Regeste | |
Anfechtung einer Gemeindeabstimmung über ein Bauprojekt wegen behördlicher Beeinflussung der Willensbildung der Stimmberechtigten.
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1. Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichtes (Erw. 5).
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2. Inwieweit dürfen Behörden und ihre Mitglieder am Abstimmungskampf teilnehmen? (Erw. 6).
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3. Ist eine Abstimmung zu kassieren, wenn
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- im Streite der Meinungen mit unwahren Angaben gekämpft worden ist? (Erw. 7 b).
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- die Behörden wenige Tage vor der Abstimmung bekannt gegeben haben, dass die im Abstimmungskampf hauptsächlich gerügten Mängel des Projekts verbessert werden können? (Erw. 7 a, c). ![]() | |
A. | |
Im Jahre 1957 gründeten die schaffhausischen Einwohnergemeinden Schaffhausen und Neuhausen am Rheinfall mit den zürcherischen Gemeinden Feuerthalen und Flurlingen einen Gemeindeverband mit dem Zweck, in Neuhausen eine gemeinsame Abwasserreinigungsanlage (Kläranlage) zu bauen und zu betreiben. Als Standort derselben wurde das "Röti" genannte Areal am rechten Rheinufer vorgesehen, das (von Schaffhausen aus gesehen) bis zu der etwa 300 m oberhalb des Rheinfalls gelegenen Eisenbahnbrücke reicht. Der grösste Teil dieses Areals gehört der Schweiz. Industrie-Gesellschaft (SIG) und wird von ihr im Tausch gegen anderes Land an den Kläranlage-Verband abgetreten. Nachdem ein Projekt für die Kläranlage mit einem Kostenvoranschlag von rund 20 Millionen Franken ausgearbeitet worden war, wurde es dem Grossen Stadtrat von Schaffhausen sowie dem Einwohnerrat von Neuhausen unterbreitet zur Genehmigung und zur Bewilligung der erforderlichen Kredite. Während der Einwohnerrat von Neuhausen die Vorlage einstimmig annahm, schlugen einige Mitglieder des Grossen Stadtrates von Schaffhausen anstelle der "Röti" das unterhalb des Rheinfalls gelegene "Fischerhölzli" als Standort der Kläranlage vor. Sie lehnten die "Röti" vor allem aus Gründen des Natur- und Heimatschutzes ab, weil das dortige Projekt die Aufschüttung eines bis zu 35 m breiten Landstreifens in den Rhein hinaus sowie die Aufschüttung eines 23 m hohen Hügels auf dem hinter der Kläranlage gelegenen Grundstück der SIG vorsah; ferner beanstandeten sie, dass das Areal in der "Röti" zu klein sei und keinen Raum für eine spätere Erweiterung der Anlage biete. Der Grosse Stadtrat entschied sich indes mit 37 gegen 6 Stimmen für das Projekt in der "Röti" und bewilligte den dafür erforderlichen Kredit.
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Die Beschlüsse des Grossen Stadtrates von Schaffhausen und des Einwohnerrates von Neuhausen unterlagen der Volksabstimmung, die auf den 15./17. März 1963 festgesetzt wurde. Vor dieser wurde sämtlichen Stimmberechtigten ![]() ![]() | |
Im Abstimmungskampf wurden namentlich die Beanspruchung des Rheinbettes und die knappen Platzverhältnisse in der "Röti" beanstandet. Angesichts dieser Kritik und eines Appels des Heimatschutzes erklärte sich die SIG in einem Schreiben vom 11. März 1963 an Walter Bringolf, Stadtpräsident von Schaffhausen und Präsident des Kläranlage-Verbandes, bereit, von ihrem Areal durch Zurückversetzung der Böschung weiteres Land unentgeltlich für die Kläranlage abzutreten; dadurch werde es möglich, die Aufschüttung im Rheinbett auf rund 15 m herabzusetzen, und die bisherige Landreserve für einen allfälligen späteren Ausbau der Kläranlage erhöhe sich um rund 50%.
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Stadtpräsident Bringolf las dieses Schreiben am 12. März 1963 in einer öffentlichen Versammlung in der Rathauslaube vor und erklärte dazu, dass es zu einer Verbesserung des geplanten Werkes führe. Am 13. und 14. März wurde das Schreiben in der Presse und in Flugblättern veröffentlicht und besprochen.
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In der Urnenabstimmung vom 15./17. März 1963 wurden die behördlichen Kreditvorlagen für die Kläranlage in der Stadt Schaffhausen mit 3734 gegen 3028 und in Neuhausen mit 1219 gegen 1162 Stimmen angenommen.
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Gegen diese Abstimmungen rekurrierten 7 in Schaffhausen und 5 in Neuhausen stimmberechtigte Bürger an ![]() ![]() | |
Der Regierungsrat wies die Beschwerden mit Entscheid vom 3. Juli 1963 ab, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Obwohl die Abstimmungsvorlage sich nur auf den Kredit für die Kläranlage bezogen habe, sei anzunehmen, dass die Stimmberechtigten auch über die bauliche Ausgestaltung der Anlage im allgemeinen und über ihren Standort entschieden hätten, nicht dagegen über die Detailpläne, deren Ausarbeitung Sache der ausführenden Instanzen sei. Zu den Detailfragen gehöre auch der Landerwerb, so dass der Tauschvertrag mit der SIG keinen wesentlichen Bestandteil der Vorlage und seine Ergänzung im Schreiben vom 11. März 1963 keine Änderung der Vorlage dargestellt hätten. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Aufschüttungen im Rhein und auf dem Land der SIG im Abstimmungskampf besonders hervorgehoben worden seien. Da beim Projekt "Röti" eine Ausführung ohne Aufschüttungen gar nicht zur Diskussion gestanden sei, könne der Stimmbürger durch den Vorschlag weniger weit gehender Aufschüttungen nicht in seiner freien Willensbildung getäuscht oder sonstwie ungebührlich beeinflusst worden sein. Die zusätzliche Landabtretung der SIG stelle insofern eine Verbesserung dar, als sie erlaube, die Beanspruchung des Rheingebietes zu beschränken. Diese Verbesserung habe einem von Gegnern ![]() ![]() | |
B. | |
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellen Gerold Meier und die 11 übrigen Stimmmbürger, welche den kantonalen Rekurs führten, den Antrag, den Regierungsratsbeschluss vom 3. Juli 1963 aufzuheben und die beiden Abstimmungen der Gemeinden Schaffhausen und Neuhausen vom 17. März 1963 zu annulieren. Die Begründung der Beschwerde ist, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
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C. | |
Der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen, der Stadtrat von Schaffhausen und der Gemeinderat von Neuhausen am Rheinfall beantragen Abweisung der Beschwerde.
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Erwägung 1 | |
Erwägung 2 | |
2. Die Beschwerdeführer machen vor allem geltend, die Behörden hätten dadurch, dass sie das Schreiben der SIG wenige Tage vor der Abstimmung bekannt gaben, die Willensbildung der Stimmbürger in unzulässiger Weise beeinflusst. Daneben beschweren sie sich wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs im kantonalen Rekursverfahren. Zu diesen beiden Rügen sind sie legitimiert, da sie ![]() ![]() | |
Erwägung 3 | |
Erwägung 4 | |
4. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts verwirkt ein Stimmberechtigter das Recht zur Anfechtung einer Wahl oder Abstimmung durch staatsrechtliche Beschwerde, wenn er es unterlässt, Fehler in der Vorbereitung der Wahl oder Abstimmung sofort durch Einsprache oder Beschwerde zu rügen, damit der Mangel noch vor der Wahl oder Abstimmung behoben werden kann und diese nicht wiederholt zu werden braucht (BGE 89 I 86 Erw. 4 und dort angeführte frühere Urteile). Im Hinblick hierauf könnte man sich fragen, ob die Beschwerdeführer, die in der wenige Tage vor der Abstimmung erfolgten ![]() ![]() | |
Erwägung 6 | |
6. Dass Stadtpräsident Bringolf das Schreiben der SIG vom 11. März 1963 bekannt gegeben hat, beanstanden die Beschwerdeführer schon deshalb, weil eine Behörde nicht in den Abstimmungskampf eingreifen dürfe. Sie schliessen das e contrario aus den Bestimmungen der Stadtverfassung von Schaffhausen, wonach den Abstimmungsvorlagen in wichtigen Fällen eine erläuternde Botschaft beizufügen ist (Art. 9 Abs. 2 und Art. 12), und behaupten, dass der gegenteilige Standpunkt grundlegend schweizerischer Rechtsauffassung widerspreche. Die Rüge ist unbegründet. Daraus, dass für wichtige Fälle eine erläuternde Botschaft vorgeschrieben ist, folgt nicht, dass es im übrigen den Behörden verboten sei, ihre Vorlagen ![]() ![]() | |
Erwägung 7 | |
a) Die späte Bekanntgabe wäre nur zu rügen, wenn das Schreiben absichtlich zurückgehalten worden wäre, um damit die Stimmberechtigten in letzter Stunde zu beeinflussen. Das wird von den Beschwerdeführern nicht behauptet, noch bestehen Anhaltspunkte dafür. Die SIG habe sich offenbar erst angesichts des mit dem Abstimmungskampf zunehmenden Widerstands gegen die Vorlage dazu entschlossen, für die Verbesserung des Projekts weiteres Land abzutreten. Ihr Schreiben ist das Ergebnis einer am Samstag 9. März 1963 stattgehabten Besprechung ![]() ![]() | |
b) Dass die zusätzliche Landabtretung in bezug auf die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes eine Verbesserung des ursprünglichen Projekts ermöglicht, weil die Aufschüttung in den Rhein hinaus vermindert und diejenige auf dem Grundstück der SIG zurückversetzt werden kann, ist nicht streitig. Als irreführend beanstanden die Beschwerdeführer dagegen die im Schreiben der SIG enthaltene Bemerkung, durch die zusätzliche Landabtretung erhöhe sich die Landreserve für einen späteren Ausbau der Kläranlage um rund 50%. Ob und inwieweit diese Angabe unrichtig war, erscheint indes als zweifelhaft. Die Beschwerdeführer machen keine zahlenmässigen Angaben über das Ausmass der bisherigen und der neuen Landreserve, noch geht dieses Ausmass klar aus den Akten hervor. Soweit die zusätzliche Landabtretung zur Verminderung der Aufschüttung im Rheinbett dient, kann von einer Erhöhung der Landreserve offenbar nicht die Rede sein. Allein die SIG tritt nicht nur 2000 m2 durch Zurückversetzung der Böschung ab, sondern überdies 4250 m2, zu deren späteren Abtretung sie sich im Vertrag von 1960 nur unter der Bedingung verpflichtet hatte, dass "dadurch keine Bauvorhaben der SIG tangiert werden". Inwieweit die Landreserve erhöht wurde, kann indes dahingestellt bleiben. Selbst wenn die SIG zu Unrecht von einer Erhöhung von 50% gesprochen haben sollte, wäre dies kein Grund zur Kassation der Abstimmung. Eine Abstimmung oder Wahl kann nicht immer dann als ungültig erklärt werden, wenn im Streite der Meinungen mit ![]() ![]() | |
Wenn die Behörden befugt sind, nach der Abstimmung in Einzelheiten von dem dort gutgeheissenen Projekt ![]() ![]() | |
Die Beschwerdeführer wenden zu Unrecht ein, die Stimmberechtigten hätten nach Bekanntgabe des Schreibens der SIG nicht mehr gewusst, ob sie über das ursprüngliche ![]() ![]() | |
Der Vorwurf, die Willensbildung der Stimmberechtigten sei durch die Bekanntgabe des Schreibens der SIG vom 11. März 1963 in unzulässiger Weise beeinflusst worden, erweist sich somit als unbegründet.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |