stehen der in Frage stehenden Bedingung, dass keine Motorfahrzeuge zum Nachführen der Ware verwendet werden dürfen, nicht zur Seite. Die Gefahr der Übervorteilung des Publikums bleibt sich gleich, ob die Ware vom Hausierer selber von einem Orte zum andern getragen werde, oder ob er sich dazu eines Transportmittels bediene; höchstens quantitativ wird sie erhöht, was aber auch mit emsigerem Betrieb oder mit der Benützung eines andern Transportmittels, z.B. der Eisenbahn, verbunden ist und deshalb nicht zum Ausschluss nur des einen Transportmittels, der Motorfahrzeuge, führen kann. Und in Hinsicht auf den steuerpolitischen Zweck des Patentzwanges ist der Betriebsart richtigerweise durch die Bemessung der Taxe Rechnung zu tragen.  Der Regierungsrat beruftBGE 52 I, 293 (299) BGE 52 I, 293 (300)sich denn auch zur Rechtfertigung der Einschränkung nicht auf Gründe der angegebenen Art, sondern in erster Linie auf das Bestreben, den ansässigen Klein-und Mittelgewerbebetrieb vor einer lästigen Konkurrenz zu schützen. Ein solches Bestreben mag volkswirtschaftlich sich rechtfertigen lassen; allein rechtlich sind solche Einschränkungen mit dem Grundsatze der Handels- und Gewerbefreiheit nicht vereinbar, sowenig wie die gänzliche Unterdrückung des Hausierhandels. Denn durch die Handels- und Gewerbefreiheit wird das System der freien Konkurrenz gewährleistet, die es ausschliesst, dass Beschränkungen aufgestellt werden, die lediglich den Schutz einer bestimmten Betriebsart gegen die Konkurrenz einer andern, an sich erlaubten und zulässigen, bezwecken (s. die vom Rekurrenten angeführte Stelle in Burckhardts Kommentar zur BV). Dasselbe gilt für die im angefochtenen Entscheid angezogene Rücksichtnahme auf die zu Fuss wandernden Hausierer; auch damit vermag die in Frage stehende Beschränkung nicht begründet zu werden, weil es zum Wesen der freien Konkurrenz gehört, dass jeder die Betriebsmittel verwenden kann, die ihm zur Verfügung stehen, soweit sie nicht an sich unzulässig sind. Der sozialpolitischen Erwägung endlich, dass die Hausierbewilligung vorab ärmeren Leuten gegeben werde, denen die Möglichkeit eines andern Erwerbs fehlt, mag bei der Behandlung von Patentgesuchen eine gewisse Rücksicht getragen werden ; sie kann aber nicht dazu führen, Bewerber deshalb nicht zuzulassen, weil sie sich auf andere Weise durchschlagen könnten. Das ist einmal schwer festzustellen und wäre ohne Willkür kaum durchzuführen, und sodann widerspricht auch eine solche Scheidung dem Grundsatze der freien Gewerbeausübung. Ob das solothurnische Gesetz einen solchen Hausierhandelsbetrieb nicht im Auge habe, ihn vielmehr ausschliesse, ist unerheblich; denn auch eine gesetzliche Beschränkung des Gebrauchs von Motorfahrzeugen wäre nach dem GeBGE 52 I, 293 (300)BGE 52 I, 293 (301)sagten verfassungswidrig. Übrigens beruhen die diesbezüglichen Ausführungen des Regierungsrates auf der Annahme, dass der Hausierhandel an sich verboten und nur im Rahmen des Gesetzes erlaubt sei, während die rechtliche Lage vielmehr die ist, dass der Hausierhandel unter die bundesrechtlich gewährleistete Handels- und Gewerbefreiheit fällt und lediglich aus Gründen des öffentlichen Wohls in persönlicher und sachlicher Beziehung beschränkt werden darf.
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Demnach erkennt das Bundesgericht :
 
Der Rekurs wird abgewiesen, soweit der Rekurrent die Aufhebung des Entzuges des Hausierpatentes verlangt, aber insofern gutgeheissen, als festgestellt wird, dass einem neuen Patent das Verbot der Verwendung von Motorfahrzeugen nicht beigefügt werden darf.BGE 52 I, 293 (301)
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