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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher | |||
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48. Urteil |
vom 18. November 1932 i.S. Strohwig gegen Obergericht Zürich. | |
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Erbschafts- (Herabsetzungs-)klage für eine unbekannt abwesende Person durch den ihr von der Vormundschaftsbehörde hiezu ernannten Beistand. Aus Art. 4 BV folgender bundesrechtlicher Anspruch auf Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung, wenn die Person ausser dem streitigen Anspruch kein bekanntes Vermögen besitzt und der Prozess nicht aussichtslos ist. | |
Sachverhalt: | |
A. | |
Am 25. Dezember 1928 starb in Zürich E. Koch-Walter, gewesener Schuhmachermeister. Gesetzliche Erben waren seine fünf Kinder, worunter Ernst Koch-Lüscher in Zürich und Frau Marie Strohwig-Koch unbekannten Aufenthaltes. Durch letztwillige Verfügung hatte der Erblasser seine Liegenschaft an der Eigenstrasse in Zürich dem Sohne Ernst Koch-Lüscher für 41,000 Fr. zugewendet und diesen überdies berechtigt, von dem genannten Preise ein Lohnguthaben von 8000 Fr. abzuziehen. Der Bedachte war vor Jahren in das Schuhmachergeschäft des Vaters eingetreten, hatte darin lange Zeit gearbeitet, es schliesslich übernommen und in den letzten Jahren den Vater in seinen Haushalt aufgenommen. Nach Eintritt des Erb ![]() ![]() | 1 |
Die Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich bestellte der Frau Strohwig-Koch, die vor Jahren nach Amerika ausgewandert und zur Zeit unbekannt abwesend ist, gestützt auf ZGB Art. 392 Ziff. 1 und Art. 393 1 und 2 einen Beistand und erteilte diesem am 12. Juli 1929 die Vollmacht, namens der Verbeiständeten die von Vater Koch errichtete letztwillige Verfügung gerichtlich anzufechten. In der Folge erhoben die übrigen Erben, Frau Strohwig vertreten durch ihren Beistand, beim Bezirksgericht Zürich gegen Ernst Koch Klage über folgende Streitfrage:
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"Wie ist die Erbschaft des am 25. Dezember 1928 verstorbenen Witwers Ernst Koch-Walter zu teilen; hat der Beklagte die von ihm vorempfangenen Vermögenswerte zur Ausgleichung zu bringen, bezw. in die Erbmasse einzuwerfen und in welchem Betrage; und sind die Zuwendungen an ihn in der letztwilligen Verfügung des Erblassers vom 9. April 1924 entsprechend herabzusetzen?"
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Das Bezirksgericht Zürich gab der Frau Strohwig am 8. Juli 1930 -- unter Berufung auf § 59 der zürcherischen Zivilprozessordnung (ZPO) -- auf, innert 10 Tagen "die sie im Falle des Unterliegens treffenden Kosten und Entschädigungsansprüche [...] durch eine Kaution von 1500 Fr. sicherzustellen". Ein gegen diesen Beschluss eingereichter Rekurs wurde vom Obergericht des Kantons Zürich am 11. Oktober 1930 und die gegen den letztern Entscheid gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde am 9. April. 1931 vom Kassationsgericht des Kantons Zürich abgewiesen. ![]() | 4 |
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B. | |
Gegen diesen Entscheid des Obergerichts vom 21. Mai 1932 hat der Vertreter der Frau Strohwig beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag auf Aufhebung des Entscheides. Als Beschwerdegründe werden Verletzung von Art. 4 BV (Rechtsverweigerung) und Missachtung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts geltend gemacht. Die nähere Beschwerdebegründung ist, soweit nötig, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich. ![]() | 6 |
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Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
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Erwägungen: | |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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Erwägung 2 | |
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Erwägung 3 | |
3. Nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtes ergibt sich indessen schon aus dem jedem Bürger durch Art. 4 BV gewährleisteten staatlichen Rechtsschutz, dass der Richter sein Tätigwerden nicht von der vorhergehenden Erlegung der Prozesskosten abhängig machen darf, wenn diese Kosten von der Partei, die einen begründeten oder doch zum mindesten nicht aussichtslosen privatrechtlichen Anspruch geltend macht, nicht aufgebracht werden können. Eine solche Ordnung behandelt die Bürger, auch wenn die Kostenvorschusspflicht unter ![]() ![]() | 11 |
Erwägung 4 | |
4. Bei Beurteilung der letzteren Frage können in einem Falle wo, wie hier, der von der Vormundschaftsbehörde ernannte Beistand für eine unbekannt abwesende Person einen Prozess führt, nicht die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des unbekannt abwesenden Verbeiständeten in Betracht fallen, sondern nur dessen bekanntes Vermögen. Dürfte dem Beistand einer solchen Person, die keine bekannten Zahlungsmittel besitzt, die unentgeltliche Prozessführung verweigert werden, so würde der Person tatsächlich der staatliche Rechtsschutz versagt, auf den sie nach den Vorschriften des ZGB über die Beistandschaft Anspruch hat. In Deutschland, wo das Gesetz (§ 114 der deutschen ZPO) die Voraussetzungen der unentgeltlichen Prozessführung ähnlich umschreibt wie die zürcherische ZPO, hat denn auch das Reichsgericht schon im Jahre 1902 im gleichen Sinne entschieden in einem Falle, wo der für unbekannt abwesende Erben bestellte Nachlasspfleger die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung nachsuchte. Dem Gesuche wurde entsprochen mit der Begründung: der vom Gesetz geforderte Nachweis, dass die unbekannten Erben die Prozesskosten ohne Beeinträchtigung ihres Unterhaltes und desjenigen ihrer Familie nicht zu bestreiten vermöchten, sei in einem solchen Falle allerdings nicht buchstäblich und völlig so, wie im Gesetze bestimmt, zu erbringen. Dies könne aber auch nicht verlangt werden. ![]() ![]() | 12 |
Erwägung 5 | |
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Aus den anderen Gründen, wie sie teils vom Rekursbeklagten im kantonalen Verfahren, teils vom Kassationsgericht in seinem Entscheide vom 9. April 1931 teils vom Obergericht im heute angefochtenen Entscheide noch geltend gemacht worden sind, dürfte die Verweigerung nicht erfolgen. So insbesondere nicht deshalb, weil die Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich zur Anordnung der Beistandschaft örtlich nicht zuständig gewesen sei. Den Gerichten steht nicht das Recht zu, in einem vom Beistand angehobenen Zivilprozess nachzuprüfen, ob die Beistandsbestellung durch die örtlich zuständige Vormundschaftsbehörde erfolgte. Der Bestellungsakt ist für den Richter verbindlich, solange er nicht von den ![]() ![]() | 14 |
Dasselbe gilt gegenüber der Einwendung des Kassationsgerichtes, dass die Ansprüche der Rekurrentin auch bei Unterlassung der Klage einstweilen nicht Gefahr liefen zu verjähren. Es war wiederum ausschliesslich Sache der Vormundschaftsbehörde, darüber zu befinden, ob sich die sofortige Anhebung der Erbschaftsklage rechtfertige, was sie durch Erteilung der Prozessvollmacht an den Beistand bejaht hat. Die Vormundschaftsbehörde konnte auch, vorausgesetzt dass der Prozess nicht aussichtslos ist, kaum anders handeln. Wenn die Klage in den nächsten Jahren noch nicht verjährt, so wird doch die Beweisführung für verschiedene erhebliche Tatsachen (z.B. die Grösse des väterlichen Nachlasses) im Laufe der Zeit immer schwieriger: zudem muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass der Erbe, der den ganzen Nachlass in Händen hat, nach Jahren nicht mehr imstande ist, seine Miterben für ihre Erbansprüche zu befriedigen.
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Auch das Argument des angefochtenen Entscheides, dass die Rekurrentin es selbst verschuldet habe, wenn man zu ihr nicht in Beziehungen treten könne, vermag in diesem Zusammenhang keine Rolle zu spielen. Einmal ist nicht bewiesen, dass die Rekurrentin die Beziehungen zu ihren Angehörigen "schuldhaft" abgebrochen habe. Wenn sie in den letzten Jahren keine Nachrichten mehr gab, so kann sich dies ebensogut aus anderen Gründen, ![]() ![]() | 16 |
Dispositiv | |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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