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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Marcel Schröer, A. Tschentscher | |||
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BBauG §§ 1 Abs. 7, 2 Abs. 1, 2 a Abs. 6, 10; BauGB §§ 1 Abs. 6, 2 Abs. 1, 3 Abs. 2, 10;VwGO § 47 Abs. 5 |
Beschluß |
des 4. Senats vom 15. April 1988 |
- BVerwG 4 N 4.87 - |
I. Verwaltungsgerichtshof Mannheim | |
Die Antragsteller sind Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks in M. Sie wenden sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan "U." der Stadt M., der in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein Gewerbegebiet festsetzt. Der Verwaltungsgerichtshof hat dem Bundesverwaltungsgericht die Sache gemäß § 47 Abs. 5 VwGO zur Entscheidung der Frage vorgelegt, ob die Mitwirkung befangener Gemeinderäte bei dem Beschluß über die Aufstellung eines Bebauungsplans nach § 2 Abs. 1 BBauG zur Nichtigkeit des Bebauungsplans führt.
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Aus den Gründen: | |
Die Vorlage ist zulässig. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die Frage, ob die Mitwirkung befangener Gemeinderäte bei dem Beschluß über die Aufstellung eines Bebauungsplan nach § 2 Abs. 1 BBauG zur Nichtigkeit des Bebauungsplans führt, wirft Fragen auf, die der Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht bedürfen. Die Vorlage betrifft auch revisibles Recht. Zwar bestimmt das landesrechtliche Kommunalrecht, wann Ratsmitglieder wegen Befangenheit von der Mitwirkung an Beratungen und Beschlüssen ausgeschlossen sind und welche Rechtsfolgen sich ergeben, wenn ausgeschlossene Ratsmitglieder gleichwohl an der Beratung oder Beschlußfassung teilgenommen haben. Um die Klärung dieser Fragen geht es der Vorlage jedoch nicht. Mit ihr soll vielmehr geklärt werden, ob die das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans regelnden Vorschriften einschließlich der landesrechtlichen Bestimmungen über die Befangenheit in ihrer Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof mit Bundesrecht, insbesondere mit den bundesrechtlichen Regelungen für die Bauleitplanung, vereinbar sind. ![]() | 2 |
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Im vorliegenden Fall ist streitig, ob die beiden ausgeschlossenen Gemeinderäte an dem Beschluß, mit dem der Gemeinderat das Plangebiet verkleinert, den Planentwurf gebilligt und seine Auslegung beschlossen hatte, mitgewirkt haben. Das Normenkontrollgericht hat dies bisher nicht aufgeklärt. Es hat die Mitwirkung vielmehr zunächst unterstellt, weil es nach seiner Rechtsauffassung nicht darauf ankommt. Es ist der Auffassung, daß der Satzungsbeschluß alle vorangegangenen Verfahrensschritte konkludent bestätigt und wiederholt, so daß dieselben Grundsätze, die zur Unbeachtlichkeit von Mängeln des Aufstellungsbeschlusses führten, auch für alle späteren Beschlüsse gälten. Unterstellt man die Mitwirkung der ausgeschlossenen Gemeinderäte an dem Offenlegungsbeschluß, so kommt es nicht nur auf den Aufstellungsbeschluß, sondern auch auf diesen Offenlegungsbeschluß an. Zu klären ist deshalb, ob die auf der Mitwirkung befangener Gemeinderäte beruhende Rechtswidrigkeit von Ratsbeschlüssen, die im Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans vor dem Satzungsbeschluß nach § 10 BBauG/BauGB gefaßt worden sind, nach Bundesrecht zur Nichtigkeit des Bebauungsplans führt.
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Dagegen kommt eine Erweiterung der Vorlagefrage auf weitere "Vorfragen" nicht in Betracht. Das Vorlageverfahren dient nicht - wie etwa das Revisionsverfahren - einer umfassenden rechtlichen Überprüfung von Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte. Vielmehr entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nur über die ihm vorgelegte Rechtsfrage (§ 47 Abs. 5 Satz 3 VwGO). Auch für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit von Vorfragen ist die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht auf offensichtlich unhaltbaren rechtlichen Überlegungen oder tatsächlichen Würdigungen beruht (vgl. auch BVerfGE 56, 128 ![]() ![]() | 5 |
Die vorgelegte Frage ist dahin zu beantworten, daß ein Bebauungsplan bundesrechtlich nicht deshalb nichtig ist, weil Ratsbeschlüsse, die im Verfahren zu seiner Aufstellung vor dem Satzungsbeschluß (§ 10 BBauG/ BauGB) gefaßt worden sind, infolge der Mitwirkung befangener Gemeinderäte (nach Landesrecht) rechtswidrig sind. Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts genügt es nach baden-württembergischem Landesrecht für das Zustandekommen der gemeindlichen Satzung, daß der Gemeinderat im Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans einen einzigen wirksamen Beschluß, nämlich den Satzungsbeschluß nach § 10 BBauG/BauGB, faßt. Mit ihm gebe der Gemeinderat zu erkennen, daß er den Bebauungsplan in dieser Form aufstellen wolle; alle anderen vorhergehenden Entscheidungen seien damit überholt und gegenstandslos, unabhängig davon, ob sie aus formellen oder materiellen Gründen rechtswidrig gewesen seien. Vorangegangene Beschlüsse des Gemeinderats würden durch den Satzungsbeschluß nicht etwa rückwirkend geheilt, sondern nur konkludent bestätigt und wiederholt, also (erstmals) rechtmäßig gefaßt. Das baden-württembergische Landesrecht verlangt also für einen gültigen Bebauungsplan nicht, daß der Gemeindrat schon während des Aufstellungsverfahrens wirksame Beschlüsse, insbesondere über die Aufstellung des Bebauungsplans und die Offenlegung des Planentwurfs faßt. Dem stehen bundesrechtliche Anforderungen nicht entgegen:
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Das Bundesrecht (BBauG/BauGB) enthält keine in sich abgeschlossene vollständige Regelung der formellen Voraussetzungen für gültige Bau ![]() ![]() | 7 |
Das Bundesbaugesetz und das Baugesetzbuch gehen allerdings davon aus, daß das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans durch einen Aufstellungsbeschluß eingeleitet wird. § 2 Abs. 1 Satz 2 BBauG/BauGB bestimmt, daß der Beschluß, einen Bauleitplan aufzustellen, ortsüblich bekanntzumachen ist. Das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Planaufstellungsbeschlusses ist aber nach Bundesrecht keine 'Wirksamkeitsvoraussetzung für den späteren Bebauungsplan: ![]() | 8 |
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Die gegenteilige Auffassung läßt sich nicht aus der Bedeutung des Planaufstellungsbeschlusses herleiten, die sich darin zeigt, daß er bekanntzumachen ist. Die Notwendigkeit der öffentlichen Bekanntmachung bewirkt, daß nur ein bekanntgemachter Aufstellungsbeschluß im Rahmen §§ 14, 15, 22 Abs. 7 und 33 BauGB beachtlich ist. Aus ihr lassen sich jedoch keine Rückschlüsse darauf ziehen, daß er für das weitere Planaufstellungsverfahren zwingend erforderlich ist. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, so hätte es angesichts der gegensätzlichen Auffassungen im Schrifttum nahegelegen, bei der Neufassung des § 2 Abs. 1 Satz 2 eine entsprechende Klarstellung vorzunehmen.
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Nicht durchschlagend ist ferner das Argument, der betroffene Bürger benachteiligt, wenn er erst zu einem späten Zeitpunkt von der Beplanung seines Grundstücks überrascht werde (Geizer, Bauplanungsrecht, 4.Aufl. 1984 Rdnr. 283). Die Beteiligung der Bürger an der Bauleitplanung ist nicht in § 2 Abs. 1 Satz 2 BBauG/BauGB, sondern in § 2 a BBauG/§ 3 BauGB geregelt. Eine frühere Information über eine beabsichtigte Bauleitplanung mag wünschenswert sein. Die Information der Bürger mit der Zielsetzung, ihnen Einfluß auf die Bauleitplanung einzuräumen, ist jedoch nicht der Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 BBauG/BauGB. Das wäre in vielen ![]() ![]() | 11 |
Ist hiernach ein Aufstellungsbeschluß aus der Sicht des Bundesrechts als Wirksamkeitsvoraussetzung für den späteren Bebauungsplan nicht erforderlich, so deutet dies bereits auf die Vorstellung des Bundesgesetzgebers, daß Mängel des Aufstellungsbeschlusses die Geltung des Bebauungsplans bundesrechtlich nicht zwingend in Frage stellen müssen.
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Die gesetzgeberische Zielsetzung wird dadurch bestätigt, daß der Bundesgesetzgeber des Baugesetzbuchs die "Gemeinde" in den Verfahrensvorschriften regelmäßig nicht mehr erwähnt hat. Damit hat der Gesetzgeber sich gezielt einer Aussage darüber, welches Gemeindeorgan für bestimmte Verfahrensschritte zuständig ist, enthalten wollen (Bielenberg in Bielen-berg/Krautzberger/Söfker, Baugesetzbuch[Leitfaden], 1987 Rdnr. 42). Er hat diese Regelung ebenso dem Landesrecht überlassen wollen wie die rechtlichen Konsequenzen, die bei den einzelnen Verfahrensschritten aus einem Verstoß gegen Landesrecht zu ziehen sind.
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Das gilt in gleicher Weise auch für den Auslegungsbeschluß nach § 2 a BBauG/§ 3 BauGB. Nach Bundesrecht sind bis zum Satzungsbeschluß keine weiteren Beschlüsse der Gemeinde erforderlich. Insbesondere gebietet Bundesrecht nicht, daß vor der Auslegung des Planentwurfs der in der Praxis übliche Offenlegungsbeschluß, durch den die Gemeinde dem Entwurf zustimmt und seine öffentliche Auslegung anordnet, gefaßt wird. In § 2 a Abs. 6 Satz 1 BBauG/§ 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB wird von einem Beschluß nicht einmal gesprochen. Verlangt wird nur, daß der Planentwurf mit ![]() ![]() | 14 |
Schließlich ist es bundesrechtlich nicht zu beanstanden, daß nach der Auslegung des baden-württembergischen Landesrechts durch das Normenkontrollgericht ein wirksamer Auslegungsbeschluß erst am Ende des Rechtsetzungsverfahrens vorhanden sein muß. Zwar hat der Senat in seinem Beschluß vom 8. Januar 1968 - BVerwG 4 CB 109.66 - DVBl. 1968, 517 ausgesprochen, daß eine Verletzung des § 2 Abs. 6 BBauG (1960) die Nichtigkeit der Satzung nach sich ziehe, weil es sich dabei um einen wesentlichen Mangel des Rechtsetzungsverfahrens handele; die Auslegung der Entwürfe von Bebauungsplänen müsse einschließlich der Prüfung der daraufhin eingehenden Bedenken und Anregungen erfolgen, bevor der Satzungsbeschluß gefaßt werde. Gerade hieraus wird aber deutlich, daß es dem Senat nicht auf das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Auslegungsbeschlusses vor dem Satzungsbeschluß ankam, sondern allein darauf, daß die Auslegung und damit die der Aufbereitung des Abwägungsmaterials dienende Bürgerbeteiligung vor der Beschlußfassung durchgeführt wird.
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Wenngleich aus dem Gesagten insgesamt folgt, daß ein im Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans, jedoch noch vor dem Satzungsbeschluß nach § 10 BBauG/BauGB unterlaufener landesrechtlicher Verfahrensfehler nicht zwingend zur Nichtigkeit eines Bebauungsplans führen muß, kann freilich eine unzulässige Mitwirkung befangener Ratsmitglieder in einem früheren Verfahrensabschnitt im Einzelfall Auswirkungen auf das nachfolgende Verfahren und auf dessen Ergebnis haben, es also mit einem fortwirkenden Fehler gleichsam "infizieren". Denn auch planerische Vorentscheidungen beruhen auf Abwägungen, die im Laufe des Planaufstellungsverfahrens faktisch zu einer Einengung der Entscheidungsfreiheit des Satzungsgebers führen können. Diese Abwägungen können sogar schon vor ![]() ![]() ![]() | 16 |
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