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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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32. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Anwaltskammer des Kantonsgericht St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) |
2P.27/2002 |
vom 8. August 2002 | |
Regeste |
Art. 6 und 7 EMRK; Disziplinaraufsicht über die Rechtsanwälte. |
Eine reine Disziplinarbusse in der Höhe von Fr. 5'000.- stellte weder eine strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 EMRK noch eine Strafe im Sinne von Art. 7 EMRK dar. | |
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Am 31. Juli 1998 erstattete Rechtsanwalt A. im Namen seiner Klientschaft (erfolglos) Strafanzeige gegen Rechtsanwalt E. wegen Verletzung des Geschäfts- und des Berufsgeheimnisses. Im Rahmen des anschliessenden Rechtsmittelverfahrens bezeichnete er diesen unter anderem als "käuflichen Verräter". Zudem verweigerte er mehrmals die Annahme des in dieser Sache ergangenen letztinstanzlichen kantonalen Entscheids, der ihm vorgängig im Dispositiv mitgeteilt worden war.
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A. führte für seine Klientschaft überdies einen Zivilprozess gegen E., welcher in diesem Verfahren durch Rechtsanwalt T. vertreten wurde. Letzterer reichte am 23. November 1999 bei der ![]() ![]() | 2 |
Am 24. Januar 2002 hat A. staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben, die Sache an das Kantonsgericht St. Gallen zurückzuweisen und dieses anzuweisen, eine Strafuntersuchung durchzuführen. Er rügt eine Verletzung von Art. 6 und Art. 7 EMRK (SR 0.101) sowie von Art. 30 BV.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 2 | |
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2.1 Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass ein unabhängiges und unparteiisches Gericht über die Stichhaltigkeit einer gegen ihn erhobenen "strafrechtlichen Anklage" befindet. Was als solche zu gelten hat, beurteilt sich nach folgenden drei Kriterien: Zunächst wird geprüft, ob die (angeblich) verletzte Regelung landesintern dem Strafrecht zugeordnet wird. Handelt es sich nach der entsprechenden rechtstechnischen Qualifikation nicht um ein Strafverfahren, so ist - angesichts der autonomen Definition der strafrechtlichen Anklage im Sinne von Art. 6 EMRK - die ![]() ![]() | 7 |
2.2 Zu Recht macht der Beschwerdeführer nicht geltend, die ihm vorgeworfene Verletzung der Berufspflichten stelle gestützt auf die landesrechtliche Zuordnung oder aufgrund ihrer wahren Natur eine strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 EMRK dar: Die Disziplinaraufsicht gemäss St. Galler Anwaltsgesetz hat nicht pönalen, sondern administrativen Charakter. Sie dient nicht dazu, begangenes (strafrechtlich relevantes) Unrecht zu vergelten, sondern soll das rechtsuchende Publikum bzw. die Rechtspflege schützen und die anwaltliche Standeswürde wahren (vgl. BGE 125 I 417 E. 2a S. 419; FELIX WOLFFERS, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Zürich 1986, S. 173 ff.; MARTIN STERCHI, Kommentar zum bernischen Fürsprechergesetz, Bern 1992, S. 93). Die Anwaltskammer, welcher die Beurteilung des angeblichen Fehlverhaltens des Beschwerdeführers oblag, ist denn auch keine Strafverfolgungsbehörde, sondern ein berufsständisch zusammengesetztes Aufsichtsgremium (Art. 4 AnwG). Die ausdrückliche Bezeichnung der Sanktion gemäss Art. 35 Abs. 1 lit. b AnwG als "Geldleistung" und nicht als "Busse" bringt ihrerseits zum Ausdruck, dass es sich dabei nach der Konzeption des Anwaltsgesetzes um eine Disziplinarmassnahme handelt (so auch das Marginale von Art. 35 AnwG), nicht um eine Strafe. Des Weiteren richten sich die zu sanktionierenden Regeln nicht an die Allgemeinheit, sondern ausschliesslich an die Rechtsanwälte als Personengruppe, welche zum Staat in einem besonderen Rechtsverhältnis steht. Beim dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verhalten (Beleidigung von Standeskollegen, Erschwerung des gerichtlichen Geschäftsgangs, Gefährdung der Interessen seiner Klientschaft) handelt es sich denn auch um typische Disziplinarvergehen (ähnlich: Entscheid der EKMR i.S. X. gegen Österreich vom 9. Oktober 1991, in: ÖJZ 47/1992 S. 162 f., auch zitiert in: RUTH HERZOG, Art. 6 EMRK und kantonale Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern 1995, S. 65). ![]() | 8 |
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2.4 Nach dem Gesagten stellt die streitige Disziplinarmassnahme keine Strafe im Sinne der Konvention dar; auf die Beschwerde ist nicht weiter einzugehen, soweit eine Verletzung von Art. 6 EMRK geltend gemacht wird. Nicht einzutreten ist sodann auf die Rüge, das Kantonsgericht habe Art. 30 BV verletzt: Der Beschwerdeführer nimmt in seiner Begründung mit keinem Wort auf diese Verfassungsbestimmung Bezug, weshalb die staatsrechtliche Beschwerde insoweit den Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht genügt. Gleiches gilt, soweit der Beschwerdeführer am Rande noch eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots rügt.
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Erwägung 3 | |
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3.1 Im Kanton St. Gallen sind die Berufsregeln für Rechtsanwälte im Anwaltsgesetz umschrieben. Dieses verpflichtet den Rechtsanwalt insbesondere, sich in der Berufsausübung vertrauenswürdig zu erweisen, sowohl gegenüber Rechtsuchenden als auch gegenüber Behörden und anderen Beteiligten, und die Interessen des Auftraggebers nach Recht und Billigkeit zu wahren (Art. 19 und Art. 24 Abs. 1 AnwG). Der Beschwerdeführer bestreitet weitgehend, gegen diese Pflichten verstossen zu haben; er gesteht einzig zu, mit seiner Kritik an Rechtsanwalt T. zu weit gegangen zu sein, ist aber der Auffassung, dieses Fehlverhalten rechtfertige nur einen Verweis.
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3.2 Der Beschwerdeführer rügt auch in diesem Zusammenhang fast ausschliesslich die Verletzung von Art. 6 EMRK sowie von Art. 7 EMRK. Letztere Bestimmung untersagt, jemanden wegen ![]() ![]() | 13 |
3.3 Nicht einzutreten ist auf die staatsrechtliche Beschwerde schliesslich auch, soweit der Beschwerdeführer bestreitet, gegen die Berufsregeln verstossen zu haben. Er legt nicht dar, inwieweit der anders lautende Entscheid des Kantonsgerichts anderes Verfassungs- bzw. Konventionsrecht als Art. 6 und Art. 7 EMRK verletzen soll. Der Hinweis auf die Meinungsäusserungsfreiheit, den der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang am Rande anbringt, ändert daran nichts.
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Erwägung 4 | |
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4.1 Eine persönliche Befragung des Beschwerdeführers durch das Kantonsgericht drängte sich nicht zwingend auf, auch nicht unter dem Blickwinkel von Art. 29 BV: Das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verhalten (insbesondere die verwendeten Ausdrücke und die Verhinderung der Zustellung des Entscheids der Anklagekammer) stand aufgrund der Akten fest und der Beschwerdeführer hatte ausreichend Gelegenheit, die Umstände des Falles aus seiner Sicht darzulegen sowie seine subjektiven Beweggründe zuhanden des Kantonsgerichts schriftlich zu schildern. Bei einem Rechtsanwalt darf eine ausreichende Gewandtheit im schriftlichen Ausdruck vorausgesetzt werden, so dass ein Parteiverhör weder als Beweismittel noch zur Wahrung des rechtlichen Gehörs erforderlich war. Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, was sich der Beschwerdeführer von einer Befragung zu seinem Vorleben erhoffte. Einer öffentlichen Verhandlung, wie sie der Beschwerdeführer verlangt, könnte zudem auch das Anwaltsgeheimnis entgegenstehen.
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4.2 Die Äusserungen des Beschwerdeführers überschreiten offensichtlich die Schranken des anwaltsrechtlich Erlaubten, und zwar unabhängig davon, ob und wieweit die erhobenen Anschuldigungen ![]() ![]() | 17 |
4.3 Der Beschwerdeführer wendet ferner ein, die beanstandeten Äusserungen seien teilweise in einem Strafverfahren, d.h. im Verhältnis zwischen ihm als Parteianwalt und dem Angeschuldigten gefallen und an die Strafverfolgungsbehörde gerichtet gewesen. Das Anwaltsgesetz finde deshalb keine Anwendung und die Anwaltskammer sei insoweit nicht zuständig. Es sei nicht deren Sache, die "privaten Ehreninteressen" des betreffenden Anwalts zu schützen, weshalb der angefochtene Entscheid Art. 7 EMRK verletzte. Diese Argumentation überzeugt nicht: Der Beschwerdeführer handelte beim Abfassen der Beschwerde vom 19. November 1998 nicht in eigenem Namen, sondern als Rechtsvertreter der angeblich geschädigten Gesellschaften. Schon deshalb war er den besonderen Verhaltensregeln für Rechtsanwälte unterworfen. Wieweit etwas anderes gelten könnte, wenn er in eigenem Namen tätig gewesen wäre, braucht nicht geprüft zu werden. Dass der Inhalt der Eingabe nur einem beschränkten Kreis von Personen zur Kenntnis gelangte, was bei schriftlichen Äusserungen von Anwälten regelmässig der Fall ist, vermag die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers für die erwähnten Äusserungen ebenfalls nicht in Frage zu stellen. Schliesslich wird der Beschwerdeführer auch nicht dadurch entlastet, dass die Anklagekammer, in deren Verfahren die Äusserungen gemacht worden sind, hierfür nicht bereits selbst eine Ordnungsbusse ausgefällt hat. Zu bemerken ist, dass die gravierendsten Beleidigungen nicht gegenüber Rechtsanwalt E. erfolgten, gegen den das Strafverfahren geführt wurde, sondern dessen Rechtsvertreter betrafen und im Zivilverfahren fielen. Die Standeswidrigkeit dieser Äusserungen anerkennt der Beschwerdeführer zumindest teilweise. Dabei vermag der Einwand, er sei durch das Verhalten von Rechtsanwalt T. (der sich einfach mit prozessualen Mitteln dem Ansinnen des Beschwerdeführers entgegenstellte) zu bestimmten Äusserungen provoziert worden, die massiv ungehörigen Bezeichnungen nicht zu rechtfertigen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, dass das für den Zivilprozess zuständige Bezirksgericht die entsprechenden Eingaben nicht beanstandet hat. ![]() | 18 |
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4.5 Schliesslich konnte das Kantonsgericht ohne Willkür auch annehmen, der Beschwerdeführer habe unwahre Angaben über die Dauer seiner Abwesenheit gemacht. Dessen Erklärungsversuch, er habe eine Vorbereitungsphase von 10 Tagen und eine vorhersehbare Beeinträchtigung nach seiner Rückkehr durch den Jetlag (5 Tage) eingerechnet, ist unbehelflich.
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4.6 Auch die Höhe der Busse, welche dem Beschwerdeführer auferlegt wurde, erscheint angesichts des vorgesehenen Sanktionsrahmens und der mehrfachen, teils massiven Verstösse gegen das Standesrecht, nicht offensichtlich übersetzt. Es ist der Behörde, welche für die Durchsetzung der Standesregeln zuständig ist, nicht verwehrt, Disziplinarbussen so anzusetzen, dass sie nicht nur symbolischen Charakter haben, sondern auch wirtschaftlich eine gewisse Wirkung entfalten. ![]() | 21 |
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