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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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64. Auszug aus dem Urteil |
vom 27. Oktober 1965 |
i.S. Guhl gegen Meliorationsgenossenschaft Wehntal und Landwirtschaftsgericht des Kantons Zürich. | |
Regeste |
Art. 58 Abs. 1 BV gewährleistet dem Einzelnen die Freiheit, nur von dem zuständigen Richter Recht nehmen zu müssen, und gibt ihm Anspruch auf richtige Besetzung des Gerichts. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts, insbesondere hinsichtlich der Frage der Unabhängigkeit des urteilenden Gerichts. | |
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Im Wehntal findet eine Güterzusammenlegung statt. Die Eigentümer von Grundstücken im Zusammenlegungsgebiet bilden die Meliorationsgenossenschaft Wehntal, eine öffentlichrechtliche Körperschaft des kantonalen Rechts. Organe der Genossenschaft sind die Grundeigentümerversammlung, der ![]() ![]() | 1 |
Lyn Guhl ist Eigentümerin von Grundstücken im Zusammenlegungsgebiet. Sie focht die Schätzung ihres Landes durch die Bonitierungskommission nicht an, erhob aber in der Folge gegen den Neuzuteilungsbeschluss der Ausführungskommission Einsprache. Das Landwirtschaftsgericht hat die Einsprache auf Klage der Ausführungskommission hin am 15. Mai 1965 abgewiesen und den Neuzuteilungsbeschluss bestätigt. Lyn Guhl führte hiergegen staatsrechtliche Beschwerde, wobei sie sich namentlich über eine Verletzung des Art. 58 BV beklagte. Das Bundesgericht hat diese Einwendung abgewiesen.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Die Beschwerdeführerin macht in erster Linie geltend, Landwirtschaftslehrer Peter habe als Obmann der Bonitierungskommission in einem früheren Abschnitt des Verfahrens an massgebender Stelle mitgewirkt. Er habe in der Sache als Sachverständiger gehandelt und habe zum Prozessgegner in einem Pflichtverhältnis gestanden, weshalb er gemäss § 113 Ziff. 3 und 6 des zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) als Mitglied des Landwirtschaftsgerichts ablehnbar gewesen sei. Infolge der unrichtigen Besetzung des Gerichts sei der Anspruch der Beschwerdeführerin, nur vom verfassungsmässigen Richter Recht nehmen zu müssen, missachtet und der Art. 58 Abs. 1 BV verletzt worden.
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a) Staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung des Art. 58 BV können erhoben werden, bevor von den kantonalen Rechtmitteln Gebrauch gemacht worden ist (Art. 86 Abs. 2 OG). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführerin ![]() ![]() | 5 |
b) Laut Art. 58 Abs. 1 BV darf niemand seinem verfassungsmässigen Richter entzogen, und es dürfen keine Ausnahmegerichte eingeführt werden. Neben dem Verbot der Ausnahmegerichte schliesst die Garantie des verfassungsmässigen Richters nach der Rechtsprechung ein Doppeltes in sich: sie gewährleistet dem Einzelnen die Freiheit, nur von dem Richter Recht zu nehmen, der nach den bestehenden Verfassungsbestimmungen, Gesetzen und Verordnungen allgemein für die Streitsachen zuständig ist, zu denen der in Frage stehende Prozess gehört (BGE 83 I 85 Erw. 3, 86 I 331, 89 I 68), und sie gibt ihm Anspruch auf richtige Besetzung des Gerichts (BURCKHARDT, Komm. 3 Aufl., S. 532/33; FAVRE, Droit Constitutionnel Suisse, S. 398 Ziff. 3; GRAVEN, La Garantie du juge naturel et l'exclusion des tribunaux d'exception, in Festgabe zur Hundertjahrfeier der Bundesverfassung, S. 221). So hat das Bundesgericht in BGE 15 S. 728 Erw. 2 die Teilnahme von Richtern, deren Amtsdauer abgelaufen ist, als Verstoss gegen Art. 58 Abs. 1 BV bezeichnet. Es hat in BGE 33 I 146 Erw. 2 und 38 I 95 ff. eine Verletzung dieses Verfassungssatzes auch in der Mitwirkung eines Richters erblickt, der (wie beispielsweise ein Konkursverwalter in einem Prozess der Konkursmasse) nicht die nötige Gewähr für eine unabhängige Beurteilung der Streitsache bietet. Das Bundesgericht hat in den beiden letztgenannten Entscheiden aus Art. 58 Abs. 1 BV einen allgemeinen Anspruch des Rechtsuchenden auf richterliche Unabhängigkeit abgeleitet, der weiter geht als der aus Art. 61 BV fliessende Schutz vor einseitiger Gerichtsbarkeit, der dem Einzelnen nur durch die Verweigerung (BGE 28 I 141, 50 I 8, 67 I 8, 76 I 128 b, 81 I 326) der Vollstreckung ausserkantonaler Schiedssprüche zuteil werden kann (vgl. BGE 57 I 205; 67 I 214; 72 I 88 Erw. 2; 76 I 92 Erw. 3, 128 b; 78 I 112 Erw. 3; 80 I 340 Erw. 3; 81 I 326; 84 I 46 Erw. 5).
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Die Zuständigkeit des Gerichts, das sich mit der Sache des Beschwerdeführers befasst oder befasst hat, beurteilte das Bundesgericht zunächst frei (vgl. die Belege bei BURCKHARDT, a.a.O., S. 534); in seiner neueren Rechtsprechung prüft es die Auslegung und Anwendung der kantonalen Gesetze und Verordnungen, aus denen sich die Zuständigkeit der Gerichte ergibt, dagegen nur noch unter dem beschränkten Gesichtswinkel ![]() ![]() | 7 |
Wirft eine Beschwerde wegen Verletzung des Art. 58 Abs. 1 BV die Zuständigkeitsfrage auf, so geht es in der Regel um die sachliche Zuständigkeit, in deren Umschreibung die Kantone frei sind. Das Bundesgericht hat demnach nur über die Auslegung und Anwendung der kantonalen Bestimmungen über den Aufgabenkreis der Behörden zu befinden; soweit es sich um kantonales Recht der Gesetzes- und Verordnungsstufe handelt, beschränkt es sich nach allgemeinen Grundsätzen auf eine Prüfung unter dem Gesichtswinkel der Willkür und der rechtsungleichen Behandlung. Die Frage der richtigen Besetzung des Gerichts ist demgegenüber nicht nur eine solche des kantonalen Rechts (das die Zahl der Gerichtsmitglieder, die Amtsdauer der Richter, die Ausschliessungs- und Ablehnungsgründe regelt), sondern auch des Bundesrechts, das vorgängig den kantonalen Ausstandsbestimmungen dem Einzelnen die unabhängige Beurteilung seiner Streitsache gewährleistet (vgl. BGE 33 I 146 Erw. 2, 38 I 95, wo dieser Anspruch aus Art. 58 Abs. 1 BV, und BGE 73 I 188 Erw. 2, wo er aus Art. 4 BV abgeleitet wird). Die Handhabung der die Besetzung des Gerichts betreffenden kantonalen Bestimmungen hat das Bundesgericht nach dem Gesagten nur auf das Vorliegen von Willkür und rechtsungleicher Behandlung hin zu prüfen. Es fragt sich dagegen, ob es nicht gleich wie in seiner Rechtsprechung zum rechtlichen Gehör ![]() ![]() | 8 |
c) Die Beschwerdeführerin bezeichnet § 113 Ziff. 3 und Ziff. 6 GVG als verletzt. Nach diesen Bestimmungen kann ein Justizbeamter "abgelehnt" werden, wenn die darin genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Das bedeutet, dass der betreffende Justizbeamte nicht von Amtes wegen den Ausstand zu wahren hat, sondern nur, wenn eine Partei oder er selber es verlangt (HAUSER, Komm. 3 Aufl., N. 1 zu § 113 GVG). Die Beschwerdeführerin hat vor dem Landwirtschaftsgericht nicht den Ausstand des Richters Peter verlangt. Sie bestreitet in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht, dass ihrem Vertreter bekannt war, dass Peter in der Sache als Mitglied des Gerichtes amte, wendet jedoch ein, sie habe erst am 23. Juli 1965 - also nach Zustellung des Urteils vom 15. Mai 1965 - erfahren, dass Peter als Obmann der Bonitierungskommission von der Meliorationsgenossenschaft und nicht vom Kanton besoldet worden sei. Ob sie diese Kenntnis wirklich erst nach der Urteilsfällung erlangt habe und ob sich aus dem erwähnten Umstand ein Ablehnungsgrund ergebe, kann offen bleiben. Nach dem Wortlaut von § 119 GVG wirkt die Ablehnung erst von der Geltendmachung an. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn die interessierte Partei bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit die Umstände, worin sie einen Ablehnungsgrund ![]() ![]() | 9 |
Zum selben Ergebnis führt es, wenn die richtige Besetzung des Gerichts unter dem Gesichtswinkel der Gewährleistung einer unabhängigen Rechtsprechung betrachtet und als Frage des Bundesrechts frei geprüft wird. Landwirtschaftslehrer Peter hatte sich als Obmann der Bonitierungskommission über die Landschätzung, als Mitglied des Landwirtschaftsgerichts über den Neuzuteilungsentwurf auszusprechen. Die Landschätzung einerseits und die Aufstellung des Neuzuteilungsentwurfs andererseits sind nach zürcherischem Recht zwei Abschnitte des Güterzusammenlegungsverfahrens, die aufeinander folgen, aber klar auseinander gehalten werden (vgl. BGE 90 I 285 Erw. 5). Zwar bildet die Landschätzung eine der Grundlagen der Neuzuteilung; sie präjudiziert diese jedoch nicht; denn das Land, für das bei der Bonitierung ein Vergleichswert festgelegt wird, kann bei der Neuzuteilung auf die verschiedenste Weise zu neuen Betriebseinheiten zusammengefügt werden. Es kann darum nicht gesagt werden, Landwirtschaftslehrer Peter habe sich dadurch, dass er bei der Schätzung mitwirkte, bereits auf eine bestimmte Neuzuteilung festgelegt und er vermöge diese Frage nicht mit der gleichen Unvoreingenommenheit zu prüfen wie ein bisher dem Verfahren fernstehender Dritter. Richtig ist zwar, dass Peter sein Amt als Obmann der Bonitierungskommission im Dienste der Meliorationsgenossenschaft ausübte und dass er dafür von ihr besoldet wurde; er wurde indessen als "auswärts wohnender Sachverständiger" (vgl. § 31 der Statuten) gerade ![]() ![]() ![]() | 10 |
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