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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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3. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 30. Januar 1998 |
i.S. Georg Müller gegen Kanton Aargau |
(staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 31 BV; Ablieferung von Gewinnen kantonaler Monopolanstalten an den Staat. |
Tragweite des Vorbehalts kantonaler Regale in Art. 31 Abs. 2 BV. Das Gebäudeversicherungsmonopol ist nicht als Fiskalmonopol zulässig (E. 3). |
Ein polizeilich oder sozialpolitisch gerechtfertigtes Monopol darf aber einen Reingewinn abwerfen, sofern diesbezüglich die verfassungsmässigen Grundsätze der Abgabenerhebung erfüllt sind (E. 4 u. 5). |
Das Kostendeckungsprinzip gilt auch für Regalgebühren, soweit keine fiskalische Rechtfertigung des Regals zulässig ist (Präzisierung der Praxis) (E. 6b). |
Gesetzliche Grundlage für die Ablieferung eines geringen Überschusses an den Staat (E. 7). | |
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Gemäss dem aargauischen Gesetz vom 15. Januar 1934 über die Gebäude- und Fahrnisversicherung (Gebäudeversicherungsgesetz) sind alle im Kanton gelegenen Gebäude obligatorisch bei der Aargauischen Gebäudeversicherungsanstalt (Anstalt) zu versichern. Am 18. Juni 1996 änderte der Grosse Rat des Kantons Aargau das Gesetz. Dabei wurde unter anderem ein neuer § 34a eingefügt, welcher wie folgt lautet:
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1 Die Anstalt hat von einem allfälligen nach der Verwendung des Jahresüberschusses für Versicherungszwecke verbleibenden Rest höchstens die Hälfte, begrenzt auf eine Million Franken, der Staatskasse abzuliefern.
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2 Als Versicherungszwecke gelten insbesondere:
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a) die Vornahme von betriebswirtschaftlich notwendigen Abschreibungen und Rückstellungen;
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b) die ausreichende Äufnung der gesetzlichen Reserven;
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c) angemessene Einlagen in den kantonalen Löschfonds.
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3 Bestehen über mehrere Jahre hinweg Überschüsse, sind die Prämien zu verbilligen oder die Versicherungsleistungen entsprechend anzupassen. ![]() | 7 |
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Prof. Dr. Georg Müller, Eigentümer einer im Kanton Aargau gelegenen Liegenschaft, erhebt im Anschluss an die Publikation des Erlasses in der Gesetzessammlung staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und 31 BV mit dem Antrag, § 34a des Gesetzes aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Erwägungen:
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Erwägung 1 | |
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a) Die staatsrechtliche Beschwerde ist zulässig gegen letztinstanzliche kantonale Hoheitsakte, die nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer anderen Bundesbehörde angefochten werden können (Art. 84 Abs. 2, Art. 86 Abs. 1 OG). Das Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs gilt auch für die Anfechtung kantonaler Erlasse im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (BGE 119 Ia 197 E. 1b S. 200, 321 E. 2a S. 324). Gemäss § 68 des aargauischen Gesetzes vom 9. Juli 1968 über die Verwaltungsrechtspflege können kantonale Dekrete und Verordnungen sowie Erlasse der Gemeinden, öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten jederzeit dem Verwaltungsgericht zur Prüfung auf ihre Verfassungs- und Gesetzmässigkeit unterbreitet werden. Dies gilt jedoch nicht für kantonale Gesetze. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher direkt gegen die Gesetzesänderung zulässig.
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b) Zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen Erlass ist legitimiert, wer durch die angefochtene Bestimmung unmittelbar oder virtuell (d.h. mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit früher oder später einmal) in seiner rechtlich geschützten Stellung betroffen wird (BGE 122 I 222 E. 1a S. 224, mit Hinweisen). Insoweit Art. 31 BV verfassungsrechtliche Schranken für die Zulässigkeit kantonaler Monopole enthält, kann sich der Beschwerdeführer neben Art. 4 BV auch auf diese Bestimmung berufen, da er als prämienzahlungspflichtiger Eigentümer einer im Kanton Aargau gelegenen Liegenschaft vom Versicherungsmonopol betroffen ist. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten. ![]() | 13 |
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Erwägung 2 | |
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Nach Ansicht des Beschwerdeführers wird dadurch der bisherige sozialpolitische Zweck des Versicherungsmonopols durch einen fiskalischen Zweck ergänzt; damit werde ein neues kantonales Monopol eingeführt, was, soweit dieses fiskalisch motiviert sei, gegen Art. 31 Abs. 2 BV verstosse.
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Erwägung 3 | |
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Die Bundesverfassung hatte in der ursprünglichen Formulierung von 1874 nur das kantonale Salzregal ausdrücklich vorbehalten. In ![]() ![]() | 18 |
Nach Lehre und Rechtsprechung erlaubt Art. 31 Abs. 2 BV den Kantonen, neue Monopole einzuführen, jedoch nur in bestimmten Grenzen; die Kantone dürfen nicht jede wirtschaftliche Tätigkeit monopolisieren und damit die Handels- und Gewerbefreiheit faktisch ausser Kraft setzen. Es bleibt im einzelnen zu untersuchen, wo die Grenzen der zulässigen Monopolbildung liegen.
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Darüber hinaus dürfen die Kantone weitere Monopole errichten, sofern dies durch hinreichende Gründe des öffentlichen Wohls, namentlich polizeiliche oder sozialpolitische Gründe, gerechtfertigt und verhältnismässig ist (BGE 109 Ia 193 E. 2b S. 195 f.; 101 Ia 124 ![]() ![]() | 21 |
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d) Die sachliche Besonderheit der historischen Bodenregale ergibt sich daraus, dass sie vorbestehende, nur beschränkt vorhandene, wirtschaftlich nutzbare Naturgüter betreffen, die herrenlos sind und ![]() ![]() | 23 |
Erwägung 4 | |
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b) Das Bundesgericht hat in BGE 95 I 144 E. 4b S. 150 f. entschieden, ein fiskalisches Interesse sei dann anzunehmen, wenn die Ausgestaltung oder Handhabung des Monopols es dem Monopolbetrieb gestatte, nach Deckung sämtlicher Unkosten (insbesondere der Vornahme angemessener Abschreibungen und Rückstellungen sowie nach Abzug des üblichen Zinses für Eigen- und Fremdkapital) dem Gemeinwesen in irgendeiner Form geldwerte Leistungen zu erbringen, die andernfalls mit Steuermitteln zu bezahlen wären. Um des Fiskalertrags willen lässt sich ein Gewerbemonopol nicht ![]() ![]() | 25 |
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Erwägung 5 | |
5.- a) Die Unzulässigkeit von Fiskalmonopolen dient in erster Linie dem Schutz einer privatwirtschaftlichen Ordnung; würde ein rein fiskalisches Interesse als hinreichendes öffentliches Interesse für die Begründung eines Monopols anerkannt, könnte ein Kanton die ganze Wirtschaftstätigkeit, soweit sie gewinnbringend ist, monopolisieren und damit die privatwirtschaftliche Ordnung und die Handels- und Gewerbefreiheit faktisch aus den Angeln heben. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn ein Monopol, das sich durch ein hinreichendes nicht-fiskalisches Interesse rechtfertigen lässt, nebenbei dem Staat einen Ertrag abliefert. Das fiskalische Nebeninteresse darf zwar für die Rechtfertigung des Monopols nicht herangezogen werden, hindert diese umgekehrt aber auch nicht. Die Handels- und Gewerbefreiheit in ihrem Sinne als Hüterin einer privatwirtschaftlichen ![]() ![]() | 27 |
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Erwägung 6 | |
6.- a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bedürfen öffentliche Abgaben der Grundlage in einem formellen Gesetz. Delegiert das Gesetz die Kompetenz zur Festlegung der Abgabe an eine untergeordnete Behörde, so muss es zumindest den Kreis der Abgabepflichtigen, den Gegenstand und die Bemessungsgrundlagen selber festlegen, doch können diese Anforderungen für gewisse Arten von Kausalabgaben gelockert werden, wenn das Mass der Abgabe durch überprüfbare verfassungsrechtliche Prinzipien (Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip) begrenzt wird (BGE 123 I 248 E. 2 S. 249, 254 E. 2a S. 255; 122 I 279 E. 6a S. 289, 305 E. 5a S. 311 f., je mit Hinweisen). Das Legalitätsprinzip ist zudem nach der Natur der Abgabe differenziert zu betrachten (BGE 121 I 230 E. 3g/aa S. 238). Es darf weder seines Gehalts entleert, noch auf der andern Seite in einer Weise überspannt werden, dass es mit der Rechtswirklichkeit und dem Erfordernis der Praktikabilität in einen unlösbaren Widerspruch gerät (BGE 120 Ia 1 E. 3c S. 3, mit Hinweis). Insbesondere sind die Anforderungen nach der Höhe der ![]() ![]() | 30 |
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c) Nach dem Kostendeckungsprinzip sollen die Gesamteingänge an Kausalabgaben den Gesamtaufwand für den betreffenden Verwaltungszweig nicht oder höchstens geringfügig überschreiten (BGE 121 I 230 E. 3f S. 236 f., mit Hinweisen). Zum Gesamtaufwand sind nicht nur die laufenden Ausgaben des betreffenden Verwaltungszweiges, sondern auch angemessene Rückstellungen, Abschreibungen und Reserven hinzuzurechnen (BGE 120 Ia 171 E. 2a S. 174; 118 Ia 320 E. 4b S. 325; ANDR9 GRISEL, a.a.O., S. 611 f.). d) Das Kostendeckungsprinzip ist ein Surrogat für eine gesetzliche ![]() ![]() | 32 |
Erwägung 7 | |
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c) Die gemäss § 30 des Gebäudeversicherungsgesetzes für die Prämiengestaltung zu berücksichtigenden Kostenfaktoren sind diejenigen, die sich aus der Erfüllung der in § 2 des Gesetzes genannten Aufgaben der Anstalt ergeben. Insofern deckt sich die Gesetzmässigkeit der Prämienberechnung weitgehend mit dem Kostendekkungsprinzip: dieses ist eingehalten, wenn die Prämien nicht höher ![]() ![]() | 35 |
Freilich ergibt sich daraus die Höhe des Beitrags nicht mit Bestimmtheit. Wohl sind die Aufwendungen zur Deckung der Schäden nach versicherungstechnischen Grundsätzen einigermassen zuverlässig abschätzbar. Zusätzlich sieht das Gesetz aber vor, dass aus dem Ertrag der Gebäudeversicherung Brandschutzmassnahmen unterstützt werden. Zu diesem Zweck leistet die Anstalt Einlagen in den kantonalen Löschfonds, aus welchem nach Massgabe der regierungsrätlichen Verordnung vom 9. Dezember 1991 über die Beitragsleistungen aus dem kantonalen Löschfonds an das Feuerwehrwesen Beiträge für die Lösch- und Rettungseinrichtungen der Gemeinden und der vorgeschriebenen Betriebsfeuerwehren und Löschgruppen ausgerichtet werden. Das Gebäudeversicherungsgesetz legt die Höhe der Einlagen in den Löschfonds nicht selber fest, sondern überlässt dies dem Verwaltungsrat der Gebäudeversicherung (vgl. § 34a Abs. 2 lit. c und § 76 Abs. 2 des Gebäudeversicherungsgesetzes, in der Fassung vom 22. September 1996). Insoweit kann die Gebäudeversicherung in einem gewissen Umfang selber die Höhe ihres Gesamtaufwandes und damit auch die Höhe der Prämien festlegen. Das rechtfertigt sich jedoch im Interesse einer gewisse Flexibilität und der zweckmässigen Aufgabenerfüllung. Welcher Aufwand für vorbeugenden Brandschutz betrieben und welche Brandrisiken in Kauf genommen werden sollen, ist im wesentlichen eine Frage der wirtschaftlichen Optimierung, die Fachkunde und Vertrautheit mit der Materie verlangt. Die Übertragung dieser Aufgaben an eine verselbständigte staatliche Anstalt hat gerade den Zweck, dieser einen gewissen Handlungsspielraum zu ermöglichen. Die wesentlichen Kriterien der Prämie sind zudem im formellen Gesetz genannt. Dass sie einen gewissen Spielraum in der Festlegung der Prämienhöhe belassen, ist angesichts der für den einzelnen Eigentümer relativ geringen Höhe der Prämie jedenfalls nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer rügt denn auch nicht, dass die gesetzliche Grundlage für die Bemessung der Prämie an sich zu unbestimmt wäre.
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d) Das Gesetz sieht nicht vor, dass die Prämien höher angesetzt werden dürften, als dies nach versicherungstechnischen Grundsätzen bzw. zur Erzielung eines ausgeglichenen Ergebnisses (unter Berücksichtigung der nach § 2 bzw. § 30 des Gesetzes zu finanzierenden Aufwendungen) erforderlich ist. Indessen lassen sich Prämien einer Gebäudeversicherung nicht so genau festlegen, dass jedes ![]() ![]() | 37 |
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Erwägung 8 | |
8.- a) Der Regierungsrat rechtfertigt die Gewinnablieferung unter anderem auch damit, diese stelle eine Abgeltung für die ![]() ![]() | 40 |
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c) In § 55 Abs. 2 der aargauischen Kantonsverfassung ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Ausübung der Regale an Private übertragen werden kann. Zwar kritisiert die Lehre teilweise die Konzessionierung monopolisierter Tätigkeiten an Private (AUBERT, a.a.O., S. 888 Rz. 1956; BURCKHARDT, a.a.O., S. 232; FAVRE, a.a.O., S. 403; MAX IMBODEN/REN9 A. RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. A., Basel 1976, S. 985 f.; PETER SALADIN, Grundrechte im Wandel, 3. Aufl. Bern 1982, S. 258 f.; VALLENDER, a.a.O., S. 103). Indessen haben Praxis und herrschende Lehre jedenfalls bisher eine solche Konzessionierung auch bei Polizei- oder Wohlfahrtsmonopolen grundsätzlich als zulässig betrachtet (EICHENBERGER, a.a.O., S. 179; ANDR9 GRISEL, a.a.O., S. 204; KNAPP, a.a.O., S. 294; KRÄHENMANN, a.a.O., S. 21 f.; RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., S. 425, 439; MARTI, a.a.O., S. 168; PAUL RICHLI, Kantonale Monopole - Die offene Flanke der Handels- und Gewerbefreiheit, ZBl 90/1989 S. 476 ff., 479; RUEY, a.a.O., S. 280 f.; SUTTER-SOMM, a.a.O., 20 f.). Bei manchen monopolisierten Tätigkeiten, wie etwa bei den Kaminfegern, ist die Konzessionierung an Private die Regel und wurde vom Bundesgericht als zulässig anerkannt (BGE 109 Ia 193 E. 3d S. 202; 96 I 204 E. 2 S. 207 f.). Diese Privaten ziehen alsdann aus ihrer konzessionierten Tätigkeit regelmässig und zulässigerweise einen Gewinn (KNAPP, a.a.O., S. 296 Rz. 1409; RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., S. 440; vgl. BGE 96 I 204 E. 2 S. 207 f., sowie für die analoge Situation der staatlich zugelassenen Notare BGE 103 Ia 85 E. 5c S. 89 f.). Es ist zulässig, dafür vom Konzessionär eine Gegenleistung zu verlangen (MOOR, a.a.O., S. 390). Auch wurde jedenfalls bei privaten Konzessionären noch nie gefordert, das aus der konzessionierten Tätigkeit erzielte Einkommen müsse steuerbefreit sein. Weshalb es sich bei juristischen Personen anders verhalten ![]() ![]() | 42 |
Erwägung 9 | |
9.- Gesamthaft erlaubt jedenfalls die angefochtene Regelung eine verfassungskonforme Handhabung und verstösst daher nicht grundsätzlich gegen Art. 31 Abs. 2 BV. Sie leidet auch nicht an einem gegen Art. 4 BV verstossenden inneren Widerspruch (vorne E. 7e). Der blosse Umstand, dass die Organe der Gebäudeversicherung versucht sein könnten, zum Zwecke der Erzielung eines möglichst hohen Überschusses die Prämien in Verletzung von § 30 des Gebäudeversicherungsgesetzes bzw. des Kostendeckungsprinzips festzusetzen, führt jedenfalls im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nicht zur Aufhebung der beanstandeten Bestimmung (vorne E. 1c). ![]() | 43 |
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