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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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41. Urteil des Kassationshofes |
vom 22. November 1982 |
i.S. M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich |
(Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Die Behinderung anderer durch einen sog. "Menschenteppich", der in der Weise gebildet wird, dass sich Menschen dichtgedrängt auf den Boden legen, kann den Tatbestand der Nötigung erfüllen. | |
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A.- Am 2. Juli 1981 nahm X. an der sog. "Gewaltfreien Aktion Menschenteppich" an der Wartstrasse in Winterthur vor der "Eulachhalle" teil. Zum Zwecke des Protests gegen die auf dem Gelände der "Eulachhalle" stattfindende Ausstellung "W 81" legten sich die Teilnehmer der Aktion, unter ihnen X., vor dem Ausstellungseingang auf dem Trottoir und zum Teil auf dem markierten Parkfeld der Wartstrasse auf den Boden, so dass die Personen, die in die Ausstellung gelangen oder dieselbe verlassen wollten, über die Körper der Demonstranten hinwegsteigen mussten. Der "Menschenteppich" wurde in der Weise gebildet, dass sich die Teilnehmer der Aktion reihenweise, jeweils den Kopf auf den Schultern der beiden Gegenüberliegenden ("Reisverschluss"), rücklings auf den Boden legten. Auf verschiedenen von den Demonstranten aufgestellten Transparenten stand in mehreren Sprachen geschrieben: "Wer über uns geht, geht auch über Leichen".
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Als um 11.15 Uhr ein von Z. gelenkter VW-Bus mit drei weiteren Insassen das Ausstellungsgelände verlassen wollte, verunmöglichte X. dessen Wegfahrt, indem er mit andern Teilnehmern der Aktion Menschenteppich auf dem Boden liegen blieb. Der Weg sollte dem VW-Bus nur unter der Bedingung freigegeben werden, dass die Insassen (exkl. Chauffeur) das Fahrzeug verliessen und über den Menschenteppich stiegen. Die Insassen des VW-Busses waren dazu indessen nicht bereit. Die durch den Geschäftsleiter der Bezirksanwaltschaft und zwei Beamte der Stadtpolizei Winterthur an die Demonstranten gerichtete Aufforderung, dem VW-Bus ![]() ![]() | 2 |
B.- Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Winterthur sprach X. am 16. November 1981 von der Anschuldigung der Nötigung frei, verurteilte ihn wegen Übertretung von Art. 4 der allgemeinen Polizeiverordnung der Stadt Winterthur zu einer Busse von Fr. 20.-- und auferlegte ihm die Verfahrenskosten. Gegen dieses Urteil reichten sowohl die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich als auch X. Berufung ein. Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sprach X. am 7. Juni 1982 der Nötigung schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 100.--, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von zwei Jahren.
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C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Zürcher Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
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D.- Eine von X. gegen den Entscheid des Zürcher Obergerichts eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 22. Oktober 1982 abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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Erwägung 2 | |
2.- Das Obergericht vertritt die Auffassung, dass X. den "straflosen Bereich der Beschränkung der Handlungsfreiheit anderer) ... überschritten" habe. Zur Begründung führt es aus, den Insassen des Busses sei durch den Menschenteppich das Verlassen des Ausstellungsgeländes im Auto (wie sie es wollten) unbestrittenermassen verunmöglicht worden. Zwar hätten sie das Gelände zu Fuss verlassen können, indem sie über den Menschenteppich stiegen; dies sei ihnen jedoch angesichts der Propaganda der Demonstranten - "Wer über uns geht, geht auch über Leichen" - ![]() ![]() | 8 |
X. legt in seiner Nichtigkeitsbeschwerde ausführlich die Ziele der "Gewaltfreien Aktion Menschenteppich" dar und macht geltend, dass die Veranstaltung "W 81", die seines Erachtens möglicherweise gegen die Bestimmungen des Kriegsmaterialgesetzes verstiess, von verschiedenen Seiten heftig kritisiert wurde. Er weist darauf hin, dass die Aktion Menschenteppich nach Ansicht verschiedener Behördenvertreter und selbst nach Auffassung der Vorinstanz in geradezu exemplarischer Weise gewaltfrei und von den Behörden während mehreren Tagen geduldet worden war und vertritt unter Berufung auf BGE 107 IV 113 ff. die Auffassung, dass die Verhinderung der Ausfahrt des VW-Busses für kurze Zeit nicht in wesentlichem Umfang über das üblicherweise geduldete Mass an Beeinflussung hinausgehe. Die Einwände des Beschwerdeführers gehen jedoch zum Teil an der Sache vorbei und sind im übrigen unbegründet.
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Erwägung 3 | |
3.- Schutzobjekt von Art. 181 StGB ist die Handlungsfreiheit, die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung des Einzelnen. Unrechtmässig ist eine Nötigung, wenn das Mittel oder der Zweck unerlaubt ist oder wenn das Mittel zum erstrebten Zweck nicht im richtigen Verhältnis steht oder wenn die Verknüpfung ![]() ![]() | 10 |
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b) Die von X. mit andern Personen durchgeführte Aktion war darauf angelegt, den Zugang zur Ausstellung "W 81" und das Verlassen des Ausstellungsgeländes zu behindern. Diese Behinderung war mithin nicht die mehr oder weniger unvermeidliche Folge einer Demonstration. Die Demonstranten hielten den VW-Bus auch nicht etwa auf, um den Insassen Flugblätter in die Hände zu drücken, ihnen in einigen Sätzen die Ziele ihrer Aktion mitzuteilen oder sie zu einer Diskussion einzuladen. Sie stellten die Insassen des Busses vielmehr vor die Alternative, zu Fuss über den Menschenteppich zu steigen oder auf unbestimmte Zeit auf dem Ausstellungsgelände zu verharren. Die Demonstranten diktierten ihre Bedingungen und verkündeten auf den mitgebrachten Transparenten ihre - übrigens anmassende und selbstgerechte - Ansicht: "Wer über uns geht, geht auch über Leichen." Damit brachten sie deutlich zum Ausdruck, dass sie an einem Gespräch mit den Insassen des VW-Busses und an deren Argumenten überhaupt nicht interessiert waren. Der Beschwerdeführer wäre bei dieser Sachlage selbst dann der Nötigung schuldig zu sprechen, wenn man annehmen wollte, es liege unter Umständen noch keine rechtswidrige Beschränkung der Handlungsfreiheit darin, dass jemand einen anderen gegen dessen Willen während einigen Minuten aufhält, um ihn über irgend etwas zu informieren oder von irgend etwas zu überzeugen. Aus dem Verhalten der Aktionsteilnehmer geht klar hervor, dass sie, entgegen den mehrfach wiederholten Behauptungen in der Nichtigkeitsbeschwerde, nicht dies anstrebten, sondern dass es ihnen vorwiegend darum ging, ihr ![]() ![]() | 12 |
Die Verhinderung der Durchfahrt des VW-Busses samt Insassen diente demnach einzig als Druckmittel, durch das die Insassen ohne Rücksicht auf ihre Argumente und Einwände zur Übernahme der ihnen zugedachten Rolle gezwungen werden sollten. Unter ![]() ![]() | 13 |
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